Urteil des BAG vom 02.10.2018

Fortbildungskosten eines Flugzeugführers für die Schulung auf anderen Flugmustern während Annahmeverzugs des Arbeitgebers

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 2. Oktober 2018
Fünfter Senat
- 5 AZR 376/17 -
ECLI:DE:BAG:2018:021018.U.5AZR376.17.0
I. Arbeitsgericht Stuttgart
Urteil vom 24. August 2016
- 19 Ca 7044/15 -
II. Landesarbeitsgericht
Baden-Württemberg
Urteil vom 28. Juni 2017
- 2 Sa 56/16 -
Entscheidungsstichwort:
Fortbildungskosten eines Flugzeugführers für die Schulung auf anderen
Flugmustern während Annahmeverzugs des Arbeitgebers
Leitsatz:
Bei der Anrechnung anderweitigen Verdienstes auf die Vergütung wegen
Annahmeverzugs nach § 11 Nr. 1 KSchG können grundsätzlich die zur
Erzielung des anderweitigen Verdienstes erforderlichen Aufwendungen
von diesem in Abzug gebracht werden. Zu berücksichtigen sind Aufwen-
dungen, die im Rahmen der vorhandenen Qualifikation des Arbeitneh-
mers zur Fortführung einer fachkundigen Erwerbstätigkeit erforderlich
sind. Dagegen nicht berücksichtigungsfähig sind Aufwendungen, die die
Qualifikation erhöhen, ohne dass hierfür ein Bedarf hinsichtlich der Aus-
übung der geschuldeten Tätigkeit bestünde.
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BUNDESARBEITSGERICHT
5 AZR 376/17
2 Sa 56/16
Landesarbeitsgericht
Baden-Württemberg
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
2. Oktober 2018
URTEIL
Münchberg, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
1.
Beklagter zu 2., Berufungsbeklagter zu 2. und Revisionskläger,
2.
Beklagte zu 1. und Berufungsbeklagte zu 1.,
pp.
Kläger, Berufungskläger und Revisionsbeklagter,
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5 AZR 376/17
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hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-
handlung vom 20. Juni 2018 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsge-
richts Dr. Linck, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Biebl, die Richterin
am Bundesarbeitsgericht Dr. Volk sowie den ehrenamtlichen Richter Hepper
und die ehrenamtliche Richterin Zorn für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Beklagten zu 2. wird das Urteil
des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom
28. Juni 2017 - 2 Sa 56/16 - unter Zurückweisung der
Revision im Übrigen im Kostenausspruch und in Ziff. 2
aufgehoben und unter Zurückweisung der weitergehen-
den Berufung im Übrigen dahin gehend abgeändert,
dass der Beklagte zu 2. verurteilt wird, an den Kläger
2.485,49 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
1. Februar 2015 zu zahlen.
2. Von den Kosten der Revision haben der Kläger 95 %
und der Beklagte zu 2. 5 % zu tragen. Die gerichtlichen
Kosten der Berufung haben der Kläger zu 62 % und der
Beklagte zu 2. zu 38 % zu tragen. Die außergerichtli-
chen Kosten der Beklagten zu 1. im Berufungsverfah-
ren hat der Kläger vollständig zu tragen. Die außerge-
richtlichen Kosten des Beklagten zu 2. im Berufungs-
verfahren haben der Kläger zu 62 % und der Beklagte
zu 2. zu 38 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten
des Klägers im Berufungsverfahren haben der Beklagte
zu 2. zu 38 % und der Kläger zu 62 % zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revision noch über Vergütung wegen An-
nahmeverzugs nach unwirksamer Kündigung.
Der Kläger war seit dem Jahr 2007 als Verkehrsflugzeugführer bei der
C GmbH & Co. KG beschäftigt. Dort war er auf dem Flugzeugtyp Fokker 100
eingesetzt. Zum 1. September 2012 ging sein Arbeitsverhältnis im Wege eines
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Betriebsübergangs auf die O GmbH über. Seine monatliche Grundvergütung
betrug zuletzt 5.273,30 Euro brutto.
Über das Vermögen der O GmbH wurde aufgrund des Insolvenzantrags
vom 27. Januar 2013 am 1. April 2013 das Insolvenzverfahren eröffnet und der
Beklagte zu 2. zum Insolvenzverwalter bestimmt. Der Flugbetrieb bei der Insol-
venzschuldnerin wurde im Januar 2013 eingestellt. Ende März 2013 zeigte der
Beklagte zu 2. Masseunzulänglichkeit beim Insolvenzgericht an. Am 8. April
2013 erstattete der Beklagte zu 2. gegenüber der Bundesagentur für Arbeit eine
Massenentlassungsanzeige für die Arbeitnehmer des sog. fliegenden Personals
und kündigte mit Schreiben vom 9. April 2013 das Arbeitsverhältnis des Klägers
zum 30. Juni 2013 unter sofortiger unwiderruflicher Freistellung. Diese Kündi-
gung bezeichnete der Beklagte zu 2. mit Schreiben vom 23. April 2013 als ge-
genstandslos und übersandte dem Kläger zugleich ein Kündigungsschreiben
vom 22. April 2013, mit dem er das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2013 kündigte
und den Kläger unwiderruflich freistellte. Auf die gegen diese Kündigung erho-
bene Kündigungsschutzklage hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom
20. Januar 2016
deren Unwirksamkeit wegen
fehlender erneuter Massenentlassungsanzeige festgestellt. Der Beklagte zu 2.
kündigte das Arbeitsverhältnis nochmals mit Schreiben vom 27. Oktober 2014
zum 31. Januar 2015. Diese Kündigung ist Gegenstand eines weiteren Kündi-
gungsschutzverfahrens.
