Urteil des BAG vom 09.06.2010

Kleine dynamische Bezugnahmeklausel - Tarifsukzession - Tarifpluralität - ergänzende Vertragsauslegung - Chefarztvergütung

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 9.6.2010, 5 AZR 637/09
Kleine dynamische Bezugnahmeklausel - Tarifsukzession - Tarifpluralität - ergänzende
Vertragsauslegung - Chefarztvergütung
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 22. Mai 2009 - 3 Sa 812/08 - aufgehoben, soweit es
die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt
vom 17. April 2008 - 12 Ca 31/08 - zurückgewiesen hat.
2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt
vom 17. April 2008 - 12 Ca 31/08 - abgeändert:
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung Vergütung
nach dem zwischen dem Marburger Bund und der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände
(VKA) geschlossenen Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im
Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom 17. August 2006 (im
Folgenden: TV-Ärzte/VKA) beanspruchen kann.
2 Der Beklagte ist Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband Hessen und betreibt ein
Kreiskrankenhaus. Der 1942 geborene Kläger war bei ihm vom 1. August 1985 bis zum 31. März
2007 als leitender Abteilungsarzt (Chefarzt) der Chirurgischen Abteilung beschäftigt.
3 Im Arbeitsvertrag vom 2. Juli 1985 vereinbarten die Parteien ua.:
„§ 1
Dienstverhältnis
...
(3) Das Dienstverhältnis ist bürgerlich-rechtlicher Natur. Neben den Regelungen dieses
Vertrages finden auf das Dienstverhältnis die §§ 6 bis 10, 13, 14, 18 Abs. 2 und 3, 48,
52, 60 Abs. 1, 66 und 70 des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) vom
23.02.1961 in der jeweils geltenden Fassung, die als Anlage beigefügt sind, sowie die
vom Krankenhausträger erlassenen Satzungen, Dienstanweisungen und
Hausordnungen in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.
...
§ 9
Gesamteinkommen
(1) Das Gesamteinkommen des Arztes aus seinem dienstlichen Aufgabenbereich
(§ 9a) und für die Tätigkeiten außerhalb der Dienstaufgaben (§ 19) wird nach Abzug
des Nutzungsentgeltes im dienstlichen Bereich (§ 12), des Nutzungsentgeltes im
Nebentätigkeitsbereich (§ 3 des Miet- und Dienstbeschaffungsvertrages) und der
Mitarbeiterbeteiligung (§ 10) auf höchstens 350.000,00 DM begrenzt. Der diesen
Betrag übersteigende Teil fließt dem Krankenhausträger zu. Dieser verpflichtet sich,
diese Mittel für Zwecke des Krankenhauses bereitzustellen.
(2) Der vorstehende Betrag erhöht sich jeweils in gleichem Maße und zum gleichen
Zeitpunkt, zu dem sich die Vergütung aufgrund tarifrechtlicher Änderungen des
jeweiligen Vergütungstarifvertrages zum BAT in der Vergütungsgruppe BAT I ändert.
Bei der Ermittlung der Summe des jeweiligen Gesamteinkommens bleibt die
Leistung nach dem Bundeskindergeldgesetz (Kindergeld) hierbei unberücksichtigt.
§ 9a
Vergütung für die Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich
(1) Der Arzt erhält für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich (§§ 5 bis 8)
1. als feste Vergütung
Grundvergütung und Ortszuschlag entsprechend Vergütungsgruppe I des BAT
in Verbindung mit dem Vergütungstarifvertrag vom 17.05.1976 in der für
Mitglieder der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VkA) jeweils
gültigen Fassung. Die Gewährung von Kindergeld richtet sich nach dem
Bundeskindergeldgesetz (BKGG) vom 31.01.1975, BGBl. I S. 412, in der
jeweils gültigen Fassung.
Wird der BAT oder der maßgebliche Vergütungstarifvertrag im Bereich der VkA
durch einen anderen Tarifvertrag ersetzt, so tritt an die Stelle der
Vergütungsgruppe I BAT die entsprechende Vergütungsgruppe des neuen
Tarifvertrages unter Berücksichtigung etwaiger Überleitungsbestimmungen.
Der Arzt erhält dieselben tariflichen Vergünstigungen (z. B.
