Urteil des BAG vom 03.12.2020

Verfahrensart - Schwerbehindertenvertretung - Entfernung von Unterlagen aus der Personalakte der Vertrauensperson - Streitgegenstandsbegriff

Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 3. Dezember 2020
Siebter Senat
- 7 AZB 57/20 -
ECLI:DE:BAG:2020:031220.B.7AZB57.20.0
I. Arbeitsgericht
Berlin
Beschluss vom 10. Dezember 2019
- 58 BV 7799/19 -
II. Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 25. Mai 2020
- 25 Ta 41/20 -
Entscheidungsstichworte:
Verfahrensart - Schwerbehindertenvertretung - Entfernung von Unterlagen
aus der Personalakte der Vertrauensperson
ECLI:DE:BAG:2020:031220.B.7AZB57.20.0
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BUNDESARBEITSGERICHT
7 AZB 57/20
25 Ta 41/20
Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
BESCHLUSS
In Sachen
1.
Antragsteller und Beschwerdeführer,
2.
Rechtsbeschwerdeführer,
hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 3. Dezember 2020 beschlos-
sen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2. wird der
Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg
vom 25. Mai 2020 - 25 Ta 41/20 - aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1. gegen den
Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Dezember
2019 - 58 BV 7799/19 - wird zurückgewiesen.
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7 AZB 57/20
ECLI:DE:BAG:2020:031220.B.7AZB57.20.0
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Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Vorabentscheidungsverfahren darüber, ob
über den Antrag des Beteiligten zu 1. auf Entfernung des Protokolls eines Mitar-
beitergesprächs sowie einer Abmahnung aus seiner Personalakte im Urteilsver-
fahren oder im Beschlussverfahren zu entscheiden ist.
Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin ist eine gemeinsame Einrichtung iSd.
§ 44b Abs. 1 SGB II zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Ar-
beitsuchende. Der zu 1. beteiligte Antragsteller ist die Vertrauensperson der bei
der Arbeitgeberin beschäftigten schwerbehinderten Menschen iSv. § 44i SGB II.
Die Vertrauensperson unterstützte die bei der Arbeitgeberin beschäftigte
behinderte Mitarbeiterin M bei der Formulierung eines Antrags auf Gleichstellung
iSv. § 2 Abs. 3 SGB IX. Nachdem die Arbeitgeberin zum Gleichstellungsantrag
kontaktiert worden war, hielt sie der Vertrauensperson am 22. Mai 2019 in einem
Mitarbeitergespräch vor, Frau M dazu geraten und sie dabei unterstützt zu ha-
ben, in ihrem Gleichstellungsantrag unzutreffende Angaben zu machen. Die Ver-
trauensperson äußerte sich zu diesem Vorwurf nicht. Die Arbeitgeberin erteilte
der Vertrauensperson unter dem 4. Juni 2019 eine Abmahnung. Darin heißt es
ua.:
„… ich spreche Ihnen wegen Verstoßes gegen Ihre arbeits-
vertraglichen Pflichten eine Abmahnung aus.
I.
Sachverhalt
Mit Antrag auf Gleichstellung (§ 2 Abs. 3 SGB IX) hat die
Arbeitnehmerin M gegenüber der zuständigen Agentur für
Arbeit mitgeteilt, dass ihr Vorgesetzter wegen ihrer Leis-
tungseinschränkungen eine Herabgruppierung prüfen
lässt. Weiter teilte sie mit, er habe deutlich gemacht, dass
er die Fehlerhäufigkeit und ihre behinderungsbedingt not-
wendigen vermehrten Pausen (Toilettengänge) nicht mehr
tolerieren wird.
Mit Schreiben vom 12.04.2019 wurde der Personalbereich
der Agentur für Arbeit B vom hierfür zuständigen Operati-
ven Service der Agentur für Arbeit P um Mitteilung gebeten,
ob die o.g. Ausführungen zutreffend seien. Darauf wurde
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die Führungskraft von Frau M, Herr K, mit den Ausführun-
gen konfrontiert. Er wies jedoch zurück, solche Aussagen
jemals getätigt zu haben.
Im Rahmen des hierzu zwischen Frau M und Herrn K - un-
ter Anwesenheit des stellv. Bereichsleiters Herrn Kü - am
03.05.2019 geführten Gesprächs bestätigte sich, dass die
Ausführungen frei erfunden waren.
