Urteil des BAG vom 28.05.2020

Revision gegen ein Zweites Versäumnisurteil - Zulassung der Revision

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 28. Mai 2020
Achter Senat
- 8 AZR 169/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:280520.U.8AZR169.19.0
I. Arbeitsgericht Dresden
Urteil vom 28. Juni 2018
- 2 Ca 16/15 -
II. Sächsisches Landesarbeitsgericht
2. Versäumnisurteil vom 29. März 2019
- 2 Sa 299/18 -
Entscheidungsstichworte:
Revision gegen ein Zweites Versäumnisurteil - Zulassung der Revision
ECLI:DE:BAG:2020:280520.U.8AZR169.19.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
8 AZR 169/19
2 Sa 299/18
Sächsisches
Landesarbeitsgericht
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
28. Mai 2020
URTEIL
Schiege, Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In Sachen
Kläger, Widerbeklagter, Berufungsbeklagter und Revisionskläger,
pp.
Beklagte, Widerklägerin, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte,
hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
28. Mai 2020 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht
Prof. Dr. Schlewing, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Winter, den
Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Vogelsang sowie die ehrenamtlichen Rich-
ter von Schuckmann und Hilgenfeld für Recht erkannt:
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Die Revision des Klägers gegen das Zweite Versäumnis-
urteil
des
Sächsischen
Landesarbeitsgerichts
vom
29. März 2019 - 2 Sa 299/18 - wird als unzulässig verwor-
fen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu
tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob der Klä-
ger und Widerbeklagte (im Folgenden Kläger) der Beklagten und Widerklägerin
(im Folgenden Beklagten) Schadensersatz iHv. 1.839.187,04 Euro nebst Zinsen
schuldet.
Der Kläger war seit August 2012 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt
als Projektleiter der Betriebsstelle Y in Kamerun.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben
vom 15. Dezember 2014 außerordentlich und hilfsweise ordentlich zum
31. Januar 2015. Der Kläger griff sowohl die außerordentliche als auch die
hilfsweise ordentliche Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage an. Die Be-
klagte ihrerseits nahm den Kläger im Wege der Widerklage auf Zahlung von
1.839.187,04 Euro nebst Prozesszinsen in Anspruch mit der Begründung, der
Kläger habe Untreuehandlungen begangen, die bei ihr zu einem Schaden in der
geltend gemachten Höhe geführt hätten. Zur Erledigung der Kündigungsschutz-
klage schlossen die Parteien einen Teil-Vergleich, nach dem das Arbeitsver-
hältnis mit Ablauf des 31. März 2015 sein Ende gefunden hat. Die Widerklage
wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen.
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Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Die Abschrift der
Berufungsschrift wurde den Rechtsanwälten G und L, die den Kläger in erster
Instanz als Prozessbevollmächtigte vertreten hatten, zugestellt. Diese teilten
daraufhin mit, dass sie den Kläger im Berufungsverfahren nicht vertreten wür-
den. Mit Schreiben vom 26. November 2018 wies der Vorsitzende der erken-
nenden Kammer des Landesarbeitsgerichts Rechtsanwältin L auf § 87 Abs. 1
ZPO sowie § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO hin. Nachdem im Termin am 16. Januar
2019 für den Kläger niemand erschienen war, erging antragsgemäß ein Ver-
säumnisurteil, mit dem das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts
abänderte und der Widerklage der Beklagten stattgab.
Mit Schriftsatz vom 12. Februar 2019 zeigte Rechtsanwältin H an, dass
sie die Vertretung des Klägers übernommen habe und legte fristgerecht Ein-
spruch gegen das Versäumnisurteil ein. Das Landesarbeitsgericht bestimmte
Termin zur Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache auf den
29. März 2019. Mit Schriftsatz vom 19. März 2019 beantragte die Prozessbe-
vollmächtigte des Klägers eine Verlängerung der Berufungsbeantwortungsfrist
und überreichte ein ärztliches Attest in französischer Sprache nebst Überset-
zung, ausweislich dessen sich der Kläger in der Zeit vom 28. Dezember 2018
bis zum 5. Februar 2019 in Kamerun in stationärer Behandlung befunden habe.
Mit Schriftsatz vom 20. März 2019 reichte sie
das „beglaubigte Attest nebst be-
glaubigter Übersetzung
“ nach und teilte mit, das Mandat niedergelegt zu haben.
Unter dem 21. März 2019 wies der Vorsitzende der erkennenden Kammer des
Landesarbeitsgerichts Rechtsanwältin H auf § 87 Abs. 1 ZPO sowie darauf hin,
dass bislang die Bestellung eines anderen Prozessvertreters nicht angezeigt
worden sei.