Weihnachtszuwendung und Urlaubsgeld) wie die übrigen Bediensteten des
Krankenhausträgers in sinngemäßer Anwendung der hierfür jeweils gültigen
Tarifverträge. Bemessungsgrundlage für die Weihnachtszuwendung ist die
Monatsvergütung.
2. als variable, nicht zusatzversorgungspflichtige Vergütung
a) das Liquidationsrecht für die gemäß § 6 BPflV und § 7 der AVB des
Krankenhauses gesondert berechenbaren ärztlichen Leistungen bei
denjenigen Kranken, die diese Leistungen gewählt, mit dem
Krankenhaus vereinbart und in Anspruch genommen haben;
b) das Liquidationsrecht für das Gutachterhonorar bei Aufnahmen zur
Begutachtung (§ 7 BPflV), soweit die gesonderte Berechnung eines
Gutachterhonorars neben dem Pflegesatz nach dem Pflegekostentarif
des Krankenhauses in der jeweils gültigen Fassung zulässig ist.
...“
4 Nach der Ersetzung des Bundes-Angestelltentarifvertrages (im Folgenden: BAT) durch den
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom 13. September 2005 (im Folgenden: TVöD) zum
1. Oktober 2005 vergütete der Beklagte den Kläger nach Maßgabe dieses Tarifvertrags. Der Kläger
erhielt zuletzt Vergütung entsprechend der Entgeltgruppe 15 Ü der Anlage 1 zum Tarifvertrag zur
Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des
Übergangsrechts (im Folgenden: TVÜ-VKA) vom 13. September 2005 iHv. 5.625,00 Euro brutto
zuzüglich eines in den Gehaltsabrechnungen als „Diff. Vergleichsentg.“ bezeichneten Betrags iHv.
118,28 Euro brutto.
5 Mit seiner Klage hat der Kläger für den Zeitraum August 2006 bis März 2007 Abrechnung und
Zahlung der Differenz zwischen der Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA und der erhaltenen Vergütung
iHv. monatlich 756,72 Euro brutto begehrt, hilfsweise die Differenz zwischen der Entgeltgruppe II
Stufe 4 TVöD-BT-K (5.600,00 Euro brutto) zuzüglich einer Funktionszulage nach § 51 Abs. 3 TVöD-
BT-K (750,00 Euro brutto) und der erhaltenen Vergütung iHv. monatlich 606,72 Euro brutto. Der
Kläger hat die Auffassung vertreten, nach § 9a Abs. 1 Nr. 1 des Arbeitsvertrags seien ab 1. August
2006 die Vergütungsregelungen des TV-Ärzte/VKA anzuwenden. Die Parteien hätten bei
Vertragsschluss nicht vorhergesehen, dass an kommunalen Krankenhäusern im Jahre 2006
sowohl die Anwendung des TV-Ärzte/VKA als auch des TVöD-K (= Durchgeschriebene Fassung
des TVöD für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser im Bereich der kommunalen
Arbeitgeberverbände) in Betracht kommen könne. Diese Regelungslücke sei durch ergänzende
Vertragsauslegung zu schließen. An die Stelle des BAT sei der speziellere TV-Ärzte/VKA getreten.
Wäre demgegenüber der TVöD weiter anzuwenden, richte sich die Vergütung ab 1. August 2006
jedenfalls nach § 51 Abs. 1 und 3 TVöD-BT-K und nicht mehr nach der Entgeltgruppe 15 Ü TVöD,
die zu diesem Zeitpunkt für Ärzte weggefallen sei.
6 Der Kläger hat, soweit für die Revision noch von Interesse, beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.053,76 Euro brutto nebst Zinsen iHv.
fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz aus 756,72 Euro nach
bestimmter zeitlicher Staffelung zu zahlen;
2. hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, an ihn 4.853,76 Euro brutto nebst Zinsen iHv.
fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz aus 606,72 Euro nach
bestimmter zeitlicher Staffelung zu zahlen.
7 Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger sei aufgrund
der arbeitsvertraglichen Vereinbarung zum 1. Oktober 2005 in die Entgeltgruppe 15 Ü TVöD
übergeleitet worden. Mit dem rückwirkenden Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA zum 1. August 2006
sei der TVöD nicht ersetzt worden. Ein Wille der Arbeitsvertragsparteien, von zwei
unterschiedlichen Tarifwerken dasjenige zu wählen, welches die höchste Vergütungsgruppe
enthalte, lasse sich weder dem Vertrag noch den sonstigen Umständen als hypothetischer
Parteiwille entnehmen.
