Urteil des BAG vom 22.10.2020
Pauschale nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB - Anspruch nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf Rückzahlung eines zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Betrags
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 22. Oktober 2020
Achter Senat
- 8 AZR 412/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:221020.U.8AZR412.19.0
I.  Arbeitsgericht Dresden
Urteil vom 10. September 2018
- 11 Ca 114/18 -
II. Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil vom 17. Juli 2019
- 2 Sa 364/18 -
Entscheidungsstichworte:
Pauschale nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB - Anspruch nach § 717 Abs. 2
Satz 1  ZPO  auf  Rückzahlung  eines  zur  Abwendung  der  Zwangsvollstre-
ckung gezahlten Betrags
ECLI:DE:BAG:2020:221020.U.8AZR412.19.0
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BUNDESARBEITSGERICHT
8 AZR 412/19
2 Sa 364/18
Sächsisches
Landesarbeitsgericht
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
22. Oktober 2020
URTEIL
Wirth, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Beklagte, Widerklägerin, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,
pp.
Kläger, Widerbeklagter, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter,
hat  der  Achte  Senat  des  Bundesarbeitsgerichts  aufgrund  der  Beratung  vom
22. Oktober  2020  durch  die  Vorsitzende  Richterin  am  Bundesarbeitsgericht
Prof. Dr. Schlewing, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Winter, den Rich-
ter  am  Bundesarbeitsgericht  Dr. Vogelsang  sowie  den  ehrenamtlichen  Richter
Wein und die ehrenamtliche Richterin Leitz für Recht erkannt:
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8 AZR 412/19
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsi-
schen  Landesarbeitsgerichts  vom  17. Juli  2019  - 2 Sa
364/18 -  teilweise  aufgehoben,  soweit  die  Beklagte  zur
Zahlung  von  Pauschalen  nach  § 288  Abs. 5  Satz 1  BGB
iHv. insgesamt 120,00 Euro verurteilt wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird das Urteil des Arbeitsge-
richts  Dresden  vom  10. September  2018  - 11 Ca
114/18 - auf die Berufung der Beklagten abgeändert und
die Klage abgewiesen.
Auf die Widerklage der Beklagten wird der Kläger verur-
teilt,  an  die  Beklagte  120,00 Euro  nebst  Zinsen  iHv.
fünf Prozentpunkten  über  dem  Basiszinssatz  seit  dem
2. Oktober 2018 zu zahlen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tra-
gen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über die Zahlung von
drei Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro so-
wie darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, die von der Beklagten an ihn am 2. Ok-
tober 2018 zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleisteten 120,00 Euro zu-
rückzuzahlen.
Der Kläger hat die Beklagte ua. auf Zahlung rückständiger Vergütung für
die Monate Oktober 2017 bis Dezember 2017 sowie von drei Pauschalen nach
§ 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro in Anspruch genommen.
Er hat - soweit für die Revision von Belang - zuletzt beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständige Ver-
gütung  für  Oktober  2017  iHv.  2.412,96 Euro  brutto
abzgl.  gezahlter  462,98 Euro  netto  zzgl.  Zinsen  iHv.
fünf Prozentpunkten  über  dem  jeweiligen  Basiszins-
satz gemäß § 247 BGB ab dem 11. November 2017
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sowie  eine  Verzugspauschale  iHv.  40,00 Euro  netto
zu zahlen;
2.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständige Ver-
gütung für November 2017 iHv. 2.412,96 Euro brutto
abzgl.  gezahlter  462,98 Euro  netto  zzgl.  Zinsen  iHv.
fünf Prozentpunkten  über  dem  jeweiligen  Basiszins-
satz gemäß § 247 BGB ab dem 11. Dezember 2017
sowie  eine  Verzugspauschale  iHv.  40,00 Euro  netto
zu zahlen;
3.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständige Ver-
gütung für Dezember 2017 iHv. 1.830,40 Euro brutto
zzgl. Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jewei-
ligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB ab dem 11. Ja-
nuar  2018  sowie  eine  Verzugspauschale  iHv.
40,00 Euro netto zu zahlen.
Die Beklagte hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - zu-
letzt Klageabweisung sowie - im Wege eines unechten Hilfsantrages - ua. bean-
tragt,
den Kläger zu verurteilen, an sie die  von ihr zum Zwecke
der Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem erstin-
stanzlichen  Urteil  gezahlten  drei  Pauschalen  nach  § 288
Abs. 5  Satz 1  BGB  iHv.  insgesamt  120,00 Euro  zzgl.  Zin-
sen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 2. Oktober 2018 zurückzuzahlen.
Das Arbeitsgericht hat dem Kläger die begehrte rückständige Vergütung
sowie die begehrten drei Pauschalen iHv. insgesamt 120,00 Euro zugesprochen.
Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten
zurückgewiesen. Über den widerklagend gestellten unechten Hilfsantrag der Be-
klagten hat es nicht entschieden.
Die  Beklagte  begehrt mit  der  Revision  die  Abweisung  der  auf  Zahlung
der Pauschalen iHv. insgesamt 120,00 Euro gerichteten Klage sowie die Rück-
zahlung  der  von  ihr  zur  Abwendung  der  Zwangsvollstreckung  geleisteten
120,00 Euro. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
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Entscheidungsgründe
A.
Mit dem  Einverständnis der Parteien konnte vorliegend im schriftlichen
Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 128 Abs. 2 ZPO.
B.
Die  zulässige  Revision  der  Beklagten  ist  begründet.  Entgegen  der  An-
nahme des Landesarbeitsgerichts ist die auf Zahlung von drei Pauschalen nach
§ 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro gerichtete Klage unbegrün-
det. Die auf Rückzahlung der am 2. Oktober 2018 zum Zwecke der Abwendung
der Zwangsvollstreckung gezahlten 120,00 Euro gerichtete Widerklage der Be-
klagten ist begründet.
I.
Die auf Zahlung von drei Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv.
insgesamt 120,00 Euro gerichtete Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen
Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der Pauschalen.
1.
Zwar war der Kläger, dem die Beklagte rückständige Vergütung für die
Monate Oktober 2017 bis Dezember 2017 schuldete, Gläubiger von Entgeltfor-
derungen iSv. § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB
. Nach der insoweit rechtskräftigen Entschei-
dung des Berufungsgerichts befand sich die Beklagte mit der Zahlung der Ver-
gütung für die Monate Oktober 2017 bis Dezember 2017 auch - teilweise - in Ver-
zug.
2.
Dem  Anspruch  des  Klägers  aus  § 288  Abs. 5  Satz 1  BGB  steht  aber
§ 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG entgegen. Diese Bestimmung schließt - wie der Se-
nat mit Urteil vom 25. September 2018
entschieden  und
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ausführlich begründet hat - als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur ei-
nen  prozessualen  Kostenerstattungsanspruch,  sondern  auch  einen  materiell-
rechtlichen Anspruch auf Erstattung von bis zum Schluss einer eventuellen ers-
ten Instanz entstandenen Beitreibungskosten und damit insoweit auch einen An-
spruch auf Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB  aus.  Dieser Rechtspre-
chung haben sich der Fünfte, der Neunte und der Zehnte Senat des Bundesar-
beitsgerichts  angeschlossen
.
3.
Der Senat hat es in der Entscheidung vom 25. September 2018
noch dahinstehen lassen, ob die in § 288 Abs. 5
Satz 1  BGB  bestimmte  Pauschale  auch  der  Pauschalierung  externer  Beitrei-
bungskosten dient oder ob § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB im Hinblick auf die Vorgaben
der Richtlinie 2011/7/EU unionsrechtskonform dahin auszulegen ist, dass er ei-
nen Anspruch auf Zahlung der Pauschale nur für interne Beitreibungskosten vor-
sieht, und welche Konsequenzen sich daraus ggf. für die in § 288 Abs. 5 Satz 3
BGB  vorgesehene  Anrechnung  der  Pauschale  auf  externe  Beitreibungskosten
ergeben.
Inzwischen  hat  der  Gerichtshof  der  Europäischen  Union  diese  Fragen
durch  zwei  Entscheidungen  dahin  geklärt,  dass  nach  der  Richtlinie  2011/7/EU
mit dem Betrag von 40,00 Euro nicht nur die internen, sondern auch die externen
Beitreibungskosten  pauschaliert  werden  sollen
.
Insoweit spricht der Gerichtshof der Europäischen Union zum einen von einem
angemessenen  Ersatz  für  „Beitreibungskosten  jedweder  Art“
. Zudem führt er aus, dass der von der
Richtlinie geforderte wirksame Schutz des Gläubigers gegen Zahlungsverzug be-
deute, dem Gläubiger einen möglichst umfassenden Ersatz der ihm entstande-
nen Beitreibungskosten zu bieten, so dass von solchem Zahlungsverzug abge-
schreckt wird
. Insbesondere ergebe sich aus
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den  - nicht  verbindlichen -  Erwägungsgründen  19  und  20  der  Richtli-
nie 2011/7/EU  nicht,  dass  nur  die  internen  Beitreibungskosten durch  den  Pau-
schalbetrag  von  40,00 Euro  ersetzt  werden  könnten  und  die  übrigen  Beitrei-
bungskosten  einen  eigenständigen  Schadensersatzanspruch  begründeten
.
