Urteil des BAG vom 17.06.2020

Weiterbeschäftigung nach § 78a BetrVG - duales Studium

Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 17. Juni 2020
Siebter Senat
- 7 ABR 46/18 -
ECLI:DE:BAG:2020:170620.B.7ABR46.18.0
I. Arbeitsgericht Münster
Beschluss vom 18. Mai 2017
- 2 BV 4/17 -
II. Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss vom 9. November 2018
- 13 TaBV 82/17 -
Entscheidungsstichworte:
Weiterbeschäftigung nach § 78a BetrVG - duales Studium
Leitsatz:
Die im Zusammenhang mit dem Erwerb des Hochschulabschlusses
„Bachelor of Arts“ im Rahmen eines dualen Studiums durchzuführende
betriebliche Praxisphase ist keine Berufsausbildung iSv. § 78a BetrVG.
Verlangt ein Betriebsratsmitglied in dieser Lage seine Weiterbeschäftigung
nach Abschluss des dualen Studiengangs, kommt kein Arbeitsverhältnis
nach § 78a Abs. 2 BetrVG zustande.
ECLI:DE:BAG:2020:170620.B.7ABR46.18.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
7 ABR 46/18
13 TaBV 82/17
Landesarbeitsgericht
Hamm
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
17. Juni 2020
BESCHLUSS
Schiege, Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In dem Beschlussverfahren mit den Beteiligten
1.
Antragstellerin,
2.
Beschwerdeführerin und Rechtsbeschwerdeführerin,
3.
Beschwerdeführer und Rechtsbeschwerdeführer,
hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
17. Juni 2020 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht Gräfl, die
Richter am Bundesarbeitsgericht Klose und Waskow sowie die ehrenamtliche
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7 ABR 46/18
ECLI:DE:BAG:2020:170620.B.7ABR46.18.0
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Richterin Holzhausen und den ehrenamtlichen Richter Dr. Merten für Recht
erkannt:
Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 2. und des Be-
triebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts
Hamm vom 9. November 2018 - 13 TaBV 82/17 - werden
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten darüber, ob zwischen der antragstellenden Arbeit-
geberin und der Beteiligten zu 2. nach § 78a Abs. 2 BetrVG ein Arbeitsverhältnis
zustande gekommen ist und ggf. über dessen Auflösung.
Die Beteiligte zu 2. absolvierte seit dem 1. August 2013 ein duales Stu-
dium der Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Münster in Kooperation mit
der Akademie der Wirtschaft der IHK W (vormals: W Verwaltungs- und Wirt-
schaftsakademie), das in drei Abschnitte gegliedert ist. Der erste Ausbildungsab-
schnitt umfasst drei Semester und endet mit der Prüfung zur Industriekauffrau
vor der zuständigen Industrie- und Handelskammer. Die Prüfung in diesem Aus-
bildungsberuf gilt als Zwischenprüfung im Rahmen der Ausbildung zum Betriebs-
wirt VWA. Der zweite Ausbildungsabschnitt umfasst ebenfalls drei Semester. Er
endet mit der Abschlussprüfung zum Betriebswirt VWA an der W Verwaltungs-
und Wirtschaftsakademie, Studienzweig Betriebswirtschaft. Der dritte Ausbil-
dungsabschnitt umfasst ein Semester und endet mit dem Hochschulabschluss
Bachelor of Arts der Fachhochschule Münster.
Am 10./14. Juli 2013 schlossen die Beteiligte zu 2. und die Rechtsvor-
gängerin der Arbeitgeberin, die H GmbH & Co. KG (später: H SE & Co. KG),
einen „Studienvertrag“ über die „Berufsintegrierende Ausbildung zum Bachelor
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of Arts/Betriebswirt VWA Studiengang Betriebswirtschaft“. Darin heißt es aus-
zugsweise:
„Vorbemerkung
Der Studierende absolviert in der Zeit vom 01.08.2013 bis
voraussichtlich zum 31.01.2015 eine Berufsausbildung als
Industriekauffrau. Über die Ausbildung zur Industriekauf-
frau wird ein Berufsausbildungsvertrag geschlossen, der
als Anlage beigefügt ist und Bestandteil dieses Vertrags ist.
Der Studierende absolviert parallel ab dem Wintersemester
2013/2014 und über die Berufsausbildung zur Industrie-
kauffrau hinaus ein Studium an der W Verwaltungs- und
Wirtschaftsakademie im Studienzweig Betriebswirtschaft
mit den Abschlüssen Betriebswirt VWA und Bachelor of
Arts Betriebswirtschaft.
...
Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Durchführung
des Studiums auf eigenen Wunsch des Studierenden im In-
teresse seiner beruflichen Fort- und Weiterbildung erfolgt.
Der Arbeitgeber beabsichtigt im Interesse der Nachwuchs-
förderung und in der Absicht einer angestrebten langfristi-
gen Zusammenarbeit, das Studium des Studierenden auf
der Grundlage der nachfolgenden vertraglichen Bestim-
mungen zu unterstützen.
§ 1
Vertragsdauer/Betriebsärztliche Untersuchung
1.
Dieser Vertrag beginnt am 01.08.2013 und endet au-
tomatisch, ohne dass es einer Kündigung bedarf,
-
mit dem Ablauf des Monats, in dem der Studie-
rende die Bachelorprüfung bestanden hat,
§ 2
Tätigkeit/Ausbildungsgang/Arbeitszeit/Dienstreisen/
Überstunden/Mehrarbeit
1.
Der Studierende wird bei dem Arbeitgeber angestellt,
um ihm ein duales Studium zum Betriebswirt VWA
und Bachelor of Arts Betriebswirtschaft zu ermögli-
chen.
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2.
Der Auszubildende nimmt während der Ausbildungs-
zeit an den Lehrveranstaltungen der W Verwaltungs-
und Wirtschaftsakademie, Studienzweig Betriebswirt-
schaft, in M sowie den sonstigen im Zusammenhang
mit dem Ausbildungsgang erforderlichen Veranstal-
tungen teil. Er hat während des ersten Ausbildungs-
jahres das Berufskolleg zu besuchen. Die Teilnahme
am Unterricht des Berufskollegs in M ist Bestandteil
der Ausbildung.
