Urteil des BAG vom 19.10.2016
Eingruppierung einer Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin im Sozialpsychiatrischen Dienst
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 19. Oktober 2016
Vierter Senat
- 4 AZR 727/14 -
ECLI:DE:BAG:2016:191016.U.4AZR727.14.0
I. Arbeitsgericht Mönchengladbach
Urteil vom 13. April 2011
- 7 Ca 78/11 -
II. Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil vom 23. September 2014
- 16 Sa 437/14 -
Entscheidungsstichwort:
Eingruppierung einer Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin im Sozialpsychiat-
rischen Dienst
ECLI:DE:BAG:2016:191016.U.4AZR727.14.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
4 AZR 727/14
16 Sa 437/14
Landesarbeitsgericht
Düsseldorf
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
19. Oktober 2016
URTEIL
Freitag, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Klägerin, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,
pp.
Beklagter, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter,
hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-
handlung vom 19. Oktober 2016 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesar-
beitsgericht Dr. Eylert, die Richter am Bundesarbeitsgericht Creutzfeldt und
Klose sowie die ehrenamtlichen Richter Klotz und Hess für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 23. September
2014 - 16 Sa 437/14 - aufgehoben.
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2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entschei-
dung - auch über die Kosten der Revision - an das Lan-
desarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.
Die Klägerin ist ausgebildete Diplom-Sozialarbeiterin und seit dem Jahr
2000 im Sozialpsychiatrischen Dienst des beklagten Landkreises beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für den öffentli-
chen Dienst im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände
(VKA) in ihrer jeweils gültigen Fassung jedenfalls kraft arbeitsvertraglicher Be-
zugnahme Anwendung.
Durch den
„Änderungstarifvertrag Nr. 6 zum Tarifvertrag für den öffent-
lichen Dienst für den Bereich Verwaltung im Bereich der Vereinigung der kom-
munalen Arbeitgeberverbände
“ (TVöD-V/VKA) vom 27. Juli 2009 gelten für die
Eingruppierung der Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes ab dem
1. November 2009 nach § 1 Abs. 1 Satz
1 der „Anlage zu Abschnitt VIII Sonder-
regelungen (VKA) §
56“ die Tätigkeitsmerkmale des Anhangs zu der Anlage C.
Die Klägerin erhält seither eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 12 Anh. zu
Anl. C TVöD-V/VKA, zuletzt nach der Entwicklungsstufe 6.
Nach einer vom Beklagten verfassten Stellenbeschreibung vom Januar
2010 besteht die auszuübende Tätigkeit der Klägerin zu 30 vH der Arbeitszeit
aus der sozialpsychiatrischen Beratung Abhängigkeitskranker und deren Ange-
höriger (Nr. 1 der Stellenbeschreibung), zu 40 vH aus der sozialpsychiatrischen
Beratung psychisch Erkrankter und deren Angehöriger (Nr. 2 der Stellenbe-
schreibung), zu 20
vH aus „Sonstiges“ (Nr. 4 der Stellenbeschreibung) sowie zu
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vH aus der „Krisenintervention“ (Nr. 3 der Stellenbeschreibung). Zu dieser
heißt es in der Stellenbeschreibung:
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„Bei Verdacht auf eine unmittelbar bevorstehende oder bei
bereits eingetretener akuter Fremd- oder Eigengefährdung
des Klienten (im Sinne des PsychKG), erfolgt, koordiniert
durch die Sti
, in Kooperation mit dem
Ordnungsamt und der Polizei - soweit möglich - ein zeit-
naher Hausbesuch vom Facharzt für Psychiatrie und der
Sti.
Sollte es bei festgestellter Gefährdung nicht möglich sein,
den Erkrankten zu einer freiwilligen Behandlung in einem
Fach-Krankenhaus zu motivieren, erfolgt die zwangsweise
Unterbringung durch das Ordnungsamt, wobei die Sti teil-
weise die Begleitung des Betroffenen ins Krankenhaus
und/oder die Vorinformation des aufnehmenden Arztes
übernimmt.
Auch ohne vorherige Hinweise nimmt die Sti bei Hausbe-
suchen generell eine Einschätzung des akuten Gefähr-
dungsgrades vor und leitet entsprechende Maßnahmen
ein.
Aufgabe der Sti ist auch die Deeskalation krisenhafter je-
doch nicht gefährdender Situationen, wobei die Übergän-
ge hier fließend sein können.“
Die Tätigkeit der insgesamt acht im Sozialpsychiatrischen Dienst täti-
gen Sozialarbeiterinnen ist inhaltlich identisch. Die Aufgaben werden unter
ihnen allein nach örtlichen Zuständigkeiten verteilt.