Frau M erklärte, sie wurde bei der Antragsstellung von
Ihnen hinsichtlich der eingangs genannten Ausführungen
beraten und unterstützt.
Ihr eingangs genanntes Verhalten, welches im Übrigen
nicht durch die Amtsausübung als Schwerbehindertenver-
tretung gedeckt ist, kann ich nicht hinnehmen und spreche
hiermit eine Abmahnung aus.
Ich fordere Sie auf, Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in Zu-
kunft ordnungsgemäß zu erfüllen. Insbesondere verlange
ich von Ihnen die Beachtung einschlägiger Gesetze und
Weisungen, die Berücksichtigung der Wahrheitspflicht und
die Beachtung der Pflicht, Schaden von Ihrem Arbeitgeber
abzuwenden. In diesem Zusammenhang verlange ich
auch, dass von Ihnen keine erfundenen Anschuldigungen
gegenüber Kolleginnen und Kollegen sowie Führungskräf-
ten, in welcher Form auch immer, in Umlauf gebracht wer-
den oder andere Kolleginnen und Kollegen hierzu angestif-
tet werden.
Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass Sie bei weiteren
gleichartigen Pflichtverletzungen mit weitergehenden Kon-
sequenzen bis hin
zur Kündigung rechnen müssen.“
Die Arbeitgeberin nahm das Protokoll des Mitarbeitergesprächs vom
22. Mai 2019 und die Abmahnung vom 4. Juni 2019 zur Personalakte der Ver-
trauensperson.
Mit dem von ihr eingeleiteten Beschlussverfahren verlangt die Vertrau-
ensperson von der Arbeitgeberin, das Protokoll des Mitarbeitergesprächs vom
22. Mai 2019 und die Abmahnung vom 4. Juni 2019 aus ihrer Personalakte zu
entfernen. Sie hat die Auffassung vertreten, mit der Abmahnung habe die Arbeit-
geberin ihre Amtsführung als Vertrauensperson gerügt. Das sei unzulässig und
stelle einen Verstoße gegen das Behinderungsverbot des § 179 Abs. 2 SGB IX
dar. Sie habe ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt.
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Die Vertrauensperson hat den Antrag angekündigt,
der Arbeitgeberin aufzugeben, das Protokoll des Mitarbei-
tergesprächs vom 22. Mai 2019 sowie die Abmahnung vom
4. Juni 2019 aus ihrer Personalakte zu entfernen.
Das Arbeitsgericht hat auf die von der Arbeitgeberin erhobene Rüge, die
Sache sei im Urteilsverfahren zu entscheiden, beschlossen, dass das Beschluss-
verfahren nicht die zutreffende Verfahrensart sei und das Verfahren in das Ur-
teilsverfahren übergeleitet. Auf die sofortige Beschwerde der Vertrauensperson
hat das Landesarbeitsgericht den Beschluss des Arbeitsgerichts abgeändert und
entschieden, dass das Beschlussverfahren die zutreffende Verfahrensart sei. Mit
ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der
erstinstanzlichen Entscheidung.
Im Laufe des Beschwerdeverfahrens ist die Schwerbehindertenvertre-
tung dem Beschlussverfahren beigetreten und hat ebenfalls den Antrag ange-
kündigt, der Arbeitgeberin aufzugeben, das Protokoll des Mitarbeitergesprächs
vom 22. Mai 2019 sowie die Abmahnung vom 4. Juni 2019 aus der Personalakte
der Vertrauensperson zu entfernen.
II.
Die nach § 80 Abs. 3, § 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG
statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin
ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde der Ver-
trauensperson gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts zu Unrecht entspro-
chen. Über den Antrag der Vertrauensperson ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a
ArbGG im Urteilsverfahren zu entscheiden.
1.
An dem vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren zur Bestimmung der
Verfahrensart sind nur die Vertrauensperson und die Arbeitgeberin, nicht aber
die Schwerbehindertenvertretung beteiligt. Gegenstand dieses Verfahrens ist nur
die Bestimmung der Verfahrensart für den Antrag der Vertrauensperson. Die Ver-
fahrensart für den Antrag der Schwerbehindertenvertretung steht nicht im Streit.
2.
Die Verfahrensart, in der ein Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeits-
sachen zu entscheiden ist, bestimmt sich nach § 2 und § 2a ArbGG. In den in § 2
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ArbGG geregelten Arbeitssachen findet das Urteilsverfahren statt
, während über die in § 2a ArbGG genannten Arbeitssachen im Be-
schlussverfahren zu befinden ist
.