3.
Der Ausbildungsgang umfasst neben der pflichtgemä-
ßen Absolvierung des Studiums
a.
die Durchführung der Praxiszeiten sowie der Se-
mester- und Projektarbeiten bei der Firma H
GmbH & Co. KG oder nach Absprache bei einem
fremden Unternehmen sowie
b.
die Durchführung der Bachelorarbeit bei der
Firma H GmbH & Co. KG.
4.
Die Arbeitswoche geht von montags bis freitags. Die
regelmäßige tägliche Arbeitszeit beträgt 8,00 Stun-
den. Der Arbeitgeber stellt den Studierenden für den
Berufsschulunterricht während der Ausbildung frei.
Darüber hinaus stellt der Arbeitgeber den Studieren-
den von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeits-
leistung frei, soweit dies zur Teilnahme an Studienver-
anstaltungen erforderlich ist.
§ 4
Pflichten des Studierenden
Der Studierende verpflichtet sich:
1.
den Ausbildungs-/Studienverlaufsplan einzuhalten
und die Ausbildung gewissenhaft zu betreiben,
2.
an den Lehrveranstaltungen und Prüfungen sowie an
sonstigen Studienmaßnahmen regelmäßig teilzuneh-
men,
3.
die übertragenen Arbeiten sorgfältig und gewissenhaft
auszuführen sowie die gegebenen Weisungen zu be-
folgen.
…“
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Für die Ausbildung zur Industriekauffrau schlossen die Beteiligte zu 2.
und die H GmbH & Co. KG (später: H SE & Co. KG) einen gesonderten Berufs-
ausbildungsvertrag für die Zeit vom 1. August 2013 bis zum 31. Januar 2015.
In der
„Prüfungsordnung für den Bachelor of Arts der Fachhochschule
Münster in dem dualen Bachelorstudiengang Betriebswirtschaft
“ vom 20. Sep-
tember 2005 heißt es auszugsweise:
„Aufgrund des § 2 Absatz 4 und des § 94 Absatz 1 des Ge-
setzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-West-
falen (Hochschulgesetz - HG NRW) vom 14. März 2000
(GV. NRW. S. 190), zuletzt geändert durch Gesetz vom
30. November 2004 (GV. NRW S. 752), hat der Fachbe-
reich Wirtschaft der Fachhochschule Münster folgende Prü-
fungsordnung erlassen:
I. Allgemeines
§ 1
Geltungsbereich der Prüfungsordnung
Diese Prüfungsordnung regelt gemäß § 94 Absatz 2 HG
NRW die Prüfung zum Bachelor of Arts in dem Studiengang
Betriebswirtschaft, auf den die Verwaltungs- und Wirt-
schaftsakademie Münster e.V. entsprechend dem Koope-
rationsvertrag zwischen der Westfälischen Verwaltungs-
und Wirtschaftsakademie e.V. und der Fachhochschule
Münster vom 16.12.2004 vorbereitet hat.
§ 2
Ziel des Studiums, Zweck der Prüfung, Bachelorgrad
(2) Das zur Bachelorprüfung führende Studium soll unter
Beachtung der allgemeinen Studienziele (§ 81 HG
NRW) auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkennt-
nisse und Methoden sowohl theoretische als auch an-
wendungsbezogene Inhalte des Studienfachs vermit-
teln und dazu befähigen, Vorgänge und Probleme aus
dem Berufsfeld der Betriebswirtschaft zu analysieren,
praxisgerechte Lösungen zu erarbeiten und dabei
auch außerfachliche Bezüge zu beachten.
(3) Durch die Bachelorprüfung soll festgestellt werden, ob
der Prüfling die für eine selbstständige Tätigkeit im
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Beruf notwendigen gründlichen Fachkenntnisse er-
worben hat und befähigt ist, auf der Grundlage wis-
senschaftlicher Erkenntnisse und Methoden selbst-
ständig zu arbeiten.
II. Modulprüfungen
§ 12
Abzulegende Modulprüfungen
(1) Während des Studiums sind studienbegleitend insge-
samt 25 Modulprüfungen in den in Anlage 1 genann-
ten Pflichtmodulen und 2 in den in der Anlage 2 auf-
geführten Wahlpflichtmodulen abzulegen.
§ 13
Ziel, Umfang und Form der Modulprüfungen
(1) In den studienbegleitend abzulegenden Modulprüfun-
gen soll festgestellt werden, ob der Prüfling Inhalt und
Methoden der Prüfungsgebiete in den wesentlichen
Zusammenhängen beherrscht und die erworbenen
Kenntnisse und Fähigkeiten selbstständig anwenden
kann.
(2) Die Prüfungsanforderungen sind an dem Inhalt der
Lehrveranstaltungen bzw. der Praxiskomponenten zu
orientieren, die für das betreffende Prüfungsgebiet
vorgesehen sind.
(4)
Die Modulprüfung ‚Praxistransfer II‘ umfasst einen Be-
richt über ein Praxisprojekt aus einem Schwerpunkt-
bereich des Ausbildungsbetriebes und eine Präsenta-
tion der Ergebnisse. Mit dieser Prüfung soll der Prüf-
ling zeigen, dass er theoretisches Wissen auf eine
praktische Problemstellung anwenden kann. Dem Be-
richt ist eine Bewertung durch den Ausbildungsleiter
des Ausbildungsbetriebs beizufügen.
…“
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Den ersten Ausbildungsabschnitt schloss die Beteiligte zu 2. mit der Prü-
fung zur Industriekauffrau am 22. Januar 2015 ab. Den zweiten Ausbildungsab-
schnitt beendete sie nach einer Studiendauer von insgesamt sechs Semestern
und der Diplomprüfung am 18. Januar 2017 mit dem A
bschluss „Betriebswirtin
VWA“. Am 6. März 2017 wurde der Beteiligten zu 2. durch die Fachhochschule
Münster der Hochschulabschluss „Bachelor of Arts“ verliehen. Am 21. März 2017
teilten die IHK W und die Fachhochschule Münster der Beteiligten zu 2. mit, sie
habe das duale Studium zum
„Bachelor of Arts“ mit Bekanntgabe der letzten Note
der Klausur des 7. Semesters am 21. März 2017 erfolgreich beendet.