Nach erfolgloser Geltendmachung hat die Klägerin mit ihrer Klage zu-
letzt noch ein Entgelt nach der Entgeltgruppe S 14 Anh. zu Anl. C TVöD-V/VKA
(im Folgenden Entgeltgruppe S 14 TVöD-V/VKA) ab Mai 2011 begehrt. Sie hat
die Auffassung vertreten, ihre Tätigkeit erfülle schon unter Berücksichtigung des
im Klammerzusatz genannten
„Sozialpsychiatrischen Dienstes“ das Tätigkeits-
merkmal der zweiten Alternative der begehrten Entgeltgruppe. Da ein einheitli-
cher Arbeitsvorgang vorliege, reiche es aus, dass Tätigkeiten im Zusammen-
hang mit Entscheidungen zur zwangsweisen Unterbringung von Menschen mit
psychischen Krankheiten in rechtserheblichem Ausmaße anfielen. Weder die
Dokumentation noch die sich ggf. im Laufe der Fallbearbeitung ergebende Kri-
senintervention könne von der sonstigen Beratungs- und Betreuungstätigkeit
getrennt werden. Eine Aufspaltung dieser Tätigkeiten in solche mit und ohne
Krisenintervention sei weder möglich noch zulässig. Im Übrigen sei zu Beginn
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einer Fallbearbeitung nicht erkennbar, ob - nach erfolglosen anderen Hilfsange-
boten, denen nach dem gesetzlichen Auftrag Priorität zukomme - eine Unter-
bringungsentscheidung nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen
bei psychischen Krankheiten des Landes Nordrhein-Westfalen (PsychKG NRW)
erforderlich werde. Auch seien die Aufgaben zur Vermeidung von Zwangsein-
weisungen „Gefahrenabwehr“ im Sinne des Tarifmerkmals. Ihre Tätigkeit um-
fasse dabei alle dem Sozialpsychiatrischen Dienst 14 PsychKG NRW
zugewiesenen Aufgaben. Die Entscheidung über die zwangsweise Unterbrin-
gung liege zwar bei der Ordnungsbehörde bzw. dem Amtsgericht, sie erfolge
aber
„im Benehmen mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst“. Deshalb sei ihre
Tätigkeit nach dem PsychKG NRW vergleichbar mit der in Entgeltgruppe S 14
Alt. 1 TVöD-V/VKA genannten Tätigkeit eines Sozialarbeiters des Jugendamtes
bei Kindeswohlgefährdung.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr ab dem
1. Mai 2011 ein Entgelt nach der Entgeltgruppe S 14
TVöD-BT-V/VKA zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Auffas-
sung, die Tätigkeit der Klägerin, die aus mehreren Arbeitsvorgängen bestehe,
erfülle nicht die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S 14
Alt. 2 TVöD-V/VKA. Die sozialpsychiatrische Beratung habe eine andere tarifli-
che Wertigkeit al
s die Tätigkeit in der „Krisenintervention“. Deshalb könnten
diese Arbeitseinheiten nicht zu einem einheitlichen Arbeitsvorgang zusammen-
gefasst werden. Die bloße Möglichkeit, dass ein zunächst „normaler Betreu-
ungsfall“ in einer Unterbringung münde, ändere an diesem Ergebnis nichts.
Entscheidungen zur zwangsweisen Unterbringung von Menschen mit psychi-
schen Krankheiten würden daher nicht die Hälfte der Gesamtarbeitszeit der
Klägerin ausmachen; ein nur rechtserhebliches Ausmaß reiche nicht aus. Zu-
dem sei die Rolle der Klägerin an Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, insbeson-
dere an Unterbringungsentscheidungen, eher eine untergeordnete und damit
nicht gleichwertig mit der Alt. 1 der Entgeltgruppe S 14 TVöD-V/VKA. Der An-
trag auf zwangsweise Unterbringung bei Gericht werde nach
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NRW von der Ordnungsbehörde und nicht vom Sozialpsychiatrischen Dienst
gestellt. Eine Beteiligung der Klägerin für die Entscheidung zur zwangsweisen
Unterbringung sei nicht erforderlich, wie es der Tarifvertrag voraussetze. Diese
sei nur inNRW vorgesehen. Aber auch insoweit seien Polizei
bzw. Ordnungsamt die handelnden Behörden, die lediglich gehalten seien, bei
einer Entscheidung zur Unterbringung entgegen einer ärztlichen Empfehlung
den Sozialpsychiatrischen Dienst einzubeziehen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht
hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin mit Urteil vom 20. Dezember
2011
zurückgewiesen. Auf die von der Klägerin hiergegen
eingelegte Revision hat der Senat am 13. November 2013
das
Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das
Landesarbeitsgericht hat mit dem hier angefochtenen Urteil vom 23. September
2014 die Berufung der Klägerin erneut zurückgewiesen. Mit der vom Landesar-
beitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Feststellungsan-
trag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die bisherigen Feststellungen
des Landesarbeitsgerichts tragen die Klageabweisung nicht. Dies führt zur Auf-
hebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der
Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht
.
I.
Für die Eingruppierung der Klägerin kommt aufgrund arbeitsvertragli-
cher Bezugnahme neben § 22 Abs. 2 Unterabs. 1 Bundes-Angestelltentarif-
vertrag (BAT), der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 des Tarifvertrags zur Überleitung
der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung
des Übergangsrechts idF des ÄndTV Nr. 10 vom 29. April 2016 (TVÜ-VKA)
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nach wie vor maßgebend ist, ua. die Entgeltordnung des TVöD-V zur Anwen-
dung. Die entscheidenden Tätigkeitsmerkmale in dem Anh. zu Anl. C TVöD-
V/VKA lauten:
„S 12
Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter und Sozialpädagogin-
nen/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung und
entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Beschäftigte, die
aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen
entsprechende Tätigkeiten ausüben, mit schwierigen Tä-
tigkeiten.
…
S 14
Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter und Sozialpädagogin-
nen/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung und
entsprechender Tätigkeit, die Entscheidungen zur Ver-
meidung der Gefährdung des Kindeswohls treffen und in
Zusammenarbeit mit dem Familiengericht bzw. Vormund-
schaftsgericht Maßnahmen einleiten, welche zur Gefah-
renabwehr erforderlich sind, oder mit gleichwertigen Tätig-
keiten, die für die Entscheidung zur zwangsweisen Unter-
bringung von Menschen mit psychischen Krankheiten er-
forderlich sind (z.B. Sozialpsychiatrischer Dienst der örtli-
chen Stellen der Städte, Gemeinden und Landkreise).
