Urteil des BAG vom 23.02.2011

Eingruppierung eines psychologischen Psychotherapeuten in den TV-Ärzte/KAH - Tätigkeitsaufstieg und Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 23.2.2011, 4 AZR 214/09
Eingruppierung eines psychologischen Psychotherapeuten in den TV-Ärzte/KAH - Tätigkeitsaufstieg und
Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Hamburg vom 25. Februar 2009 - 5 Sa 47/08 - aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg
vom 15. April 2008 - 1 Ca 489/07 - abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers nach dem zwischen dem
Krankenhausarbeitgeberverband Hamburg e.V. (KAH) und dem Marburger Bund - Landesverband
Hamburg - am 22. November 2006 geschlossenen Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte im KAH
(TV-Ärzte/KAH).
2 Der Kläger, der den Abschluss eines Diplom-Psychologen erworben hat, ist bei der Beklagten und
ihren Rechtsvorgängern seit dem 1. Juli 1973 beschäftigt. Er wurde ab dem 1. Januar 1981 als
wissenschaftlicher Mitarbeiter, verbunden mit Lehrverpflichtungen im Universitätsklinikum H,
beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 10. März 1981 heißt es ua.:
„1.
Der Arbeitnehmer wird ab 1.1.1981 auf unbestimmte Zeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter
in der Vergütungsgruppe IIa Anlage 1a zum BAT weiterbeschäftigt.“
3 Der Kläger ist seit dieser Zeit mit weit mehr als 50 vH seiner Arbeitszeit in der Patientenversorgung
tätig. Bereits seit dem 8. Mai 1980 verfügt er über eine Erlaubnis nach § 1 HeilprG, die es ihm
gestattet, die Tätigkeit eines Psychotherapeuten berufsmäßig auszuüben. Im Jahre 1999 erhielt der
Kläger die Approbation zur Ausübung des Berufs des Psychologischen Psychotherapeuten nach
§ 12 des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und
Jugendlichenpsychologen (vom 16. Juni 1998 - PsychThG).
4 Am 1. Januar 2007 trat der TV-Ärzte/KAH in Kraft. Die Überleitung regelt der am gleichen Tag
geschlossene Tarifvertrag zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte im KAH (TVÜ-Ärzte/KAH). Zum
Geltungsbereich bestimmt § 1 TV-Ärzte/KAH:
„Dieser Tarifvertrag gilt für alle Ärzte und Zahnärzte, die in einem Arbeitsverhältnis zu einem
Mitgliedsunternehmen des KAH stehen. Er gilt weiterhin für alle wissenschaftlichen
Mitarbeiter an Universitätskliniken und für akademische Mitarbeiter, die in einem
Mitarbeiter an Universitätskliniken und für akademische Mitarbeiter, die in einem
Arbeitsverhältnis mit einem Mitgliedsunternehmen des KAH stehen und überwiegend
Aufgaben in der Patientenversorgung wahrnehmen. Soweit im Folgenden von Ärzten
gesprochen wird, sind sämtliche vom Geltungsbereich dieses Tarifvertrages erfassten
Beschäftigten gemeint.
Protokollnotiz zu Absatz 1:
Akademische Mitarbeiter sind Beschäftigte mit einem staatlich anerkannten, universitären
Hochschulabschluss, die eine einem Arzt vergleichbare Tätigkeit ausüben. Hierzu gehören
Medizinphysiker und psychologische Psychotherapeuten mit Approbation.“
5 Die Beklagte vergütet den Kläger seit dem 1. Januar 2007 nach der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 5 TV-
Ärzte/KAH. Zusätzlich zu seinem Grundentgelt erhält der Kläger noch eine Besitzstandszulage. Mit
Schreiben vom 22. Februar 2007 und vom 29. August 2007 machte der Kläger erfolglos eine
Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 2 Stufe 3 TV-Ärzte/KAH geltend.