8 Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung
des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt
der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des
Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht
zurückgewiesen. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe IV TV-
Ärzte/VKA noch auf Vergütung nach § 51 Abs. 1 und 3 TVöD - Besonderer Teil Krankenhäuser
(im Folgenden: TVöD-BT-K), dem in der Durchgeschriebenen Fassung des TVöD für den
Dienstleistungsbereich Krankenhäuser im Bereich der kommunalen Arbeitgeberverbände vom 7.
Februar 2006 (im Folgenden: TVöD-K) § 12. 1 Abs. 1 und 3 entspricht.
10 I. Weder der TV-Ärzte/VKA noch der TVöD-K finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien mit
unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG). Unabhängig von
der fehlenden beiderseitigen Tarifgebundenheit gilt weder der TV-Ärzte/VKA noch der TVöD-K für
Chefärzte, § 1 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA, § 1 Abs. 2 Buchst. a TVöD-K. Chefärzte werden nach
ausdrücklicher Regelung vom persönlichen Geltungsbereich dieser Tarifverträge nicht erfaßt.
Darüber hinaus sind nach § 16 Buchst. d TV-Ärzte/VKA in Entgeltgruppe IV (nur) Leitende
Oberärzte, denen die ständige Vertretung des Chefarztes übertragen ist (zu den
Eingruppierungsmerkmalen des § 16 Buchst. d TV-Ärzte/VKA vgl. BAG 9. Dezember 2009 -
4 AZR 836/08 - ZTR 2010, 294), nicht aber Chefärzte eingruppiert. Auch § 51 TVöD-BT-K bzw.
§ 12. 1 TVöD-K enthalten keine Eingruppierungsmerkmale für Chefärzte.
11 II. Ein Anspruch des Klägers auf Vergütung nach Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA (Hauptantrag)
oder § 51 Abs. 1 und 3 TVöD-BT-K bzw. § 12.1 Abs. 1 und 3 TVöD-K (Hilfsantrag) ergibt sich nicht
aus dem Arbeitsvertrag.
12 1. Gemäß § 9a Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsvertrag erhält der Kläger für seine Tätigkeit im dienstlichen
Aufgabenbereich als feste Vergütung Grundvergütung und Ortszuschlag entsprechend
Vergütungsgruppe I BAT in der für Mitglieder der VKA jeweils gültigen Fassung. Bei Ersetzung des
BAT oder des maßgeblichen Vergütungstarifvertrags tritt an die Stelle der Vergütungsgruppe I BAT
die entsprechende Vergütungsgruppe des neuen Tarifvertrags unter Berücksichtigung etwaiger
Überleitungsbestimmungen. Diese Vereinbarung enthält eine kleine dynamische Bezugnahme.
13 a) Bei § 9a Abs. 1 Nr. 1 des Arbeitsvertrags handelt es sich nach der vom Landesarbeitsgericht in
Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (1. März 2006 - 5 AZR 363/05 - Rn. 20 ff.,
BAGE 117, 155; vgl. auch BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - Rn. 18, AP BGB § 305c
Nr. 11 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 15) vorgenommenen rechtlichen Wertung um eine Allgemeine
Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB), die von dem Beklagten für eine Vielzahl
von Verträgen gleichlautend verwendet und dem Kläger bei Vertragsschluss gestellt wurde.
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich
so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der
Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die
Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu
legen sind. Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie
der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den
Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare
Interessenlage der Beteiligten (BAG 19. März 2008 - 5 AZR 429/07 - Rn. 24 mwN, BAGE 126,
198). Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist durch das Revisionsgericht
uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 26. September 2007 - 5 AZR 808/06 - Rn. 13, AP TVG § 1
Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 58 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 13).
14 b) Danach enthält § 9a Abs. 1 Nr. 1 des Arbeitsvertrags eine kleine dynamische Bezugnahme.
