Urteil des BAG vom 10.06.2010

Personenbedingte Kündigung - Krankheit - freier Arbeitsplatz

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 10.6.2010, 2 AZR 1020/08
Personenbedingte Kündigung - Krankheit - freier Arbeitsplatz
Tenor
Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 1. Oktober 2008 - 24 Sa 340/08 , 24 Sa 742/08 - wird
auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und über
Annahmeverzugsansprüche.
2 Die Klägerin trat im Jahr 1991 in die Dienste des beklagten Landes. Seit April 2000 war sie als
Wachpolizistin beim Polizeipräsidenten in Berlin tätig. Aus gesundheitlichen Gründen wurde sie ab
2002 zunächst befristet als Auskunftsassistentin (Pförtnerin) eingesetzt. Zuletzt im April 2006
befand der Polizeiärztliche Dienst, die Klägerin sei auf Dauer nicht mehr uneingeschränkt als
Polizeiangestellte im Objektschutz einsetzbar. Die Klägerin ist behindert mit einem GdB von 30
und seit 2003 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
3 Aufgrund eines Beschlusses des Senats des beklagten Landes von März 2005 wurden die
Grundstücke und Gebäude der Berliner Polizei mit Wirkung vom 1. Januar 2007 dem
„Sondervermögen Immobilien“ des Landes zugeordnet. Die Stellen des in diesen Liegenschaften
tätigen Personals - ua. Pförtner - wurden organisatorisch zum Landesbetrieb für
Gebäudewirtschaft (im Folgenden: Landesbetrieb) verlagert. Das Stammpersonal wurde dorthin
versetzt, so auch die beim Polizeipräsidenten auf einer Planstelle als Pförtner beschäftigten
Dienstkräfte. Die nicht auf einer Planstelle tätige Klägerin wurde nicht versetzt.
4 Mit Schreiben vom 2. April 2007 informierte das beklagte Land den Personalrat und das
Integrationsamt von seiner Absicht, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zu kündigen, und bat
um Zustimmung. Der Personalrat erteilte diese am 18. April 2007, das Integrationsamt am 25. Mai
2007. Auf den Widerspruch der Klägerin wurde sie vom Widerspruchsausschuss des
Integrationsamts versagt. Hiergegen hat das beklagte Land Klage vor dem Verwaltungsgericht
erhoben, über die noch nicht rechtskräftig entschieden ist.
5 Am 9. Mai 2007 erschien im Intranet des beklagten Landes die Ausschreibung einer Dauerstelle
als Empfangsdame/Schreibkraft beim Regierenden Bürgermeister/Senatskanzlei. Die Klägerin
bewarb sich erfolglos.
6 Mit Schreiben vom 14. Juni 2007 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien
ordentlich zum 31. Dezember 2007.
7 Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei mangels sozialer Rechtfertigung
unwirksam. Sie habe als Pförtnerin oder auf einer anderen freien Stelle, zB als Empfangsdame
beim Regierenden Bürgermeister weiter beschäftigt werden können.
8 Die Klägerin hat zuletzt beantragt
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die
Kündigungserklärung vom 14. Juni 2007 nicht aufgelöst worden ist;
2. das beklagte Land zu verurteilen, an sie 3.806,48 Euro brutto nebst Zinsen iHv.
fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.903,24 Euro brutto seit
dem 1. Mai 2008 und weiteren 1.903,24 Euro brutto seit dem 1. Juni 2008 zu zahlen;
3. das beklagte Land zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.
9 Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Kündigung für wirksam
gehalten. Aufgrund der polizeiärztlich festgestellten dauerhaften Unfähigkeit, die vertraglich
geschuldete Tätigkeit als Polizeiangestellte im Objektschutz auszuüben, sowie wegen der
Verlagerung der Pförtnerstellen zum Landesbetrieb gebe es für die Klägerin beim
Polizeipräsidenten und in der gesamten Senatsverwaltung für Inneres keine
Beschäftigungsmöglichkeit mehr. Die Stelle beim Regierenden Bürgermeister sei für sie nicht in
Betracht gekommen.
10 Das Arbeitsgericht hat nach dem erstinstanzlich allein gestellten Kündigungsschutzantrag erkannt.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und das beklagte Land auf die
Anschlussberufung der Klägerin zur Zahlung von Annahmeverzugslohn und deren vorläufiger
Weiterbeschäftigung verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt
das beklagte Land weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
11 Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Sie ist
sozial ungerechtfertigt (I.). Deshalb schuldet das beklagte Land die von der Klägerin geltend
gemachte Vergütung (II.). Der Antrag auf Prozessbeschäftigung ist dem Senat nicht zur
Entscheidung angefallen (III.).
12 I. Die Kündigung vom 14. Juni 2007 ist sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG.
13 1. Die Kündigung ist nicht durch Gründe in der Person der Klägerin bedingt.
14 a) Die krankheitsbedingte dauernde Unfähigkeit, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu
erbringen, berechtigt den Arbeitgeber nach § 1 Abs. 2 KSchG grundsätzlich zur ordentlichen
Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Steht fest, dass der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete
Arbeitsleistung überhaupt nicht erbringen kann, ist das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung
auf Dauer erheblich gestört (Senat 22. September 2005 - 2 AZR 519/04 - Rn. 21, BAGE 116, 7).