6 Mit seiner Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Er sei als wissenschaftlicher Mitarbeiter
bei der Beklagten tätig und nehme überwiegend Aufgaben in der Patientenversorgung wahr. Der
1981 geschlossene Arbeitsvertrag sei nie geändert worden. Er übe mit etwa 80 vH seiner
Arbeitszeit eine einem Arzt vergleichbare Tätigkeit aus. Wissenschaftliche Mitarbeiter seien nach
zehnjähriger Tätigkeit nach der Entgeltgruppe Ä 2 TV-Ärzte/KAH zu vergüten. Die Stufe 3 der
Entgeltgruppe stehe ihm zu, da er mehr als sieben Jahre das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe
erfülle. Selbst wenn er unter die Gruppe der akademischen Mitarbeiter falle, seien die tariflichen
Voraussetzungen erfüllt. Die Approbation nach der Überleitungsvorschrift des § 12 Abs. 3
PsychThG setze voraus, dass er zwischen dem 1. Januar 1989 und dem 31. Dezember 1998 mit
einer Gesamtdauer von mindestens sieben Jahren an der Versorgung von Versicherten mitgewirkt
habe.
7 Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger mit Wirkung ab 1. Januar 2007
Vergütung aus der Vergütungsgruppe Ä 2/3 des TV-Ärzte/KAH zu zahlen.
8 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger sei aufgrund der von ihm ausgeübten
Tätigkeiten akademischer Mitarbeiter. Trotz des Arbeitsvertrages liege der deutliche Schwerpunkt
seiner tatsächlichen Beschäftigung in der Patientenversorgung. Diese tatsächliche einvernehmliche
Durchführung des Arbeitsverhältnisses gehe den vertraglichen Abreden vor. Der Kläger verfüge
noch nicht zehn Jahre über die nach der Protokollnotiz zu § 1 TV-Ärzte/KAH erforderliche
Approbation.
9 Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen
Revision begehrt die Beklagte die Klageabweisung. Der Kläger beantragt die Revision
zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
10 Die zulässige Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht stattgegeben.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
11 I. Die Feststellungsklage ist zulässig.
12 1. Der Antrag ist hinsichtlich der Entgeltgruppe als allgemein üblicher
Eingruppierungsfeststellungsantrag zulässig.
13 2. Soweit der Kläger darüber hinaus eine bestimmte Stufe der Entgeltgruppe Ä 2 TV-Ärzte/KAH
festgestellt wissen will, fehlt ihm nicht das erforderliche Feststellungsinteresse iSv. § 256 Abs. 1
ZPO.
14 a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats liegt diese Zulässigkeitsvoraussetzung für einen
derartigen Antrag dann vor, wenn neben der Entgeltgruppe auch die Zuordnung zu einer
Entgeltstufe zwischen den Parteien umstritten ist und durch den Feststellungsantrag dieser Teil
eines Vergütungsanspruchs zwischen den Parteien rechtskräftig geklärt und weitere gerichtliche
Auseinandersetzungen vermieden werden können (9. Dezember 2009 - 4 AZR 495/08 - Rn. 22
mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Arzt Nr. 8; 17. Oktober 2007 - 4 AZR 1005/06 - Rn. 15,
BAGE 124, 240; 25. Januar 2006 - 4 AZR 613/04 - Rn. 13, AP BAT-O § 27 Nr. 4).
15 b) Danach ist das erforderliche Feststellungsinteresse vorliegend gegeben. Der Streit zwischen
den Parteien betrifft nicht nur die Eingruppierung im Sinne der Erfüllung von Tätigkeitsmerkmalen
der Entgeltgruppen. Da die Beklagte bestreitet, der Kläger sei vor dem Beginn des Jahres 1999
akademischer Mitarbeiter im Tarifsinne gewesen, ist es nicht ausgeschlossen, dass selbst bei der
Annahme einer Vergütungspflicht nach der Entgeltgruppe Ä 2 TV-Ärzte/KAH ein Streit über die
zutreffende Entgeltstufe entsteht.
