Urteil des BAG vom 16.09.2020

Betriebsratswahl - Anfechtung - Stimmzettel

Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 16. September 2020
Siebter Senat
- 7 ABR 30/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:160920.B.7ABR30.19.0
I. Arbeitsgericht Rosenheim
Beschluss vom 8. Mai 2018
- 1 BV 6/18 -
II. Landesarbeitsgericht München
Beschluss vom 20. März 2019
- 8 TaBV 37/18 -
Entscheidungsstichworte:
Betriebsratswahl - Anfechtung - Stimmzettel
ECLI:DE:BAG:2020:160920.B.7ABR30.19.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
7 ABR 30/19
8 TaBV 37/18
Landesarbeitsgericht
München
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
16. September 2020
BESCHLUSS
Schiege, Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In dem Beschlussverfahren mit den Beteiligten
1.
Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
2.
Antragsteller und Beschwerdeführer,
3.
Antragsteller und Beschwerdeführer,
4.
Antragsteller und Beschwerdeführer,
5.
- 2 -
7 ABR 30/19
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6. - 14. ...
15.
Rechtsbeschwerdeführerin,
hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
16. September 2020 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht
Gräfl, den Richter am Bundesarbeitsgericht Klose, die Richterin am Bundesar-
beitsgericht Dr. Rennpferdt sowie die ehrenamtlichen Richter Busch und Willms
für Recht erkannt:
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Be-
schluss des Landesarbeitsgerichts München vom 20. März
2019 - 8 TaBV 37/18 - wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
In dem Betrieb der zu 15. beteiligten Arbeitgeberin in E wurde erstmals
am 21. Februar 2018 eine Betriebsratswahl durchgeführt, aus der der zu 5. be-
teiligte Betriebsrat hervorging.
Der aus den zu 2. bis 4. beteiligten wahlberechtigten Arbeitnehmern be-
stehende Wahlvorstand hatte drei Vorschlagslisten zur Wahl zugelassen. Auf
den Listen 1 und 2 kandidierten jeweils 35 Bewerberinnen und Bewerber, auf der
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Liste 3 nur 26 Bewerberinnen und Bewerber. Auf den Stimmzetteln waren alle
Bewerberinnen und Bewerber der Listen mit Familienname, Vorname und Art der
Beschäftigung im Betrieb aufgeführt. Bei der Wahl entfielen auf die Liste 1 drei,
auf die Liste 2 vier und auf die Liste 3 zwei Betriebsratssitze. Gewählt wurden ua.
die Beteiligten zu 2. bis 4., die auf der Liste 1 kandidiert hatten. Das Wahlergebnis
wurde am 27. Februar 2018 bekanntgemacht. Der Beteiligte zu 3. schied am
31. August 2018 aus seinem Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin aus.
Mit den am 9. März 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag-
schriften haben die zu 1. beteiligte, im Betrieb vertretene Gewerkschaft und die
Beteiligten zu 2. bis 4. die Betriebsratswahl angefochten. Sie haben ua. die Auf-
fassung vertreten, der Wahlvorstand habe gegen § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 WO
verstoßen. Die Beteiligten zu 2. bis 4. haben ferner geltend gemacht, die Be-
triebsratswahl sei auch deshalb anfechtbar, weil die Arbeitgeberin ua. dadurch
die Wahl beeinflusst habe, dass sie die Listen 2 und 3 durch die Verteilung von
Werbematerial und Zurverfügungstellung von Schokoriegeln unterstützt habe.
Die Beteiligte zu 1. und die Beteiligten zu 2. bis 4. haben beantragt,
die im Betrieb der Beteiligten zu 15. am 21. Februar 2018
durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären.
Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin haben beantragt, die Anträge ab-
zuweisen. Sie haben die Auffassung vertreten, § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 WO
sei nicht verletzt, da diese Vorschrift nur eine Mindestanzahl der im Stimmzettel
je Vorschlagsliste aufzuführenden Bewerberinnen und Bewerber festlege. Jeden-
falls habe ein etwaiger Verstoß gegen § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 WO keinen
Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt. Eine unzulässige Beeinflussung der Wahl
habe nicht stattgefunden.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Auf die Beschwerden
der Beteiligten zu 1. und der Beteiligten zu 2. bis 4. hat das Landesarbeitsgericht
die Betriebsratswahl vom 21. Februar 2018 für unwirksam erklärt. Mit ihrer
Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstin-
stanzlichen Entscheidung.