…“
II.
Unter Berücksichtigung dieses tariflichen Rahmens durfte das Landes-
arbeitsgericht die zulässige Eingruppierungsfeststellungsklage der Klägerin
nicht mit der von ihm gegebenen Begründung abweisen.
1.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Annahme des Landesarbeitsge-
richts, bei der der Klägerin übertragenen Tätigkeit handele es sich um einen
einheitlichen Arbeitsvorgang
iSd.
Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT zutreffend ist. Selbst wenn es sich bei
der Bearbeitung und Betreuung der Gruppe der psychisch Erkrankten und der
Abhängigkeitskranken um zwei Klientengruppen und damit ggf. um zwei Ar-
beitsvorgänge handeln sollte - wofür im Übrigen wenig spricht -, wären diese
gleichwohl tariflich einheitlich zu bewerten.
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a)
Die Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT hat auszugsweise folgen-
den Wortlaut:
„Arbeitsvorgänge sind Arbeitsleistungen (einschließlich
Zusammenhangsarbeiten), die, bezogen auf den Aufga-
benkreis des Angestellten, zu einem bei natürlicher Be-
trachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen (z.B. un-
terschriftsreife Bearbeitung eines Aktenvorgangs, Erstel-
lung eines EKG, Fertigung einer Bauzeichnung, …). Jeder
einzelne Arbeitsvorgang ist als solcher zu bewerten und
darf dabei hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht
aufgespalten werden.“
aa)
Maßgebend für die Bestimmung eines Arbeitsvorgangs ist hiernach das
Arbeitsergebnis
. Dabei kann die gesamte vertrag-
lich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Nur wenn
es tatsächlich möglich ist, Tätigkeiten von unterschiedlicher Wertigkeit abzu-
trennen, werden diese nicht zu einem Arbeitsvorgang zusammengefasst. Wie-
derkehrende, gleichartige und gleichwertige Bearbeitungen können zusammen-
gefasst werden; nicht zusammengefasst werden können jedoch Bearbeitungen,
die tariflich unterschiedlich zu bewerten sind. Letzteres gilt jedoch nur, wenn die
unterschiedlich wertigen Arbeitsleistungen von vorneherein - sei es aufgrund
der Schwierigkeit oder anderer Umstände - auseinandergehalten werden kön-
nen und voneinander zu trennen sind. Dafür reicht jedoch nicht die theoretische
Möglichkeit, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben verwaltungstechnisch
isoliert auf andere Angestellte übertragen zu können, solange sie als einheitli-
che Arbeitsaufgabe einer Person übertragen sind. Tatsächlich trennbar sind
Arbeitsschritte nicht, wenn sich erst im Laufe der Bearbeitung herausstellt, wel-
chen tariflich erheblichen Schwierigkeitsgrad der einzelne Fall aufweist
.
bb)
Bei der Bearbeitung von Fällen durch Sozialarbeiterinnen und Sozialar-
beiter bildet regelmäßig nicht jeder einzelne Fall einen Arbeitsvorgang, sondern
erst die Befassung mit allen Fällen füllt diesen Rechtsbegriff aus
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. Anderenfalls käme es zu
einer tarifwidrigen Atomisierung solcher Tätigkeiten
. Dies gilt jedoch nur
dann, wenn der zugewiesene Personenkreis auch einheitlich bestimmt ist. Hat
ein Sozialarbeiter verschiedene, voneinander abgrenzbare Personenkreise zu
betreuen, zB Obdachlose/Nichtseßhafte, Flüchtlinge/Asylbewerber usw., deren
Status und Hilfsansprüche rechtlich ganz unterschiedlich bestimmt sind, kommt
bei getrennter Betreuung die Aufteilung der Tätigkeit in je einen Arbeitsvorgang
für je eine Gruppe der betreuten Personen in Betracht
. Es ist deshalb auch bei Sozialarbeitern
eine präzise Bestimmung der Arbeitsergebnisse vorzunehmen.
b)
Ausgehend von diesen Maßstäben kommt es hier nicht darauf an, dass
die Klägerin möglicherweise zwei zu unterscheidende Klientengruppen, die
psychisch Erkrankte und die Abhängigkeitskranken, betreut. Ihre hierauf gerich-
teten Tätigkeiten sind jedenfalls tariflich einheitlich zu bewerten.
aa)
Das den entsprechenden Tätigkeiten der Klägerin zugrunde liegende
Arbeitsergebnis ist die Erbringung von Hilfe- und Beratungsleistungen für psy-
chisch Erkrankte und Abhängigkeitskranke in ihrem Gebiet. Dass es sich hier-
bei grundsätzlich um zwei unterscheidbare Personengruppen handelt, ist im
Hinblick auf das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe S 14 Alt. 2 TVöD-V/VKA
unerheblich. Nach § 1 Abs. 2 PsychKG NRW sind Abhängigkeitserkrankungen
in vergleichbarer Schwere psychische Erkrankungen iSd. Gesetzes. Deshalb
kann ihre jeweilige Bewertung auch dann nicht voneinander abweichen, wenn
es sich dabei um zwei getrennte Arbeitsvorgänge handeln sollte.
bb)
Unschädlich ist dabei, dass das Landesarbeitsgericht sich nicht aus-
drücklich mit der in der Stellenbeschreibung unter der Nr. 4 aufgeführten Auf-
gabe („Sonstiges“) befasst, insbesondere diese dem Gesamtarbeitsergebnis
dienend zugeordnet hat. Es spricht viel dafür, dass die hierunter genannten Do-
kumentationstätigkeiten dem genannten Arbeitsergebnis zuzuordnen sind.
Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, ist der auf diese Aufgaben entfallen-
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de Zeitanteil von 20 vH zu gering, um auf die Eingruppierung der Klägerin Ein-
fluss nehmen zu können.
cc)
Die gegen die Auffassung des Landesarbeitsgerichts vom Beklagten
weiter aufrechterhaltenen Einwände, es handele sich nicht um einen einheitlich
zu bewertenden Arbeitsvorgang, bleiben erfolglos.
Dass sich die jeweilige Beratungstätigkeit der Klägerin nicht nur auf die
Erkrankten selbst, sondern auch auf ihre Angehörigen erstreckt, macht sie nicht
zu trennbaren Arbeitsvorgängen. Gerade die ausdrücklich vorgesehenen Haus-
besuche und Außentermine sind ein zentraler Baustein des ganzheitlichen
Konzepts einer Einbeziehung des sozialen Umfelds und insbesondere der An-
gehörigen des Erkrankten und integraler Bestandteil der im Mittelpunkt stehen-
den Beratungs- und Hilfeleistung für die Erkrankten. Im Übrigen ergibt sich dies
auch aus der von dem Beklagten angefertigten Stellenbeschreibung selbst.
Diese unterscheidet zwar - wie der Beklagte zutreffend dargelegt hat - zwischen
den Hilfen für psychisch Erkrankte einerseits und denen für Abhängigkeitskran-
ke andererseits. Die Einbeziehung der Angehörigen ist jedoch zutreffend selbst
von der Beklagten jeweils den Hilfe- und Beratungsleistungen für die Erkrankten
zugeordnet worden.
2.
Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin erfülle nicht die
Anforderungen
des
Tätigkeitsmerkmals
der
Entgeltgruppe S 14
Alt. 2
TVöD-V/VKA, ist jedoch nicht rechtsfehlerfrei.
a)
Das Landesarbeitsgericht hat die Eingruppierungsfeststellungsklage der
Klägerin nach einer erneuten Prüfung mit der Begründung abgewiesen, die von
ihr auszuübende Tätigkeit erfülle nicht die Anforderungen des Tätigkeitsmerk-
mals der Entgeltgruppe S 14 Alt. 2 TVöD-V/VKA. Ihre Tätigkeit sei für die Ent-
scheidung zur zwangsweisen Unterbringung von Menschen mit psychischen
Krankheiten nicht erforderlich. Zwar würden nach § 12 PsychKG NRW derartige
Entscheidungen vom zuständigen Amtsgericht „im Benehmen mit dem Sozial-
psychiatrischen Dienst“ angeordnet. Die konkrete Tätigkeit der Klägerin, die im
Sozialpsychiatrischen Dienst des Beklagten beschäftigt sei, sei jedoch nicht auf
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die Herstellung dieses Benehmens ausgerichtet, sondern vielmehr lediglich ko-
ordinierender und begleitender Art. Einen Einfluss auf die Entscheidung über
die Unterbringung habe sie nicht. Sie setze allenfalls den Entscheidungspro-
zess durch eine entsprechende Information, etwa an die Ordnungsbehörde
oder einen Arzt, in Gang. Insoweit unterscheide sich ihre Rolle nicht von der
eines besorgten Nachbarn, eines Angehörigen oder eines behandelnden
Therapeuten. Sie habe selbst vorgetragen, dass sie mit der Beteiligung des So-
zialpsychiatrischen Dienstes an der Entscheidung des Amtsgerichts nichts zu
tun habe. Aber selbst wenn man zu ihren Gunsten davon ausginge, sie sei bei
der Herstellung dieses Benehmens einbezogen, handele es sich nicht, wie vom
Tätigkeitsmerkmal gefordert, um eine mit den in dem Tätigkeitsmerkmal der
Alt. 1 der entsprechenden Entgeltgruppe genannten Tätigkeiten
„gleichwertige“
Tätigkeit. Anders als in zahlreichen anderen Bundesländern erfolge die Ent-
scheidung über eine zwangsweise Unterbringung in Nordrhein-Westfalen nicht
auf Antrag des Sozialpsychiatrischen Dienstes, sondern lediglich im Benehmen
mit diesem. Damit habe der Sozialpsychiatrische Dienst eine deutlich unterge-
ordnetere Rolle als in anderen Bundesländern. Die Klägerin habe eben keinen
Einfluss auf die Unterbringungsentscheidung und damit auch keinen Anspruch
auf eine höhere Entgeltgruppe.
b)
Dem folgt der Senat nicht. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen
tragen die klageabweisende Hauptbegründung des Landesarbeitsgerichts nicht.
Dessen Ausführungen sind auf der Basis der bisherigen tatrichterlichen Fest-
stellungen nicht frei von Rechtsfehlern.
aa)
Grundsätzlich ist der Sozialpsychiatrische Dienst an Entscheidungen
über die Unterbringung psychisch Kranker zu beteiligen. Dass die Klägerin in
diese Beteiligung nicht eingebunden ist, hat das Landesarbeitsgericht nicht
festgestellt.
(1)
Die Beteiligung des Sozialpsychiatrischen Dienstes als institutionalisier-
tem Fachdienst der unteren Gesundheitsbehörde gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 des
Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst des Landes Nordrhein-
Westfalen (ÖGDG NRW) an der Entscheidung über die Unterbringung psy-
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chisch Kranker ist gesetzlich vorgesehen. Die damit verbundenen Tätigkeiten
sind insoweit auch erforderlich iSd. zweiten Tätigkeitsmerkmals der Entgelt-
gruppe S 14 TVöD-V/VKA.