16 II. Die Klage hat jedoch keinen Erfolg. Dabei kann es dahinstehen, ob der Kläger
wissenschaftlicher oder akademischer Mitarbeiter iSd. § 1 TV-Ärzte/KAH ist. Die
Voraussetzungen für eine Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 2 TV-Ärzte/KAH sind in jedem Fall
nicht erfüllt. Der Kläger verfügt nicht über die nach dem Tätigkeitsmerkmal geforderte „zehnjährige
Tätigkeit in Ä 1“.
17 1. Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien findet der TV-Ärzte/KAH auf das zwischen
Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis seit dem 1. Januar 2007 Anwendung.
18 2. Für die tarifliche Bewertung der Tätigkeit des Klägers sind die nachstehenden Regelungen des
TV-Ärzte/KAH und des TVÜ-Ärzte/KAH maßgebend.
19 a) Der TV-Ärzte/KAH lautet auszugsweise:
„§ 12
Eingruppierung
Ärzte sind entsprechend ihrer nicht nur vorübergehend und zeitlich mindestens zur Hälfte
auszuübenden Tätigkeit wie folgt eingruppiert:
Entgeltgruppe Bezeichnung
Ä 1
Arzt, Zahnarzt
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Akademischer Mitarbeiter
Ä 2
Facharzt, Fachzahnarzt
Wissenschaftlicher Mitarbeiter nach zehnjähriger Tätigkeit in Ä 1
Akademischer Mitarbeiter nach zehnjähriger Tätigkeit in Ä 1
§ 16
Stufen der Entgelttabelle
(1)
Die Entgeltgruppen Ä 1 und Ä 2 umfassen fünf Stufen; die Entgeltgruppe
Ä 3 umfasst drei Stufen; die Entgeltgruppe Ä 4 umfasst eine Stufe. Die
Ärzte erreichen die jeweils nächste Stufe nach den Zeiten ärztlicher (Ä 1),
fachärztlicher (Ä 2), oberärztlicher (Ä 3) Tätigkeit bzw. der Tätigkeit als
ständiger Vertreter des leitenden Arztes, die in der Tabelle (Anlage A1)
angegeben sind.
(2)
Bei der Stufenzuordnung werden Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung
als förderliche Zeiten berücksichtigt. Zeiten von Berufserfahrung aus
nichtärztlicher Tätigkeit können berücksichtigt werden. Zeiten ärztlicher/
fachärztlicher Tätigkeit außerhalb des EU-Bereichs können nur
berücksichtigt werden, soweit sie von der zuständigen Stelle als der
inländischen ärztlichen Tätigkeit gleichwertig anerkannt sind/ werden.“
20 b) Im TVÜ-Ärzte/KAH ist ua. bestimmt:
„§ 3
Entgeltgruppenzuordnung und Einstufung
(1) Für die Eingruppierung der Ärzte ab 01. Januar 2007 gilt die Entgeltordnung gem.
§ 12 TV-Ärzte KAH.
(2) Die Ärzte werden in die Entgeltstufe eingestuft, die sie erreicht hätten, wenn die
Entgeltordnung gemäß § 12 TV-Ärzte KAH für Ärzte bereits seit Beginn ihrer
Zugehörigkeit zu der für sie maßgeblichen Entgeltgruppe gegolten hätte.
…“
21 3. Dem Begehren des Klägers steht entgegen, dass er seit Inkrafttreten des maßgebenden
Tarifvertrages nicht bereits zehn Jahre in der Entgeltgruppe Ä 1 TV-Ärzte/KAH tätig gewesen ist.
Ein Tätigkeitsaufstieg des Klägers wurde nach dem Tarifvertrag erst mit dessen Inkrafttreten
ermöglicht, sodass die entsprechenden Zeiten erst seit diesem Zeitpunkt zu berücksichtigen sind.
Die Anrechnung von Tätigkeitszeiten, die vor Inkrafttreten des TV-Ärzte/KAH liegen, die § 3 Abs. 2
TVÜ-Ärzte/KAH bei der Entgeltstufenbestimmung ermöglicht, ist für die Bestimmung der
maßgebenden Entgeltgruppe nicht vorgesehen.
