Urteil des BAG vom 27.05.2020

Prozessbeschäftigung - Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 27. Mai 2020
Fünfter Senat
- 5 AZR 247/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:270520.U.5AZR247.19.0
I. Arbeitsgericht Iserlohn
Urteil vom 20. März 2018
- 5 Ca 2033/17 -
II. Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil vom 21. November 2018
- 4 Sa 388/18 -
Entscheidungsstichworte:
Prozessbeschäftigung - Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Leitsatz:
Wird ein gekündigter Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist zur
Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem titulierten allgemeinen
Weiterbeschäftigungsanspruch vorläufig weiterbeschäftigt, bestehen keine
Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Entgeltzahlung an
Feiertagen, wenn sich nachträglich die Kündigung als wirksam erweist.
ECLI:DE:BAG:2020:270520.U.5AZR247.19.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
5 AZR 247/19
4 Sa 388/18
Landesarbeitsgericht
Hamm
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
27. Mai 2020
URTEIL
Schmidt-Brenner, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Kläger, Berufungsbeklagter, Anschlussberufungskläger und
Revisionskläger,
pp.
Beklagte, Berufungsklägerin, Anschlussberufungsbeklagte und
Revisionsbeklagte,
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
27. Mai 2020 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dr. Linck,
die Richterinnen am Bundesarbeitsgericht Berger und Dr. Volk sowie die eh-
renamtlichen Richter Menssen und Jungbluth für Recht erkannt:
- 2 -
5 AZR 247/19
ECLI:DE:BAG:2020:270520.U.5AZR247.19.0
- 3 -
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landes-
arbeitsgerichts Hamm vom 21. November 2018 - 4 Sa
388/18 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten seiner Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revision noch über Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall und Feiertagsvergütung während einer Prozessbeschäftigung.
Der Kläger war bei der Beklagten als Schlosser mit einem Stundenlohn
iHv. zuletzt 20,20 Euro brutto in der 40-Stunden-Woche seit November 2010
beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom
31. August 2015 zum 30. September 2015. Die hiergegen erhobene Kündi-
gungsschutzklage war in erster Instanz erfolgreich. Das Arbeitsgericht verurteil-
te die Beklagte mit Urteil vom 15. August 2017
zugleich, den
Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu
unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Schlosser weiterzube-
schäftigen.
Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 17. August 2017 die Weiterbe-
schäftigung verlangt und Vollstreckungsmaßnahmen angedroht hatte, teilte die
Beklagte dem Kläger am 21. August 2017 mit, sie werde ihn zur Vermeidung
der Zwangsvollstreckung weiterbeschäftigen. Am 31. August 2017 nahm der
Kläger seine Arbeit bei der Beklagten wieder auf. An diesem Tag erkrankte er
nach 1 ¼ Stunden geleisteter Arbeit und war nachfolgend bis einschließlich
10. September 2017 sowie in der Zeit vom 27. September bis zum 30. Oktober
2017 arbeitsunfähig. Die Beklagte vergütete die vom Kläger geleisteten Arbeits-
stunden, nicht aber die infolge von Arbeitsunfähigkeit und an gesetzlichen Fei-
ertagen ausgefallene Arbeitszeit.
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5 AZR 247/19
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Die Parteien beendeten das Kündigungsschutzverfahren in der Beru-
fung vor dem Landesarbeitsgericht Hamm
durch einen am
22. März 2018 geschlossenen Vergleich. Darin kamen sie ua. überein, dass das
Arbeitsverhältnis aufgrund fristgemäßer arbeitgeberseitiger Kündigung aus be-
trieblichen Gründen zum 30. September 2015 aufgelöst worden sei.
Der Kläger hat für die Zeit vom 31. August bis zum 8. September 2017
sowie vom 27. September bis zum 30. Oktober 2017 Krankengeld erhalten.
Der Kläger hat gemeint, die Beklagte sei verpflichtet, ihm während sei-
ner Prozessbeschäftigung auch die Zeiten zu vergüten, in denen er wegen Ar-
beitsunfähigkeit und an gesetzlichen Feiertagen nicht gearbeitet habe.
Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.360,75 Euro brutto
nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basis-
zinssatz in zeitlich näher bestimmter Staffelung abzüglich
am 8. März 2019 erhaltenen Krankengeldes iHv.
2.807,47 Euro zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, aufgrund des
geschlossenen Vergleichs stehe fest, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des
30. September 2015 sein Ende gefunden habe. Zwischen den Parteien habe
anschließend lediglich ein Prozessbeschäftigungsverhältnis bestanden, das
nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen abzuwickeln gewesen sei. Für Zei-
ten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers und die an gesetzlichen Feiertagen aus-
gefallene Arbeitszeit schulde sie keinen Wertersatz.
Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Belang -
stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das
erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen. Mit sei-
ner vom Senat durch Beschluss vom 26. Juni 2019
zugelas-
senen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen
Urteils unter Berücksichtigung des erhaltenen Krankengeldes. Während des
laufenden Revisionsverfahrens hat die Beklagte nach Angaben des Klägers die
Klageforderung erfüllt. Der Kläger hat ausdrücklich erklärt, gleichwohl keine Er-
ledigungserklärung abgeben zu wollen.
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Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet.
I.
Die Klage ist bereits unschlüssig, weil der Kläger mit Schriftsatz vom
21. April 2020 mitgeteilt hat, dass die noch offene Klageforderung im Laufe des
Revisionsverfahrens zur Auszahlung gebracht worden ist. Die Forderung ist
damit erfüllt
.
II.
Ungeachtet dessen war die Klage in dem in die Revision gelangten Um-
fang von Anfang an unbegründet. Der Kläger hat für die Dauer der vorläufigen
Weiterbeschäftigung weder Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
gemäß § 3 EFZG noch auf Entgeltzahlung an Feiertagen gemäß § 2 EFZG.
1.
Der Kläger war im Streitzeitraum nicht Arbeitnehmer iSd. Entgeltfort-
zahlungsgesetzes.
a)
Nach § 1 Abs. 2 EFZG sind Arbeitnehmer iSd. Gesetzes Arbeiter und
Angestellte sowie die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten. In Ermangelung ei-
ner eigenständigen Definition ist bei der Anwendung des Entgeltfortzahlungs-
gesetzes nach allgemeinen Regeln
festzustellen, ob ein
Beschäftigter Arbeitnehmer ist
;
.
b)
Entgegen der Auffassung der Revision sind die vom Gerichtshof der
Europäischen Union entwickelten Grundsätze zum Arbeitnehmerbegriff für die
Auslegung des Begriffs in § 1 EFZG nicht heranzuziehen. Der unionsrechtliche
Arbeitnehmerbegriff ist maßgeblich, wenn eine unionsrechtliche Regelung an-
gewandt oder nationales Recht richtlinienkonform umgesetzt oder ausgelegt
werden muss. Er beeinflusst nationales Recht nur dort, wo unionsrechtliche
Vorgaben für die Regelungsmaterie existieren
. Das ist in Bezug auf das Entgeltfortzahlungsgesetz nicht der Fall. Da-
mit verbleibt es beim nationalen Arbeitnehmerbegriff, denn dieser gilt, wie sich
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aus § 611a Abs. 1 BGB ergibt, einschränkungslos, sofern das Unionsrecht nicht
betroffen ist
.
c)
Gemäß § 611a Abs. 1 BGB ist Arbeitnehmer, wer durch den Arbeitsver-
trag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbe-
stimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Weisungsgebunden
ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeits-
zeit bestimmen kann. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist ei-
ne Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche
Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis
handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.
aa)
Voraussetzung der Arbeitnehmereigenschaft ist damit, dass sich die
Verpflichtung zur weisungsgebundenen Tätigkeit aus einem Vertrag ergibt. Das
Erfordernis einer vertraglichen Begründung der Arbeitspflicht als Voraussetzung
des Arbeitnehmerstatus (sog. Vertragstheorie) ist grundsätzlich unverzichtbar.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt allein dann, wenn Arbeitsverhältnis-
se durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes begründet werden, wie dies
etwa in Art. 12a Abs. 3 Satz 1 GG iVm. § 10 Arbeitssicherstellungsgesetz vom
9. Juli 1968
oder in § 10 Abs. 1 AÜG vorgesehen ist
. Die in
der Zeit des Nationalsozialismus entwickelte Auffassung, das Arbeitsverhältnis
entstehe durch die „Eingliederung“ des Arbeitnehmers in den Betrieb, ein Ver-
trag sei für dessen Begründung entbehrlich
, ist mit der Abkehr
von der Lehre vom „personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis“
überwun-
den
.
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bb)
Nach diesen Grundsätzen bestand nach dem 30. September 2015 zwi-
schen den Parteien kein Arbeitsverhältnis. Es ist vielmehr zu diesem Zeitpunkt
durch Kündigung der Beklagten beendet worden. Dies steht aufgrund des Ver-
gleichs vom 22. März 2018 fest. Darin haben die Parteien vereinbart, dass das
Arbeitsverhältnis durch die in jenem Verfahren streitgegenständliche Kündigung
der Beklagten zum 30. September 2015 geendet hat. Das entgegenstehende
erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts vom 15. August 2017
ist durch den Vergleich wirkungslos geworden
.
cc)
Die Parteien haben im Zusammenhang mit der Prozessbeschäftigung
kein neues Arbeitsverhältnis begründet.