Ab dem 12. Juni 2014 war der Kläger bei einem anderen Arbeitgeber
als Verkehrsflugzeugführer beschäftigt und erhielt dort bis zum 31. Januar 2015
Vergütung in Höhe von insgesamt 37.692,04 Euro brutto.
Der Kläger hat mit seiner Klage - soweit in der Revision von Relevanz -
vom Beklagten zu 2. Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom
12. Juni 2014 bis zum 31. Januar 2015 gefordert. Von dem in dieser Zeit erziel-
ten Zwischenverdienst seien die angefallenen Aufwendungen für den Erwerb
von
Musterberechtigungen
für
die
Flugzeugtypen
Airbus A320
und
Boeing 757/767 in Höhe von 22.070,00 Euro in Abzug zu bringen. Diese seien
erforderlich gewesen, weil der bei der Insolvenzschuldnerin geflogene Flug-
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zeugtyp Fokker 100 in Deutschland nicht mehr und im europäischen Luftver-
kehr nur sehr selten betrieben werde. Nur durch den von ihm selbst finanzierten
Erwerb der Musterberechtigungen habe er einen neuen Arbeitsplatz gefunden.
Zur Finanzierung der Aufwendungen habe er ein Darlehen in Höhe von
25.000,00 Euro aufgenommen. Sollten die Aufwendungen beim Zwischenver-
dienst nicht zu berücksichtigen sein, habe der Beklagte zu 2. den Darlehensbe-
trag nebst Zinsen zu erstatten.
Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - sinngemäß
beantragt:
1.
den Beklagten zu 2.
zu verurteilen, an den Kläger
- 3.264,43 Euro brutto abzüglich Zwischenver-
dienstes von 2.912,76 Euro brutto zuzüglich Zin-
sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab dem 1. Juli 2014,
- 5.273,30 Euro brutto abzüglich Zwischenver-
dienstes von 4.933,54 Euro brutto zuzüglich Zin-
sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab dem 1. August 2014,
- 5.273,30 Euro brutto abzüglich Zwischenver-
dienstes von 4.973,01 Euro brutto zuzüglich Zin-
sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab dem 1. September 2014,
- 5.273,30 Euro brutto abzüglich Zwischenver-
dienstes von 5.048,08 Euro brutto zuzüglich Zin-
sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab dem 1. Oktober 2014,
- 5.273,30 Euro brutto abzüglich Zwischenver-
dienstes von 5.138,69 Euro brutto zuzüglich Zin-
sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab dem 1. November 2014,
- 5.273,30 Euro brutto abzüglich Zwischenver-
dienstes von 4.906,06 Euro brutto zuzüglich Zin-
sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab dem 1. Dezember 2014,
- 5.273,30 Euro brutto abzüglich Zwischenver-
dienstes von 4.859,66 Euro brutto zuzüglich Zin-
sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab dem 1. Januar 2015,
- 5.273,30 Euro brutto abzüglich Zwischenver-
dienstes von 4.920,24 Euro brutto zuzüglich Zin-
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sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab dem 1. Februar 2015 zu zah-
len;
2.
hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem An-
trag zu 1.,
den Beklagten zu 2
.
zu verurteilen, an den Kläger
25.000,00 Euro netto zuzüglich Zinsen in Höhe von
6,95 % seit dem 5. April 2013 zu zahlen.
Der Beklagte zu 2. hat Klageabweisung beantragt. Er hat gemeint, die
Ansprüche des Klägers seien Altmasseverbindlichkeiten iSd. § 209 Abs. 1 Nr. 3
InsO, weshalb kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Zahlungsklage bestehe. Der
Kläger habe die von ihm behaupteten Aufwendungen zur Erzielung des anzu-
rechnenden Zwischenverdienstes nicht getätigt. Jedenfalls würden etwaige
Aufwendungen den Zwischenverdienst nicht mindern, weil diese ausschließlich
der Fortbildung des Klägers gedient hätten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht
hat auf die Berufung des Klägers - soweit in der Revision von Bedeutung - den
Beklagten zu 2. unter Ziff. 2 des Urteils
tenors verurteilt, „an den Kläger für den
Zeitraum 12. Juni 2014 bis 31. Januar 2015 Vergütung aus Annahmeverzug
iHv. 40.177,53
€ brutto abzüglich des vom Kläger erzielten Zwischenverdiens-
tes iHv. 37.692,04
€ brutto zu zahlen, wovon die Aufwendungen des Klägers
iHv. 23.433,10
€ abzuziehen sind, zuzüglich Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz ab dem 1. Februar 2015
“. Unter Ziff. 5 der Urteilsformel hat
es die Revision „für den Beklagten zu 2 bezüglich Ziff. 2 des Tenors zugelas-
sen“. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Revision sei nur be-
züglich der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen des Klägers zuzulassen gewe-
sen. Die gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Klage hat das Landesarbeitsge-
richt mit der Begründung rechtskräftig abgewiesen, gegen diese bestehe kein
Zahlungsanspruch, weil das Arbeitsverhältnis zu keinem Zeitpunkt auf sie über-
gegangen sei. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte zu 2. seinen Klageab-
weisungsantrag weiter.