Die Beteiligte zu 2. war seit dem 25. Mai 2016 Mitglied des für die Stand-
orte M und N gebildeten, zu 3. beteiligten Betriebsrats. Zuvor war sie Mitglied der
Jugend- und Auszubildendenvertretung.
Mit Schreiben vom 5. Oktober 2016 teilte die H SE & Co. KG der Betei-
ligten zu 2. mit, dass sie nach dem Abschluss des Studiums nicht in ein Arbeits-
verhältnis auf unbestimmte Dauer übernommen werde, da § 78a BetrVG nicht
anwendbar sei. Mit Schreiben vom 3. Januar 2017 beantragte die Beteiligte zu 2.
erfolglos, sie nach erfolgreichem Abschluss des dualen Studiums in ihrem erlern-
ten Beruf weiter zu beschäftigen, hilfsweise erklärte sie sich bereit, auch ein an-
deres zumutbares Arbeitsplatzangebot anzunehmen.
Mit ihrer am 8. Februar 2017 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen An-
tragsschrift hat die H SE & Co. KG die Feststellung begehrt, dass zwischen ihr
und der Beteiligten zu 2. nach dem Ende des Studienvertrags am 31. März 2017
kein Arbeitsverhältnis entstehe. Hilfsweise hat sie die Auflösung eines etwaig ent-
standenen Arbeitsverhältnisses begehrt.
Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens wurde der Geschäftsbetrieb der H
SE & Co. KG zum 1. Dezember 2017 im Wege eines Betriebsübergangs auf die
H Holding SE übertragen, die am gleichen Tag in H SE umfirmierte. Daraufhin
änderte das Landesarbeitsgericht das Rubrum der antragstellenden Arbeitgebe-
rin
in „H SE“.
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Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, zwischen ihr bzw. ihrer
Rechtsvorgängerin und der Beteiligten zu 2. sei auf der Grundlage von § 78a
Abs. 2 BetrVG kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Das duale Studium
der Beteiligten zu 2. stelle kein Berufsausbildungsverhältnis iSv. § 78a BetrVG
dar, weil die Ausbildung auf den Erwerb des Hochschulgrades Bachelor of Arts
gerichtet sei. Es handele sich um eine Berufsbildung, die in einem berufsqualifi-
zierenden Studiengang an einer Hochschule iSv. § 3 Abs. 2 Nr. 1 BBiG durchge-
führt werde, auf die das Berufsbildungsgesetz und damit auch § 78a BetrVG
keine Anwendung finde. Jedenfalls sei ein etwaig zustande gekommenes Ar-
beitsverhältnis nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG aufzulösen, weil kein freier
Arbeitsplatz für die Beteiligte zu 2. vorhanden und ihr - der Arbeitgeberin - die
Weiterbeschäftigung unzumutbar sei.
Die Arbeitgeberin hat zuletzt beantragt,
1.
festzustellen, dass zwischen ihr und der Beteiligten
zu 2. nach Ende des Studienvertrags vom 10./14. Juli
2013 mit Ablauf des 31. März 2017 kein Arbeitsver-
hältnis begründet worden ist;
hilfsweise festzustellen, dass zwischen ihr und der
Beteiligten zu 2. nach Abschluss des dualen Studien-
gangs Betriebswirtschaft mit der Verleihung des
Hochschulgrades Bachelor of Arts gemäß der Ur-
kunde der Fachhochschule Münster vom 6. März
2017 kein Arbeitsverhältnis begründet worden ist;
äußerst hilfsweise festzustellen, dass zwischen ihr
und der Beteiligten zu 2. nach Beendigung des Studi-
ums zum Bachelor of Arts mit Bekanntgabe der letz-
ten Note der Klausur des 7. Semesters am 21. März
2017 kein Arbeitsverhältnis begründet worden ist;
2.
für den Fall der Abweisung der Anträge zu 1. das zwi-
schen ihr und der Beteiligten zu 2. begründete Ar-
beitsverhältnis aufzulösen.
Die Beteiligte zu 2. und der Betriebsrat haben beantragt, die Anträge ab-
zuweisen. Sie haben die Auffassung vertreten, zwischen der Beteiligten zu 2. und
der Arbeitgeberin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin sei nach § 78a Abs. 2 BetrVG
mit Beendigung des Studienvertrags ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen.
Die Beteiligte zu 2. sei Auszubildende iSv. § 78a BetrVG gewesen. Die ersten
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beiden Ausbildungsabschnitte zur Industriekauffrau und Betriebswirtin seien Be-
rufsausbildungen iSd. BBiG. Der
dritte Abschluss „Bachelor of Arts“ sei lediglich
ein Annex zur Ausbildung gewesen. Jedenfalls handele es sich bei dem Studien-
vertrag um ein anderes Vertragsverhältnis iSv. § 26 BBiG, da es auf den Erwerb
beruflicher Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen gerichtet sei.
Als solches stelle es ein Berufsausbildungsverhältnis iSv. § 78a BetrVG dar.
§ 78a BetrVG sei zumindest entsprechend anwendbar. Sinn und Zweck der Norm
erforderten, dass auch Auszubildenden in einem dualen Studiengang der Schutz
der Vorschrift gewährt werde. Die Nichtübernahme in ein Arbeitsverhältnis durch
die Arbeitgeberin beruhe im Streitfall allein auf dem vorherigen Engagement der
Beteiligten zu 2. in betriebsverfassungsrechtlichen Vertretungsorganen.
