Urteil des BAG vom 03.06.2020

Gesamtzusage - Gleichbehandlungsgrundsatz - AGB-Recht

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 3. Juni 2020
Dritter Senat
- 3 AZR 730/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:030620.U.3AZR730.19.0
I. Arbeitsgericht Frankfurt am Main
Urteil vom 20. September 2018
- 23 Ca 1711/17 -
II. Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil vom 24. Juli 2019
- 6 Sa 1362/18 -
Entscheidungsstichworte:
Gesamtzusage - Gleichbehandlungsgrundsatz - AGB-Recht
Leitsatz:
Wenn und soweit Regelungen in Gesamtzusagen gegen den arbeitsrecht-
lichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, führt die unzulässige Grup-
penbildung allein zu einem Anspruch im Zusammenspiel mit der vom Ar-
beitgeber geschaffenen kollektiven Regelung auf Anpassung nach oben.
Aus dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ergibt sich nichts
Weitergehendes.
Hinweis des Senats:
Führende Entscheidung zu einer weiteren Parallelsache
ECLI:DE:BAG:2020:030620.U.3AZR730.19.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
3 AZR 730/19
6 Sa 1362/18
Hessisches
Landesarbeitsgericht
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
3. Juni 2020
URTEIL
Kaufhold, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Beklagte, Berufungsklägerin, Berufungsbeklagte, Revisionsklägerin und
Revisionsbeklagte,
pp.
Kläger, Berufungsbeklagter, Berufungskläger, Revisionsbeklagter und
Revisionskläger,
hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-
handlung vom 3. Juni 2020 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeits-
gericht Dr. Zwanziger, die Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Spinner
und Dr. Roloff sowie die ehrenamtlichen Richter Lohre und Mayer für Recht er-
kannt:
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3 AZR 730/19
ECLI:DE:BAG:2020:030620.U.3AZR730.19.0
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Die Revisionen des Klägers und der Beklagten gegen das
Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 24. Juli
2019 - 6 Sa 1362/18 - werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens haben der Klä-
ger 16 vH und die Beklagte 84 vH zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob und in welcher Höhe die Beklagte dem
Kläger Altersrente nach einer Versorgungsordnung gewähren muss.
Der im März 1952 geborene Kläger war zunächst bei der C AG be-
schäftigt und trat zum 1. Juli 1990 in ein Arbeitsverhältnis mit der D Kapitalanla-
gegesellschaft mbH, Rechtsvorgängerin der Beklagten, ein. Diese wies in ei-
nem Schreiben vom 10. April 1990 darauf hin, dass für die betriebliche Alters-
versorgung die Versorgungsordnung für Mitarbeiter mit Dienstantritt ab dem
1. April 1984 gelte.
Als der Kläger in das Arbeitsverhältnis zur D Kapitalanlagegesellschaft
mbH eintrat, war die betriebliche Altersversorgung in Betriebsvereinbarungen
geregelt, zunächst vom 28. September 1988 (VO 1988), dann vom
25. September 1991 (VO 1991), später vom 28. Juli 1993 (VO 1993) und
schließlich vom 28. August 1995 (VO 1995). In allen Betriebsvereinbarungen
sind ua. folgende Bestimmungen getroffen:
㤠1
Kreis der Versorgungsberechtigten
(1) Jeder regelmäßig beschäftigte Mitarbeiter (weiblich
oder männlich), der bei Inkrafttreten dieser Versor-
gungsordnung in einem Arbeitsverhältnis zu unserem
Unternehmen steht oder danach mit ihm ein Arbeits-
verhältnis begründet, erwirbt mit Vollendung des
17. Lebensjahres (Aufnahmealter) eine Anwartschaft
auf betriebliche Versorgungsleistung nach Maßgabe
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dieser Versorgungsordnung.
(3) Von der Aufnahme in das Versorgungswerk sind
ausgeschlossen:
b) Mitarbeiter, die vor dem 1. April 1984 in das Un-
ternehmen eingetreten sind.