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Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Beklagten zu 2. ist überwiegend begründet.
Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger zwar zu Recht Annahmeverzugsver-
gütung unter Anrechnung des Zwischenverdienstes zugesprochen. Das Beru-
fungsurteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit der anderweitige Ver-
dienst des Klägers im Verzugszeitraum um die von ihm behaupteten Aufwen-
dungen gemindert wurde. Anspruch auf Aufwendungsersatz hat der Kläger
nicht.
I.
Die Revision ist im Umfang der im Tenor des Berufungsurteils erfolgten
Zulassung zulässig.
Nach § 72 Abs. 1 Satz 2 ArbGG iVm. § 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG ist die
Entscheidung, ob die Revision zugelassen wird oder nicht, in den Urteilstenor
aufzunehmen. Damit ist klargestellt, dass eine wirksame Zulassung der Revisi-
on in den Entscheidungsgründen nicht möglich ist
. Eine im Tenor unbeschränkt
ausgesprochene Zulassung der Revision kann in den Entscheidungsgründen
auch nicht mehr wirksam eingeschränkt werden. Entsprechendes gilt für eine
weitere Beschränkung einer nur beschränkt zugelassenen Revision
. Das
Landesarbeitsgericht konnte damit die im Tenor erklärte Zulassung der Revisi-
on in den Entscheidungsgründen
nicht noch weiter auf die Abzugsfähigkeit der
Aufwendungen vom Zwischenverdienst beschränken. Diese weitere Einschrän-
kung der Revisionszulassung ist unbeachtlich
. Insoweit bedurfte es deshalb ent-
gegen der Auffassung des Klägers keiner Nichtzulassungsbeschwerde des Be-
klagten zu 2.
II.
Die Revision ist nicht bereits wegen Unzulässigkeit der Berufung des
Klägers aufgrund einer unzulässigen Klageänderung in der Berufungsinstanz
begründet. Die diesbezügliche Verfahrensrüge des Beklagten zu 2. ist bereits
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unzulässig, weil er nicht dargelegt hat, dass er in die von ihm als Klageände-
rung bewertete Änderung der Klageanträge nicht eingewilligt hat
. Der Beklagte zu 2. führt lediglich aus, er habe der Klageänderung nicht
zugestimmt. Dies ist indes nicht ausreichend, weil hierdurch eine als Einwilli-
gung zu behandelnde rügelose Einlassung
nicht ausgeschlossen ist. Unerheblich ist des Weiteren, ob
die erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragenen Tatsachen zum erzielten
Zwischenverdienst und zu den Aufwendungen des Klägers nach § 67 Abs. 2
und Abs. 3 ArbGG zuzulassen waren. Hat das Landesarbeitsgericht einen Vor-
trag trotz eventueller Verspätung nach § 67 Abs. 4 Satz 2 ArbGG zugelassen,
ist der Senat hieran gebunden. Eine einmal eingetretene, aber vom Landesar-
beitsgericht akzeptierte Verzögerung kann nicht mehr rückgängig gemacht wer-
den
.
III.
Die Revision ist unbegründet, soweit sich der Beklagte zu 2. gegen die
Annahme des Landesarbeitsgerichts wendet, die Annahmeverzugsansprüche
seien als Neumasseverbindlichkeiten iSd. § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO
mit einer Zahlungsklage zu verfolgen.
1.
Die auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung im streitgegenständli-
chen Zeitraum gerichtete Leistungsklage ist zulässig.
Der Klage für die Zeit vom 12. Juni 2014 bis zum 31. Januar 2015 liegt
die Annahme zugrunde, die streitbefangenen Ansprüche seien Neumassever-
bindlichkeiten iSv. §§ 53, 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO, die nicht den
Vollstreckungsverboten des § 210 InsO und des § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO un-
terfallen. Ergibt die rechtliche Prüfung, dass - wie die Revision meint - die erho-
bene Forderung tatsächlich im Rang einer Altmasseverbindlichkeit steht, ist die
Klage jedoch nicht unzulässig, sondern unbegründet
. Auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis
besteht. Der Beklagte zu 2. hat den Einwand der Neumasseunzulänglichkeit,
bei dem auch die Neumassegläubiger ihre Ansprüche nur noch im Wege der
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Feststellungsklage verfolgen können, nicht erhoben
.
2.
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass es sich bei
den Ansprüchen des Klägers auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nach
§ 615 Satz 1 BGB iVm. § 611 Abs. 1 BGB ab dem 12. Juni 2014 um Neu-
masseverbindlichkeiten iSd. § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO handelt, die
der Kläger im Wege der Leistungsklage gerichtlich geltend machen kann.
a)
Die Ansprüche sind für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der
Beklagte zu 2. nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte, ent-
standen. Sie sind daher so zu behandeln, als wären sie vom Beklagten zu 2.
nach der Anzeige neu begründet worden. Unerheblich ist, dass dieser mit der
Kündigung vom 22. April 2013 vergeblich versucht hat, das Arbeitsverhältnis zu
beenden. Diese Kündigung war zwar rechtzeitig iSv. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO
erklärt. Gleichwohl gelten die Annahmeverzugsansprüche, die für die Zeit nach
diesem Termin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sind,
gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO als Neumasseverbindlichkeiten iSv. § 209
Abs. 1 Nr. 2 InsO, weil die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 17 KSchG
unwirksam war
.