Das Arbeitsgericht hat entsprechend dem erstinstanzlich gestellten An-
trag festgestellt, dass zwischen der Antragstellerin und der Beteiligten zu 2. we-
der nach Ablauf des dualen Studiums noch nach dem Ende des Studienvertrags
vom 10./14. Juli 2013 ein Arbeitsverhältnis begründet worden ist. Das Landesar-
beitsgericht hat die Beschwerden der Beteiligten zu 2. und des Betriebsrats zu-
rückgewiesen; dabei hat es den Tenor der Entscheidung entsprechend dem
zweitinstanzlich umformulierten Hauptantrag neu gefasst und festgestellt, dass
zwischen der Arbeitgeberin und der Beteiligten zu 2. nach dem Ende des Studi-
envertrags vom 10./14. Juli 2013 mit Ablauf des 31. März 2017 kein Arbeitsver-
hältnis begründet worden ist. Mit ihren Rechtsbeschwerden verfolgen die Betei-
ligte zu 2. und der Betriebsrat ihre Abweisungsanträge weiter. Die Arbeitgeberin
beantragt, die Rechtsbeschwerden zurückzuweisen.
B.
Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 2. und des Betriebsrats sind
unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat auf den Hauptantrag der Arbeitgebe-
rin zu Recht festgestellt, dass zwischen dieser - bzw. ihrer Rechtsvorgängerin -
und der Beteiligten zu 2. im Anschluss an die Beendigung des Studienvertrags
mit Ablauf des 31. März 2017 kein Arbeitsverhältnis nach § 78a Abs. 2 BetrVG
entstanden ist.
I.
Es kann dahinstehen, ob das Beschlussverfahren für den Hauptantrag
die zutreffende Verfahrensart ist
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oder ob der Antrag richtigerweise im Urteilsverfahren hätte geltend ge-
macht werden müssen
. Nach § 93 Abs. 2, § 65 ArbGG prüft das Rechtsbe-
schwerdegericht nicht, ob die Verfahrensart zulässig ist.
II.
Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht n
eben der „H SE“ als der nun-
mehr antragstellenden Arbeitgeberin, der Beteiligten zu 2. und dem schon wegen
des hilfsweise gestellten Auflösungsantrags nach § 78a Abs. 4 Satz 2
BetrVG zu 3. beteiligten Betriebsrat keine weiteren Personen oder Stellen nach
§ 83 Abs. 3 ArbGG
am Verfahren beteiligt. Die ehemalige Arbeitgeberin „H SE &
Co. KG“ ist nicht mehr Beteiligte des Verfahrens. Die „H SE“ ist aufgrund des
nach der Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens erfolgten Übergangs
des Betriebs iSv. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf sie in die betriebsverfassungs-
rechtliche
Rechtsstellung der vormaligen Antragstellerin, der „H SE & Co. KG“,
eingetreten
.
III.
Der Hauptantrag der Arbeitgeberin ist zulässig und begründet.
1.
Der Hauptantrag ist als negativer Feststellungsantrag zulässig.
a)
Das mit dem Hauptantrag verfolgte Begehren der Arbeitgeberin ist auf
die Feststellung gerichtet, dass zwischen ihrer Rechtsvorgängerin und der Betei-
ligten zu 2. mit Ablauf des 31. März 2017 auf der Grundlage von § 78a Abs. 2
BetrVG kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist und infolgedessen ein sol-
ches Arbeitsverhältnis auch nicht nach § 613a BGB auf sie übergegangen ist.
Dieser Antrag ist nicht an die Einhaltung der zweiwöchigen Antragsfrist des § 78a
Abs. 4 Satz 1 BetrVG gebunden. Es geht - anders als im Rahmen des hilfsweise
gestellten Auflösungsantrags - nicht darum, ob der Arbeitgeberin die Weiterbe-
schäftigung nach § 78a Abs. 4 BetrVG unzumutbar ist. Deshalb handelt es sich
auch nicht um einen Feststellungsantrag nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG,
der ebenfalls lediglich die Frage der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung
zum Gegenstand hat
.
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b)
Mit diesem Inhalt ist der Hauptantrag hinreichend bestimmt iSv. § 253
Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Antrag erfüllt auch die Anforderungen des § 256 Abs. 1
ZPO. Der Streit über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses betrifft ein Rechts-
verhältnis. Das für den Feststellungsantrag nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche
Feststellungsinteresse ist gegeben, da zwischen den Beteiligten streitig ist, ob
zwischen der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin und der Beteiligten zu 2. mit
Ablauf des 31. März 2017 nach § 78a Abs. 2 BetrVG ein Arbeitsverhältnis ent-
standen ist, das mit der Arbeitgeberin fortbesteht.
2.
Der Hauptantrag ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend
angenommen, dass zwischen der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin und der
Beteiligten zu 2. nach dem Ende des Studienvertrags vom 10./14. Juli 2013 mit
Ablauf des 31. März 2017 kein Arbeitsverhältnis entstanden ist, das nach § 613a
BGB auf die Arbeitgeberin übergehen konnte.
a)
Nach § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG gilt zwischen einem Auszubildenden,
der Mitglied des Betriebsrats oder eines der anderen dort genannten Betriebs-
verfassungsorgane ist, und dem Arbeitgeber im Anschluss an das Berufsausbil-
dungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit als begründet, wenn
der Auszubildende in den letzten drei Monaten vor der Beendigung des Berufs-
ausbildungsverhältnisses vom Arbeitgeber schriftlich die Weiterbeschäftigung
verlangt.
b)
Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass diese Vo-
raussetzungen nicht erfüllt sind. Die Beteiligte zu 2. war zwar Mitglied des Be-
triebsrats. Der Studienvertrag der Beteiligten zu 2. endete auch nach § 1 Nr. 1
dieses Vertrags mit Ablauf des Monats März 2017, in dem die Beteiligte zu 2. die
Bachelorprüfung bestanden hatte. Sie hatte auch mit Schreiben vom 3. Januar
2017 und damit innerhalb von drei Monaten vor dem 31. März 2017 frist- und
formgerecht ihre Weiterbeschäftigung verlangt. Bei dem mit Abschluss des dua-
len Studiums durch den Erwerb des Hochschulabschlusses Bachelor of Arts zum
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31. März 2017 endenden Rechtsverhältnis der Beteiligten zu 2. und der Rechts-
vorgängerin der Arbeitgeberin handelte es sich jedoch nicht um ein Berufsausbil-
dungsverhältnis iSv. § 78a Abs. 2 BetrVG.
aa)
Der Begriff des Auszubildenden ist in § 78a BetrVG nicht ausdrücklich
definiert. Die Vorschrift orientiert sich nach ständiger Rechtsprechung des Bun-
desarbeitsgerichts an den Begriffsbestimmungen des BBiG
. Sie verwendet nicht die in § 5
Abs. 1 BetrVG zur Bestimmung des betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitneh-
merbegriffs enthaltene Formulierung „der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftig-
ten“. Deshalb folgt aus dem durch diese Vorschrift vermittelten aktiven und pas-
siven Wahlrecht eines zur Ausbildung Beschäftigten iSd. § 5 Abs. 1 BetrVG nicht
ohne weiteres der Schutz des § 78a BetrVG. Vielmehr muss eine Ausbildung iSd.
