Urteil des BAG vom 08.12.2020

Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung - Beschwerdeverfahren - neue Angriffs- und Verteidigungsmittel

Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 8. Dezember 2020
Neunter Senat
- 9 AZB 59/20 -
ECLI:DE:BAG:2020:081220.B.9AZB59.20.0
I. Arbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss vom 21. November 2018
- 15 Ca 5147/17 -
II. Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss vom 26. Mai 2020
- 2 Ta 84/20 -
Entscheidungsstichworte:
Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung - Beschwerdeverfahren -
neue Angriffs- und Verteidigungsmittel
ECLI:DE:BAG:2020:081220.B.9AZB59.20.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
9 AZB 59/20
2 Ta 84/20
Landesarbeitsgericht
Düsseldorf
BESCHLUSS
In Sachen
Kläger, Antragsteller, Beschwerdeführer und Rechtsbeschwerdeführer,
pp.
Beklagte,
hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 8. Dezember 2020 be-
schlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss
des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 26. Mai 2020
- 2 Ta 84/20 - aufgehoben.
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Be-
schluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 21. November
2018 - 15 Ca 5147/17 - sowie der Nichtabhilfebeschluss
vom 2. Januar 2019 aufgehoben.
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Gründe
I.
Der Kläger führte gegen seine Arbeitgeberin einen Rechtsstreit über die
Wirksamkeit einer Kündigung und Zahlungsansprüche. Mit Beschluss vom
22. November 2017
bewilligte das Arbeitsgericht dem
Kläger für das Verfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe.
Im Überprüfungsverfahren forderte das Arbeitsgericht den Kläger mit ei-
nem an seinen Prozessbevollmächtigten gerichteten Schreiben vom 25. Juni
2018 auf, unter Verwendung des Vordrucks der Erklärung über die persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb einer Frist von drei Wochen seine
derzeitige Vermögenssituation im Sinne des § 120a Abs. 1 ZPO darzulegen. Zu-
gleich wies es darauf hin, dass die Versäumung der Frist die Aufhebung der Pro-
zesskostenhilfe nach sich ziehen werde. Der Beschwerdeführer reagierte hierauf
nicht. Auch das an seinen Prozessbevollmächtigten gerichtete Schreiben vom
1. August 2018, mit dem das Arbeitsgericht den Kläger aufforderte, sich binnen
drei Wochen zu erklären, lies er trotz des erneuten Hinweises auf die Folgen
einer Fristversäumung unbeantwortet. Daraufhin hob das Arbeitsgericht mit Be-
schluss vom 21. November 2018
, dem Kläger zugestellt am
26. November 2018, die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1
Nr. 2 Alt. 2 ZPO auf. Der am 21. Dezember 2018 eingereichten sofortigen Be-
schwerde des Klägers vom 19. Dezember 2018 hat das Arbeitsgericht nicht ab-
geholfen und die Beschwerde dem Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom
2. Januar 2019 zur Entscheidung vorgelegt.
Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde, in welcher der
Beschwerdeführer seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch
Vorlage einer Erklärung gemäß § 120a Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 ZPO dar-
legte, mit Beschluss vom 14. Januar 2019
zurückgewiesen, ohne
die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Auf die Verfassungsbeschwerde des Klägers
hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 20. Februar 2020
den Beschluss des Landesarbeitsgerichts wegen Verletzung des
Grundrechts des Klägers auf effektiven Rechtsschutz
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aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das
Landesarbeitsgericht Düsseldorf zurückverwiesen; die Nichtzulassung einer
Rechtsbeschwerde trotz Divergenz zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
vom 18. November 2003
sei mit dem Gebot effektiven Rechts-
schutzes nicht zu vereinbaren gewesen, weil sie den Kläger von dem verfas-
sungsrechtlich gebotenen Zugang zur Rechtsbeschwerdeinstanz in sachlich
nicht zu rechtfertigender Weise ausgeschlossen habe.
Das Landesarbeitsgericht hat daraufhin die sofortige Beschwerde des
Klägers erneut zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Zur Be-
gründung hat es ausgeführt, das Arbeitsgericht habe die Bewilligung der Pro-
zesskostenhilfe zu Recht aufgehoben, da der Beschwerdeführer seiner Pflicht
zur Mitwirkung im Verfahren grob nachlässig nicht nachgekommen sei. Die mit
der sofortigen Beschwerde beigebrachten Unterlagen seien nicht zu berücksich-
tigen. Die Fristsetzung nach § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO, der gemäß § 120a Abs. 4
Satz 2 ZPO auch im Nachprüfungsverfahren Anwendung finde, liefe vollständig
ins Leere, wenn später eingereichte Unterlagen berücksichtigt würden. § 118
Abs. 2 Satz 4 ZPO gehe als speziellere Vorschrift auch der Regelung des § 571
Abs. 2 ZPO vor. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde,
mit der er geltend macht, die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe
sei zu Unrecht erfolgt, weil sich seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhält-
nisse nicht geändert hätten und er die von ihm angeforderten Erklärungen nebst
Anlagen auch noch im Beschwerdeverfahren habe nachreichen können.
II.
Die aufgrund der Zulassung durch das Landesarbeitsgericht statthafte
und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur
Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Landesarbeitsgerichts sowie
zur Aufhebung der Beschlüsse des Arbeitsgerichts. Das Landesarbeitsgericht hat
die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts
zu Unrecht zurückgewiesen. Selbst wenn unterstellt wird, das Arbeitsgericht
habe die Prozesskostenhilfebewilligung mit Beschluss vom 21. November 2018
zu Recht aufgehoben, durfte das Landesarbeitsgericht nicht unberücksichtigt las-
sen, dass der Kläger seine Bedürftigkeit nachträglich im Beschwerdeverfahren
nachgewiesen hat. Er war mit seinem Nachweis nicht präkludiert.