aa)
Ist die Kündigung, die der Insolvenzverwalter erstmals nach der Anzei-
ge rechtzeitig ausspricht, unwirksam, sind Annahmeverzugsansprüche, die für
die Zeit nach dem Termin entstehen, zu dem das Arbeitsverhältnis nach Anzei-
ge der Masseunzulänglichkeit frühestmöglich hätte beendet werden können,
Neumasseverbindlichkeiten. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO fingiert für Annahmever-
zugsansprüche, die für die Zeit nach dem ersten Termin entstehen, zu dem der
Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis nach Anzeige der Masseunzulänglich-
keit „kündigen konnte“, den Rang einer Neumasseverbindlichkeit. Aus dieser
gesetzlichen Formulierung folgt, dass der Insolvenzverwalter zur Vermeidung
von Neumasseverbindlichkeiten Dauerschuldverhältnisse, die er für die weitere
Verwertung und Verwaltung der Masse nach der Anzeige der Masseunzuläng-
lichkeit nicht mehr benötigt, frühestmöglich beenden muss. Zur Vermeidung von
Neumasseverbindlichkeiten genügt es darum nicht, dass eine Kündigung zum
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erstmöglichen Termin nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit erklärt wird,
die Kündigung muss vielmehr auch wirksam sein
.
bb)
Der Insolvenzverwalter begründet auch dann Neumasseverbindlichkei-
ten, wenn sich seine Einschätzung, er habe die formellen und materiell-
rechtlichen Voraussetzungen für die wirksame Kündigung eines von der Masse
nicht mehr benötigten Arbeitsverhältnisses herbeigeführt, im Kündigungs-
schutzprozess als unzutreffend erweist. Das Arbeitsverhältnis besteht dann
über den ersten Termin, zu dem es der Insolvenzverwalter nach der Anzeige
der Masseunzulänglichkeit hätte kündigen „können“, fort. Damit sind die für die
Zeit nach diesem Termin entstehenden Annahmeverzugsansprüche nach den
Qualifikationsregeln des § 209 Abs. 2 InsO Neumasseverbindlichkeiten. Konse-
quenz der gesetzlichen Verteilungsordnung ist, dass der Insolvenzverwalter,
der kün
digen „kann“, auch dafür zu sorgen hat, dies rechtswirksam zu tun. Es
fällt in seinen Verantwortungsbereich, für eine wirksame Umsetzung der Vorga-
ben des gesetzlichen Kündigungsschutzes zu sorgen. Die Neumasse trägt das
Risiko, dass ihm das nicht gelingt
.
cc)
Entgegen der Auffassung des Beklagten zu 2., die dieser auch nach
Schluss der mündlichen Verhandlung in der Begründung des Widerrufs des vor
dem Senat bedingt geschlossenen Vergleichs nochmals bekräftigt hat, steht
diesem Normverständnis nicht die Gesetzesbegründung entgegen. Soweit der
Beklagte zu 2. meint, der Gesetzesbegründung entnehmen zu können, dem
Gesetzgeber sei es bei der Regelung in § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO allein um den
Ausspruch der Kündigung losgelöst von deren Wirksamkeit gegangen, kann
ihm nicht zugestimmt werden.
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(1)
In der Begründung zu § 321 des Entwurfs einer Insolvenzordnung heißt
es
:
„… Kündigt der Verwalter nach dem Antrag auf Feststel-
lung der Masseunzulänglichkeit ein Dauerschuldverhältnis
zum ersten zulässigen Termin, so sind die Ansprüche, die
dem anderen Teil aus dem Vertrag noch erwachsen, Alt-
masseverbindlichkeiten. Unterläßt er die Kündigung, so
sind die Ansprüche des anderen Teils nur insoweit Alt-
masseverbindlichkeiten, als sie bis zum ersten möglichen
Beendigungstermin entstehen; für die dann folgende Zeit
sind sie wie neu begründete Forderungen zu behandeln,
da der Verwalter die Möglichkeit gehabt hätte, ihr Entste-
hen zu verhindern (Nummer 2). Schließlich sind auch die
Verbindlichkeiten, für die der Verwalter nach dem Antrag
auf Feststellung der Masseunzulänglichkeit die Gegenleis-
tung in Anspruch nimmt, als Neumasseverbindlichkeit zu
behandeln (Nummer 3). Auch nach einer Feststellung der
Masseunzulänglichkeit muß ein Arbeitnehmer, der seine
Leistung voll zu erbringen hat - der also nicht vom Verwal-
ter
‚freigestellt‘ worden ist -, Anspruch auf volle Vergütung
für diese Arbeitsleistung haben. …“
(2)
Diese Ausführungen der Gesetzesbegründung sind nicht geeignet, die
vom Beklagten zu 2. vertretene Auslegung des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu stüt-
zen. Die Verwendung der Begriffe „Kündigung“ oder „kündigen“ erlaubt nicht
den Rückschluss, dem Gesetzgeber sei es nicht auf die Wirksamkeit der Kün-
digung angekommen. Die Gesetzesbegründung deutet vielmehr in die entge-
gengesetzte Richtung: Leitgedanke der gesetzlichen Regelung ist, dass Neu-
masseverbindlichkeiten iSd. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorliegen, wenn ihre Ent-
stehung dem Verwalter zugerechnet werden kann
. Diese Zurechnung hat auch dann zu erfolgen, wenn der
Verwalter - wie hier - eine nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 17
KSchG entsprechende Kündigung erklärt, weil er vor deren Ausspruch die er-
forderliche Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG unterlassen hat. An-
haltspunkte dafür, dass entgegen dem allgemeinen Verständnis mit „kündigen“
allein die Abgabe einer entsprechenden Erklärung losgelöst von deren Wirk-
samkeit gemeint ist, sind der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen.