BBiG vorliegen
.
Die Orientierung an den Bestimmungen des BBiG hat allerdings nicht zur Folge,
dass § 78a BetrVG nur auf die Berufsausbildung in staatlich anerkannten Ausbil-
dungsberufen iSv. § 1 Abs. 2, § 4 BBiG Anwendung findet; sie ist vielmehr nach
der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch auf andere Vertragsver-
hältnisse iSv. § 26 BBiG anzuwenden, die kein Arbeitsverhältnis sind, soweit
diese aufgrund Tarifvertrags oder vertraglicher Vereinbarung eine geordnete
Ausbildung von mindestens zwei Jahren vorsehen
.
bb)
Danach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, zum Zeitpunkt der
Beendigung des Studienvertrags der Beteiligten zu 2. mit Ablauf des 31. März
2017 habe kein Berufsausbildungsverhältnis iSv. § 78a BetrVG zwischen dieser
und der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin bestanden, rechtsbeschwerde-
rechtlich nicht zu beanstanden.
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(1)
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass es für die Frage,
ob zwischen der Beteiligten zu 2. und der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin
mit Ablauf des 31. März 2017 nach § 78a Abs. 2 BetrVG ein Arbeitsverhältnis
begründet wurde, darauf ankommt, ob bei Abschluss des zu diesem Zeitpunkt
endenden letzten Ausbildungsabschnitts ein Berufsausbildungsverhältnis iSv.
§ 78a Abs. 2 BetrVG bestanden hat. Ob im Rahmen des dualen Studiums vorhe-
rige Ausbildungsabschnitte Berufsausbildungsverhältnisse nach § 78a BetrVG
darstellten, ist unerheblich.
(a)
Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 78a Abs. 2 Satz 1
BetrVG. Danach entsteht nach dem form- und fristgerechten Weiterbeschäfti-
gungsverlangen des Auszubildenden
„im Anschluss an das Berufsausbildungs-
verhältnis“ ein Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis schließt sich daher an das
beendete Ausbildungsverhältnis an. Deshalb muss unmittelbar vor der Begrün-
dung des Arbeitsverhältnisses ein Berufsausbildungsverhältnis bestanden ha-
ben. Zudem soll nach § 78a Abs. 2 BetrVG ein unbefristetes Vollzeitarbeitsver-
hältnis im Ausbildungsberuf zustande kommen
. Der Auszubildende
soll also zu den Bedingungen beschäftigt werden, die der zuletzt vor der Begrün-
dung des Arbeitsverhältnisses absolvierten Ausbildung entsprechen. Ein Arbeits-
verhältnis kann daher nach § 78a Abs. 2 BetrVG nicht dadurch entstehen, dass
zu einem früheren Zeitpunkt ein Ausbildungsverhältnis iSv. § 78a BetrVG bestan-
den und geendet hat, zu dem aber die Weiterbeschäftigung nicht verlangt wurde.
Dem steht bereits entgegen, dass der Inhalt des kraft Gesetzes entstehenden
Arbeitsverhältnisses, das eine Tätigkeit im Ausbildungsberuf zum Gegenstand
hat, maßgeblich von der zum Zeitpunkt der verlangten Weiterbeschäftigung be-
endeten Ausbildung abhängt.
(b)
Verlangt ein in einem sog. ausbildungsintegrierten dualen Studiengang
studierender Mandatsträger von dem Unternehmen, bei dem er die für den Stu-
diengang notwendigen Praxiszeiten durchführt, seine Weiterbeschäftigung nach
§ 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG zum Abschluss des dualen Studiums, kann ein Ar-
beitsverhältnis kraft Gesetzes daher nur entstehen, wenn das mit dem letzten
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Ausbildungsabschnitt endende Rechtsverhältnis ein Ausbildungsverhältnis iSv.
§ 78a BetrVG ist. Soweit zunächst auf der Grundlage eines gesonderten Berufs-
ausbildungsvertrags eine anerkannte Berufsausbildung iSd. BBiG absolviert
wird, kann dahinstehen, ob zum Ende dieses ersten Ausbildungsabschnitts die
Weiterbeschäftigung nach § 78a Abs. 2 BetrVG verlangt werden kann. Ein Ar-
beitsverhältnis könnte auf der Grundlage von § 78a Abs. 2 BetrVG allenfalls dann
entstehen, wenn die Weiterbeschäftigung innerhalb von drei Monaten vor Ab-
schluss dieses Ausbildungsabschnitts im Anschluss an die Beendigung der iSv.
§ 1 Abs. 3, § 4 BBiG staatlich anerkannten Berufsausbildung verlangt wurde.
(c)
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden ist ein ausbildungsin-
tegrierter dualer Studiengang nicht deshalb insgesamt als Berufsausbildung iSv.
§ 78a BetrVG anzusehen, weil er zu Beginn des Studiums einen oder mehrere
Ausbildungsabschnitte vorsieht, die als Berufsausbildung iSd. BBiG angesehen
werden können mit der Folge, dass die Weiterbeschäftigung erst im Anschluss
an den letzten Ausbildungsabschnitt verlangt werden könnte unabhängig davon,
ob dieser eine Ausbildung iSd. BBiG zum Gegenstand hat. Das wäre weder mit
dem Wortlaut noch mit der Systematik des § 78a Abs. 2 BetrVG zu vereinbaren,
der die Entstehung eines ausbildungsadäquaten Arbeitsverhältnisses in dem
Ausbildungsberuf vorsieht, zu dessen Ausübung die unmittelbar vor der Begrün-
dung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossene Ausbildung qualifiziert. Denn
dadurch entstünde kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis mit einem anderen Tätig-
keitsinhalt als demjenigen, der in dem Ausbildungsverhältnis erlernt wurde.