§ 15
Anrechnungen
(1) Soweit sich Versorgungsempfänger (ehemalige Mit-
arbeiter) durch das Eingehen von Dienstverhältnis-
sen oder durch regelmäßige geschäftliche oder be-
rufliche Tätigkeit vor Erreichen der Altersgrenze be-
ziehungsweise vor Inanspruchnahme der vorgezo-
genen Altersrente Einnahmen verschaffen, können
diese von dem Unternehmen auf die Renten ange-
rechnet werden.
(3) Erhält ein Versorgungsempfänger Versorgungsleis-
tungen oder Renten, die aus Mitteln eines anderen
Arbeitgebers stammen oder mit dessen Beitragsbe-
teiligung erworben worden sind, so werden Leistun-
gen insoweit angerechnet, als sie in Zeiten verdient
wurden, die
… als Vordienstzeiten angerechnet wer-
den.
Eine Vorschrift über den Ausschluss von Arbeitnehmern mit einzelver-
traglicher Zusage enthalten die Betriebsvereinbarungen nicht.
Der Kläger unterhielt aus seiner Vorbeschäftigung bei der C AG eine Al-
tersversorgung beim Beamtenversicherungsverein des Deutschen Bank- und
Bankiersgewerbe (BVV), die er nach seinem Eintritt in das Arbeitsverhältnis mit
der D Kapitalanlagegesellschaft mbH zunächst freiwillig weiterführte. Mit Ver-
trag vom 26. Juli 1993, geschlossen zwischen dem BVV, der D Kapitalanlage-
gesellschaft mbH und dem Kläger, verpflichtete sich diese, zwei Drittel des Ge-
samtbeitrags der Versicherungsbeiträge zu zahlen. Die D Kapitalanlagegesell-
schaft mbH war seinerzeit nicht Mitglied im BVV.
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Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging mit Wirkung zum 1. Oktober
1993 aufgrund eines Übergangs des Teilbetriebs Spezialfonds auf die D M
GmbH über. Mit Vertrag vom 12. September 1994, geschlossen zwischen dem
BVV, der D M GmbH und dem Kläger, verpflichtete sie sich nunmehr, zwei Drit-
tel des Gesamtbeitrags der Versicherungsbeiträge zu zahlen.
Anfang 2002 wurde die D Kapitalanlagegesellschaft mbH in die D
GmbH umfirmiert. Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung der D
GmbH und Beschluss der Gesellschafterversammlung der D M GmbH ver-
schmolzen beide Gesellschaften aufgrund Verschmelzungsvertrags vom
5. März 2002 durch Übertragung des Vermögens auf die Beklagte. Ein Be-
triebsrat bestand bei der Beklagten seitdem nicht mehr. Mit einem Ergänzungs-
vertrag aus April 2002 vereinbarten der Kläger, die D GmbH sowie D M GmbH,
dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der D M GmbH zum 1. Januar 2002
auf die Beklagte übertragen wird.
Nach der Verschmelzung wurde die betriebliche Altersversorgung bei
der Beklagten
in sog. „Dienstvereinbarungen über betriebliche Altersversorgung
- D-
Versorgungsordnungen“ geregelt. Diese Vereinbarungen wurden geschlos-
sen zwischen der D Deutsche Girozentrale und
dem „Personalrat des
D-
Konzerns“. Dieser Personalrat wurde von den Beschäftigten der D Deutsche
Girozentrale, einer bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts, und
den Beschäftigten von deren als GmbH organisierten Tochtergesellschaften
gewählt.
Zunächst wurde unter dem 15. November 2004 eine solche Vereinba-
rung geschlossen (VO 2004). Die VO 2004 umfasste alle Versorgungsregeln in
einem unterschriebenen Dokument unter der Überschrift „Dienstvereinbarung
über betriebliche Altersversorgung - D-
Versorgungsordnung“. Auch innerhalb
der Regelung wurde sie als Dienstvereinbarung bezeichnet. Unterzeichnet war
die VO 2004 vom Vorsitzenden des Vorstands der D sowie vom Vorsitzenden
des Personalrats. Unter diesen Unterschriften unterzeichneten die Geschäfts-
führer der weiteren Gesellschaften - darunter der Beklagten - unterhalb der
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Übersch
rift „Zustimmung zur Umsetzung der vorstehenden Dienstvereinbarung
gem. §§
1, 2 Geltungsbereich“. In der Präambel der VO 2004 heißt es:
„Die Regelungen zur Altersversorgung aus der Versor-
gungsordnung der D Kapitalanlagegesellschaft mbH vom
28.08.1995 und aus der Dienstvereinbarung der Deutsche
Girozentrale - Deutsche Kommunalbank - vom 27.11.1986
mit Änderungen vom 30.11.1987 werden einander ange-
passt und in dieser Dienstvereinbarung zusammenge-
führt.“
Unter §
2 „Persönlicher Geltungsbereich“ war in der VO 2004 in Abs. 4
Folgendes geregelt:
„Nicht erfasst sind auch Mitarbeiter, die eine einzelvertrag-
liche Zusage erhalten oder erhalten haben.