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1.
Gemäß § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO muss die Partei auf Verlangen des
Gerichts jederzeit erklären, ob eine Veränderung der persönlichen oder wirt-
schaftlichen Verhältnisse eingetreten ist. Dazu muss sie gemäß § 120a Abs. 4
Satz 1 ZPO das gemäß § 117 Abs. 3 ZPO eingeführte Formular benutzen. Für
die Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gilt § 118
Abs. 2 ZPO entsprechend. Gibt die Partei die geforderte Erklärung absichtlich
oder aus grober Nachlässigkeit nicht fristgerecht ab, kann das Gericht die Bewil-
ligung der Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO aufheben.
2.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligung
von Prozesskostenhilfe sind vorliegend nicht erfüllt. Der Kläger ist zwar dem Ver-
langen des Arbeitsgerichts bis zur aufhebenden Entscheidung vom 21. Novem-
ber 2018 nicht nachgekommen. Er konnte jedoch noch im Beschwerdeverfahren
geltend machen, dass die Bewilligungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen.
Sein Vorbringen war nicht auf das (erstinstanzliche) Überprüfungsverfahren be-
schränkt. Dies hat das Bundesarbeitsgericht bereits mit Beschluss vom
18. November 2003
zu § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO aF entschie-
den
. Zwar
wurde § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO aF durch das Gesetz zur Änderung des Prozess-
kostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013 mit Wirkung zum
1. Januar 2014 durch § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO ersetzt. Die Gesetzesänderung
gibt jedoch keinen Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesar-
beitsgerichts abzuweichen, die ganz überwiegend auch auf die Neufassung der
gesetzlichen Bestimmungen übertragen wurde
und vom
Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit der Aufhebung der Bewilligung
nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bestätigt wurde
. § 120a
Abs. 1 Satz 3 ZPO ist fast wortgleich mit § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO aF. Die Ände-
rungen mit § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO zum 1. Januar 2014 ersetzten die Vorgabe
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„hat sich die Partei darüber zu erklären“ durch „muss die Partei jederzeit erklä-
ren“. Das Wort „jederzeit“ hatte insofern nur klarstellenden Charakter
. Auch aus dem damals geänderten Normzusammen-
hang lässt sich nicht erkennen, dass unterschiedliche Regelungsabsichten be-
standen
.
a)
Nach § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann die Beschwerde auf neue Angriffs-
und Verteidigungsmittel gestützt werden. Die Beschwerdeinstanz ist eine vollwer-
tige zweite Tatsacheninstanz. Zwar kann das Gericht, ebenso wie das Beschwer-
degericht, eine Frist für das Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln
setzen und deren Zulassung gegebenenfalls ablehnen
. Das
ist im Streitfall aber nicht geschehen. Der Kläger hat bereits mit Einlegung der
Beschwerde den erforderlichen Nachweis erbracht. Die Prozesskostenhilfepartei
kann die erforderliche Erklärung auch noch im Beschwerdeverfahren abgeben
.
b)
§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO schließt die Anwendung von § 571 Abs. 2
Satz 1 ZPO nicht aus. Die nach § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO gesetzten Fristen sind
keine Ausschlussfristen. Für die Annahme von Ausschlussfristen hätte es einer
entsprechenden gesetzlichen Regelung bedurft. § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO sieht
iVm. § 120a Abs. 4 Satz 1, § 118 Abs. 2 ZPO nur die Einräumung von Erklä-
rungsfristen durch das Gericht vor. Deren Sinn besteht darin, dass erforderliche
Erklärungen und Nachweise binnen angemessener Zeit beschafft werden. Ein
endgültiger Rechtsverlust ist mit der Versäumung der Fristen nicht verbunden.
Die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2
ZPO ist - bis zur Bestandskraft der Entscheidung - nicht in diesem Sinne endgül-
tig
. Durch § 124 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO wird sanktioniert, dass die
Partei eine Erklärung nach § 120a Abs. 1 Satz
3 ZPO „nicht oder ungenügend“
abgegeben hat, nicht hingegen eine nicht fristgerechte Abgabe einer ansonsten
ordnungsgemäßen Erklärung. Dementsprechend tritt die Sanktionswirkung des
§ 124 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO nur ein, wenn die Partei ihr Versäumnis auch im
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Beschwerdeverfahren nicht behebt
.
c)
Abgesehen von § 571 Abs. 3 ZPO muss ein verspätetes Vorbringen nicht
entschuldigt werden. Es ist daher für die Beurteilung der Aufhebung der Prozess-
kostenhilfebewilligung im Beschwerdeverfahren unerheblich, ob die Partei die
Fristversäumung verschuldet hat
.
d)
Abweichendes folgt auch nicht aus der Entscheidung des Bundesarbeits-
gerichts vom 3. Dezember 2003
. Die Entscheidung behandelt
nicht die Erklärungspflicht im Rahmen des Abänderungsverfahren nach § 120
Abs. 4 Satz 2 ZPO aF, sondern die Rechtsfolgen einer fehlenden Glaubhaftma-
chung im Bewilligungsverfahren
.
3.
Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden
. Das Landesarbeitsgericht hat im Streitfall die subjektiven Voraus-
setzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bejaht. Die Beschlüsse des
Arbeitsgerichts vom 21. November 2018 und vom 2. Januar 2019 waren daher
aufzuheben.
4.
Durch die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse des Landesarbeits-
gerichts und des Arbeitsgerichts wird die Prozesskostenhilfebewilligung vom
22. November 2017
wiederhergestellt
.
III.
Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerde-
verfahrens findet gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht statt.
Weber
Suckow
Zimmermann
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