(d)
Danach ist vorliegend entscheidend, ob die Beteiligte zu 2. bei Beendi-
gung des letzten Ausbildungsabschnitts ihres dualen Studiums im März 2017 in
einem Berufsausbildungsverhältnis iSv. § 78a BetrVG stand. Die Beteiligte zu 2.
hat ihre Weiterbeschäftigung mit Schreiben vom 3. Januar 2017 in ihrem erlern-
ten Beruf im Hinblick auf die erfolgreiche Beendigung des dualen Studiums ins-
gesamt und damit durch das Erreichen des Studienabschlusses
„Bachelor of
Arts
“ im dritten und letzten Ausbildungsabschnitt geltend gemacht. Ohne Erfolg
macht der Beteiligte zu 3. daher mit der Rechtsbeschwerde geltend, das Weiter-
beschäftigungsverlangen erfasse auch den Abschluss zum Betriebswirt VWA, da
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es innerhalb von drei Monaten vor Abschluss auch dieses Ausbildungsabschnitts
angebracht wurde. Die Beteiligte zu 2. hat ihre Weiterbeschäftigung gerade nicht
im Anschluss an den Abschluss eines Teilabschnitts ihres dualen Studiums, son-
dern nach Bestehen der Abschlussprüfung im Anschluss an dessen Beendigung
verlangt.
(2)
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beteiligte
zu 2. am Ende ihres dualen Studiums und zum Zeitpunkt der Beendigung des
Studienvertrags am 31. März 2017 nicht in einem Berufsausbildungsverhältnis
iSv. § 78a BetrVG stand. Sie war zu diesem Zeitpunkt nicht Auszubildende in
einem anerkannten Ausbildungsberuf nach § 1 Abs. 3, § 4 BBiG. Die im ersten
Abschnitt des dualen Studiums absolvierte Berufsausbildung zur Industriekauf-
frau, über die ein gesonderter Berufsausbildungsvertrag geschlossen worden
war, war bereits seit Januar 2015 beendet. Die Beteiligte zu 2. befand sich zuletzt
auch nicht in einem anderen Vertragsverhältnis iSv. § 26 BBiG. Der bei der
Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin im Rahmen des Studienvertrags zuletzt ab-
solvierte praktische Teil ihrer Ausbildung stellte vielmehr Berufsbildung iSv. § 3
Abs. 2 Nr. 1 BBiG dar, auf die das BBiG und damit auch § 78a BetrVG keine
Anwendung findet.
(a)
Das BBiG ist nicht anwendbar, wenn die praktische Tätigkeit Teil eines
Studiums ist. In diesem Fall treten die für das Studium geltenden Regeln an die
Stelle des BBiG
. Das folgt
ausdrücklich aus der mit der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes
am 1. April 2005 in Kraft getretenen Regelung in § 3 Abs. 2 Nr. 1 BBiG
und entsprach bereits zuvor der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeits-
gerichts
. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 BBiG gilt das BBiG nicht für die Berufs-
bildung, die in berufsqualifizierenden oder vergleichbaren Studiengängen an
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Hochschulen auf der Grundlage ua. der Hochschulgesetze der Länder durchge-
führt wird. Daher liegt ein Berufsausbildungsverhältnis iSd. BBiG - und damit
auch iSv. § 78a BetrVG - nicht vor, wenn und soweit die betreffende Ausbildung
Bestandteil einer Universitäts- oder sonstigen Hochschul- oder Fachhochschul-
ausbildung ist. Auf duale Studiengänge, in denen Hochschule und Betrieb aufei-
nander bezogene Ausbildungen vornehmen, ist das BBiG mithin unanwendbar in
Praxisphasen eines „kooperativen Studiums“ für die vereinbarte betriebliche Tä-
tigkeit während der vorlesungsfreien Zeit
.
(b)
Danach unterfallen die im letzten Ausbildungsabschnitt zur Erlangung
des Hochschulabschlusses Bachelor of Arts von der Beteiligten zu 2. bei der
Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin absolvierten Praxisphasen nach § 3 Abs. 2
Nr. 1 BBiG nicht dem BBiG.
(aa)
Diese Praxisphasen waren nach den Feststellungen des Landesarbeits-
gerichts Teil eines Studiums und stellen damit auch kein Berufsausbildungsver-
hältnis iSv. § 78a BetrVG dar. Die Anstellung bei der Rechtsvorgängerin der Ar-
beitgeberin erfolgte nach § 2 Nr. 1 des Studienvertrags, um der Beteiligten zu 2.
das duale Studium zu ermöglichen. Nach § 2 Nr. 3 des Studienvertrags umfasst
der Ausbildungsgang neben der pflichtgemäßen Absolvierung des Studiums die
Durchführung der Praxiszeiten, der Semester- und Projektarbeiten und der Ba-
chelorarbeit bei der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin. Diese Praxiszeiten,
Semester- und Projektarbeiten waren Teil des von der Beteiligten zu 2. absolvier-
ten dualen Studiengangs Betriebswirtschaft mit dem Hochschulabschluss Ba-
chelor of Arts an der Fachhochschule Münster. Die Fachhochschule Münster ist
nach § 1 Abs. 2 Unterabs. 2 Nr. 15 des Gesetzes über die Hochschulen des Lan-
des Nordrhein-Westfalen vom 16. September 2014 (HG NW) eine staatliche
Hochschule.