3.
Für den Antrag der Vertrauensperson ist das Urteilsverfahren nach § 2
Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG die zulässige Verfahrensart.
a)
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssa-
chen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Ar-
beitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Zu den von § 2 Abs. 1
Nr. 3 Buchst. a ArbGG erfassten Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis gehören
alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsvertrag und den das Arbeitsverhältnis
regelnden Normen ergeben
. Maß-
geblich ist nicht die Anspruchsgrundlage
; vielmehr kommt es darauf an, ob der Anspruch auf dem Arbeitsverhält-
nis beruht
. Danach macht die Vertrauensperson einen Anspruch aus
dem Arbeitsverhältnis geltend. Sie verlangt die Entfernung von Unterlagen aus
ihrer Personalakte, die den Vorwurf der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten
enthalten.
b)
Über den Antrag ist vorliegend nicht deshalb nach § 2a Abs. 1 Nr. 3a
ArbGG im Beschlussverfahren zu entscheiden, weil sich die Vertrauensperson
zur Begründung ihres Antrags auch auf das Behinderungsverbot nach § 179
Abs. 2 SGB IX beruft, das die Schwerbehindertenvertretung und ihre Tätigkeit
schützt und damit kollektiven Charakter hat
.
aa)
Nach § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen aus-
schließlich zuständig für Angelegenheiten aus den §§ 177, 178 und 222 SGB IX.
Um eine solche Streitigkeit handelt es sich vorliegend nicht. Für Angelegenheiten
nach § 179 SGB IX trifft § 2a ArbGG keine Regelung.
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bb)
§ 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG ist vorliegend auch nicht entsprechend anzu-
wenden.
(1)
Analoge Gesetzesanwendung setzt das Bestehen einer unbewussten
Regelungslücke voraus. Hat sich der Gesetzgeber bewusst für die Regelung
oder Nichtregelung eines bestimmten Sachverhalts entschieden, sind die Ge-
richte nicht befugt, sich über die gesetzgeberische Entscheidung hinwegzuset-
zen. Eine unbewusste Regelungslücke kann durch die analoge Anwendung einer
Vorschrift geschlossen werden, wenn der gesetzessprachlich nicht erfasste, dh.
gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Ver-
meidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt
wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle
.
(2)
Nach diesen Grundsätzen kommt die entsprechende Anwendung von
§ 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG hier mangels einer planwidrigen Regelungslücke nicht
in Betracht.
(a)
Zwar enthält § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG eine planwidrige Regelungslücke,
soweit es um Streitigkeiten mit rein kollektivrechtlichem Charakter geht.
(aa)
Die Zuständigkeit nach § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG betrifft Streitigkeiten
über die Wahl und die Amtszeit
und die Aufgaben
der Schwerbehindertenvertretung sowie die Mitwirkung durch Werkstatträte
. Hierbei handelt es sich um Angelegenheiten der Schwerbehin-
dertenvertretungen, die in der Organstellung des Gremiums ihre Grundlage ha-
ben. Diese kollektivrechtlichen Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertre-
tungen hat der Gesetzgeber durch § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG hinsichtlich des
Rechtswegs und der Verfahrensart betriebsverfassungsrechtlichen Angelegen-
heiten gleichgestellt und für Streitigkeiten hierüber die ausschließliche Zustän-
digkeit der Arbeitsgerichte im Beschlussverfahren angeordnet
. Dies gilt unabhängig davon, ob die Schwerbehindertenvertretung in einem
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Betrieb der Privatwirtschaft oder in einer Dienststelle, für die Personalvertre-
tungsrecht gilt
gebildet wurde
.
(bb)
§ 179 SGB IX trifft nach seiner Überschrift Bestimmungen über die per-
sönlichen Rechte und Pflichten der Vertrauenspersonen der schwerbehinderten
Menschen und regelt zu einem erheblichen Teil deren individualrechtliche Rechte
und Pflichten, zB das Begünstigungs- und Benachteiligungsverbot
, den
Kündigungs-, Versetzungs- und Abordnungsschutz
sowie Entgeltfort-
zahlungsansprüche für die Dauer der Wahrnehmung von Amtstätigkeiten und der
Teilnahme an Schulungsveranstaltungen
. Streitigkeiten hierüber sind
- je nach dem Status der Vertrauensperson als Arbeitnehmer oder Beamter - im
Urteilsverfahren vor dem Arbeitsgericht oder dem Verwaltungsgericht zu ent-
scheiden. Dementsprechend ist eine Erstreckung der Regelung in § 2a Abs. 1
Nr. 3a, Abs. 2 ArbGG auf diese Angelegenheiten konsequenterweise unterblie-
ben. Eine Eröffnung des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens für derartige
individualrechtliche Streitigkeiten wäre systemwidrig
.