(1)
Die Arbeitsvertragsparteien können während des laufenden Kündi-
gungsschutzprozesses ausdrücklich oder konkludent vereinbaren, dass das
Arbeitsverhältnis auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung der
Kündigungsschutzklage oder befristet bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsschutzverfahrens fortgesetzt wird
. Durch eine solche Weiterbeschäftigungsvereinbarung schaffen die Par-
teien für die Beschäftigung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist
bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage eine ar-
beitsvertragliche Grundlage. Ob einer tatsächlichen Weiterbeschäftigung des
Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist ein derartiger Vertrag zugrunde
liegt, ist durch Auslegung der ausdrücklichen oder konkludenten Erklärungen
der Parteien zu ermitteln
. Dabei trägt der Arbeitnehmer für das Bestehen einer vertragli-
chen Vereinbarung über die vorübergehende Fortsetzung des gekündigten Ar-
beitsverhältnisses die Darlegungs- und Beweislast
.
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(2)
Hiernach kann nicht vom Bestehen einer vertraglichen Vereinbarung
der Parteien über die vorübergehende Fortsetzung des gekündigten Arbeitsver-
hältnisses ausgegangen werden. Hierauf bezogene Feststellungen hat das
Landesarbeitsgericht nicht getroffen. Die Beklagte ist mit der tatsächlichen Be-
schäftigung des Klägers nur ihrer Rechtspflicht aus der erstinstanzlichen Verur-
teilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung nachgekommen.
(a)
Feststellungen zu einer ausdrücklichen oder konkludenten rechtsge-
schäftlichen Vereinbarung über die durch die rechtskräftige Abweisung der
Kündigungsschutzklage auflösend bedingte oder bis zum rechtskräftigen Ab-
schluss des Kündigungsschutzverfahrens befristete Fortsetzung des Arbeits-
verhältnisses bei Aufnahme der Prozessbeschäftigung hat das Landesarbeits-
gericht nicht getroffen. Nach seinen Feststellungen hat die Beklagte lediglich
erklärt, den Kläger zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig
vollstreckbaren Weiterbeschäftigungstitel zu beschäftigen. Hierin liegt jedoch
kein Vertragsangebot iSv. § 145 BGB.
(b)
Mit der Verurteilung des Arbeitgebers zur vorläufigen Weiterbeschäfti-
gung des Arbeitnehmers tituliert das Arbeitsgericht den vom Großen Senat des
Bundesarbeitsgerichts im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten allgemeinen
Weiterbeschäftigungsanspruch. Dieser ist auf die tatsächliche Beschäftigung
gerichtet und sichert das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers.
Grundlage dieses Interesses sind nach der Rechtsprechung des Großen Se-
nats § 611 Abs. 1
, §§ 613, 242 BGB unter Berücksich-
tigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG
. Erzwingt der Arbeitnehmer durch Zwangsvollstreckungsmaß-
nahmen oder deren Androhung seine Weiterbeschäftigung, ist der Arbeitgeber
nur zu einer tatsächlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers und nicht zum Ab-
schluss eines Arbeitsvertrags mit diesem verpflichtet
. Kommt der Arbeitgeber dem
Weiterbeschäftigungsverlangen des Arbeitnehmers zur Vermeidung der
Zwangsvollstreckung nach, macht er deutlich, nur die aus dem vorläufig voll-
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streckbaren Titel folgende Rechtspflicht gemäß § 362 Abs. 1 BGB erfüllen zu
wollen. Ohne weitere Anhaltspunkte kann nicht davon ausgegangen werden,
dass der Arbeitgeber mit der tatsächlichen Beschäftigung zugleich den Ab-
schluss eines Arbeitsvertrags herbeiführen und das Arbeitsverhältnis über den
Ablauf der Kündigungsfrist hinaus fortsetzen oder ein neues Arbeitsverhältnis
begründen will
. Die bloße Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betriebsablauf durch
Aufnahme der Beschäftigung begründet kein Arbeitsverhältnis.