22 a) Die Auslegung eines Tarifvertrages (zu den Maßstäben etwa BAG 26. Januar 2005 - 4 AZR
6/04 - zu I 2 a bb (2) (c) (bb) der Gründe, BAGE 113, 291) durch das Berufungsgericht ist in der
Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (st. Rspr., etwa BAG 17. Oktober 2007 - 4 AZR
1005/06 - Rn. 40, BAGE 124, 240).
23 b) Die Auslegung ergibt, dass die tarifvertraglich vorgesehene Tätigkeit in einer bestimmten
Entgeltgruppe des TV-Ärzte/KAH, die zu einer Höhergruppierung führt, nur durch Tätigkeiten erfüllt
werden kann, während deren Ausübung der Arbeitnehmer in der genannten Entgeltgruppe des
Tarifvertrages eingruppiert war. Das setzt grundsätzlich die Anwendbarkeit des TV-Ärzte/KAH auf
das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers voraus, kann vorliegend also nur durch Tätigkeitszeiten
erfüllt werden, die nach Inkrafttreten des TV-Ärzte/KAH am 1. Januar 2007 absolviert worden sind.
24 aa) Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten,
Tätigkeitszeiten oder Bewährungszeiten in Tarifverträgen unterschiedlich geregelt werden. Sieht
ein Tarifvertrag vor, dass eine Höhergruppierung nur durch Tätigkeiten erfüllt werden kann,
während deren Ausübung der Arbeitnehmer in einer bestimmten Entgeltgruppe des betreffenden
Tarifvertrages eingruppiert war, setzt das grundsätzlich die zeitgleiche Anwendbarkeit des
Tarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis voraus. Die tariflich geforderten Tätigkeitszeiten können
dann nur nach Inkrafttreten des Tarifvertrages erfüllt werden (BAG 17. Oktober 2007 - 4 AZR
1005/06 - Rn. 41 ff., BAGE 124, 240; 22. September 2010 - 4 AZR 149/09 - Rn. 46).
25 bb) Im vorliegenden Zusammenhang folgt bereits aus dem Wortlaut des TV-Ärzte/KAH, dass für
den Tätigkeitsaufstieg aus der Entgeltgruppe Ä 1 in die nächsthöhere Entgeltgruppe eine „Tätigkeit
in Ä 1“ vorgeschrieben ist und nicht lediglich eine Tätigkeit als wissenschaftlicher oder
akademischer Mitarbeiter. „In Ä 1” kann ein Arbeitnehmer nur tätig sein, wenn er die
Tätigkeitsmerkmale der Entgeltgruppe erfüllt. Das setzt die Geltung der betreffenden
Entgeltordnung und damit des TV-Ärzte/KAH voraus. Zwar können unter bestimmten Umständen
auch Tatbestände, die in der Vergangenheit liegen, tarifliche Bedeutung erlangen. Dies erfordert
jedoch eine entsprechend deutliche tarifvertragliche Regelung, da Tarifnormen wie Gesetze
grundsätzlich nur für die Zukunft Geltung beanspruchen (BAG 17. Oktober 2007 - 4 AZR 1005/06 -
Rn. 43, BAGE 124, 240; 9. März 1994 - 4 AZR 228/93 - mwN, AP BAT § 23a Nr. 32).
26 cc) Dieses am Wortlaut orientierte Auslegungsergebnis wird gestützt durch den
Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen. Die Tarifvertragsparteien waren sich
erkennbar bewusst, dass es auch andere, prinzipiell berücksichtigungsfähige
Beschäftigungszeiten vor Inkrafttreten des TV-Ärzte/KAH gibt.