Nachdem im Termin zur Verhandlung über den Einspruch und die
Hauptsache vor dem Landesarbeitsgericht für den Kläger niemand erschienen
war, erging auf Antrag der Beklagten ein Zweites Versäumnisurteil, mit dem der
Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil vom 16. Januar 2019 ver-
worfen wurde. Das Zweite Versäumnisurteil enthält im Tenor keine Entschei-
dung über eine Zulassung oder Nichtzulassung der Revision. In der Rechtsmit-
telbelehrung dieses Urteils heißt es,
dass „Gegen dieses Zweite Versäumnisur-
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teil … von dem Berufungsbeklagten/Widerbeklagten Revision eingelegt werden“
könne und dass ein Zweites Versäumnisurteil der Revision nur insoweit unter-
liege, als sie darauf gestützt werde, dass der Fall der schuldhaften Säumnis
nicht vorgelegen habe.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein auf Abweisung der Widerklage
gerichtetes Begehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision als unzuläs-
sig zu verwerfen bzw. sie als unbegründet zurückzuweisen.
Mit Schriftsätzen vom 29. April 2020 haben sich die Parteien mit einer
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren einver-
standen erklärt.
Das Gericht hat sodann die Entscheidung im schriftlichen Ver-
fahren angeordnet.
Entscheidungsgründe
A.
Mit dem Einverständnis der Parteien konnte vorliegend im schriftlichen
Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 128 Abs. 2
ZPO.
B.
Die Revision des Klägers ist unzulässig. Sie ist nicht statthaft, da sie
weder vom Landesarbeitsgericht noch vom Bundesarbeitsgericht zugelassen
worden ist. Die vom Landesarbeitsgericht gegebene Rechtsmittelbelehrung
führt nicht zur Statthaftigkeit der Revision.
I.
Anders als im zivilgerichtlichen Verfahren, in dem ein Zweites Ver-
säumnisurteil gemäß § 565 Satz 1, § 514 Abs. 2 ZPO nach ständiger Recht-
sprechung des Bundesgerichtshofs mit der Revision angegriffen werden kann,
soweit diese darauf gestützt wird, ein Fall der schuldhaften Säumnis habe nicht
vorgelegen
, findet nach § 72 Abs. 1 Satz 1 ArbGG die Revision an das Bundesar-
beitsgericht auch gegen ein Zweites Versäumnisurteil des Landesarbeitsge-
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richts nur statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder durch
Beschluss des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 ArbGG zuge-
lassen worden ist.
Die §§ 72, 72a ArbGG regeln den Zugang zum Bundesarbeitsgericht
eigenständig und abschließend und tragen dabei dem besonderen Beschleuni-
gungsbedarf in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten Rechnung. Das gilt auch dann,
wenn der Revisionsführer geltend macht, ein Fall schuldhafter Säumnis habe
nicht vorgelegen
. Dieser unterschiedliche Revisionszugang führt zu keiner Rechtsschutzlü-
cke im arbeitsgerichtlichen Verfahren. Die beschwerte Partei kann nämlich Ge-
hörsverletzungen, zu denen auch die Rüge gehört, eine Säumnis habe nicht
bestanden, nach § 72 Abs. 2 Nr. 3, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ArbGG im Nicht-
zulassungsbeschwerdeverfahren vorbringen
.
II.
Danach ist die Revision des Klägers unzulässig, sie ist nicht statthaft.
1.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision gegen das Zweite Versäum-
nisurteil nicht zugelassen.
a)
NachAbs. 1 Satz 2 ArbGG iVmist die
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, ob die Revision zugelassen oder nicht
zugelassen wird, in den Urteilstenor aufzunehmen. Auch der Umfang der Revi-
sionszulassung ergibt sich allein aus dem Urteilstenor, weshalb weder eine
nachträgliche Beschränkung einer mit dem Tenor verkündeten unbeschränkten
Zulassung der Revision in den Entscheidungsgründen
, noch eine nachträgliche Erweiterung einer mit dem
Tenor verkündeten beschränkten Zulassung der Revision möglich ist
.
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b)
iVm.sieht für
den Fall, dass die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, ob die Revision
zugelassen oder nicht zugelassen wird, nicht in den Urteilstenor aufgenommen
wurde, vor, dass der Urteilsteno
r „auf Antrag“, der binnen zwei Wochen nach
Verkündung des Urteils zu stellen ist, vom Gericht ergänzt werden kann.
Dabei
spricht viel dafür, dass
nicht nur den Fall erfasst, in
dem die Nichtaufnahme der Rechtsmittelzulassung oder -nichtzulassung darauf
beruht, dass das Gericht keine entsprechende Entscheidung getroffen hat, son-
dern auch in dem Fall Anwendung findet, in dem das Gericht eine Entscheidung
über die Zulassung oder Nichtzulassung des Rechtsmittels zwar getroffen, die-
se versehentlich aber nicht in den Urteilstenor aufgenommen hat
differenziert seinem Wortlaut nach nicht zwischen diesen beiden Fällen,
sondern stellt lediglich darauf ab, dass eine Aufnahme der Entscheidung, ob
das Rechtsmittel zugelassen oder nicht zugelassen wird, in den Urteilsspruch
unterblieben ist. Danach kommt es auf die Gründe hierfür nicht an. Zudem
ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass der Gesetzgeber den Parteien
auch für den Fall, dass „versehentlich versäumt“ wurde, die Zulassung bzw.