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b)
Der Beklagte zu 2. hätte deshalb das mit dem Kläger bestehende Ar-
beitsverhältnis jedenfalls mit Beendigungsdatum vor dem 12. Juni 2014 wirk-
sam kündigen müssen, um zu verhindern, dass für die Folgezeit Neumassever-
bindlichkeiten nach § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO entstehen. Dies ist ihm nicht gelun-
gen. Der Kläger hat die
„Rücknahme“ der Kündigung vom 9. April 2013 durch
den Beklagten zu 2. akzeptiert, die Unwirksamkeit der Kündigung vom 22. April
2013 ist rechtskräftig festgestellt.
IV.
Die Revision hat überwiegend Erfolg, soweit sich der Beklagte zu 2.
gegen die Höhe der dem Kläger vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen
Annahmeverzugsvergütung richtet. Der Kläger hat Anspruch auf Vergütung we-
gen Annahmeverzugs für die Zeit vom 12. Juni 2014 bis zum 31. Januar 2015
nebst Zinsen unter Anrechnung des erzielten Zwischenverdienstes. Das Beru-
fungsurteil ist jedoch aufzuheben, soweit das Landesarbeitsgericht Aufwendun-
gen des Klägers vom Zwischenverdienst in Abzug gebracht hat
.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufwendungsersatz. Der Senat kann in der
Sache selbst endentscheiden
. Die erforderlichen Feststel-
lungen sind vom Landesarbeitsgericht getroffen.
1.
Der vom Kläger für die Zeit vom 12. Juni 2014 bis zum 31. Januar 2015
geltend gemachte Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung nach § 615 Satz 1
BGB iVm. § 611 Abs. 1 BGB in Höhe von 40.177,53 Euro brutto ist nicht in vol-
ler Höhe schlüssig dargelegt, weil der Kläger selbst vorträgt, in diesem Zeitraum
Zwischenverdienst in Höhe von 37.692,04 Euro brutto erzielt zu haben. Schlüs-
sig dargelegt ist lediglich eine Forderung in Höhe von 2.485,49 Euro brutto.
a)
Der Beklagte zu 2. befand sich nach Ausspruch der unwirksamen Kün-
digung vom 22. April 2013 und Ablauf der Kündigungsfrist ab dem 1. August
2013 im Annahmeverzug
. Er hat die Arbeitsleistung des Klägers
im Streitzeitraum nicht angenommen. Ein Angebot der Arbeitsleistung war nach
§ 296 BGB angesichts der unwirksamen Kündigung entbehrlich
.
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b)
Die arbeitsvertraglich einbezogene tarifvertragliche Ausschlussfrist zur
Geltendmachung der Ansprüche hat der Kläger durch Erhebung der Kündi-
gungsschutzklage gegen die Kündigung vom 22. April 2013 gewahrt. Mit einer
Bestandsschutzklage wahrt der Arbeitnehmer, ohne dass es einer bezifferten
Geltendmachung bedarf, eine einstufige Ausschlussfrist bzw. die erste Stufe
einer zweistufigen Ausschlussfrist für alle aus dem Fortbestand des Arbeitsver-
hältnisses resultierenden Ansprüche
. Zugleich macht der Arbeitnehmer mit einer Bestandsschutzklage die
vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche im Sinne der zwei-
ten Stufe einer tarifvertraglich geregelten Ausschlussfrist „gerichtlich geltend“
. Hierge-
gen wendet sich der Beklagte zu 2. mit der Revision nicht.
c)
Der Zwischenverdienst des Klägers ist nach § 11 Nr. 1 KSchG in der
vom Landesarbeitsgericht festgestellten Höhe von 37.692,04 Euro brutto von
der Vergütung wegen Annahmeverzugs in Höhe von 40.177,53 Euro brutto in
Abzug zu bringen. Dabei ist das Gesamtbruttoeinkommen im streitgegenständ-
lichen Zeitraum zugrunde zu legen
. Die Anrechnung des Zwischenverdienstes richtet
sich allerdings nicht, wie vom Landesarbeitsgericht angenommen, nach § 615
Satz 2 BGB, sondern nach § 11 Nr. 1 KSchG. Diese Vorschrift enthält für den
Annahmeverzug nach einer Kündigung im Geltungsbereich des § 23 Abs. 1
Satz 2 KSchG eine Spezialregelung zu § 615 Satz 2 BGB
.
d)
Im Umfang des erzielten anderweitigen Verdienstes erfolgt die Anrech-
nung gemäß § 11 Nr. 1 KSchG ipso iure und bedarf keiner Erklärung des Ar-
beitgebers
. Die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach
§ 11 Nr. 1 KSchG hindert bereits die Entstehung des Anspruchs aus § 615
Satz 1 BGB und führt nicht nur zu einer Aufrechnungslage
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. Hieraus folgt, dass eine Klage nur in Höhe des Differenzbetrags zwi-
schen der Annahmeverzugsvergütung nach § 615 Satz 1 BGB und dem nach
§ 11 Nr. 1 KSchG anzurechnenden anderweitigen Verdienst schlüssig ist, wenn
der Kläger selbst vorträgt, solchen erzielt zu haben.
