Urteil des BAG vom 14.10.2020

Vergütungsansprüche - Scheingeschäft

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 14. Oktober 2020
Fünfter Senat
- 5 AZR 409/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:141020.U.5AZR409.19.0
I. Arbeitsgericht Krefeld
Schlussurteil vom 8. November 2018
- 4 Ca 979/18 -
II. Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil vom 2. August 2019
- 10 Sa 1139/18 -
Entscheidungsstichworte:
Vergütungsansprüche - Scheingeschäft
ECLI:DE:BAG:2020:141020.U.5AZR409.19.0
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BUNDESARBEITSGERICHT
5 AZR 409/19
10 Sa 1139/18
Landesarbeitsgericht
Düsseldorf
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
14. Oktober 2020
URTEIL
Schmidt-Brenner, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Klägerin, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,
pp.
Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
14. Oktober 2020 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts
Dr. Linck, die Richterinnen am Bundesarbeitsgericht Berger und Dr. Volk sowie
den ehrenamtlichen Richter Busch und die ehrenamtliche Richterin Christen für
Recht erkannt:
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5 AZR 409/19
ECLI:DE:BAG:2020:141020.U.5AZR409.19.0
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1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landes-
arbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. August 2019 - 10 Sa
1139/18 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütung.
Die Beklagte wurde im Jahr 2003 gegründet. Gesellschafter waren zu
diesem Zeitpunkt der Ehemann der Klägerin und Herr S. Im September 2005 hat
die Klägerin mit der Beklagten einen Arbeitsvertrag geschlossen, wonach sie als
Beraterin - zuletzt gegen ein Entgelt von 3.759,31 Euro brutto monatlich - tätig
sein sollte.
Die Gesellschaftsanteile des Ehemanns sind im Jahr 2015 auf den Sohn
der Klägerin und ihres Ehemanns übergegangen. Nachdem es im Jahr 2017 zu
Auseinandersetzungen unter den Gesellschaftern gekommen war, ist der Sohn
der Klägerin zum Alleingeschäftsführer bestellt worden. Tatsächlich hat der Ehe-
mann der Klägerin diese Aufgabe wahrgenommen. Im Dezember 2017 hat der
Sohn seinen Geschäftsanteil an Herrn S verkauft, der sodann Alleingesellschaf-
ter und alleiniger Geschäftsführer der Beklagten wurde.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2017 hat die Beklagte das Arbeitsver-
hältnis mit Wirkung zum 31. Mai 2018 gekündigt. Die Klägerin hat keine Kündi-
gungsschutzklage erhoben. Für den Monat Januar 2018 hat die Beklagte Vergü-
tung an die Klägerin gezahlt, für die folgenden Monate nicht. Im Jahr 2018 hat
die Klägerin keinerlei Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht.
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Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin
Klage auf Zahlung von Vergütung für die Zeit von März bis Mai 2018 erhoben
und im weiteren Verlauf die Klage um Vergütung für den Monat Februar 2018
erweitert.
Die Klägerin hat gemeint, sie habe Anspruch auf Arbeitsvergütung ohne
Arbeitsleistung. Sie habe im November 2017 mit ihrem Ehemann als bevollmäch-
tigtem Vertreter ihres Sohnes in dessen damaliger Eigenschaft als Geschäftsfüh-
rer der Beklagten vereinbart, im Fall der Kündigung von der Erbringung der Ar-
beitsleistung freigestellt zu werden. Am 15. November 2017 habe es zwischen
ihrem Ehemann als Vertreter des Sohnes und dem Gesellschafter, Herrn S, eine
Einigung gegeben, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin ordentlich gekündigt
und sie nach Erhalt der Kündigung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt
werde. Im Übrigen habe sie seit Beginn des Arbeitsverhältnisses nie im Betrieb
der Beklagten gearbeitet. Daher habe sie ihre Arbeitskraft nicht angeboten und
auch nicht anbieten müssen. Von Anfang an habe sie Gehalt ohne Arbeitsleis-
tung erhalten.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 15.037,24 Euro brutto
nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins-
satz seit dem 6. Juli 2018 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht
hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision
verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag weiter.
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Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen An-
spruch auf die begehrte Vergütung.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere streitgegenständlich hinreichend
bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es handelt sich für den streitbefangenen
Zeitraum um eine abschließende Gesamtklage
.
II.
Die Klage ist unbegründet.
1.