(c)
Der Erklärung der Beklagten vom 21. August 2017 ist mit hinreichender
Deutlichkeit zu entnehmen, dass sie mit der Weiterbeschäftigung des Klägers
ab dem 31. August 2017 allein ihre Pflicht aus dem Urteil des Arbeitsgerichts
erfüllen wollte. Die Weiterbeschäftigung erfolgte zur Vermeidung der Zwangs-
vollstreckung, nachdem der Kläger am 17. August 2017 die Vollstreckung an-
gedroht hatte. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte damit zugleich den Ab-
schluss eines Arbeitsvertrags herbeiführen wollte, sind nicht erkennbar.
d)
Entgegen der Auffassung der Revision begründet die Prozessbeschäf-
tigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung eines titulierten allgemeinen
Weiterbeschäftigungsanspruchs kein Arbeitsverhältnis. Dies entspricht der bis-
herigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
,
die weitgehend Zustimmung gefunden hat
. Die hiergegen erhobene Kritik
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gibt dem Senat keine Veranlassung zur Aufgabe der bis-
herigen Rechtsprechung.
aa)
Der auf die Sicherung des ideellen Beschäftigungsinteresses des Ar-
beitnehmers während des Kündigungsrechtsstreits gerichtete Weiterbeschäfti-
gungsanspruch verlangt nur die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers.
Ein Arbeitsverhältnis wird bei Aufnahme der Beschäftigung nicht begründet.
Aus den Rechtsgrundlagen des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs
lässt sich nichts für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses als Rechtsgrund-
lage eines Vergütungsanspruchs herleiten
. Rechtsgrund, Schutzzweck und
Rechtswirkungen sind vielmehr voneinander zu trennen
. Das materielle, auf die Erlangung
von Arbeitsentgelt gerichtete Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers ist
nach der Kündigung durch § 615 BGB gesichert
. Das Weiterbeschäftigungs-
verhältnis
ist so verstanden kein „Arbeitsverhältnis zweiter Klasse“
, sondern überhaupt kein Arbeitsverhältnis
.
bb)
Die vorläufige Weiterbeschäftigung begründet kein „faktisches bzw. feh-
lerhafte
s Arbeitsverhältnis“
.
(1)
Ein faktisches (genauer: fehlerhaftes) Arbeitsverhältnis besteht, wenn
ein Arbeitnehmer ohne wirksame Vertragsgrundlage Arbeit geleistet hat
. Vo-
raussetzung eines solchen fehlerhaften Arbeitsverhältnisses ist zunächst eine
Willenseinigung als tatsächlicher Akt, dh. es müssen zwei korrespondierende,
auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags gerichtete, unwirksame oder anfecht-
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bare Willenserklärungen vorliegen
. Auch der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seiner Ent-
scheidung zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch darauf hingewie-
sen, ein solches Arbeitsverhältnis setze voraus, dass die Beschäftigung des
Arbeitnehmers zwar ohne Rechtsgrund, aber mit Wissen und Wollen des Ar-
beitgebers erfolge
. Fehlt dagegen bereits eine - wenn auch fehlerhafte - rechtsge-
schäftliche Übereinkunft, liegt kein fehlerhaftes Arbeitsverhältnis vor
. Der in diesem Zusammenhang
oftmals verwendete Begriff
des „faktischen Arbeitsverhältnisses“ ist missver-
ständlich, weil es in jedem Falle eines, wenn auch gestörten Vertragsschlusses
bedarf, dh. der Vertrag kommt nicht lediglich durch die Arbeitsleistung zustande
.
(2)
Hiervon ausgehend begründet die vorläufige Weiterbeschäftigung zur
Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem Weiterbeschäftigungstitel,
dem der vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts entwickelte allgemeine
Weiterbeschäftigungsanspruch zugrunde liegt
, kein fehlerhaftes Arbeitsverhältnis. Diese dem Arbeitge-
ber aufgezwungene Weiterbeschäftigung während des Kündigungsrechtsstreits
erfolgt nicht durch rechtsgeschäftliche Übereinkunft der Parteien und nicht mit
einem autonom bestimmten Wollen des Arbeitgebers. Indem der Arbeitgeber
gegen das der Kündigungsschutzklage stattgebende Urteil Rechtsmittel einlegt
und den Arbeitnehmer nur zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung aus der
titulierten Weiterbeschäftigungsverpflichtung beschäftigt, macht er diesem ge-
genüber hinreichend deutlich, dass er durch die Weiterbeschäftigung kein
- auch kein fehlerhaftes - Vertragsverhältnis begründen, sondern lediglich die
aus dem Weiterbeschäftigungstitel folgende Rechtspflicht zur tatsächlichen Be-
schäftigung erfüllen will. Soweit das Senatsurteil vom 15. Januar 1986
anders verstanden werden könnte,
hält der Senat an dieser Rechtsprechung nicht weiter fest
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.
(3)
Die Erklärung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zur Abwendung der
Zwangsvollstreckung und eben nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses
beschäftigen zu wollen, ist nicht als protestatio facto contraria unbeachtlich
. Dies wäre nur eine Erklärung, die im Wider-
spruch zu einem bestimmten Verhalten steht
. Wird jedoch erstinstanzlich die Unwirksamkeit einer Kündigung
festgestellt und besteht nunmehr der von der Rechtsprechung entwickelte all-
gemeine Weiterbeschäftigungsanspruch, stellt die Verwahrung gegen einen
Vertragsschluss kein widersprüchliches Verhalten dar, weil der Arbeitgeber mit
der tatsächlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers gerade seine Weiterbe-
schäftigungspflicht erfüllt
.