Aus den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11. April
2019
und  vom  13. September  2018
folgt nicht nur, dass § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB keiner unions-
rechtskonformen  einschränkenden  Auslegung  dahin  bedarf,  dass  er  einen  An-
spruch auf  Zahlung der  Pauschale  nur für  interne  Beitreibungskosten  vorsieht;
die  Ausführungen  des  Gerichtshofs  der  Europäischen  Union  verdeutlichen  zu-
dem, dass die Pauschale nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB auch und zentral der
Kompensation  eines  Verzugsschadens  dient
,  und
dass  sie  keinen  Strafschadensersatz  beinhaltet
.
II.
Die auf Rückzahlung der am 2. Oktober 2018 zum Zwecke der Abwen-
dung der Zwangsvollstreckung gezahlten 120,00 Euro gerichtete Widerklage der
Beklagten ist begründet.
1.
Der lediglich hilfsweise für den Fall der Abweisung der auf Zahlung von
drei Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro ge-
richteten Klage widerklagend gestellte Antrag der Beklagten, den Kläger zur Zah-
lung  der  zum  Zwecke  der  Abwendung  der  Zwangsvollstreckung  gezahlten
120,00 Euro zu verurteilen, ist dem Senat zur Entscheidung angefallen. Die Be-
klagte hat diesen Antrag in ihren Revisionsantrag einbezogen
. Ob es
darüber hinaus erforderlich ist, dass zwischen dem Haupt- und dem Hilfsantrag
ein enger sachlicher und rechtlicher Zusammenhang besteht
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, kann offenbleiben, weil ein solcher Zusammen-
hang im vorliegenden Fall gegeben ist. Der geltend gemachte Rückzahlungsan-
spruch  betrifft  die  von der  Beklagten  zur  Abwendung  der  Zwangsvollstreckung
aus dem erstinstanzlichen  Urteil  gezahlten  drei  Pauschalen nach § 288  Abs. 5
Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro.
2.
Die zulässige Widerklage ist begründet. Die Beklagte kann vom Kläger
die Zahlung von 120,00 Euro zuzüglich der eingeklagten Zinsen verlangen.
a)
Der Anspruch der Beklagten auf Zahlung von 120,00 Euro folgt aus § 717
Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO iVm. § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.
aa)
Wird
ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder ab-
geändert, ist der Kläger nachzum Ersatz desjenigen
Schadens verpflichtet, welcher dem Beklagten durch die Vollstreckung des Ur-
teils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung ent-
standen ist. Die in § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffene Regelung beruht auf dem
allgemeinen  Rechtsgedanken,  dass  die  Vollstreckung  aus  einem  noch  nicht
rechtskräftigen Urteil auf Gefahr des Gläubigers erfolgt. Der Schadensersatzan-
spruch nachumfasst alle Schäden, die dem Beklagten
durch die vorzeitige Leistung entstanden sind und die im Einzelfall den Wert des
Klagegegenstandes  übersteigen  können
.
§ 717 Abs. 2 ZPO ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1
ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren anwendbar.
bb)
Danach ist der Kläger verpflichtet, an die Beklagte 120,00 Euro zu zah-
len.
(1)
Da der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung von drei Pauschalen nach
§ 288  Abs. 5  Satz 1  BGB  iHv.  insgesamt  120,00 Euro  hat,  war  das  der  Klage
stattgebende arbeitsgerichtliche Urteil  - teilweise  - dahin  abzuändern, dass die
Klage insoweit abgewiesen wird. Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Urteile der
Arbeitsgerichte, gegen die Einspruch oder - wie hier - Berufung zulässig ist, von
Gesetzes wegen vorläufig vollstreckbar.
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(2)
Die Beklagte hatte die drei Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB
iHv. insgesamt 120,00 Euro auch zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus
dem arbeitsgerichtlichen Urteil an den Kläger gezahlt.
Zwar ist eine Leistung zur Abwendung der Vollstreckung  nur anzuneh-
men,  wenn  sich  der  Schuldner  einem  gegen  ihn  ausgeübten
„Vollstreckungs-
druck
“  beugt,  wobei  sich  der  vollstreckungsabwendende  Zweck  der  Leistung
auch aus den Umständen ergeben kann. Voraussetzung ist,  dass die  Vollstre-
ckung konkret droht, der Schuldner also damit rechnen muss, dass die Vollstre-
ckung  demnächst  beginnt
.  Dass  diese  Voraussetzung  erfüllt  ist,  steht  unter  den  Parteien
indes nicht im Streit. Durch ihre Zahlung ist der Beklagten damit adäquat kausal
ein Schaden iHv. 120,00 Euro entstanden.
b)
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB iVm. § 717
Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO.
Schlewing
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Vogelsang
Wein
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