2.
Der Kläger hat überdies nicht bewiesen, dass er zum Erwerb der Mus-
terberechtigungen tatsächlich Aufwendungen in Höhe von 23.433,10 Euro hat-
te. Das Landesarbeitsgericht hat bei der tatrichterlichen Würdigung des Partei-
vortrags gegen § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen, indem es angenommen
hat, der Kläger habe - nach Bestreiten des Beklagten zu 2. - den Beweis ge-
führt, die behaupteten Aufwendungen tatsächlich erbracht zu haben. Die dies-
bezügliche Rüge des Beklagten zu 2. ist begründet.
a)
Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe die Rech-
nungen für Kurse und Hotelübernachtungen tatsächlich bezahlt, weil diese be-
reits vor Kursantritt zu bezahlen gewesen seien und aus der Durchführung der
Kurse auf eine Zahlung geschlossen werden könne. Anderenfalls wäre der Klä-
ger nicht zu den Kursen zugelassen worden.
b)
Diese vom Berufungsgericht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorge-
nommene Würdigung des tatsächlichen Vorbringens der Parteien unterliegt nur
einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle. Es ist zu prüfen, ob das
Berufungsgericht die Voraussetzungen und Grenzen des § 286 ZPO beachtet
hat. Seine Würdigung muss in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von
Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und rechtlich mög-
lich sein
.
c)
Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs ist die Rüge des Be-
klagten zu 2. begründet. Er hatte im zweiten Rechtszug bestritten, dass der
Kläger die von ihm vorgelegten Rechnungen für Grundkurs, Landetraining und
Hotelübernachtung selbst bezahlt hat, mithin die Aufwendungen tatsächlich ge-
tätigt hat. Es war damit Sache des Klägers, zu beweisen, dass er die entspre-
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chenden Zahlungen erbracht hat. Die Annahme des Berufungsgerichts, der
Kläger habe die Zahlungen durch Vorlage der Rechnungen bewiesen, verstößt
gegen Denkgesetze, denn eine Rechnung ist weder ein Beleg für eine tatsäch-
liche Bezahlung des darin geforderten Rechnungsbetrags noch für eine Zah-
lung durch den Adressaten der Rechnung selbst. Es ist keineswegs ausge-
schlossen, dass ein Dritter - etwa das Unternehmen, bei dem der Kläger den
anderweitigen Verdienst erzielt hat, - die Aufwendungen ganz oder teilweise
getragen hat. Hierauf hat die Revision zu Recht hingewiesen. Der Kläger hat
den nach Bestreiten durch den Beklagten zu 2. erforderlichen Beweis der Erfül-
lung nicht erbracht. Wegen dieses Verfahrensfehlers ist das Berufungsurteil in
dem in die Revision gelangten Umfang aufzuheben.
3.
Einer Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Berufungsgericht
bedarf es nicht.
Aufgrund des festgestellten Sachverhalts ist die Sache zur Endentscheidung
reif
.
Das Landesarbeitsgericht ist rechtsfehlerhaft davon
ausgegangen, der vom Kläger erzielte Zwischenverdienst sei um die vom Klä-
ger behaupteten Aufwendungen gemindert. Es kommt deshalb nicht darauf an,
ob der Kläger tatsächlich Aufwendungen in der geltend gemachten Höhe hatte.
Auch wenn Aufwendungen für Schulungen auf den Flugzeugmustern Air-
bus A320 und Boeing 757/767 beim Kläger angefallen wären, wären diese nicht
vom Zwischenverdienst in Abzug zu bringen.
a)
Die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 1 KSchG be-
zweckt, eine Besser- oder Schlechterstellung des Arbeitnehmers nach gewon-
nenem Kündigungsschutzprozess zu vermeiden. Er ist so zu stellen, als wäre
das Arbeitsverhältnis ungekündigt weitergeführt worden. Damit können grund-
sätzlich auch erforderliche Aufwendungen zur Erzielung des anderweitigen
Verdienstes von diesem in Abzug gebracht werden
. Denn diese wä-
ren nicht entstanden, hätte der Arbeitnehmer sich nicht um einen anderweitigen
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Arbeitsplatz bemühen müssen. Dem steht nicht entgegen, dass ersparte Auf-
wendungen im Rahmen des § 11 Nr. 1 KSchG im Unterschied zu § 615 Satz 2
BGB nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen sind
. Denn
daraus folgt nicht, dass tatsächlich angefallene Aufwendungen für den erzielten
anderweitigen Verdienst schlechthin nicht berücksichtigungsfähig sind. Die An-
rechnung erforderlicher Aufwendungen auf den im Verzugszeitraum erzielten
anderweitigen Verdienst betrifft eine andere Fallgestaltung.
b)
Es können jedoch nicht jegliche Aufwendungen für eine weitere Berufs-
tätigkeit des Arbeitnehmers als zwischenverdienstmindernd anerkannt werden.