(2)
Der Grund für die eingruppierungsrechtliche Privilegierung bestimmter
Tätigkeiten von Sozialarbeiterinnen durch die Schaffung der Entgeltgruppe S 14
TVöD-
V/VKA ist die Übernahme einer über das „Normalmaß“ hinausgehenden
Verantwortung. Bei dem dort aufgeführten - hier nicht einschlägigen - ersten
Tätigkeitsmerkmal handelt es sich um das „Treffen von Entscheidungen“ und
die Einleitung von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr bei der Wahrung des Kin-
deswohls. Das entspricht der Gesetzeslage, die solche Entscheidungen in der
Sache dem kommunalen Träger der Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII
übertragen hat, idR dem Allgemeinen Sozialen Dienst. Das zweite - hier streiti-
ge - Tätigkeitsmerkmal betrifft Tätigkeiten im Zusammenhang mit der
„Ent-
scheidung zur zwangsweisen Unterbringung von Menschen mit psychischen
Krankheiten
“. Da in diesem Bereich die Entscheidung nicht der Verwaltung,
sondern dem Gericht übertragen ist, kann die Tätigkeit einer Sozialarbeiterin
nicht, wie beim ersten Tätigkeitsmerkmal, auf das „Treffen von Entscheidungen“
gerichtet sein, sondern muss sich
auf die „erforderliche“, mithin notwendige Be-
teiligung an einer solchen - fremden - Entscheidung richten.
(3)
Abschnitt IV
PsychKG NRW enthält die für die Unterbrin-
gung maßgebenden Regelungen. Dort ist die Beteiligung des Sozialpsychiatri-
schen Dienstes am Unterbringungsverfahren an verschiedenen Stellen vorge-
sehen.
(a)
Dabei kann dahinstehen, von wem das gesetzlich geforderte, notwen-
dige Benehmen mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst einzuholen ist. Nach § 12
Satz
1 PsychKG NRW wird die Unterbringung „auf Antrag der örtlichen Ord-
nungsbehörde im Benehmen mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst vom zu-
ständigen Amtsg
ericht angeordnet“, was nach dem Wortlaut der Regelung na-
helegt
, dass dieses „Benehmen“ vom Amtsgericht einzuholen ist, da sich das
Verb des Satzes
(„wird … angeordnet“)
auf das Amtsgericht als anordnender
Institution und die Apposition
(„im Benehmen mit …“) sich ihrerseits auf das
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Verb bezieht
. Demgegenüber hatte der Landesgesetzgeber die Regelung
damit begründet, dass die - vom Ordnungsamt zu stellenden - Anträge auf Un-
terbringung „immer der fachlichen Einschätzung des Sozialpsychiatrischen
Dienstes bedürfen“
, was für die Auffassung spräche,
das Ordnungsamt als Verpflichteten zur Benehmensherstellung anzusehen.
(b)
Nach § 13 Abs.
2 PsychKG NRW gibt das Gericht vor „Unterbrin-
gungsmaßnahmen“, zu denen auch die Unterbringungsentscheidung selbst ge-
hört
, dem Sozialpsychiatrischen Dienst der unteren Ge-
sundheitsbehörde Gelegenheit zur Äußerung. Das Gesetz bezieht sich dabei
ausdrücklich auf § 320 iVm. § 315 Abs. 4 FamFG, in denen die Anhörungs-
pflicht bezüglich weiterer fakultativ zu beteiligender Personen und Stellen ange-
sprochen wird. Dabei kann dahinstehen, ob hieraus eine unmittelbare Verpflich-
tung des Amtsgerichts zur Beteiligung des Sozialpsychiatrischen Dienstes er-
wächst
od
er ob damit nur die Schaffung einer weiteren „Kann-Beteiligung“ iSv. § 7
Abs. 3 und Abs. 4 FamFG eröffnet werden soll
. Auch bei der Annahme einer - fakultativen - Beteiligung muss das
Amtsgericht seinen Gestaltungsspielraum im Rahmen pflichtgemäßen Ermes-
sens ausüben
.
(c)
Nach § 14 Abs. 1 PsychKG NRW ist bei einer Anordnung der sofortigen
Unterbringung durch die Ordnungsbehörde der Sozialpsychiatrische Dienst
dann zwingend zu beteiligen, wenn die Behörde in der Beurteilung der dafür
erforderlichen Voraussetzungen von einem vorgelegten ärztlichen Zeugnis ab-
weichen will. Unabhängig davon hat sie in jedem Fall unverzüglich beim zu-
ständigen Amtsgericht einen Antrag auf Unterbringung zu stellen. Wird bis zum
Ablauf des auf die vorläufige Unterbringung folgenden Tages nicht sowohl die
Unterbringung als auch deren sofortige Wirksamkeit angeordnet, ist der Be-
troffene zu entlassen
. Für die Entscheidung über
den Antrag sieht das Gesetz keine ansonsten von § 12 PsychKG NRW abwei-
chenden Verfahrensvorschriften vor.