Die VO 2004 wurde durch die Versorgungsordnung vom 6. Dezember
2007 (VO 2007)
ersetzt. Getrennt von der nicht unterschriebenen VO 2007 war
in einem
eigenständigen Dokument unter der Überschrift „Dienstvereinbarung
über betriebliche Altersversorgung - D-
Versorgungsordnung“ (DV 2007)
in Aus-
zügen Folgendes geregelt:
§ 1 Räumlicher Geltungsbereich
Diese Dienstvereinbarung gilt für die an dieser Vereinba-
rung beteiligten Unternehmen. Auch wenn von den Unter-
nehmen in der Mehrzahl gesprochen wird, ist jedes Unter-
nehmen nur im Verhältnis zu den eigenen Mitarbeitern aus
dieser Dienstvereinbarung verpflichtet. Eine Verpflichtung
im Verhältnis zu den Mitarbeitern anderer Unternehmen
wird nicht begründet.
§ 2 Vereinbarung der Versorgungsregelung D-Ver-
sorgungsordnung
Im Rahmen dieser Dienstvereinbarung wird die als Anlage
beigefügte
Versorgungsregelung
D-Versorgungsord-
nung vereinbart.
§ 3 Inkrafttreten und Kündigung
(1) Diese Dienstvereinbarung tritt mit Wirkung vom
01.01.2008 in Kraft und ersetzt die Dienstvereinbarung
vom 15.11.2004.
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Dann folgten die Unterschriften des Vorstandsvorsitzenden der D und
des Personalratsvorsitzenden. Danach heißt es in der DV 2007:
„Zustimmung zur Umsetzung der vorstehenden Dienstver-
einbarung:“
Dann folgten die Unterschriften der Geschäftsführer der Gesellschaften,
ua. der Beklagten.
Genauso wurde im Jahr 2011 verfahren. In der DV 2011 - formell und
inhaltlich identisch mit der DV 2007 - erteilte ua. die Beklagte vor der Unter-
schrift ihrer Vertreter die „Zustimmung zur Umsetzung der vorstehenden
Dien
stvereinbarung“. Die VO 2007 wurde dabei durch die Versorgungsregelung
vom 28. Juli 2011 (VO 2011) ersetzt. Die VO 2011
enthält - ebenso wie bereits
die VO 2007 - ua. folgende Regelungen:
§ 1 Räumlicher Geltungsbereich
Diese Versorgungsregelung gilt nur dann, wenn dies vom
Arbeitgeber (im Folgenden ‚Unternehmen‘) mit dem Mitar-
beiter ausdrücklich einzelvertraglich oder im Rahmen ei-
ner Dienst- oder Betriebsvereinbarung vereinbart wurde.
Auch wenn von den Unternehmen in der Mehrzahl ge-
sprochen wird, ist jedes Unternehmen nur im Verhältnis zu
den eigenen Mitarbeitern aus dieser Versorgungsregelung
verpflichtet. Eine Verpflichtung im Verhältnis zu den Mitar-
beitern anderer Unternehmen wird nicht begründet.