Zu unterscheiden ist zwischen Aufwendungen, die erforderlich sind, um im
Rahmen der bisherigen Qualifikation des Arbeitnehmers einer weiteren Er-
werbstätigkeit fachkundig und sachgerecht nachgehen zu können, und solchen,
die im Sinne einer Fortbildung die Qualifikation des Arbeitnehmers erhöhen,
ohne dass diese Qualifikation zur Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätig-
keit benötigt wird.
aa)
Zu der ersten Kategorie gehören Aufwendungen, die dazu dienen, eine
vorhandene Qualifikation, die in dem gekündigten Arbeitsverhältnis zur Verrich-
tung der geschuldeten Tätigkeit erforderlich war, zu behalten. Des Weiteren
sind hier Aufwendungen zu berücksichtigen, die einem Arbeitnehmer durch die
Aufnahme einer Tätigkeit an einem weit entfernt liegenden Arbeitsort in Form
von Reise- und Übernachtungskosten entstehen. Im Streitfall wären daher zB
Aufwendungen zum Erhalt der Musterberechtigung für die Fokker 100 als erfor-
derlich anzusehen.
bb)
Anders zu beurteilen sind hingegen Aufwendungen, die der Arbeitneh-
m
er hat, um sich weiter zu qualifizieren und hierdurch seinen „Marktwert“ auf
dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, ohne dass die hierbei erworbenen Kenntnisse
und Fähigkeiten dem Arbeitgeber unmittelbar zugutekommen. Die Berücksichti-
gung solcher Aufwendungen als zwischenverdienstmindernd widerspräche dem
Zweck des § 11 Nr. 1 KSchG. Wollte man sie als Abzugsposten beim erzielten
anderweitigen Verdienst berücksichtigen, führte dies wirtschaftlich betrachtet
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dazu, dass der Arbeitgeber diese Qualifizierungsmaßnahme voll bezahlt, ohne
ihr zugestimmt und ohne hiervon im Falle der Unwirksamkeit der Kündigung
einen Nutzen zu haben. Der Arbeitnehmer würde damit gerade nicht so gestellt,
als wenn das Arbeitsverhältnis ungekündigt weitergeführt worden wäre. Denn
im fortbestehenden Arbeitsverhältnis hätte er keinen Anspruch gegen seinen
Arbeitgeber auf Vergütung einer solchen Qualifizierungsmaßnahme. Dies darf
nicht außer Acht gelassen werden, ist doch Ziel des Kündigungsschutzprozes-
ses das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses und die Weiterbeschäftigung zu
den vertraglich vereinbarten Bedingungen. Im bestehenden Arbeitsverhältnis
hat der Arbeitgeber grundsätzlich nur die Kosten einer Fortbildung zu tragen,
die innerbetrieblich von Vorteil ist oder nur der Auffrischung oder Vertiefung be-
reits vorhandener Kenntnisse dient
. Der Arbeitgeber ist dagegen - abgesehen von § 1
Abs. 2 Satz 3 KSchG - grundsätzlich nicht verpflichtet, sich an den Kosten einer
Qualifizierung des Arbeitnehmers zu beteiligen, die für diesen von geldwertem
Vorteil ist, sei es, dass er hierdurch bei seinem bisherigen Arbeitgeber die Vo-
raussetzungen einer höheren Vergütung erfüllt oder dass sich die erworbenen
Kenntnisse auch anderweitig nutzbar machen lassen. Erklärt sich der Arbeitge-
ber hierzu freiwillig bereit, kann er mit dem Arbeitnehmer eine Vereinbarung
treffen, die ihn zur Rückzahlung der vom Arbeitgeber getragenen Ausbildungs-
kosten verpflichtet, wenn er vor Ablauf einer vereinbarten Bindungsdauer aus
dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Bei der Bemessung der Bindungsdauer sind
die Vorteile der Ausbildung und die Dauer der Bindung in ein angemessenes
Verhältnis zueinander zu setzen
.
cc)
Konsequenz dieses Verständnisses von § 11 Nr. 1 KSchG ist zugleich,
dass ein Arbeitnehmer es grundsätzlich nicht iSv. § 11 Nr. 2 KSchG böswillig
unterlässt, eine andere zumutbare Arbeit anzunehmen, wenn Voraussetzung
hierfür der erfolgreiche Abschluss einer Qualifizierungsmaßnahme ist, für die
der Arbeitnehmer finanzielle Aufwendungen zu erbringen hat. Es ist Sache des
Arbeitnehmers, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls abzuwä-
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gen, was ihm wichtiger und für seinen persönlichen Lebensweg erfolgverspre-
chender erscheint.