Da die Praxisphasen Teil eines Studiums an einer staatlichen Hoch-
schule waren, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob diese in der Prüfungs-
ordnung der Hochschule in ihren Einzelheiten geregelt sind. Zwar hat der Dritte
Senat des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 18. November 2008
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angenommen,
es sei erforderlich, dass die Praxis-
phase des Studiums in der Prüfungsordnung der Hochschule geregelt ist, weil
das BBiG nur dann nicht anwendbar sei, wenn auch der praktische Teil der Aus-
bildung durch staatliche Entscheidung anerkannt sei. Diese besondere Anforde-
rung hatte der Dritte Senat allerdings nur für eine staatlich anerkannte private
Hochschule aufgestellt, was darauf beruhte, dass für diese nach § 73 Abs. 3 des
Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung
vom 30. November 2004 (HG NW 2004) die Prüfungsordnungen staatlicherseits
dahingehend zu überprüfen waren, ob die Prüfungsanforderungen denen an
staatlichen Hochschulen entsprechen
. Sie kann daher nicht auf Praxisphasen erstreckt werden, die
- wie vorliegend - im Rahmen eines Studiengangs an einer staatlichen Hoch-
schule zu absolvieren sind.
Im Übrigen war die hier maßgebliche Prüfungsordnung vom Fachbereich
Wirtschaft der Fachhochschule Münster aufgrund von § 2 Abs. 4 und § 94 Abs. 1
HG NW 2004 am 20. September 2005 erlassen worden
„für den Bachelor of Arts
in dem dualen Bachelorstudien
gang Betriebswirtschaft“. Die Bezeichnung des
Studiengangs in der Prüfungsordnung als „dualen“, bei dem die Theorie in der
Hochschule und die Praxis im Unternehmen vermittelt wird, macht deutlich, dass
die Prüfungsordnung in Anerkennung der im Partnerunternehmen zu absolvie-
renden Praxisphasen erlassen wurde und die Praxisphasen Teil des Studien-
gangs sind. § 13 Abs. 4 der Prüfungsordnung erwähnt im Zusammenhang mit
der
Modulprüfung „Praxistransfer II“ den Ausbildungsbetrieb. Danach erkennt
vorliegend auch die Prüfungsordnung an, dass die im Ausbildungsbetrieb zu ab-
solvierenden Praxisphasen Teil des Studiums sind.
(bb)
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden musste das Landes-
arbeitsgericht deshalb nicht weiter prüfen, ob die Beteiligte zu 2. zuletzt in einem
anderen Vertragsverhältnis iSv. § 26 BBiG stand, das eine geordnete Ausbildung
von mindestens zwei Jahren vorsah. Die in der letzten Phase ihres Studiums von
der Beteiligten zu 2. bei der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin wahrgenom-
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mene Ausbildung unterfiel nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nicht dem BBiG. Eine sol-
che Ausbildung kann auch kein anderes Vertragsverhältnis iSv. § 26 BBiG sein,
weil das BBiG im Hochschulbereich insgesamt keine Anwendung findet
.
cc)
Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2. und des Betriebsrats ist
§ 78a BetrVG auf Praxisphasen, die Studierende als Teil eines dualen Studien-
gangs an einer staatlichen Hochschule in einem Partnerunternehmen absolvie-
ren, auch nicht entsprechend anwendbar. Die Voraussetzungen für eine entspre-
chende Anwendung der Vorschrift liegen nicht vor. Das hat das Landesarbeits-
gericht zutreffend angenommen.
(1)
Analoge Gesetzesanwendung setzt das Bestehen einer unbewussten
Regelungslücke voraus. Hat sich der Gesetzgeber bewusst für die Regelung
oder Nichtregelung eines bestimmten Sachverhalts entschieden, sind die Ge-
richte nicht befugt, sich über die gesetzgeberische Entscheidung durch eine Aus-
legung der Vorschrift hinwegzusetzen
. Eine un-
bewusste Regelungslücke kann durch die analoge Anwendung einer Vorschrift
geschlossen werden, wenn der gesetzessprachlich nicht erfasste, dh. gesetzlich
ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von
Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt, wie die geset-
zessprachlich erfassten Fälle
.
(2)
Nach diesen Grundsätzen kommt die entsprechende Anwendung von
§ 78a BetrVG auf Absolventen praktischer Studienphasen im Rahmen dualer
Studiengänge nicht in Betracht.
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(a)
Es stellt bereits keine planwidrige Regelungslücke dar, dass Studie-
rende, die im Rahmen dualer Studiengänge studienbegleitende praktische Pha-
sen in Unternehmen absolvieren und daher nicht unter den Anwendungsbereich
des BBiG fallen, nicht von § 78a BetrVG erfasst sind.
(aa)
Der Wortlaut des § 78a BetrVG, der die Begriffe
„Auszubildender“ und
„Berufsausbildungsverhältnis“ verwendet, lässt darauf schließen, dass die Rege-
lung an den Begriffsbestimmungen des BBiG orientiert ist
. Auch aus den Gesetzesmaterialien zur Ein-
führung von § 78a in das BetrVG durch das Gesetz zum Schutze in Ausbildung
befindlicher Mitglieder von Betriebsverfassungsorganen vom 18. Januar 1974
ergibt sich, dass der Gesetzgeber ausschließlich Ausbildungsver-
hältnisse im Blick hatte, die unter den Anwendungsbereich des BBiG fallen. Die
Begründung zum Gesetzentwurf verweist ausdrücklich auf den Umstand, dass
das Ausbildungsverhältnis
„nach den Vorschriften des Berufsausbildungsgeset-
zes
“ auf die Dauer der Ausbildungszeit befristet ist
. Im
Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 3. Dezember 1973
ist ausgeführt, dass § 78a Abs. 2 BetrVG - abgesehen vom
Erfordernis des Weiterbeschäftigungsverlangens - an § 17 BBiG (aF) angelehnt
ist, wonach bei stillschweigender Weiterbeschäftigung im Anschluss an ein Aus-
bildungsverhältnis ebenfalls ein Arbeitsverhältnis begründet wurde. Daraus kann
allenfalls auf eine Erstreckung des persönlichen Anwendungsbereichs des § 78a
BetrVG auf andere Vertragsverhältnisse iSv. § 26 BBiG
geschlos-
sen werden
, nicht aber auch auf solche Beschäftigungen, die vom Anwendungsbereich
des BBiG ausgenommen sind.