15 b) Im Streitfall kann die Frage, ob die Klägerin ihre ursprüngliche und bis zum Jahre 2002
ausgeübte Tätigkeit als Polizeiangestellte im Objektschutz aus gesundheitlichen Gründen nicht
mehr ausüben kann, offen bleiben. Auch eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers
ausgesprochene Kündigung ist entsprechend dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie durch
mildere Mittel vermieden werden kann, dh., wenn die Kündigung zur Beseitigung der eingetretenen
Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist (st. Rspr., vgl. Senat 10. Dezember 2009
- 2 AZR 198/09 - EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 57; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 29,
BAGE 123, 234). Die Möglichkeit der anderweitigen Beschäftigung ist ein solches milderes Mittel.
Wenn eine Umsetzungsmöglichkeit besteht, hat die Krankheit keine erhebliche Beeinträchtigung
der betrieblichen Interessen zur Folge (Senat 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - zu B IV 1 der
Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 43 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 51).
16 aa) Im Streitfall bestand eine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung als Auskunftsassistentin
(Pförtnerin) beim Landesbetrieb. Die Klägerin war in dieser Beschäftigung über fünf Jahre hinweg
einsatz- und leistungsfähig. Dass sich daran etwas geändert hätte, ist weder vom beklagten Land
vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Die bis zum Jahre 2007 von der Klägerin ausgeübte
Tätigkeit war nicht entfallen.
17 bb) Allerdings ist nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2b KSchG in Betrieben und Verwaltungen des
öffentlichen Dienstes eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nur dann zu berücksichtigen, wenn sie
entweder in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben
Verwaltungszweigs besteht. Weder das eine noch das andere ist hier der Fall. Das beklagte Land
hat die Stelle der Klägerin wie die weiteren Pförtnerstellen im Polizeipräsidium im Jahre 2007
organisatorisch in einen anderen Verwaltungszweig verlagert. Sie ist nicht mehr dem
Polizeipräsidenten und damit der Senatsverwaltung für Inneres, sondern der Senatsverwaltung für
Finanzen zugeordnet. Gleichwohl ist im Streitfall die Beschäftigungsmöglichkeit als
Auskunftsassistentin (Pförtnerin) zu berücksichtigen.
18 (1) Es kann dahinstehen, ob das beklagte Land zu einer über den Verwaltungszweig
hinausgehenden Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz bereits nach § 81 Abs. 4
Satz 1 Nr. 1 SGB IX verpflichtet war, wie das Landesarbeitsgericht - allerdings in Bezug auf die
Beschäftigungsmöglichkeit beim Regierenden Bürgermeister - angenommen hat. Nach der
Rechtsprechung des Senats muss dem öffentlichen Arbeitgeber eine über den Verwaltungszweig
hinaus bestehende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit dann kündigungsrechtlich zugerechnet
werden, wenn er die bisherige Verwaltungsaufgabe und Verwaltungsorganisation einer Dienststelle
durch Gesetz oder Erlass aufgelöst hat, um - wenn auch nur teilweise - vergleichbare Aufgaben im
Rahmen einer neu gebildeten Strukturform und Verwaltungsorganisation in einem anderen
Verwaltungsbereich auszuführen. Andernfalls könnte die öffentliche Hand durch Neuorganisation
der Verwaltung und Zuweisung zu einem neuen Verwaltungszweig Dienststellen auflösen und die
dort beschäftigten Mitarbeiter entlassen, obwohl deren anderweitige Verwendung im Rahmen
derselben oder jedenfalls vergleichbarer Tätigkeiten möglich gewesen wäre (Senat 6. Februar
1997 - 2 AZR 50/96 - zu II 2 b der Gründe). Das würde bedeuten, dass Arbeitnehmer allein
aufgrund einer Verschiebung von Zuständigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis gedrängt werden
könnten, obwohl sich weder am tatsächlichen Beschäftigungsbedarf noch am Arbeitsinhalt noch in
der Person des Arbeitgebers irgendetwas geändert hat oder auch nur ändern soll.
19 (2) Ein derartiger Fall liegt hier vor. Die Zuständigkeiten für die von der Polizei genutzten
Immobilien sind aufgrund eines Senatsbeschlusses von der Senatsverwaltung für Inneres auf den
Landesbetrieb verlagert worden. Die Planstellen der Pförtner sind auf diese Weise von einem
Verwaltungszweig auf einen anderen übertragen worden. Die Klägerin wurde, da sie trotz
fünfjähriger Beschäftigung keine Planstelle innehatte, nicht zum Landesbetrieb versetzt, obwohl
auch ihre Pförtnerstelle - ohne Änderung in Umfang und Inhalt - bei diesem weiterhin vorhanden
ist. Damit muss das beklagte Land - auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit des öffentlichen
Dienstes - die unzweifelhaft gegebene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit berücksichtigen.
20 (3) Dies steht nicht im Widerspruch zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juni 1975
(- V C 57/73 - BVerwGE 48, 264, 271), auf das sich das beklagte Land beruft. Der dieser
Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Dort
waren nicht zuvor Verwaltungsaufgaben von einem Verwaltungszweig auf einen anderen verlagert
worden.
21 2. Die Kündigung ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Auch wenn die dafür
maßgeblichen Grundsätze angewendet werden, ist sie wegen der Möglichkeit, die Klägerin
weiterzubeschäftigen, sozial ungerechtfertigt.
22 II. Die Begründetheit des Antrags zu 2. folgt aus der Begründetheit des Antrags zu 1.. Die
rechnerisch unstreitige Klageforderung beruht auf § 615 Satz 1 BGB.
23 III. Der auf die vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits
gerichtete Antrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Die Kündigungsschutzklage ist mit
Verkündung des vorliegenden Urteils rechtskräftig abgeschlossen.
24 IV. Das beklagte Land hat als unterlegene Partei die Kosten der Revision zu tragen, § 97 Abs. 1
ZPO.
Kreft
Berger
Schmitz-Scholemann
Torsten Falke
Bartz