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B.
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Das Landes-
arbeitsgericht hat den Wahlanfechtungsanträgen der Beteiligten zu 1. und der
Beteiligten zu 2. bis 4. zu Recht entsprochen.
I.
Nach § 19 BetrVG können mindestens drei wahlberechtigte Arbeitneh-
mer, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber die Betriebs-
ratswahl anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht,
die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung
nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht
geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Wahlanfechtung muss innerhalb
von zwei Wochen ab der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen.
II.
Diese Voraussetzungen liegen vor.
1.
Die formellen Voraussetzungen einer zulässigen Wahlanfechtung sind
erfüllt.
a)
Die Antragsteller sind nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BetrVG zur Wahl-
anfechtung berechtigt.
aa)
Die Beteiligte zu 1. ist eine im Betrieb der Arbeitgeberin vertretene Ge-
werkschaft.
bb)
Die Beteiligten zu 2. bis 4. sind in ihrer Eigenschaft als wahlberechtigte
Arbeitnehmer anfechtungsberechtigt.
(1)
Die Beteiligten zu 2. bis 4. waren im Zeitpunkt der Wahl wahlberechtigte
Arbeitnehmer des Betriebs und damit nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BetrVG zur
Wahlanfechtung berechtigt. Der Verlust der Wahlberechtigung des Beteiligten
zu 3. im Laufe des Wahlanfechtungsverfahrens steht der Zulässigkeit des Wahl-
anfechtungsantrags der Beteiligten zu 2. bis 4. nicht entgegen. Die Wahlberech-
tigung des die Wahl anfechtenden Arbeitnehmers muss nur zum Zeitpunkt der
Wahl gegeben sein. Ein späterer Wegfall der Wahlberechtigung durch Ausschei-
den aus dem Betrieb nimmt dem Arbeitnehmer die Anfechtungsbefugnis nicht.
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Nur wenn sämtliche die Wahl anfechtenden Arbeitnehmer aus dem Betrieb aus-
scheiden, führt dies zur Unzulässigkeit des Antrags, da für die Fortführung des
Wahlanfechtungsverfahrens in diesem Fall kein Rechtsschutzbedürfnis mehr be-
steht
. Dieser Ausnahmefall liegt nicht vor.
(2)
Der Anfechtungsberechtigung der Beteiligten zu 2. bis 4. stehen ihre
Wahl zu Mitgliedern des Betriebsrats und ihre Mitgliedschaft im Wahlvorstand
nicht entgegen. Auch als gewählt festgestellte Mitglieder des Betriebsrats oder
Mitglieder des Wahlvorstands können als wahlberechtigte Arbeitnehmer die An-
fechtung betreiben
.
(3)
Die Beteiligten zu 2. bis 4. sind auch nicht nach Treu und Glauben an der
Wahlanfechtung gehindert. Die Frage, ob es Mitgliedern des Wahlvorstands ver-
wehrt ist, ihre Wahlanfechtung auf Wahlrechtsverstöße zu stützen, die sie in ihrer
Eigenschaft als Wahlvorstandsmitglieder verursacht haben
, bedarf vorliegend keiner
Entscheidung. Die Beteiligten zu 2. bis 4. haben ihren Wahlanfechtungsantrag
innerhalb der Anfechtungsfrist nicht nur auf Wahlrechtsverstöße des Wahlvor-
stands gestützt, sondern auch mit einer Wahlbeeinflussung durch die Arbeitge-
berin begründet. Ist innerhalb der Anfechtungsfrist eine hinreichende Begrün-
dung für den Wahlanfechtungsantrag erfolgt, ist das Gericht gehalten, von Amts
wegen allen für eine Wahlanfechtung in Betracht kommenden Wahlverstößen
nachzugehen, die sich aus dem Vortrag der Beteiligten ergeben
.
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b)
Die Wahlanfechtungsanträge sind am 9. März 2018 und damit innerhalb
der Anfechtungsfrist von zwei Wochen nach der am 27. Februar 2018 erfolgten
Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim Arbeitsgericht eingegangen.