(bb)
Zwar war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 78a BetrVG am
23. Januar 1974 die durch die Neufassung des Berufsbildungsgesetzes durch
das Gesetz zur Reform der beruflichen Bildung (Berufsbildungsreformgesetz -
BerBiRefG) vom 23. März 2005
eingeführte Regelung in § 3
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Abs. 2 Nr. 1 BBiG, wonach das Gesetz für Berufsbildung im Rahmen von berufs-
qualifizierenden Studiengängen an Hochschulen keine Anwendung findet, noch
nicht in Kraft. § 3 BBiG idF vom 14. August 1969 enthielt eine entsprechende
Ausnahmevorschrift noch nicht. Allerdings entsprach es bereits seit Juni 1974
der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass das BBiG nicht
anwendbar ist, wenn eine im Unternehmen ausgeübte praktische Tätigkeit Teil
eines Studiums ist
.
Wenn beabsichtigt gewesen wäre, auch Studenten, die studienbegleitende Pra-
xisphasen in Unternehmen absolvieren, vom persönlichen Schutzbereich des
§ 78a BetrVG zu erfassen, hätte es vor diesem Hintergrund nahegelegen, klar-
stellend eine entsprechende Regelung in § 78a BetrVG aufzunehmen. Da dies
unterblieben ist, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber von einer solchen
Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 78a BetrVG bewusst abgesehen
hat.
(b)
Eine entsprechende Anwendung von § 78a BetrVG auf Absolventen
praktischer Studienphasen im Rahmen dualer Studiengänge ist auch nicht zur
Vermeidung von Wertungswidersprüchen erforderlich. Hochschulabsolventen
sind unter Berücksichtigung des mit § 78a BetrVG verfolgten Schutzzwecks nicht
in gleicher Weise schutzwürdig wie nach dem BBiG ausgebildete Personen. Die
Vorschrift des § 78a BetrVG dient nicht nur dem Schutz der Amtskontinuität, son-
dern will dem Auszubildenden auch die Besorgnis nehmen, wegen seiner Amts-
übernahme oder der Art seiner Amtsausübung vom Arbeitgeber benachteiligt zu
werden
. Während der Schutzzweck
der Ämterkontinuität unabhängig vom Qualifikationsniveau der jeweiligen Ausbil-
dung betroffen ist, gilt das nicht in gleicher Weise für den Aspekt der individuellen
Schutzbedürftigkeit des auszubildenden Mandatsträgers. Bei typisierender Be-
trachtungsweise darf der Gesetzgeber zu Grunde legen, dass Absolventen einer
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berufsqualifizierenden Ausbildung mit Hochschulniveau im Vergleich zu Auszu-
bildenden nach dem BBiG einem geringeren Risiko ausgesetzt sind, nach Ab-
schluss der Ausbildung über einen nennenswerten Zeitraum ohne Beschäftigung
zu bleiben. Dies rechtfertigt zugleich die Annahme, dass sich Hochschulabsol-
venten als Mandatsträger im Betriebsrat oder ggf. in der Jugend- und Auszubil-
dendenvertretung auch ohne den besonderen Weiterbeschäftigungsschutz nach
§ 78a BetrVG im Rahmen ihres Amtes sachgerecht einsetzen werden
.
(c)
Das gefundene Ergebnis führt auch nicht zu einem Regelungsinhalt von
§ 78a BetrVG, der mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG
nicht zu vereinbaren wäre. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, in Verfahrensre-
geln zur Übernahme in ein Beschäftigungsverhältnis wie § 78a BetrVG zwischen
Auszubildenden nach dem BBiG und Studierenden in dualen Studiengängen, die
im Rahmen eines Hochschulstudiums praktische Phasen im Unternehmen ab-
solvieren, zu differenzieren. Diese Differenzierung ist nach den Grundsätzen der
Verhältnismäßigkeit iSv. Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Die Ungleichbehandlung
verfolgt legitime Zwecke. Es stellt einen legitimen Differenzierungsgrund dar,
dass ein Abschluss der Ausbildung auf Hochschulniveau ein erheblich geringeres
Risiko als andere mit sich bringt, im Anschluss kein Erwerbsarbeitsverhältnis ein-
gehen zu können
. Die Differenzierung genügt auch den Anforderungen der Verhältnis-
mäßigkeit. Werden an Hochschulen qualifizierte Personen aus dem besonderen
Schutz bei der Übernahme in ein Beschäftigungsverhältnis ausgenommen, ist
dies ohne weiteres geeignet, eine am Arbeitsmarkt bei typisierender Betrachtung
im Vergleich schlechter gestellte Personengruppe zu fördern
. Insbesondere ist die Differenzierung
auch zumutbar, denn schutzlos sind auch solche Mandatsträger nicht. Sie dürfen
bei der Entscheidung über eine etwaige Anschlussbeschäftigung nach § 78
Satz 2 BetrVG nicht wegen ihres betriebsverfassungsrechtlichen Mandats be-
nachteiligt werden. Benachteiligt der Arbeitgeber unter Verstoß gegen § 78
Satz 2 BetrVG ein befristet beschäftigtes Betriebsratsmitglied, indem er wegen
dessen Betriebsratstätigkeit den Abschluss eines Folgevertrags ablehnt, hat das
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Betriebsratsmitglied sowohl nach § 280 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB als auch
nach § 823 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BGB Anspruch auf Schadensersatz, der im
Wege der Naturalrestitution auf den Abschluss des verweigerten Folgevertrags
gerichtet ist
.
c)
Soweit der Betriebsrat und die Beteiligte zu 2. geltend machen, die Ar-
beitgeberin bzw. ihre Rechtsvorgängerin hätten die Weiterbeschäftigung der Be-
teiligten zu 2. aufgrund ihrer Mandatsstellung verweigert, kann das ein Zustan-
dekommen eines Arbeitsverhältnisses nach § 78a Abs. 2 BetrVG nicht bewirken.
Es kommt daher nicht darauf an, ob diese Behauptung zutrifft.
Gräfl
Klose
Waskow
Holzhausen
Merten
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