15 In § 9a Abs. 1 Nr. 1 knüpfen die Parteien die Vergütung, obwohl Leitende Ärzte (Chefärzte) nach
§ 3 Buchst. i BAT von dessen Geltungsbereich ausgenommen sind und dementsprechend die
Vergütungsordnungen zum BAT keine Eingruppierungsmerkmale für Chefärzte enthalten,
pauschal an die Vergütungsgruppe I der für den Bereich VKA geltenden Vergütungsordnung
einschließlich der in § 26 BAT vorgesehenen Struktur einer Gesamtvergütung bestehend aus der
Grundvergütung und dem Ortszuschlag an und gestalten sie dynamisch. Das ergibt sich aus dem
Wortlaut der Vereinbarung. Die Vergütung soll sich nach der Vergütungsgruppe I des BAT in der
jeweils gültigen Fassung richten. Damit wollte der tarifgebundene Beklagte das in seinem
Krankenhaus geltende Vergütungssystem des öffentlichen Dienstes auch für die Vergütung der
Chefärzte im dienstlichen Aufgabenbereich anwenden und die dort stattfindende
Vergütungsentwicklung nachvollziehen (vgl. BAG 16. Dezember 2009 - 5 AZR 888/08 - Rn. 14,
EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44). Diese Auslegung entspricht der ständigen
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Bezugnahmen im Arbeitsvertrag auf
anderweite Regelungen in der Regel dynamisch zu verstehen sind (13. November 2002 - 4 AZR
351/01 - zu III 1 b bb der Gründe, BAGE 103, 338; vgl. auch 9. November 2005 - 5 AZR 128/05 -
Rn. 22, BAGE 116, 185).
16 c) Der Wortlaut der Bezugnahmeklausel trägt allerdings neben der Erstreckung auf den TVöD
auch eine solche auf den TV-Ärzte/VKA. Denn beide haben den BAT durch Tarifsukzession (vgl.
dazu BAG 16. Dezember 2009 - 5 AZR 888/08 - Rn. 19 mwN, EZA TVG § 3 Bezugnahme auf
Tarifvertrag Nr. 44) ersetzt, § 2 Abs. 1 Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der
kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (im Folgenden:
TVÜ-VKA) vom 13. September 2005, § 2 Abs. 1 Tarifvertrag zur Überleitung der Ärztinnen und
Ärzte in kommunalen Krankenhäusern in den TV-Ärzte/VKA und zur Regelung des
Übergangsrechts (im Folgenden: TVÜ-Ärzte/VKA) vom 17. August 2006. Der BAT wurde auf
Gewerkschaftsseite nicht nur von der Gewerkschaft ver.di bzw. deren Rechtsvorgängerinnen
abgeschlossen, diese handelte aufgrund einer 1994 zwischen der Deutschen
Angestelltengewerkschaft (DAG) und dem Marburger Bund geschlossenen Vereinbarung zugleich
für den Marburger Bund, der im Jahre 2005 gegenüber der Gewerkschaft ver.di die zum
Abschluss von Tarifverträgen erteilte Vollmacht widerrief, zugleich die Vereinigung der
kommunalen Arbeitgeberverbände zu Tarifvertragsverhandlungen über einen Tarifvertrag für Ärzte
aufforderte und den BAT zum 31. Dezember 2005 kündigte (vgl. dazu BAG 27. Januar 2010 -
4 AZR 549/08 (A) - Rn. 3, ZIP 2010, 1045; Bayreuther NZA 2009, 935).
17 2. Diese „Regelungspluralität“ auf vertraglicher Ebene ist nicht zugunsten und im Sinne des
Klägers gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu lösen.
18 a) Eine Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB auf arbeitsvertragliche
Klauseln, die auf ein Tarifwerk Bezug nehmen, scheitert in der Regel schon daran, dass die Frage
der Günstigkeit für den Arbeitnehmer nicht abstrakt und unabhängig von der jeweiligen
Fallkonstellation beantwortet werden kann (BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - Rn. 27,
BAGE 128, 73). Das gilt nicht nur dann, wenn arbeitsvertraglich auf ein Tarifwerk insgesamt
Bezug genommen wird, sondern auch, wenn die Parteien nur für einen Regelungsgegenstand -
hier: Vergütung - auf ein Tarifwerk verweisen. Denn es ist nicht zwingend, dass eine Vergütung
nach dem einen Tarifvertrag für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses günstiger ist als eine
nach dem anderen Tarifvertrag. Die Frage, welcher Tarifvertrag in Bezug genommen ist, kann
aber nicht jeweils abhängig vom Zeitpunkt der Geltendmachung unterschiedlich bestimmt werden.
Ansonsten käme man von Fall zu Fall zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen hinsichtlich
ein und derselben vertraglichen Bezugnahmeregelung. Je nachdem, welcher Tarifvertrag gerade
eine für den Arbeitnehmer günstigere (also höhere) Vergütung vorsieht, käme es zu
unterschiedlichen Auslegungsergebnissen und einem in der Praxis nur schwer handhabbaren „Hin
und Her“ der Tarifanwendung (so zutreffend Bayreuther NZA 2009, 935).