27 § 16 Abs. 1 Satz 2 TV-Ärzte/KAH bestimmt für das Erreichen der nächsten Entgeltstufe, dass
diese Stufe nach „den Zeiten ärztlicher (Ä 1), fachärztlicher (Ä 2), oberärztlicher (Ä 3) Tätigkeit“
erreicht wird. Damit wird auf Tätigkeitszeiten während der Eingruppierung in den jeweiligen
Entgeltgruppen abgestellt (vgl. auch zu § 19 TV-Ärzte/VKA BAG 22. September 2010 - 4 AZR
166/09 - Rn. 45; 16. Dezember 2010 - 6 AZR 357/09 - Rn. 16 f.). Grundsätzlich wäre damit jeder
Arbeitnehmer bei Inkrafttreten des Tarifvertrages der Stufe 1 der einschlägigen Entgeltgruppe
zugeordnet. Für die Festlegung der Entgeltstufe haben die Tarifvertragsparteien in § 3 Abs. 2 TVÜ-
Ärzte/KAH jedoch ausdrücklich bestimmt, dass auch Beschäftigungszeiten vor Inkrafttreten des
Tarifvertrages für die Ermittlung der zutreffenden Entgeltstufe berücksichtigt werden, wenn die
auszuübende Tätigkeit eines Arbeitnehmers schon vor dem 1. Januar 2007 das
Tätigkeitsmerkmal der betreffenden Entgeltgruppe erfüllt hat. Auch § 16 Abs. 2 TV-Ärzte/KAH
behandelt bei der Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten einschlägiger Berufserfahrungen
- nur - die Stufenzuordnung.
28 Angesichts der eindeutigen, von den Tarifvertragsparteien sogar wiederholt verwendeten
Begrifflichkeit gilt die Tarifregelung des § 3 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/KAH nur für die Einstufung in die
Entgeltstufe, nicht für die Zuordnung zu einer Entgeltgruppe. Die von den Tarifvertragsparteien in
ihren Vergütungsregelungen gewählte unterschiedliche Terminologie ist zu beachten. Nach den
Kriterien für die Auslegung eines Tarifvertrages als Rechtsnormenwerk ist regelmäßig davon
auszugehen, dass Tarifvertragsparteien durch eine differenzierende Wortwahl auch
unterschiedliche Regelungen treffen wollen. Von einer Maßgeblichkeit von Tätigkeitszeiten, die
Arbeitnehmer absolviert haben, ohne nach dem TV-Ärzte/KAH eingruppiert zu sein, sind die
Tarifvertragsparteien für die von ihnen geregelte Eingruppierung in Entgeltgruppen nicht
ausgegangen, auch wenn man hier an eine gleichartige Regelung hätte denken können. Ein dahin
gehender Regelungswille hat aber im Wortlaut des TVÜ-Ärzte/KAH keinerlei Niederschlag (vgl.
hierzu BAG 19. September 2007 - 4 AZR 670/06 - Rn. 35, BAGE 124, 110) gefunden.
29 c) Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch dann nicht, wenn man zugunsten des Klägers davon
ausgeht, die Tarifvertragsparteien hätten bei Abschluss des Tarifvertrages nicht bedacht, dass
Tätigkeitszeiten vor Inkrafttreten des TV-Ärzte/KAH nicht nur für die Entgeltstufe, sondern auch für
die Bestimmung der zutreffenden Entgeltgruppe maßgebend sein können, weshalb der
Tarifvertrag insoweit lückenhaft wäre.
30 aa) Für die Annahme einer Regelungslücke könnte im vorliegenden Fall sprechen, dass die
Berücksichtigung von Tätigkeitszeiten vor Inkrafttreten des Tarifvertrages am 1. Januar 2007 für
die Eingruppierung in eine Entgeltgruppe mit Ausnahme der wissenschaftlichen und der
akademischen Mitarbeiter nicht erforderlich gewesen ist. Denn für die übrigen in den
Entgeltgruppen Ä 1 bis Ä 4 TV-Ärzte/KAH genannten Beschäftigten ist ein Tätigkeitsaufstieg in
eine andere Entgeltgruppe nicht vorgesehen. Erfüllten sie bereits vor dem 1. Januar 2007 eines
der in § 12 TV-Ärzte/KAH genannten Tätigkeitsmerkmale, konnte dies nur für die Einstufung in
eine der Entgeltstufen des § 16 TV-Ärzte/KAH von Bedeutung sein, nicht aber zur Bestimmung
der Entgeltgruppe.