Die Gegenauffassung lässt außer Acht, dass der vom Großen Senat des Bun-
desarbeitsgerichts entwickelte allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch von
vornherein nur auf die tatsächliche Beschäftigung gerichtet ist und hieraus kein
Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrags folgt.
(4)
Soweit zugunsten der Annahme eines faktischen Arbeitsverhältnisses
vorgebracht wird, man sollte nicht auf halbem Wege stehen bleiben und aus
Gründen des Schutzes des existenziell vom Bestand des Arbeitsverhältnisses
abhängigen Arbeitnehmers sei das Arbeitsverhältnis bis zum Abschluss des
Kündigungsrechtsstreits als wirksam zu betrachten
, handelt es sich um eine rechts-
politische Forderung, die auf der Grundlage des Beschlusses des Großen Se-
nats nicht umgesetzt werden kann. Die Vertreter dieser Auffassung beachten
nicht genügend, dass der Arbeitnehmer bereits bei Erbringung seiner Arbeits-
leistung davon ausgehen muss, dass eine vertragliche Grundlage für seine
Leistungen fehlen könnte, weil über die Wirksamkeit der erfolgten Kündigung
noch nicht rechtskräftig entschieden wurde
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. Ein Vertrauen in ein erstinstanzliches, nicht rechtskräftiges Urteil
ist nicht schützenswert, wie sich letztlich hinreichend deutlich bereits aus § 717
Abs. 2 ZPO ergibt
.
cc)
Entgegen der Auffassung der Revision wird der fehlende rechtsge-
schäftliche Wille des Arbeitgebers zum Abschluss eines Arbeitsvertrags nicht
durch ein vollstreckbares Weiterbeschäftigungsurteil ersetzt.
(1)
Insoweit ist zunächst zwischen dem Beschäftigungswillen und einem
Rechtsbindungswillen zu differenzieren
. Der Beschäftigungswille ist - ebenso wie der
Weiterbeschäftigungsanspruch - auf die tatsächliche Beschäftigung, also auf
eine Handlung und nicht auf ein Rechtsgeschäft gerichtet. Beschäftigt der Ar-
beitgeber den Arbeitnehmer, weil er hierzu aufgrund einer gerichtlichen Ent-
scheidung verpflichtet ist, äußert sich darin für den Arbeitnehmer - vorbehaltlich
besonderer Umstände - regelmäßig nur ein Beschäftigungs- und nicht zugleich
ein rechtsgeschäftlicher Wille gerichtet auf eine Beschäftigung auf vertraglicher
Grundlage. Denn mit der Beschäftigung erfüllt der Arbeitgeber - für den Arbeit-
nehmer erkennbar - nur dessen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung, der
auch Gegenstand des vom Arbeitnehmer erhobenen allgemeinen Weiterbe-
schäftigungsanspruchs ist. Der Beschäftigungswille kann deshalb kein Arbeits-
oder sonstiges Schuldverhältnis begründen.
(2)
Diese rechtsgeschäftlichen Grundlagen spiegeln sich auch in der
Zwangsvollstreckung einer ausgeurteilten Weiterbeschäftigungspflicht wider.
Diese erfolgt nach § 888 Abs. 1 ZPO und ist von dem nach § 894 ZPO zu voll-
streckenden Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung zu unterscheiden
. Bei der Zwangsvollstreckung aus einem ausgeur-
teilten Weiterbeschäftigungsanspruch hat der Vollstreckungsschuldner mit der
Pflicht zur Beschäftigung eine unvertretbare Handlung vorzunehmen, zu der er,
wenn er sie nicht erfüllt, durch Zwangsgeld und Zwangshaft angehalten werden
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kann
. Hierbei wird der Wille des Schuld-
ners nicht ersetzt, sondern gebeugt, sog. Beugezwang
. Soweit die Entscheidung des Senats vom
12. Februar 1992
so zu ver-
stehen sein sollte, dass der titulierte Weiterbeschäftigungsanspruch vollstre-
ckungsrechtlich die Möglichkeit gebe, den fehlenden Beschäftigungswillen der
Beklagten zu ersetzen, wird hieran nicht festgehalten.