dd)
In Anwendung dieser Grundsätze sind die Aufwendungen des Klägers
für den Erwerb der Musterberechtigungen für den Airbus A320 und die
Boeing 757/767 nicht zwischenverdienstmindernd zu berücksichtigen. Der Klä-
ger kann diese bei dem Beklagten zu 2. nicht nutzbar einbringen, weil die
Schuldnerin die beiden Flugzeugmuster nicht eingesetzt hatte. Zudem war dem
Kläger bekannt, dass die Schuldnerin nach dem Insolvenzantrag den Flugbe-
trieb eingestellt hatte. Durch die erworbene Qualifikation haben sich damit aus-
schließlich die Arbeitsmarktchancen des Klägers verbessert
,
ohne dass der Beklagte zu 2. hiervon einen Vorteil gehabt hätte. Der Kläger
konnte von vornherein die erworbenen Musterberechtigungen nur bei anderen
Fluggesellschaften verwerten. Wenn er sich vor dem Hintergrund der schlech-
ten wirtschaftlichen Lage der Schuldnerin dazu entschieden hat, Musterberech-
tigungen für den Airbus A320 und die Boeing 757/767 zu erwerben, war dies für
sein weiteres berufliches Fortkommen zwar eine nachvollziehbare Entschei-
dung. Da der Beklagte zu 2. bzw. die Schuldnerin im fortbestehenden Arbeits-
verhältnis jedoch nicht verpflichtet gewesen wären, die für diese Qualifizierung
erforderlichen Kosten zu tragen, kann der Kläger dieses wirtschaftliche Ergeb-
nis nicht mittelbar über eine Anrechnung dieser Aufwendungen auf den im Ver-
zugszeitraum erzielten anderweitigen Verdienst erreichen.
ee)
Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom Kläger persönlich
nachgereichte Sachvortrag kann nicht berücksichtigt werden, weil sich der Klä-
ger vor dem Bundesarbeitsgericht nach § 11 Abs. 4 Satz 1 ArbGG von einem
Prozessbevollmächtigten, also einem Rechtsanwalt oder einem inbs. 4
Satz 2 und Satz 3 ArbGG iVmge-
nannten postulationsfähigen Verfahrensbevollmächtigten vertreten lassen
muss. Der Kläger ist nicht selbst postulationsfähig.
c)
Der Senat kann nach § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entschei-
den, weil der festgestellte Sachverhalt zur Endentscheidung reif ist. Hiernach ist
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auf den Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung nach § 615 Satz 1 BGB iVm.
§ 611 Abs. 1 BGB in Höhe von 40.177,53 Euro brutto der im Verzugszeitraum
erzielte Zwischenverdienst in Höhe von 37.692,04 Euro brutto anzurechnen.
Dieser anderweitige Verdienst mindert sich nicht um die Aufwendungen zum
Erwerb der Musterberechtigungen für den Airbus A320 und die Boeing 757/767.
Die Klage ist deshalb nur im Umfang von 2.485,49 Euro brutto begründet. Der
Anspruch des Klägers auf Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz ab dem 1. Februar 2015 folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2
BGB.
V.
Der für den Fall des Unterliegens mit dem Hauptantrag gestellte Hilfs-
antrag fällt dem Senat zur Entscheidung an. Dieser Antrag ist - in der gebote-
nen Auslegung - für den Fall gestellt, dass die Aufwendungen des Klägers nicht
vom Zwischenverdienst in Abzug zu bringen sind. Diese innerprozessuale Be-
dingung ist eingetreten. Der Senat ist nicht gehindert, über den Antrag selbst zu
endentscheiden
. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Der
Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung des Darlehens in Höhe von
25.000,00 Euro nebst Zinsen.
1.
Als Anspruchsgrundlage kommen lediglich die Regelungen über die
Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677, 683 Satz 1, § 670 BGB in Be-
tracht. Der Beklagte zu 2. hat den Kläger unstreitig nicht beauftragt, das Darle-
hen aufzunehmen.
2.
Geschäftsführung ohne Auftrag setzt voraus, dass der Geschäftsführer
ein Geschäft „für einen anderen“ besorgt. Das ist der Fall, wenn er das Ge-
schäft nicht (nur) als eigenes, sondern (auch) als fremdes führt, also in dem
Bewusstsein und mit dem Willen, zumindest auch im Interesse eines anderen
zu handeln. Zu unterscheiden ist zwischen objektiv und subjektiv fremden Ge-
schäften
.
Voraussetzung für den Anspruch auf Kostenerstattung nach §§ 677, 683
Satz 1, § 670 BGB ist dabei jedenfalls, dass die Aufwendungen erforderlich wa-
ren und dem mutmaßlichen Willen des Dritten entsprachen
.
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3.
Danach hat der Kläger kein fremdes Geschäft geführt, das dem mut-
maßlichen Willen des Beklagten zu 2. entsprach, indem er Aufwendungen tätig-
te, um seine Beschäftigungschancen bei anderen Fluggesellschaften zu stei-
gern. Der Kläger ist dabei nur im eigenen Rechts- und Interessenkreis tätig ge-
worden. Der für eine Fremdgeschäftsführung erforderliche unmittelbare Bezug
zum Rechts- und Interessenkreis des Beklagten zu 2. ist nicht schon deshalb
gegeben, weil der erzielte Zwischenverdienst auf die Vergütung wegen Annah-
meverzugs anzurechnen ist und damit dem Vermögen des Beklagten zu 2. zu-
gutekommt. Dem steht entgegen, dass der Kläger mit den Aufwendungen sein
berufliches Fortkommen sichern wollte. Eine dadurch mittelbar bewirkte Vermö-
gensmehrung auf Seiten des Beklagten zu 2. stellt keine Wahrnehmung von
Interessen des anderen und damit keine Geschäftsführung dar, welche eine
Anwendung der Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag rechtferti-
gen könnte.
VI.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Linck
Biebl
Volk
Zorn
Hepper
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