31 Weiterhin könnte für eine Tariflücke sprechen, wie sich die wörtlich verstandene Tarifregelung in
einem Fall wie dem vorliegenden auswirkt. Sie führt dazu, dass der Kläger, obwohl bereits seit
vielen Jahren als wissenschaftlicher oder akademischer Mitarbeiter tätig, zehn Jahre ab
Inkrafttreten des Tarifvertrages in der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 5 TV-Ärzte/KAH verbleibt, bevor der
Tätigkeitsaufstieg erfolgt. Dasselbe gilt auch für denjenigen wissenschaftlichen oder
akademischen Mitarbeiter, der seine Tätigkeit mit dem Datum des Inkrafttretens des
Tarifvertrages aufgenommen hat, wobei er allerdings den gesamten Stufenaufstieg der
Entgeltgruppe Ä 1 TV-Ärzte/KAH zu durchlaufen hat.
32 bb) Eine hiernach etwa feststellbare Tariflücke kann jedoch nur geschlossen werden, wenn es
sich nicht um eine bewusste Auslassung der Tarifvertragsparteien handelt. Denn die Gerichte sind
nicht befugt, gegen den Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche Regelungen zu
„schaffen“ oder eine schlechte Verhandlungsführung einer Tarifvertragspartei dadurch zu
prämieren, dass ihr Vertragshilfe geleistet wird. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in die
verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie (vgl. BAG 21. April 2010 - 4 AZR 750/08 - Rn. 34
mwN, ZTR 2010, 571; 25. Februar 2009 - 4 AZR 964/07 - Rn. 20 mwN, AP TVG § 1 Auslegung
Nr. 215; 24. September 2008 - 4 AZR 642/07 - Rn. 23 f. mwN, AP TVG § 1 Nr. 57 = EzA TVG § 1
Auslegung Nr. 46). Zudem darf nicht jede unbewusste Tariflücke durch die Gerichte geschlossen
werden. Dafür müssen sich aus dem Tarifvertrag selbst hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür
ergeben, welche Regelung die Tarifvertragsparteien für die nachträglich festgestellte
Regelungslücke getroffen hätten, wenn sie die Lücke bei Tarifabschluss bemerkt hätten (BAG
21. April 2010 - 4 AZR 750/08 - Rn. 34, aaO; 24. September 2008 - 4 AZR 642/07 - Rn. 25, aaO).
Bestehen im Kontext des vorliegenden Tarifvertrages mehrere Möglichkeiten die Lücke zu
schließen, muss die Auswahlentscheidung den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben (s. nur
BAG 25. August 2010 - 4 ABR 104/08 - Rn. 38 mwN; 24. September 2008 - 4 AZR 642/07 - Rn. 25
mwN, aaO; 5. Oktober 1999 - 3 AZR 230/98 - zu I 5 der Gründe mwN, BAGE 92, 310).
33 cc) Auch in Anbetracht des neu geschaffenen Tarifwerks liegt es an sich nicht fern, zugunsten des
Klägers davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien unbewusst die Frage, ob
Tätigkeitszeiten vor Inkrafttreten des Tarifvertrages für den in § 12 TV-Ärzte/KAH geregelten
Tätigkeitsaufstieg ungeregelt gelassen haben. Aber auch dann fehlt es an den erforderlichen
eindeutigen Hinweisen darauf, dass die Tarifvertragsparteien, hätten sie den Regelungsbedarf
erkannt, eine § 3 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/KAH entsprechende Regelung auch für die
Entgeltgruppenzuordnung getroffen hätten.
34 Zwar lässt sich dem TV-Ärzte/KAH für die wissenschaftlichen und akademischen Mitarbeiter ein
Entgeltsystem entnehmen, wonach diese Arbeitnehmer - aufgrund der nach Abs. 3 der Anlage A1
zum TV-Ärzte/KAH für diesen Beschäftigtenkreis gegenüber dem ärztlichen Personal veränderten
Stufenlaufzeiten - alle zwei Jahre von der Entgeltstufe 1 bis zur Entgeltstufe 5 aufsteigen. Hieran
schließt sich - bei zehnjähriger Tätigkeit in der Entgeltgruppe Ä 1 TV-Ärzte/KAH - der
Tätigkeitsaufstieg in die Entgeltgruppe Ä 2 Stufe 1 TV-Ärzte/KAH an, dem nach jeweils zwei
Jahren ein weiterer Stufenaufstieg, begrenzt auf die Entgeltstufe 3 der Entgeltgruppe Ä 2 TV-
Ärzte/KAH, folgt.