dd)
Des Weiteren begründet das der Kündigungsschutzklage stattgebende
und den Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung verpflichtende Urteil des Arbeits-
gerichts selbst keine vertragsrechtliche Grundlage für die Tätigkeit des Arbeit-
nehmers. Wird der Arbeitgeber auf Antrag des Arbeitnehmers verurteilt, diesen
zu unveränderten, näher beschriebenen arbeitsvertraglichen Bedingungen wei-
terzubeschäftigen, hat dies keine rechtsgestaltende Wirkung
. Ein Arbeitsverhältnis wird hierdurch nicht be-
gründet. Die Bezeichnung der Bedingungen der Weiterbeschäftigung ist viel-
mehr erforderlich, damit der erhobene Leistungsantrag den Bestimmtheitsan-
forderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt und einen vollstreckungsfähi-
gen Inhalt hat. Der Gegenstand
der „unveränderten Arbeitsbedingungen“ muss
der Entscheidung zumindest rahmenmäßig zu entnehmen sein
.
ee)
Die Behauptung, es müssten für die Dauer der vorläufigen Weiterbe-
schäftigung die Arbeitnehmerschutzvorschriften fortgelten
, ist nicht geeignet, für
die Dauer der Prozessbeschäftigung ein Arbeitsverhältnis als Grundlage dieser
Zahlungsansprüche zu begründen. Der Arbeitgeber hat zwar die Arbeitsschutz-
vorschriften einzuhalten, die sich, wie beispielsweise der Gesundheitsschutz,
auf die Beschäftigung selbst beziehen. Arbeitsrechtliche Vorschriften, die den
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Bestand eines Arbeitsverhältnisses voraussetzen, wie etwa das Entgeltfortzah-
lungsgesetz, sind hingegen nicht notwendigerweise auf das Weiterbeschäfti-
gungsverhältnis anzuwenden.
2.
Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Entgeltzah-
lung an Feiertagen bei der Durchsetzung des allgemeinen Weiterbeschäfti-
gungsanspruchs ergibt sich auch nicht aus anderen Gründen.
a)
Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Entgeltzahlung
an Feiertagen können nicht aus einer analogen Anwendung der Rechtsfolgen
einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach Widerspruch des Betriebs-
rats nach § 102 Abs. 5 BetrVG hergeleitet werden
.
aa)
Liegen die Voraussetzungen des besonderen Beschäftigungsanspruchs
nach § 102 Abs. 5 BetrVG vor, besteht das bisherige Arbeitsverhältnis kraft Ge-
setzes auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungs-
schutzklage fort
. Die beiderseitigen Leistungen werden dann aufgrund
des bisherigen Arbeitsverhältnisses erbracht. Der Beschäftigungsanspruch
nach § 102 Abs. 5 BetrVG besteht anders als der durch Rechtsfortbildung ent-
wickelte allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch unabhängig davon, ob die
Kündigung wirksam war oder nicht
. Der Arbeitnehmer hat somit bei einer Weiterbeschäfti-
gung nach § 102 Abs. 5 BetrVG Anspruch auf Beschäftigung und Entgelt bis
zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage.
bb)
Eine analoge Anwendung dieser Rechtsfolgen auf den vom Großen
Senat entwickelten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch ist nicht mög-
lich. Die Anspruchsvoraussetzungen beider Weiterbeschäftigungsansprüche
und die mit ihnen verfolgten Regelungszwecke unterscheiden sich grundlegend
und stehen einem Gleichlauf bei den Rechtsfolgen entgegen.
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(1)
Während der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch - sofern die
Kündigung nicht offensichtlich unwirksam ist
- grundsätzlich erst nach einem der
Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteil entsteht, weil erst hierdurch die
Unsicherheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses vorläufig beseitigt
ist
, besteht der
betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch stets nach einem
form- und fristgerechten Widerspruch des Betriebsrats gegen die Kündigung. Er
setzt das Bestehen eines Betriebsrats sowie dessen wirksamen Widerspruch
voraus. Hiervon wiederum hängt der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch
nicht ab, er kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn der Betriebsrat der
Kündigung zugestimmt hat und damit die tatbestandlichen Anforderungen des
§ 102 Abs. 5 BetrVG nicht erfüllt sind. Die Wirksamkeit/Unwirksamkeit der Kün-
digung und die hierzu im Instanzenzug ergehenden Entscheidungen sind für
den betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch dagegen
unerheblich.
(2)
Mit den beiden Weiterbeschäftigungsansprüchen werden unterschiedli-
che Regelungszwecke verfolgt.