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(4)
Diese gesetzlich vorgesehenen verschiedenen Beteiligungsformen des
Sozialpsychiatrischen Dienstes begründen grundsätzlich eine erforderliche insti-
tutionelle Heranziehung iSd. zweiten Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgrup-
pe S 14 TVöD-V/VKA. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die einzelnen Betei-
ligungsformen tatsächlich zu einem entscheidenden Einfluss auf die Unterbrin-
gungsentscheidung führen oder ob eine auch nur mögliche Beteiligung vom
Amtsgericht im Einzelfall abgelehnt oder ob ihr zugestimmt wird. Es genügt,
dass die Beteiligung an Unterbringungsentscheidungen rechtlich vorgesehen
ist. Dies begründet eine Verpflichtung des Sozialpsychiatrischen Dienstes, im
konkreten Fall eine Beteiligung sicherzustellen und wahrzunehmen. Dies kann
die Herstellung des Benehmens mit der Ordnungsbehörde bei der Antragstel-
lung sein, soweit man nicht von einer entsprechenden Verpflichtung des Amts-
gerichts nach § 12 Satz 1 PsychKG NRW ausgeht
.
Auch die Möglichkeit der Heranziehung durch eine amtswegige Ermessensent-
scheidung des Amtsgerichts nach § 13 Abs. 2 PsychKG NRW begründet eine
Beteiligungsverpflichtung des Sozialpsychiatrischen Dienstes, ebenso wie die
Heranziehung bei der Abweichung der Ordnungsbehörde von einem ärztlichen
Gutachten.
(5)
In welcher Form der beklagte Landkreis als untere Gesundheitsbehörde
im Rahmen seiner Organisationsgewalt den Sozialpsychiatrischen Dienst struk-
turiert und die von ihm zu erbringenden verschiedenen Beteiligungsverpflich-
tungen organisiert, bleibt seiner eigenen Entscheidung überlassen. Ob und ggf.
welche organisatorischen Untereinheiten oder bestimmte ausgewählte Perso-
nen oder Personengruppen des Sozialpsychiatrischen Dienstes - etwa die dort
beschäftigten Ärzte - er mit der Durchführung und den Vollzug der verschiede-
nen Beteiligungsformen betraut, ist als Teil seiner organisatorischen Entschei-
dungsfreiheit hinzunehmen und nicht weiter im Rahmen eines Eingruppie-
rungsprozesses überprüfbar.
(a)
So kann die Anfertigung von Stellungnahmen oder die Teilnahme an
Anhörungen usw. bestimmten einzelnen Personen - bei gleichzeitigem Aus-
schluss der anderen dort Beschäftigten - übertragen werden. Ist dies gesche-
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hen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass den von diesen Tätigkeiten
ausgeschlossenen Beschäftigten des Sozialpsychiatrischen Dienstes Tätigkei-
ten übertragen worden sind, die „für die Entscheidung zur zwangsweisen Un-
terbringung …“ im tariflichen Sinne „erforderlich“ sind. Deshalb kann eine bloße
Zuordnung zur organisatorischen Einheit
„Sozialpsychiatrischer Dienst“ noch
nicht allein ausreichen, um das tarifliche Anforderungsmerkmal zu erfüllen. In-
soweit handelt es sich lediglich um die Bezeichnung eines Fachdienstes, nicht
aber eine Tätigkeit oder gar ein „Regelbeispiel“
. Infolge der Zuordnung der Beschäftigten zu dem einen
oder anderen Teil des Sozialpsychiatrischen Dienstes werden bei dieser Orga-
nisation dann auch zwei verschiedene Arbeitsvorgänge bestimmt
.
(b)
Sollen die Tätigkeiten der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung des So-
zialpsychiatrischen Dienstes an dem Entscheidungsverfahren über die Unter-
bringung psychisch Kranker nur von bestimmten Mitarbeitern des Sozialpsychi-
atrischen Dienstes - unter Ausschluss der Übrigen - vorgenommen werden,
dann muss dies jedoch auch entsprechend festgelegt und organisatorisch um-
gesetzt sein. Allein der - tatsächliche - Umstand, dass einzelne Mitarbeiter nur
selten oder noch nie an einer Unterbringungsentscheidung beteiligt waren,
reicht insoweit noch nicht aus, um das Vorliegen des tariflichen Anforderungs-
merkmals zu verneinen. Deshalb ist es ohne Bezug zu der konkreten Verwal-
tungsorganisation unzureichend anzunehmen, dass - wie das Landesarbeitsge-
richt und der Beklagte meinen - bereits eine geringe Anzahl von Unterbrin-
gungsentscheidungsfällen gegen die Erfüllung des tariflichen Anforderungs-
merkmals sprächen. Das Tätigkeitsmerkmal verlangt nicht, dass die Beteiligung
bei der Mehrheit oder zu einem bestimmten Prozentsatz der Unterbringungs-
entscheidungen erforderlich ist. Maßgebend ist die auszuübende Tätigkeit der
einzelnen Sozialarbeiterin oder des einzelnen Sozialarbeiters unter Berücksich-
tigung der Behördenorganisation
. Der öffentliche Arbeitgeber
kann die Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben in einer weitestgehend von
ihm selbst bestimmten Organisationsstruktur vornehmen. Organisiert er die zur
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Aufgabenerfüllung erforderlichen Arbeitsschritte durch die Zuordnung zu einem
einheitlichen Arbeitsvorgang im tariflichen Sinne, lassen sich die hierfür erfor-
derlichen Einzelschritte nicht im Nachhinein durch eine gesonderte Zuordnung
voneinander trennen.
bb)
Unter Berücksichtigung dieser tariflichen Anforderungen trägt die Be-
gründung des Landesarbeitsgerichts nicht dessen klageabweisende Entschei-
dung. Es kann aufgrund der bisherigen tatrichterlichen Feststellungen - noch -
nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin strukturell nicht an tat-
säch
lichen „Zuarbeiten“ des Sozialpsychiatrischen Dienstes für die gerichtliche
Entscheidung über eine Unterbringung beteiligt ist und deshalb ihre auszu-
übende Tätigkeit nicht das Tätigkeitsmerkmal von Entgeltgruppe S 14 Alt. 2
TVöD-V/VKA erfüllt. Hierfür fehlt es an einer ausreichenden Tatsachengrundla-
ge.