19 b) Zudem ist die Bezugnahmeklausel in § 9a Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsvertrag anders als in dem der
Entscheidung des Senats vom 9. November 2005 (- 5 AZR 128/05 - BAGE 116, 185) zugrunde
liegenden Fall, in dem zweifelhaft war, ob eine statische oder dynamische Verweisung vorlag,
selbst nicht unklar, sondern eindeutig. Im Fall der Ersetzung des BAT oder der maßgeblichen
Vergütungstarifverträge im Bereich der VKA soll an die Stelle der Vergütungsgruppe I BAT „die
entsprechende Vergütungsgruppe des neuen Tarifvertrages unter Berücksichtigung etwaiger
Überleitungsbestimmungen“ treten. „Unklar“ wurde lediglich und erst im Nachhinein aufgrund der
bei Vertragsschluss nicht vorhersehbaren Tarifpluralität, welcher der den BAT ersetzenden
Tarifverträge vertraglich in Bezug genommen sein soll.
20 3. Eine Auflösung der nach Vertragsschluss und bedingt durch die Tarifpluralität auf tariflicher
Ebene eingetretene Regelungspluralität hat durch ergänzende Vertragsauslegung zu erfolgen.
21 a) Die Parteien wollten mit der Klausel des § 9a Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsvertrag den den vereinbarten
Tarifvertrag ersetzenden in Bezug nehmen, haben aber bei Abschluss des Arbeitsvertrags
aufgrund der damaligen Tarifpraxis nicht bedacht (und auch nicht bedenken können), dass später
auf tariflicher Ebene Tarifpluralität eintreten könnte. Die Vergütung kann sich nach dem Wortlaut
nach mehreren unterschiedlichen Tarifverträgen richten, während die Parteien die Orientierung
ihrer Vergütung an (nur) einem Tarifwerk gewollt haben. Damit ist nachträglich ein
regelungsbedürftiger Sachverhalt entstanden, denn die arbeitsvertragliche
Vergütungsvereinbarung bestimmt nicht, nach welchem Tarifwerk sich die Vergütung richten soll,
wenn es durch den späteren Abschluss mehrerer Tarifverträge nachträglich mehrere mögliche
Bezugnahmeobjekte gibt.
22 b) Mithin ist die arbeitsvertragliche Vergütungsvereinbarung nach dem ihr zugrunde liegenden
Regelungsplan zu vervollständigen und zu ermitteln, nach welchem Tarifwerk die Parteien ihre
Vergütung gerichtet hätten, wenn sie bei Vertragsschluss bedacht hätten, dass der BAT durch
mehrere Tarifverträge ersetzt werden könnte. Als redliche Vertragsparteien (vgl. zum Maßstab der
ergänzenden Vertragsauslegung bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen BAG 25. April 2007 -
5 AZR 627/06 - Rn. 26, BAGE 122, 182) hätten die Parteien dasjenige ersetzende Tarifwerk
gewählt, das überhaupt eine Vergütungsgruppe enthält, die die im Arbeitsvertrag benannte
„Vergütungsgruppe I des BAT“ ersetzt oder ihr am nächsten kommt. Eine „Überleitung“ bzw.
„Ersetzung“ der Vergütungsgruppe I der Vergütungsordnung zum BAT erfolgte nur durch die
Entgeltgruppe 15 Ü TVöD (§ 4 Abs. 1 Satz 1 in Verb. mit der Anlage 1 TVÜ-VKA, § 19 Abs. 2
TVÜ-VKA). Damit erhält der Kläger genau die Vergütung, die er arbeitsvertraglich vereinbart hat.
23 Die Entgeltgruppe 15 Ü TVöD ist - jedenfalls bislang - auch dynamisch, ihre Tabellenwerte wurden
zum 1. Januar 2008, 1. Januar 2009, 1. Januar 2010 sowie 1. Januar und 1. August 2011 erhöht,
§ 19 Abs. 2 TVÜ-VKA idF des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 31. März 2008 und des
Änderungstarifvertrags Nr. 5 vom 27. Februar 2010. Dagegen enthält der TV-Ärzte/VKA überhaupt
keine der Vergütungsgruppe I der Vergütungsordnung zum BAT entsprechende Entgeltgruppe und
hat zudem ein gegenüber dem früheren BAT vollständig neues Eingruppierungssystem für die von
ihm erfassten Ärztinnen und Ärzte (also nicht für Chefärzte) geschaffen, §§ 16 ff. TV-Ärzte/VKA.