(a)
§ 102 Abs. 5 BetrVG dient nicht nur der Verbesserung des Bestands-
schutzes des Arbeitnehmers
, sondern insbesondere der Stärkung der Stellung
des Betriebsrats bei Ausübung seiner kollektiv-rechtlichen Befugnisse. So hat
der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluss vom
27. Februar 1985
darauf
hingewiesen, dass die Weiterbeschäftigungsregelung des § 102 Abs. 5 BetrVG
im Zusammenhang mit der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972
eingeführt worden ist. Ziel dieser Neufassung war es, die Rechtsstellung des
Betriebsrats zu stärken
. Diesem Ziel diente auch das dem Betriebsrat in § 102
Abs. 3 BetrVG eingeräumte Widerspruchsrecht gegen eine vom Arbeitgeber
beabsichtigte ordentliche Kündigung. So liegen die in § 102 Abs. 3 Nr. 1 bis
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Nr. 5 BetrVG im Einzelnen aufgeführten und abschließend festgelegten Gründe
für einen möglichen Widerspruch des Betriebsrats im kollektiv-rechtlichen Be-
reich. Soweit das Gesetz als Rechtsfolge eines ordnungsgemäßen Wider-
spruchs des Betriebsrats in § 102 Abs. 5 BetrVG die Pflicht des Arbeitgebers
knüpft, den gekündigten Arbeitnehmer auf dessen Verlangen nach Erhebung
der Kündigungsschutzklage bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündi-
gungsprozesses bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen,
soll hierdurch dem Widerspruch des Betriebsrats auf der Ebene des Einzelar-
beitsvertrags Nachdruck verliehen werden. Dem Betriebsrat, dessen volle Mit-
bestimmung bei Kündigungen während des Gesetzgebungsverfahrens gefor-
dert worden war, sollte dadurch eine stärkere Stellung gegeben werden. Soweit
das zu einer Verbesserung der individualrechtlichen Stellung des gekündigten
Arbeitnehmers geführt hat, war dies nur eine Folge der dem Betriebsrat einge-
räumten Rechte. Die Verstärkung der Individualrechte des gekündigten Arbeit-
nehmers hat ihre Wurzel allein im kollektiv-rechtlichen Bereich
.
(b)
Derartige Zwecke werden mit dem allgemeinen Weiterbeschäftigungs-
anspruch nicht verfolgt. Nach der Rechtsprechung des Großen Senats
soll dieser
- anders als der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch -
das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers sichern. Dieses besteht
darin, durch Ausübung der vertragsgemäßen Tätigkeit die eigene Persönlichkeit
entfalten sowie die Achtung und Wertschätzung der Menschen des eigenen
Lebenskreises erwerben oder erhalten zu können. Das ideelle Beschäftigungs-
interesse des Arbeitnehmers wird dabei nicht dadurch abgeschwächt, dass es
sich bei seiner Verwirklichung während des Rechtsstreits zugleich im Sinne ei-
nes vorläufigen Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses auswirkt, weil durch
die Weiterbeschäftigung die endgültige Wiedereingliederung des Arbeitnehmers
in den Betrieb nach von ihm gewonnenem Prozess gesichert oder erleichtert
wird. Rechtsgrund, Schutzzweck und Rechtswirkungen der Weiterbeschäfti-
gung sind vielmehr voneinander zu trennen
.
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(c)
Im Hinblick auf die aufgezeigten unterschiedlichen Anspruchsvoraus-
setzungen und Regelungsziele der beiden Weiterbeschäftigungsansprüche ist
eine analoge Anwendung der Rechtsfolgen einer Weiterbeschäftigung nach
§ 102 Abs. 5 BetrVG auf den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch nicht
möglich
. Die Sicherung des ideellen Be-
schäftigungsanspruchs durch Zuerkennung eines allgemeinen Weiterbeschäfti-
gungsanspruchs verlangt nicht die Gewährung vertraglicher Vergütungsansprü-
che für die Dauer der Prozessbeschäftigung.
b)
Soweit gegen die bisherige Rechtsprechung eingewandt wird, die retro-
spektive Sichtweise sei nicht praktikabel, weil in dem Zeitraum der Weiterbe-
schäftigung unklar bleibe, ob dem Arbeitnehmer während der Erkrankung ein
Anspruch nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz gegenüber dem Arbeitgeber
zustehe oder von dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung Kranken-
geld
zu gewähren sei
, kann dies eine abweichende Beurtei-
lung nicht rechtfertigen. Die behauptete mangelnde Praktikabilität allein kann
nicht eine nicht bestehende Rechtsgrundlage des Entgeltfortzahlungsanspruchs
im Krankheitsfall ersetzen. Soweit in diesem Zusammenhang erwogen wird, die
Regeln über das fehlerhafte Arbeitsverhältnis anzuwenden
, ist dem entgegenzuhalten, dass - wie oben im Einzelnen ausge-
führt
- dessen Voraussetzungen bei der vorläufigen Weiterbeschäfti-
gung auf der Grundlage des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs nicht
vorliegen.