Ein Anspruch auf Zahlung von Vergütung folgt weder aus § 611a Abs. 2
BGB iVm. einer Freistellungsvereinbarung noch aus § 615 Satz 1 iVm. § 611a
Abs. 2 BGB. Die Klage ist - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat -
nach dem eigenen Vortrag der Klägerin bereits unschlüssig. Der im September
2005 abgeschlossene Arbeitsvertrag ist als Scheingeschäft gemäß § 117 Abs. 1
BGB nichtig.
a)
Nach § 117 Abs. 1 BGB ist eine Willenserklärung, die einem anderen ge-
genüber abzugeben ist, nichtig, wenn sie mit dessen Einverständnis nur zum
Schein abgegeben wird. Ein Scheingeschäft nach dieser Bestimmung liegt vor,
wenn die Parteien einverständlich nur den äußeren Schein des Abschlusses ei-
nes Rechtsgeschäfts hervorrufen, dagegen die damit verbundene Rechtswirkung
nicht eintreten lassen wollen
. Den Parteien fehlt bei einem Scheingeschäft
der Geschäftswille
. Wollen die Par-
teien des „Arbeitsvertrags“ nicht, dass der „Arbeitnehmer“ aufgrund dieses Ver-
trags überhaupt eine Arbeit zu verrichten hat, beabsichtigen sie nicht, den Eintritt
der rechtlichen Verpflichtungen und Folgen der von ihnen abgegebenen Willens-
erklärungen herbeizuführen, wonach sich eine Seite zur Leistung von Arbeit für
die andere Seite verpflichtet und diese ihr als Gegenleistung dafür Arbeitsentgelt
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zahlen soll
. Daher ist ein
Arbeitsvertrag als Scheingeschäft nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig, wenn zwi-
schen den Parteien bei Vertragsabschluss Einigkeit darüber besteht, dass
das vereinbarte Entgelt ganz oder zumindest teilweise nicht als Gegenleistung
für die Erbringung einer Arbeitsleistung, sondern aus anderen Gründen gezahlt
werden soll und eine Pflicht zur Arbeitsleistung nicht begründet wird
. Kein Scheingeschäft liegt dagegen vor, wenn es zur Herbeifüh-
rung des von den Parteien tatsächlich beabsichtigten Erfolgs der wirksamen Vor-
nahme des betreffenden Rechtsgeschäfts gerade bedarf. Setzt der von den Par-
teien angestrebte Zweck die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts voraus, spricht dies
gegen ein Scheingeschäft
. Ein Vertrag ist somit nur dann nach § 117 Abs. 1 BGB
nichtig, wenn das Vereinbarte nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien
keine Geltung haben soll
.
Durch Auslegung der Willenserklärungen unter Berücksichtigung der
Umstände des Einzelfalls ist gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, ob Vertrags-
parteien zur Erreichung ihres Ziels die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts benö-
tigen und es deshalb ernstlich gemeint oder nur zum Schein abgeschlossen ist.
Das Ergebnis der Auslegung ist vom Revisionsgericht nur eingeschränkt dahin
überprüfbar, ob das Berufungsgericht die Vorschriften über die Auslegung richtig
angewandt hat oder ob dabei gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze versto-
ßen worden ist, und ob der Tatsachenstoff vollständig verwertet oder eine gebo-
tene Auslegung unterlassen wurde
.
b)
Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Beru-
fungsurteil stand. Das Landesarbeitsgericht durfte unter Berücksichtigung des
Vortrags der Klägerin zur tatsächlichen Handhabung des Vertrags zu dem Er-
gebnis gelangen, dass zwischen den Parteien bei Vertragsabschluss Einigkeit
bestanden hat, das vereinbarte Entgelt werde nicht als Gegenleistung für die Er-
bringung einer Arbeitsleistung gezahlt und eine Pflicht zur Arbeitsleistung für die
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Klägerin nicht begründet. Diese hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Be-
rufungsgericht selbst vorgetragen, sie habe nie im Betrieb der Beklagten gear-
beitet und auch zu keinem Zeitpunkt ihre Arbeitskraft angeboten oder anbieten
müssen. Von Anfang an habe sie ihr Gehalt ohne Arbeitsleistung erhalten. Be-
reits nach ihrem eigenen Vortrag liegt damit ein Scheingeschäft mit der Folge
vor, dass ein Anspruch aus einem Arbeitsverhältnis für die begehrte Zahlung aus-
scheidet. Die Klage ist insoweit unschlüssig.
Entgegen der Auffassung der Revision unterscheidet sich der Streitfall
von anderen Konstellationen, in denen das Bundesarbeitsgericht ein Scheinge-
schäft verneint hat
. Dabei waren jeweils Sachverhalte
zu beurteilen, in denen das vereinbarte Arbeitsverhältnis auch tatsächlich vollzo-
gen wurde, was regelmäßig gegen die Annahme eines Scheingeschäfts spricht
. Im Gegensatz dazu haben die Parteien des Streit-
falls die mit einem Arbeitsvertrag verbundenen Verpflichtungen, die nicht nur in
der Zahlung von Vergütung, sondern als Hauptleistung in der Erbringung von Ar-
beitsleistung bestehen, nicht eintreten lassen wollen. Die Klägerin hat nach eige-
nem Vortrag keine Arbeitsleistung erbracht und die Beklagte hat dies auch nicht
eingefordert.
2.