§ 2 Persönlicher Geltungsbereich
(1) Von dieser Versorgungsregelung werden Mitarbeiter
erfasst, die ihr Arbeitsverhältnis entweder
a)
vor dem 01.01.1999 zur D GmbH oder einem ihr ver-
bundenen Unternehmen oder
b)
ab dem 01.07.1996 und vor dem 01.01.1999 zur
Deutsche
Girozentrale
- Deutsche
Kommunal-
bank - oder
c)
ab dem 01.01.1999 und vor dem 01.02.1999 zur
DGZ D Deutsche Kommunalbank oder einem ihr
verbundenen Unternehmen
begründet haben und in diesem Zeitpunkt noch nicht das
55. Lebensjahr vollendet hatten und deren Arbeitsverhält-
nis bis heute zur D Deutsche Girozentrale oder einem an-
deren Konzernunternehmen besteht, das diese Versor-
gungsregelung durch Dienst- oder Betriebsvereinbarung
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abgeschlossen hat.
(2) Von dieser Versorgungsregelung werden auch Mit-
arbeiter erfasst, die vor dem 01.07.1996 ihr Arbeits-
verhältnis zur Deutsche Girozentrale - Deutsche
Kommunalbank - begründet haben und die in diesem
Zeitpunkt noch nicht das 55. Lebensjahr vollendet
hatten, wenn sie in Berlin oder Frankfurt tätig waren
und deren Arbeitsverhältnis bis heute zur D Deut-
sche Girozentrale oder einem anderen Konzernun-
ternehmen besteht, das diese Versorgungsregelung
durch Dienst- oder Betriebsvereinbarung abge-
schlossen hat.
(3) Nicht erfasst sind Mitarbeiter, die bei der D Kapital-
anlagegesellschaft mbH oder einem ihr verbundenen
Unternehmen vor dem 01.04.1984 eingetreten sind
und Mitarbeiter, die bei der Deutsche Girozentrale
- Deutsche Kommunalbank - vor dem 01.01.1984
eingetreten sind.
(4) Nicht erfasst sind auch Mitarbeiter, die eine einzel-
vertragliche Zusage erhalten oder erhalten haben.
(5) Nicht erfasst sind Mitarbeiter, die vor dem
01.02.1999 eingetreten sind und die seitdem unun-
terbrochen geringfügig beschäftigt sind im Sinne von
§ 8 SGB IV.
§ 3 Versorgungsleistungen
(1) Nach Erfüllung der jeweiligen Anspruchsvorausset-
zungen werden als Versorgungsleistungen gewährt:
a)
Altersrenten (§ 7)
b)
vorzeitige Altersrenten (§ 8)
§ 5 Anrechnungsfähige Dienstzeit
(1) Als anrechnungsfähige Dienstzeit gilt die Zeit, die der
Mitarbeiter in dem Unternehmen bis zum Eintritt des
Versorgungsfalles verbracht hat
. …
§ 15 Weihnachtsgeld
Die Versorgungsempfänger erhalten jährlich ein Weih-
nachtsgeld in Höhe von € 160,00 mit Auszahlung der De-
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§ 17 Anrechnungen
(1) Soweit sich Versorgungsempfänger (ehemalige Mit-
arbeiter) durch das Eingehen von Arbeitsverhältnis-
sen oder durch regelmäßige geschäftliche oder be-
rufliche Tätigkeit vor Erreichen der Altersgrenze bzw.
vor Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente
Einnahmen verschaffen, werden diese von dem Un-
ternehmen auf die Renten angerechnet.
(3) Erhält ein Versorgungsempfänger Versorgungsleis-
tungen oder Renten, die aus Mitteln eines anderen
Arbeitgebers stammen oder mit dessen Beitragsbe-
teiligung erworben worden sind, so werden Leistun-
gen insoweit angerechnet, als sie in Zeiten erdient
wurden, die als Vordienstzeiten mit zur anrechnungs-
fähigen Dienstzeit gemäß § 5 und § 24 Abs. 1 a) ge-
hören.
Die VO 2011 wurde - ebenso wie die VO 2007 - im Intranet der Unter-
nehmensgruppe, zu dem die Arbeitnehmer der Beklagten Zugang haben, veröf-
fentlicht. Dazu gab es ein sog. Infoblatt -
die „D-Versorgungsordnung“ - mit dem
Stand 01/2018.