(1)
Das Landesarbeitsgericht hat es zunächst versäumt, die tatsächliche
Organisation des Beklagten im Hinblick auf die Zusammenarbeit des Sozialpsy-
chiatrischen Dienstes mit dem Gericht und der Ordnungsbehörde beim Verfah-
ren über die Unterbringungsentscheidung festzustellen. Dies wäre insbesonde-
re deshalb erforderlich gewesen, weil die Klägerin zum einen mit der komplet-
ten Fallbearbeitung iSe. „umfassenden Zuständigkeit“ - so das Landesarbeits-
gericht - im Rahmen der Aufgaben des Sozialpsychiatrischen Dienstes betraut
ist, und zum andern der Tatbestand des Berufungsurteils die Feststellung ent-
hält, „die Tätigkeit der im Sozialpsychiatrischen Dienst tätigen Kolleginnen …
(seien)
inhaltlich identisch“, es also keine „Kolleginnen“ im Sozialpsychiatri-
schen Dienst des Beklagten gibt, die eine anders geartete Tätigkeit verrichten
bzw. auszuüben haben als die Klägerin. Es ist deshalb offen, welche Mitarbeiter
des Sozialpsychiatrischen Dienstes eigentlich mit denjenigen Tätigkeiten be-
traut sind, die durch die gesetzliche Verpflichtung zur Beteiligung an den Unter-
bringungsverfahren und -entscheidungen begründet sind.
(2)
Das Landesarbeitsgericht geht weiter ohne hinreichende Tatsachen-
feststellungen davon aus, dass diese Aufgaben nicht zu den von der Klägerin
auszuübenden Tätigkeiten zählen. Es stützt sich für diese Annahme auf Anga-
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ben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, nach denen sie keine Einzel-
tätigkeiten ausübe, die einen konkreten Einfluss auf die Unterbringungsent-
scheidung hätten.
Dies reicht jedoch nicht aus. Die von der Klägerin iSv. § 22 Abs. 2 BAT
auszuübende Tätigkeit entspricht der von dem Beklagten erarbeiteten Stellen-
beschreibung. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Angesichts der Tatsa-
che, dass diese Stellenbeschreibung für sämtliche Kolleginnen des Sozialpsy-
chiatrischen Dienstes identisch ist, bleibt unklar, welche Personen, insbesonde-
re welche Sozialarbeiterinnen vom Sozialpsychiatrischen Dienst entsprechend
diesen Vorgaben die gesetzlich angeordnete Zuarbeit zu den gerichtlichen Un-
terbringungsentscheidungen - ohne oder mit vorläufiger Unterbringung - leisten.
Deshalb ist die Aussage der Klägerin entweder widersprüchlich und hätte auf-
geklärt werden müssen, oder der Sozialpsychiatrische Dienst des Beklagten ist
so organisiert, dass die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben nicht einmal vor-
gesehen ist, wovon allerdings nicht ohne weitere Anhaltspunkte auszugehen ist.
III.
Die Revision der Klägerin war auch nicht zurückzuweisen, weil sich die
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aus anderen Gründen als richtig dar-
stellte
.
1.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist nicht deswegen im Er-
gebnis zutreffend, weil die Hilfsbegründung durchgreift, wonach es überdies an
der „Gleichwertigkeit“ mit den Tätigkeiten der ersten Alternative von Entgelt-
gruppe S 14 TVöD-V/VKA fehle. Das Landesarbeitsgericht geht insoweit von
einem fehlerhaften Begriff der „Gleichwertigkeit“ iSd. Tätigkeitsmerkmals aus.
a)
Das Landesarbeitsgericht hat sich hilfsweise darauf berufen, die von
der Klägerin beschriebenen Tätigkeiten seien nicht gleichwertig mit den in der
Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-V/VKA genannten Entscheidungen und Maß-
nahmen, die die Jugendämter zur Vermeidung der Gefährdung des Kindes-
wohls treffen. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Sozialpsychiatrischen
Dienste in Nordrhein-Westfalen (anders als etwa in Brandenburg, Sachsen-
Anhalt, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen) nach dem
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Landes-PsychKG kein eigenes Antragsrecht auf Herbeiführung einer gerichtli-
chen Entscheidung über die Unterbringung haben. Die bloße Herstellung eines
Benehmens, im Ausnahmefall nicht einmal diese, seien zu untergeordnet, um
als gleichwertig im tariflichen Sinne anzusehen zu sein. Die bloße Unterrich-
tungspflicht bei der Wahrnehmung von Tatsachen, die Anlass für die Erwägung
einer Unterbringung geben, könne von jedem Sozialarbeiter erwartet werden.
An einer Entscheidung über die Unterbringung selbst sei die Klägerin nicht ent-
scheidend beteiligt.
b)
Dies verkennt die Anforderung der „Gleichwertigkeit“ einer nach dem
zweiten Tätigkeitsmerkmal zu bewertenden Tätigkeit mit derjenigen, die nach
dem ersten Tätigkeitsmerkmal zu bewerten ist.