§ 51 TVöD-BT-K bzw. § 12.1 TVöD-K enthält ebenfalls eine gegenüber der Vergütungsordnung
zum BAT vollständig neue Entgeltordnung für Ärztinnen und Ärzte, die keine Chefärzte sind (vgl.
§ 4 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA). Einer derartigen diskontinuierlichen Ersetzung ihrer
Vergütungsabrede hätten redliche Vertragsparteien nicht den Vorzug gegenüber der mit einer
Vergütung entsprechend Entgeltgruppe 15 Ü TVöD kontinuierlichen Entwicklung gegeben (ähnlich
Anton ZTR 2009, 2, 5). Es wäre keine angemessene Lösung, im Wege der ergänzenden
Vertragsauslegung die Vergütungsvereinbarung und die Vergütung der Parteien auf ein „neues
System“ umzustellen, wenn ein die Kontinuität der bisherigen Vergütungsabrede wahrendes
Vergütungssystem zur Verfügung steht. Dass über die von den Parteien gewollte Dynamisierung
der Vergütung hinaus der Kläger auch an strukturellen Änderungen der tariflichen
Vergütungsregelungen oder an neuen Entgeltsystemen für Ärzte, die nicht Chefärzte sind,
teilhaben soll, lässt sich dem Regelungsplan des § 9a Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsvertrag nicht
entnehmen. Dafür hat der Kläger auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte vorgebracht.
24 c) Ein anderes Auslegungsergebnis lässt sich nicht damit begründen, der TV-Ärzte/VKA sei der
„speziellere“ Tarifvertrag. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem tatsächlich so ist (verneinend
etwa Bayreuther NZA 2009, 935: „tarifrechtlich (…) gleichwertig“). Jedenfalls für Chefärzte ist der
TV-Ärzte/VKA schon deshalb nicht „spezieller“, weil er für sie ebenso wie der TVöD nicht gilt, § 1
Abs. 2 TV-Ärzte/VKA, und keine Regelungen für die Berufsgruppe der Chefärzte enthält. Zudem
handelt es sich bei dem Prinzip der Sachnähe oder Spezialität um eine tarifrechtliche
Kollisionsregel, die dazu dient, eine Tarifkonkurrenz aufzulösen (vgl. dazu ErfK/Franzen 10. Aufl.
§ 4 TVG Rn. 65 ff. mwN; BAG 9. Dezember 2009 - 4 AZR 190/08 - Rn. 49, NZA 2010, 712). Eine
Tarifkonkurrenz kann aber bei der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag nicht
entstehen (BAG 29. August 2007 - 4 AZR 767/06 - Rn. 20, BAGE 124, 34; 27. Januar 2010 -
4 AZR 549/08 (A) - Rn. 99, NZA 2010, 645). Für die ergänzende Vertragsauslegung ist deshalb
das tarifrechtliche Prinzip der Spezialität ohne Belang, sofern sich nicht aus dem Regelungsplan
des Vertrags Gegenteiliges ergibt.
25 d) Eine Vergütung entsprechend dem TV-Ärzte/VKA hätten die Parteien nach Treu und Glauben
als redliche Vertragsparteien auch nicht deshalb vereinbaren müssen, weil Chefärzte stets mehr
verdienen müssten, als ihr in Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA eingruppierter ständiger Vertreter.
26 Einen allgemeinen Grundsatz, ein Vorgesetzter sei stets höher zu vergüten als seine ihm
unterstellten Mitarbeiter, gibt es im Arbeitsrecht ebenso wenig wie ein „Abstandsgebot“ (vgl. für
tarifliche Vergütungsregelungen BAG 17. Dezember 2009 - 6 AZR 665/08 - ZTR 2010,190).
Überdies erzielt ein Chefarzt aufgrund der Einräumung des Liquidationsrechts als variablen
weiteren Vergütungsbestandteil neben der Festvergütung in der Regel ein höheres Einkommen als
die ihm unterstellten Ärzte.
27 III. Der Kläger hat gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Laux
Biebl
Spelge
Zoller
Haas