Darin war der „Anspruchsberechtigte Personenkreis“ näher
dargestellt. Außerdem enthielt das Infoblatt Ausführungen zu den abgesicherten
Versorgungsfällen und der Höhe der Rente. Am Ende des Infoblatts befand sich
der folgende Hinweis:
Hinweis:
maßgebliche Grundlage für das hier beschriebene
Versorgungssystem
die
Versorgungsregelung
- D-Versorgungsordnung - in der jeweils gültigen
Fassung darstellt. Ansprüche können aus den vor-
stehenden Ausführungen nicht abge
Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde aufgrund einer Vorruhe-
standsvereinbarung zum 31. Dezember 2011 beendet. In der Vorruhestands-
vereinbarung von Januar 2010 heißt es auszugsweise:
„6. Ein Zuschuss zu den Beiträgen an den BVV während
des Vorruhestandes wird in Anlehnung an Teil VI:
Vorruhestands-Tarifvertrag gemäß § 4 Ziff. 2 in der
jeweils gültigen Fassung gewährt.
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7.
Mit Beginn dieser Vorruhestandsvereinbarung erlö-
schen alle Ansprüche aus dem Anstellungsverhält-
nis, soweit sie vorstehend nicht besonders geregelt
sind. Hiervon ausgenommen ist der Anspruch auf
Teilnahme an zwei Vorsorgeuntersuchungen für Füh-
rungskräfte während der Laufzeit des Vorruhestan-
des. Evt. Ansprüche auf Boni, Tantiemen oder sons-
tige Sondervergütungen werden durch die Zahlung
von jeweils 39.216 € brutto im Mai 2010 (für das Jahr
2009), im Mai 2011 (für das Jahr 2010), und im Ja-
nuar 2012 (für das Jahr 2011) vollumfänglich abge-
golten.“
Der Kläger bezieht seit dem 1. April 2015, nach der Vollendung seines
63. Lebensjahrs, eine gesetzliche Altersrente für langjährig Versicherte und
Leistungen des BVV.
Der Kläger hat Ansprüche nach der VO 2011 geltend gemacht und die
Ansicht vertreten, die VO 2011 bilde eine wirksame Gesamtzusage; gegebe-
nenfalls sei die VO 2011 in eine Gesamtzusage umzudeuten. Selbst wenn man
nicht von einer Gesamtzusage ausgehe, liege jedenfalls ein Vertrag zugunsten
Dritter vor oder es ergebe sich ein Anspruch aus betrieblicher Übung. Er falle in
den persönlichen Geltungsbereich der VO 2011. Die Regelung in § 2 Abs. 4 VO
2011 sei unwirksam, da sie gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungs-
grundsatz verstoße. Eine Anrechnung der Leistungen des BVV sehe die Ver-
sorgungsregelung nicht vor. Es fehle schon an der Rechtsgrundlage für eine
solche Anrechnung. Diese lasse sich auch nicht aus der VO 1988 und den
nachfolgenden Betriebsvereinbarungen ableiten. Es sei stets vorgesehen ge-
wesen, dass er beide Leistungen beziehe. Die Beklagte habe den Zuschuss
zum BVV in Kenntnis des Betriebsrentenanspruchs aus der Betriebsvereinba-
rung 1988 und den nachfolgenden Betriebsvereinbarungen zugesagt. Da der
Zuschuss in Ansehung der gültigen Versorgungsordnungen vereinbart worden
sei, bestünden keine Anhaltspunkte, dass die Parteien die Anrechnung der
BVV-Leistung hätten vereinbaren wollen. Die teilweise Aufrechterhaltung des
unwirksamen § 2 Abs. 4 VO 2011 stelle eine unzulässige geltungserhaltende
Reduktion im Sinne der anwendbaren §§ 305 ff. BGB dar. Auch erfolge kein
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Ausschluss der Leistungen durch die Erledigungsklausel in der Vorruhestands-
vereinbarung.