Die „Gleichwertigkeit“ setzt ent-
gegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keine unmittelbare Entschei-
dungsbefugnis über eine zwangsweise Unterbringung voraus. Während nach
der ersten Alternative der Entgeltgruppe S 14 TVöD-V/VKA ausdrücklich eigene
„Entscheidungen“ zu „treffen“ sind, erfordert die zweite Alternative der Entgelt-
gruppe nach dem Tarifwortlaut eine eigene Antrags- und Entscheidungsbefug-
nis gerade nicht. Die Sozialarbeiterin muss nicht in diesem Sinne „Herrin des
Verfahrens“ sein. Die zweite Alternative der Entgeltgruppe erfasst vielmehr Tä-
tigkeiten, die „für … Entscheidungen“ anderer erforderlich sind. Darunter sind
„begleitende“ Maßnahmen bei der Entscheidung zur zwangsweisen Unterbrin-
gung zu verstehen, die ihrerseits nicht allein ausschlaggebend sein müssen
. Tätigkeiten, die eine Sozialarbeiterin des Sozial-
psychiatrischen Dienstes im Rahmen eines - ggf. bereits eingeleiteten - Unter-
bringungsverfahrens in Erfüllung der gesetzlich vorgesehenen Beteiligungs-
rechte und -pflichten des Sozialpsychiatrischen Dienstes zu erbringen hat, sind
grundsätzlich geeignet, das entsprechende Tätigkeitsmerkmal zu erfüllen. Einer
gesonderten Prüfung der Erforderlichkeit oder der Gleichwertigkeit bedarf es in
diesen Fällen nicht.
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IV.
Entgegen der Auffassung der Klägerin, war ihrer Eingruppierungsfest-
stellungsklage auf der anderen Seite nicht schon deshalb stattzugeben, weil sie
allein wegen ihrer Wahrnehmung von Aufgaben der „Gefahrenabwehr“ der Ent-
geltgruppe S 14 TVöD-V/VKA zuzuordnen sei. Diese Auffassung ist unzutref-
fend.
1.
Wie die Revisionsbegründung ausführt, geht es aus ihrer Sicht um
„Aufgaben zur Vermeidung einer Zwangseinweisung gemäß PsychKG“, die
auch Aufgaben der Gefahrenabwehr seien. Entscheidend sei, ob die Tätigkeit
der Klägerin im Rahmen der Gefahrenabwehr selbst erforderlich sei. Zum Bei-
spiel obliege es ihr ebenso wie den anderen an der Unterbringungsentschei-
dung beteiligten Personen, die Gefährdungslage einzuschätzen. Dies geschehe
auch aufgrund der von ihr vorgenommenen Hausbesuche. Diese Einschätzung
werde auch bei der weiteren Unterbringungsentscheidung berücksichtigt und
sei nicht wegzudenken. Damit stelle sie einen erforderlichen Beitrag im Rahmen
der zwangsweisen Unterbringung dar.
2.
Dies verkennt den Wortlaut des Tätigkeitsmerkmals. Es geht um Tätig-
keiten, die für eine Entscheidung erforderlich sind. Das setzt die Einleitung ei-
nes Entscheidungsprozesses voraus, innerhalb dessen die Tätigkeit erfolgen
muss. Maßnahmen im Vorfeld zur Vermeidung der Unterbringung und damit zur
Vermeidung der Einleitung eines entsprechenden Verfahrens können danach
nicht unter dieses Tätigkeitsmerkmal fallen. Ob der hierfür maßgebende Zeit-
punkt bereits mit dem entsprechenden Willensbildungsprozess der Ordnungs-
behörde unter Beteiligung des Sozialpsychiatrischen Dienstes vor bzw. bei der
Antragstellung auf Unterbringung oder erst mit der formellen Einleitung des Ver-
fahrens durch die Antragstellung beim Amtsgericht beginnt, hängt von der Be-
antwortung der Frage ab, welche der genannten Institutionen nach § 12 Satz 1
PsychKG NRW zur Herstellung des Benehmens mit dem Sozialpsychiatrischen
Dienst verpflichtet ist
. Der Ausgang des Verfah-
rens mag ungewiss und die Entscheidung offen sein. Aber dass die Entschei-
dung fallen muss und wird, weil ein entsprechendes Antrags- bzw. Entschei-
dungsverfahren bereits eingeleitet ist, gehört zu der Anforderung des Tätig-
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keitsmerkmals. Die rechtliche Anbindung an den formalisierten Entscheidungs-
prozess ist Voraussetzung
; dabei ist von einem gesetzmäßigen Ver-
halten der Behörden und Gerichte auszugehen. Sollte sich aus den Senatsurtei-
len vom 18. März 2015
und vom
17. Juni 2015
etwas anderes ergeben, hält der Senat
hieran nicht fest.
V.
Die Sache ist an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und
Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - zurückzuverweisen, da
dem Revisionsgericht eine eigene Sachentscheidung nicht möglich ist
. Ob die Tätigkeit der Klägerin die Anforderungen des Tä-
tigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S 14 Alt. 2 TVöD-V/VKA erfüllt, kann der
Senat aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeits-
gerichts nicht abschließend beurteilen. Das Berufungsgericht wird nach der Zu-
rückverweisung insbesondere die oben angesprochenen Widersprüche in den
Tatsachenfeststellungen aufzuklären haben. Dabei ist darauf Bedacht zu neh-
men, die Organisation des Beklagten hinsichtlich der gesetzlich vorgesehenen
Beteiligung des Sozialpsychiatrischen Dienstes festzustellen und die von der
Klägerin auszuübende Tätigkeit nach Maßgabe der Stellenbeschreibung in die-
se Struktur einzuordnen.
Eylert
Klose
Creutzfeldt
H. Klotz
Th. Hess
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