35 Allein diese tarifliche Systematik ergibt aber noch keinen sicheren Anhaltspunkt dafür, ob die
Tarifvertragsparteien im Rahmen der grundlegend geänderten Entgeltstrukturen, die sich auch in
der Besitzstandsregelung des § 4 TVÜ-Ärzte/KAH widerspiegeln, für die Entgeltgruppenzuordnung
alle Tätigkeitszeiten vor Inkrafttreten des Tarifvertrages ohne weiteres anrechnen wollten. Bei den
anderen Beschäftigtengruppen ermöglicht die Anrechnung der Tätigkeitszeiten vor dem 1. Januar
2007 in den Entgeltgruppen Ä 1 und Ä 2 TV-Ärzte/KAH bei zudem abweichenden Stufenlaufzeiten
nur einen Aufstieg von der Stufe 1 in die Stufe 5 der jeweiligen Entgeltgruppe. Demgegenüber
würde bei den wissenschaftlichen und akademischen Mitarbeitern die Berücksichtigung
vorangegangener Tätigkeitszeiten sowohl einen Tätigkeitsaufstieg in die Entgeltgruppe Ä 2 als
auch einen Stufenaufstieg in Stufe 3 TV-Ärzte/KAH bedeuten. Damit würde nicht nur wie bei den
Ärzten in der Entgeltgruppe Ä 1 TV-Ärzte/KAH nach der Entgelttabelle 2010 ein um 935,00 Euro
brutto höheres Entgelt ermöglicht als bei der Nichtberücksichtigung von Vortätigkeitszeiten - bei
den Beschäftigten der Entgeltgruppe Ä 2 TV-Ärzte/KAH beläuft sich der entsprechend ermittelte
Unterschiedsbetrag auf 1.180,00 Euro brutto -, sondern eine Entgeltsteigerung um 1.970,00 Euro
brutto festgelegt. Dies weicht erheblich von den Steigerungsmöglichkeiten ab, welche die
Tarifvertragsparteien durch die Regelung in § 3 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/KAH für die Stufensteigerungen
bereits länger Beschäftigter eröffnet haben. Dass sie für die wissenschaftlichen und
akademischen Mitarbeiter diese Regelung auch für den Tätigkeitsaufstieg hinsichtlich der
Entgeltgruppe einschließlich der sich gegenüber den anderen Mitarbeitern abweichenden
Entgeltsteigerungen eröffnen wollten, liegt zwar nicht völlig außerhalb des Bereichs des Möglichen,
weil bei ihnen eine Weiterqualifikation zum Facharzt grundsätzlich nicht vorgesehen ist. Aus dem
Tarifvertrag selbst lassen sich indes keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass
die Tarifvertragsparteien in jedem Falle eine § 3 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/KAH genau entsprechende
Regelung getroffen hätten. Nur dann wäre dem Senat aber eine entsprechende Lückenfüllung
möglich gewesen.
36 Gegen einen in die genannte Richtung gehenden hypothetischen Gleichstellungswillen der
Tarifvertragsparteien, was die wissenschaftlichen und akademischen Mitarbeiter angeht, spricht
im Übrigen auch, dass die Tarifvertragsparteien in der Anlage A1 zum TV-Ärzte/KAH bereits
hinsichtlich des Stufenaufstiegs für diesen Personenkreis eine gegenüber den anderen
Beschäftigtengruppen abweichende Regelung, was die Stufenlaufzeiten angeht, getroffen haben.
Ein derartiger besonderer Regelungswille kann auch für die vorliegende tarifliche Regelungsfrage
der Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten für die Eingruppierung nicht ausgeschlossen
werden.
37 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Bepler
Winter
Treber
Drechsler
Redeker