(cc)
Allerdings enthält § 179 SGB IX auch Regelungen von kollektivem Cha-
rakter. Dazu gehört etwa die in § 179 Abs. 8 Satz 1 SGB IX geregelte Pflicht des
Arbeitgebers, die durch die Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung entste-
henden Kosten zu tragen. Ansprüche der Mitglieder der Schwerbehindertenver-
tretungen, die auf der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers nach § 179 Abs. 8
Satz 1 SGB IX beruhen, sind keine individualrechtlichen Ansprüche, die entspre-
chend dem Status des Mitglieds als Arbeitnehmer oder Beamter im Urteilsver-
fahren vor dem Arbeitsgericht oder dem Verwaltungsgericht geltend zu machen
wären. Diese Ansprüche haben ihre Grundlage nicht im Arbeits- oder Beamten-
verhältnis des Mitglieds der Schwerbehindertenvertretung, sondern allein in dem
von ihm wahrgenommenen Amt. Für die Geltendmachung derartiger Ansprüche
bestimmt weder § 2 ArbGG noch eine sonstige gesetzliche Vorschrift den
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Rechtsweg und die Verfahrensart. Das Gesetz enthält daher insoweit eine plan-
widrige Regelungslücke
.
(b)
Dagegen besteht keine planwidrige Regelungslücke, soweit es - wie
hier - um einen Anspruch auf Entfernung von Unterlagen aus der Personalakte
geht, der seine Grundlage im Arbeitsverhältnis hat und für den unter Umständen
neben der individualrechtlichen Anspruchsgrundlage
auch
noch eine kollektivrechtliche Anspruchsgrundlage
besteht.
Für diese Fälle enthält das Gesetz in § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG eine Be-
stimmung der Verfahrensart, die auch die Entscheidung über die kollektivrechtli-
che Anspruchsgrundlage einschließt.
(aa)
Nach § 48 Abs. 1 ArbGG gelten ua. für die Zulässigkeit der Verfahrensart
die §§ 17 bis 17b des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) - mit bestimmten
Maßgaben - entsprechend. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Ge-
richt des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kom-
menden rechtlichen Gesichtspunkten. In entsprechender Geltung des § 17
Abs. 2 Satz 1 GVG kommt damit den Gerichten für Arbeitssachen ggf. eine ver-
fahrensüberschreitende Sachentscheidungskompetenz zu. Diese setzt voraus,
dass Gegenstand des Verfahrens ein einheitlicher Streitgegenstand im Sinne ei-
nes einheitlichen prozessualen Anspruchs ist. Liegt hingegen eine Mehrheit von
Streitgegenständen vor, ist für jeden Streitgegenstand die Verfahrensart geson-
dert zu prüfen
.
(bb)
Vorliegend handelt es sich bei der kollektivrechtlichen und der individu-
alrechtlichen Grundlage des mit dem Sachantrag der Vertrauensperson verfolg-
ten Verlangens nicht um zwei Streit- oder Verfahrensgegenstände. Nach dem für
den Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess einschließlich des arbeitsgerichtlichen Be-
schlussverfahrens geltenden sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird
der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den konkret gestellten An-
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trag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klage-
grund) bestimmt
. Vorliegend verlangt die Vertrauensperson von der Arbeitgeberin, das Pro-
tokoll über das Mitarbeitergespräch vom 22. Mai 2019 und die Abmahnung vom
4. Juni 2019 aus ihrer Personalakte zu entfernen. Ausgehend von ihrem Tatsa-
chenvortrag kommen als Anspruchsgrundlagen kollektiv- und individualrechtliche
Regelungen in Frage. Dem Begehren liegt jedoch derselbe Lebenssachverhalt
zugrunde. Es liegt damit eine Anspruchskonkurrenz - und keine objektive An-
spruchshäufung - vor
.
Gräfl
Waskow
M. Rennpferdt