c)
Für die Anwendbarkeit des § 3 EFZG auf die Prozessbeschäftigung
wird des Weiteren geltend gemacht, die gesetzliche Regelung diene nicht nur
dem Individualinteresse, sondern auch der Entlastung der gesetzlichen Kran-
kenkasse. Die Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes stellten eine ge-
setzliche Ausgestaltung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dar. Der fehlende
Kontrahierungswille des Arbeitgebers könne dies nicht in Frage stellen
. Diese
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am Ergebnis orientierte Argumentation ist rechtsdogmatisch nicht haltbar. Sie
blendet die Bedeutung des Vertragswillens im Bürgerlichen Recht aus. Soweit
anerkannt worden ist, dass § 3 Abs. 1 EFZG auch öffentliche Interessen ver-
folgt und daher Eingriffsnorm iSv. Art. 34 EGBGB
ist
, kann hieraus für einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall bei einer Prozessbeschäftigung nichts hergeleitet werden. Dage-
gen spricht, dass Grundlage dieser Rechtsprechung eine arbeitsvertragliche
Beziehung der Parteien ist. Rückschlüsse auf Entgeltfortzahlungsansprüche
ohne vertragsrechtliches Rechtsverhältnis können hieraus nicht gezogen wer-
den.
d)
Ansprüchen auf Entgeltzahlung an Feiertagen gemäß § 2 Abs. 1 EFZG
und auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG wäh-
rend der Prozessbeschäftigung steht schließlich auch entgegen, dass der Feier-
tag und die Arbeitsunfähigkeit in dieser Situation nicht kausal für den Ausfall der
Arbeitsleistung sind.
aa)
Infolge des gesetzlichen Feiertags fällt die Arbeit nur dann aus, wenn
der Feiertag die alleinige Ursache für den Arbeitsausfall ist
. Hätte der Arbeitnehmer an dem betreffenden Tag auch ohne
den Feiertag nicht gearbeitet und kein Arbeitsentgelt erhalten, steht ihm keine
Feiertagsvergütung zu. Hiervon ist zB auszugehen, wenn die beiderseitigen
Hauptpflichten suspendiert sind und das Arbeitsverhältnis ruht
. Gleiches gilt bei der Entgeltfortzah-
lung im Krankheitsfall. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt darf nicht bereits auf-
grund anderer Ursachen entfallen. Der Entgeltfortzahlungsanspruch setzt also
voraus, dass der erkrankte Arbeitnehmer ohne die Arbeitsunfähigkeit einen
Vergütungsanspruch gehabt hätte
.
bb)
Bei einer Prozessbeschäftigung zur Abwendung der Zwangsvollstre-
ckung haben nach dem Kündigungstermin objektiv betrachtet keine Hauptpflich-
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ten aus dem Arbeitsvertrag bestanden, wenn sich die Kündigung als wirksam
erweist. Die Arbeitsunfähigkeit bzw. der Feiertag ist damit objektiv betrachtet
nicht alleinige Ursache für den Wegfall des Vergütungsanspruchs. Die vorläufig
vollstreckbare Verurteilung zur Weiterbeschäftigung begründet keine von der
vertraglichen Grundlage losgelöste Arbeitspflicht
. Der Arbeit-
nehmer ist nicht verpflichtet, seinen titulierten Anspruch im Wege der Zwangs-
vollstreckung durchzusetzen. Hat er die Arbeit aufgenommen, kann er sie auch
wieder einstellen. Es besteht damit lediglich eine Obliegenheit zur Aufnahme
der Beschäftigung, weil der Arbeitgeber im Falle einer unwirksamen Kündigung
in einem Annahmeverzugsprozess gemäß § 11 Nr. 2 KSchG einwenden könn-
te, der Arbeitnehmer habe böswillig eine andere ihm zumutbare Beschäftigung
unterlassen
. Einem „grundlo-
sen Hin und Her“ bei der Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs kann der
Arbeitgeber im Vollstreckungsverfahren mit einem auf Rechtsmissbrauch
gestützten Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO begegnen
.
III.
Die Rückabwicklung einer zu Unrecht erfolgten Weiterbeschäftigung hat
nach Bereicherungsrecht zu erfolgen
. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer demzufolge nach § 818
Abs. 2 BGB für die erbrachte Arbeitsleistung Wertersatz zu leisten. Hat der Ar-
beitnehmer - wie der Kläger in dem streitgegenständlichen Zeitraum - infolge
Krankheit oder wegen eines Feiertags nicht gearbeitet, hat der Arbeitgeber
nichts erlangt und schuldet folglich keinen Wertersatz
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. Das Landesarbeitsgericht hat daher die Klage in dem in
die Revision gelangten Teil zu Recht abgewiesen.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Linck
Berger
Volk
Jungbluth
Menssen
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