2.
Die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung nach § 19
Abs. 1 BetrVG liegen ebenfalls vor.
a)
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Wahlvorstand
gegen § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 der Ersten Verordnung zur Durchführung des
Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung - WO) verstoßen hat, indem er auf
den Stimmzetteln sämtliche Bewerberinnen und Bewerber der drei Vorschlags-
listen mit Familienname, Vorname und Art der Beschäftigung im Betrieb angege-
ben hat.
aa)
Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 WO sind auf den Stimmzetteln die Vor-
schlagslisten nach der Reihenfolge der Ordnungsnummern sowie unter Angabe
der beiden an erster Stelle benannten Bewerberinnen oder Bewerber mit Famili-
enname, Vorname und Art der Beschäftigung im Betrieb untereinander aufzufüh-
ren. Hierbei handelt es sich um eine wesentliche Wahlvorschrift, die nicht eine
Mindestzahl der auf den Stimmzetteln anzugebenden Bewerberinnen und Be-
werber je Liste vorgibt, sondern zwingend festlegt, dass zwei, nämlich die beiden
an erster Stelle benannten Bewerberinnen oder Bewerber jeder Liste auf den
Stimmzetteln anzugeben sind
. Das ergibt die Auslegung der Vorschrift.
(1)
Bereits der Wortlaut spricht für den zwingenden Charakter der Vorschrift.
Auf den Stimmzetteln a
nzugeben „sind“ die beiden an erster Stelle benannten
Bewerberinnen oder Bewerber jeder Liste. Damit wird deutlich, dass sich die An-
gabe auf die beiden an erster Stelle benannten Bewerberinnen oder Bewerber
jeder Liste zu beschränken hat. Hätte der Verordnungsgeber die Absicht gehabt,
eine Mindestanzahl festzulegen und dem Wahlvorstand im Übrigen einen Gestal-
tungsspielraum einzuräumen, hätte er dies durch einen Zusatz wie etwa „min-
destens“ klarstellen müssen. In diesem Fall hätte es außerdem einer Regelung
dazu bedurft, ob auf den Stimmzetteln bei Überschreitung der Mindestanzahl alle
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Bewerberinnen und Bewerber der Listen aufzuführen sind oder ob der Wahlvor-
stand die Angabe auf einen Teil der Bewerberinnen und Bewerber begrenzen
darf und wie ggf. eine Auswahl zu treffen ist.
(2)
Auch der Gesamtzusammenhang der Regelung spricht gegen die An-
nahme, § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 WO räume dem Wahlvorstand einen Gestal-
tungsspielraum hinsichtlich der Zahl der auf den Stimmzetteln aufzuführenden
Bewerberinnen und Bewerber ein. § 11 Abs. 2 Satz 1 WO legt nicht nur fest, wel-
che Angaben der Stimmzettel enthalten muss, sondern bestimmt auch die An-
ordnung der Angaben auf den Stimmzetteln
(„nach der Reihenfolge der Ord-
nungsnummern“, „untereinander aufzuführen“). Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 und
Satz 3 WO müssen die Stimmzettel und die Wahlumschläge für die Betriebsrats-
wahl sämtlich die gleiche Größe, Farbe, Beschaffenheit und Beschriftung haben.
Daraus wird deutlich, dass der Verordnungsgeber den Inhalt und die Gestaltung
der Stimmzettel zwingend festgelegt hat.
(3)
Der Zweck der Vorschrift bestätigt dieses Verständnis. Zu den auch für
die Betriebsratswahl geltenden Wahlgrundsätzen gehört es, dass der Wähler in
freier Willensentschließung seine Wahlentscheidung treffen kann. Das Wahlver-
fahren muss den Grundsatz der Neutralität wahren. Dies erfordert, dass nicht
schon durch die Ausgestaltung des Wahlverfahrens in einem bestimmten Sinne
auf die Wahlberechtigten eingewirkt wird oder eingewirkt werden kann
, etwa mit
Hilfe der den Wählern von dem Wahlvorstand zur Verfügung gestellten Stimm-
zettel. Deshalb legt § 11 Abs. 2 WO den Inhalt und die Gestaltung der Stimmzet-
tel verbindlich fest.