Nichtzulassung des Rechtsmittels in den Urteilstenor aufzunehmen, das Verfah-
ren nachzur Verfügung stellen wollte
. Des ungeachtet schließt § 64
Abs. 3a ArbGG für den Fall, dass das Landesarbeitsgericht die Revision bereits
im Urteil zulassen wollte und der entsprechende Ausspruch bloß versehentlich
unterblieben ist, eine entsprechende Korrektur von Amts wegen nach § 319
ZPO grundsätzlich nicht aus
.
c)
Danach hat das Landesarbeitsgericht die Revision nicht zugelassen.
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aa)
Das Zweite Versäumnisurteil enthält im Tenor keine Entscheidung über
eine Zulassung oder Nichtzulassung der Revision. Das Landesarbeitsgericht
hat sein Urteil auch weder gemä
iVm.
dahin ergänzt, dass die Revision zugelassen ist, insoweit fehlt es bereits
an einem entsprechenden Antrag, noch hat es den Urteilstenor von Amts we-
gen gemäß § 319 ZPO dahin berichtigt, dass die Revision zugelassen ist.
bb)
Das Zweite Versäumnisurteil ist auch nicht deshalb mit der Revision
anfechtbar, weil es eine Rechtsmittelbelehrung dahin enthält, dass vom Kläger
hiergegen Revision eingelegt werden kann, und der Kläger zudem darauf hin-
gewiesen wurde, dass ein Zweites Versäumnisurteil der Revision nur insoweit
unterliegt, als sie darauf gestützt werde, dass der Fall der schuldhaften Säum-
nis nicht vorgelegen habe.
(1)
Durch die Neuregelung
hat der Gesetzgeber mit
Wirkung zum 1. Mai 2000 durch das Gesetz zur Vereinfachung und Beschleu-
nigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens
vom 30. März 2000
den bis dahin in Literatur und Recht-
sprechung bestehenden Streit, ob die Zulassung auch in den Entscheidungs-
gründen oder in der Rechtsmittelbelehrung erfolgen kann
dahin ge-
klärt, dass sowohl die positive als auch die negative Entscheidung über die Zu-
lassung der Revision im Tenor des Urteils enthalten sein muss und eine Revisi-
onszulassung weder in den Entscheidungsgründen noch in der Rechtsmittelbe-
lehrung erfolgen kann
.
(2)
Zwar bewirkt die dem Kläger erteilte Rechtsmittelbelehrung im vorlie-
genden Fall, dass dieser über den an sich statthaften Rechtsbehelf der Nichtzu-
lassungsbeschwerde nach § 72a ArbGG nicht belehrt wurde. Dies begegnet
jedoch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und führt deshalb nicht zur
Statthaftigkeit der Revision.
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(a)
Der verfassungsrechtliche Anspruch auf einen wirkungsvollen Rechts-
schutz, der für den Bereich des Zivilprozesses und damit auch des arbeitsge-
richtlichen Verfahrens durch Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip
gewährleistet ist, gebietet eine Rechtsmittelbelehrung nur
dann, wenn diese erforderlich ist, um unzumutbare Schwierigkeiten des
Rechtswegs auszugleichen, die die Ausgestaltung eines Rechtsmittels ande-
renfalls mit sich brächte. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die
Formerfordernisse des Rechtsmittels so kompliziert und so schwer zu erfassen
sind, dass nicht erwartet werden kann, der Rechtsuchende werde sich in zu-
mutbarer Weise darüber rechtzeitig Aufklärung verschaffen können. Dies kann
vornehmlich in Verfahren zutreffen, in denen kein Anwaltszwang besteht
(b)
Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Verfahren aber nicht
vor. Nach § 11 Abs. 4 ArbGG besteht sowohl vor dem Landesarbeitsgericht als
auch vor dem Bundesarbeitsgericht Vertretungszwang
. Für den nunmehrigen
Prozessbevollmächtigten des Klägers war aufgrund der in § 72 Abs. 1 ArbGG
iVm. § 64 Abs. 3a ArbGG getroffenen Regelung und der gefestigten Rechtspre-
chung des Bundesarbeitsgerichts ohne Weiteres erkennbar, dass die Revision
nur statthaft gewesen wäre, wenn das Landesarbeitsgericht sie im Urteilstenor
oder das Bundesarbeitsgericht sie in einem Beschluss nach § 72a Abs. 5
Satz 2 ArbGG zugelassen hätte, so dass er auf die ihm vom Landesarbeitsge-
richt erteilte Rechtsmittelbelehrung nicht vertrauen durfte.
2.
Das Bundesarbeitsgericht hat die Revision nicht nach § 72a Abs. 5
Satz 2 ArbGG zugelassen.
Zwar wäre gegen das Zweite Versäumnisurteil der Rechtsbehelf der
Nichtzulassungsbeschwerde statthaft gewesen, insbesondere hätte der Kläger
im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nach § 72 Abs. 2 Nr. 3, § 72a Abs. 3
Satz 2 Nr. 3 ArbGG Gehörsverletzungen, zu denen auch die Rüge gehört, eine
Säumnis habe nicht bestanden, vorbringen können
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. Der Kläger hat indes keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
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Winter
Vogelsang
Schuckmann
Hilgenfeld