Das Landesarbeitsgericht hat frei von Rechtsfehlern angenommen, dass
das Scheingeschäft nicht durch eine Bestätigung iSd. § 141 BGB wirksam ge-
worden ist.
a)
Eine Bestätigung ist erst möglich, wenn die Gründe für die Nichtigkeit des
zu bestätigenden Rechtsgeschäfts nicht mehr eingreifen
. Dabei braucht der zu bestä-
tigende Vertrag in seinen Einzelheiten nicht neu erklärt zu werden. Es genügt,
dass sich beide Parteien in Kenntnis aller Vereinbarungen „auf den Boden des
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ursprünglichen Vertrages stellen“
. Doch setzt die Bestätigung eines Rechtsgeschäfts den Willen und das
Bewusstsein von der Unverbindlichkeit des früheren Geschäfts voraus
. Erforderlich ist die Kenntnis von der Fehlerhaftigkeit oder zumindest das
Bewusstsein der möglichen Fehlerhaftigkeit. Fehlt dieses Bewusstsein, kann
eine Handlung nicht als Bestätigung des nichtigen Rechtsgeschäfts angesehen
werden
.
b)
Beide Voraussetzungen einer Bestätigung nach § 141 BGB liegen nicht
vor. Der Grund für die Nichtigkeit des Arbeitsvertrags aufgrund eines Scheinge-
schäfts ist bis zum Ende des Vertragsverhältnisses nicht beseitigt worden. Nach
eigenem Vortrag hat die Klägerin nie Arbeitsleistung erbracht, weil der beidersei-
tige Parteiwille nicht hierauf gerichtet war. Weiterhin fehlt es der Klägerin am Be-
wusstsein der möglichen Fehlerhaftigkeit, denn sie vertritt nach wie vor die Auf-
fassung, es sei ein wirksamer Arbeitsvertrag abgeschlossen worden.
3.
Die Verfahrensrügen der Klägerin haben keinen Erfolg. Der Senat hat
diese geprüft, erachtet sie jedoch nicht für durchgreifend und sieht gemäß § 72
Abs. 5 ArbGG iVm. § 564 Satz 1 ZPO insoweit von einer Begründung der Ent-
scheidung ab.
4.
Ein Vergütungsanspruch folgt nicht aus den Grundsätzen des fehlerhaf-
ten Arbeitsverhältnisses
, weil die Klägerin im Streitzeitraum keine Arbeitsleistung erbracht
hat.
5.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung aus einem Schuldaner-
kenntnis.
a)
Der Vortrag der Klägerin begründet nicht die Annahme eines selbständig
verpflichtenden (abstrakten) Schuldanerkenntnisses iSv. § 781 BGB. Bei einem
solchen Schuldanerkenntnis muss der Wille der Parteien dahin gehen, durch die
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Erklärung eine neue Anspruchsgrundlage zu schaffen und nicht nur einen bereits
vorhandenen Schuldgrund zu bestätigen. Das setzt voraus, dass der Anerken-
nende eine selbständige, von den zugrundeliegenden Rechtsbeziehungen los-
gelöste Verpflichtung übernimmt
. Die von der Klägerin behauptete Äußerung der Beklagten bezieht sich
auf die vollständige Zahlung der restlichen Löhne, mithin auf keinen vom Grund-
verhältnis losgelösten neuen Schuldgrund.
b)
Ein deklaratorisches (kausales) Schuldanerkenntnis kommt als An-
spruchsgrundlage ebenfalls nicht in Betracht. Ein solches Schuldanerkenntnis
setzt voraus, dass die Vertragsparteien das Schuldverhältnis ganz oder teilweise
dem Streit oder der Ungewissheit entziehen und es endgültig festlegen wollen
. Ein solches Anerkenntnis von Seiten der Beklagten ist
zwischen den Parteien streitig geblieben. Soweit die Klägerin meint, dies hätte
durch eine Beweisaufnahme bewiesen werden können, greift die von ihr erho-
bene Verfahrensrüge nicht durch
.
6.
Ein Zahlungsanspruch folgt nicht aus ungerechtfertigter Bereicherung
. Die Klägerin hat das Vermögen der Beklagten
im Streitzeitraum nicht vermehrt, weil sie keine Arbeitsleistung für die Beklagte
erbracht hat.
7.
Andere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich und werden von der
Klägerin auch nicht geltend gemacht. Zwar kann das als Scheingeschäft ge-
schlossene Rechtsgeschäft zugleich den Tatbestand eines von den Parteien
ernstlich gewollten Rechtsgeschäfts verdecken und gemäß § 117 Abs. 2 BGB
deren Rechtsbeziehungen bestimmen
. Doch handelt es sich bei einem anderen Rechtsgeschäft um
einen anderen Streitgegenstand, den die Klägerin mit der Klage nicht verfolgt.
Sie hat ihr Leistungsbegehren nur auf Vergütungspflichten aus einem von ihr an-
genommenen Arbeitsverhältnis gestützt.
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III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Berger
Volk
Busch
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