(4)
Eine andere Auslegung ist auch nicht deshalb geboten, weil die vom
Wahlvorstand für gültig befundenen Vorschlagslisten nach § 10 Abs. 2 WO spä-
testens eine Woche vor Beginn der Stimmabgabe bis zu deren Abschluss be-
kanntzumachen sind, so dass die Wahlberechtigten die Möglichkeit haben, sich
über die Bewerberinnen und Bewerber der Listen zu informieren. Diese Informa-
tionsmöglichkeit schließt die Gefahr, dass der Wahlvorstand durch die Gestal-
tung der Stimmzettel auf die Wählerinnen und Wähler in einem bestimmten Sinne
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einwirkt, etwa dadurch, dass die Stimmzettel durch die Aufnahme aller Bewerbe-
rinnen und Bewerber unübersichtlich werden, nicht aus. Hätte der Verordnungs-
geber dies anders beurteilt, hätte er von Vorgaben hinsichtlich der Gestaltung der
Stimmzettel abgesehen.
bb)
Danach hat der Wahlvorstand gegen § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 WO
verstoßen. Der Wahlvorstand hat nicht nur die beiden an erster Stelle genannten,
sondern sämtliche Bewerberinnen und Bewerber der Listen auf den Stimmzetteln
aufgeführt.
b)
Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Verstoß
gegen § 11 Abs. 2 Satz 1 WO das Wahlergebnis beeinflussen konnte.
aa)
Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbs. BetrVG berechtigt ein Verstoß gegen we-
sentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahler-
gebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Dafür ist entscheidend,
ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß ge-
gen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Um-
stände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfeh-
lerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich kon-
kret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein an-
deres Wahlergebnis erzielt worden wäre
.
bb)
Vorliegend ist nicht auszuschließen, dass das Wahlergebnis ohne den
Verstoß gegen § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 WO anders ausgefallen wäre. Es ist
nicht undenkbar, dass sich die Wählerinnen und Wähler bei ihrer Wahlentschei-
dung durch die Angabe sämtlicher Bewerberinnen und Bewerber auf dem Stimm-
zettel beeinflussen ließen, etwa indem sie ihre Wahlentscheidung zugunsten ei-
ner der Listen mit der größten Zahl von Wahlbewerbern getroffen haben.
Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin ist dies nicht deswegen ausge-
schlossen, weil sich die Wahlberechtigten über die Anzahl der Bewerberinnen
und Bewerber je Liste durch Einsichtnahme in die bekanntzumachenden Vor-
schlagslisten bereits im Vorfeld der Wahl informieren konnten. Das gilt schon
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deshalb, weil nicht jeder Wahlberechtigte zwingend von dieser Möglichkeit Ge-
brauch macht. Zudem ist es nicht ausgeschlossen, dass sich Wahlberechtigte
auch nach einer früheren Einsichtnahme in die Vorschlagslisten im Zeitpunkt der
Stimmabgabe aufgrund der Gestaltung der Stimmzettel von der unterschiedli-
chen Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber der Listen beeinflussen ließen.
Soweit die Arbeitgeberin geltend macht, es fehle an einem psychologi-
schen Befund, dass Arbeitnehmer bei einer Betriebsratswahl generell die Liste
mit den meisten Kandidaten bevorzugen, verkennt sie, dass die fehlende Kausa-
lität eines Verstoßes gegen wesentliche Wahlvorschriften für das Wahlergebnis
positiv festzustellen ist. Für die Annahme, die auf dem Stimmzettel angegebene
Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber der jeweiligen Vorschlagsliste habe
keine beeinflussende Wirkung, weil der wählende Arbeitnehmer sich im Regelfall
im Vorfeld der Wahl über die Wahlvorschläge informiere, gibt es keinen Erfah-
rungssatz. Der Umstand, dass die Verteilung der abgegebenen Stimmen vorlie-
gend im Wesentlichen der Länge der Listen entspricht, rechtfertigt ebenfalls nicht
die Annahme, das Wahlergebnis wäre ohne den Verstoß ebenso ausgefallen.
Gräfl
Klose
M. Rennpferdt
Willms
Busch
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