Der Kläger hat beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständige Be-
triebsrente für die Zeit vom 1. Oktober 2015 bis
31. August 2018 (35 Monate) iHv. 102.441,61 Euro
brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über
dem jeweiligen Basiszinssatz
a)
fortlaufend auf einen Betrag iHv. 2.892,05 Euro brut-
to seit dem 2. Oktober 2015 und aus jeweils weiteren
2.892,05 Euro brutto seit dem jeweils Zweiten der
Folgemonate bis einschließlich 2. Juni 2016 sowie
b)
fortlaufend auf einen Betrag iHv. 2.920,97 Euro brut-
to seit dem 2. Juli 2016 und aus jeweils weiteren
2.920,97 Euro brutto seit dem jeweils Zweiten der
Folgemonate bis einschließlich 2. Juni 2017 sowie
c)
auf einen Betrag iHv. 2.950,18 Euro brutto seit dem
2. Juli 2017 und aus jeweils weiteren 2.950,18 Euro
brutto seit dem jeweils Zweiten der Folgemonate bis
einschließlich 2. Juni 2018 sowie
d)
auf einen Betrag iHv. 2.979,68 Euro brutto seit dem
2. Juli 2018 und aus jeweils weiteren 2.979,68 Euro
brutto seit dem jeweils Zweiten der Folgemonate bis
einschließlich 2. August 2018 zu zahlen;
2.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständiges
Weihnachtsgeld iHv. 293,25 Euro brutto nebst Zin-
sen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz auf einen Betrag iHv. 32,15 Euro seit
dem 2. Dezember 2015, weiteren 129,90 Euro seit
dem 2. Dezember 2016 und weiteren 131,20 Euro
seit dem 2. Dezember 2017 zu zahlen;
3.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm
ab dem 1. September 2018 eine betriebliche Alters-
versorgung nach der VO 2011 vom 28. Juli 2011 zu
gewähren.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Anwen-
dung der VO 2011 stehe entgegen, dass der Kläger für ihre kollektive Geltung
nichts vorgetragen habe. Eine Gesamtzusage liege nicht vor. Aus der Unter-
schriftenzeile unter der DV 2011 lasse sich der eindeutige Wille entnehmen,
eine kollektive und normativ wirkende Regelung herbeizuführen. Auch eine
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Umdeutung in eine Gesamtzusage scheide aus, da der Personalrat das zu-
ständige Gremium für den Abschluss von kollektiv-rechtlichen Regelungen in-
nerhalb des D-Konzerns sei. Die Beklagte habe konzernweit Bedingungen
schaffen wollen, um damit die Einheitlichkeit der betrieblichen Altersversorgung
sicherzustellen. Sie habe sich bewusst für kollektiv-rechtliche Gestaltungsmittel
entschieden, um spätere individualvertragliche Sonderwege zu verhindern. Die
dann tatsächlich (fehlerhafte) Anwendung der sog. Dienstvereinbarung habe für
die Frage, ob die Beklagte hierzu verpflichtet gewesen sei, keinen Erklärungs-
wert. Es stelle sich die Frage, was mit den die betriebliche Altersversorgung
regelnden Betriebsvereinbarungen geschehen sei. Aus ihrer Sicht würden diese
weitergelten und stünden der Annahme von Gesamtzusagen entgegen. Zudem
sei der Kläger bereits aufgrund § 2 Abs. 4 VO 2011 vom persönlichen Gel-
tungsbereich der Regelungen ausgenommen, da ihm die Beklagte bzw. deren
Rechtsvorgängerinnen eine einzelvertragliche Zusage erteilt hätten. Schließlich
müsse sich der Kläger jedenfalls die Leistungen anrechnen lassen, die er vom
BVV aufgrund ihrer Beiträge erhalten habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und angenom-
men, die Beklagte sei verpflichtet, dem Kläger eine betriebliche Altersversor-
gung nach der VO 2011 zu gewähren unter Anrechnung der Leistungen des
BVV, soweit diese auf Beitragszahlungen der Beklagten in der Zeit vom 1. Juli
1990 bis zum 31. Dezember 2011 beruhten. Zudem hat es dem Kläger das gel-
tend gemachte Weihnachtsgeld zugesprochen. Das Landesarbeitsgericht hat
die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen.
Das Berufungsurteil wurde dem Kläger am 3. Dezember 2019 zuge-
stellt. Am 22. Januar 2020 wurde ihm ein berichtigtes Urteil zugestellt, wobei
sich die Berichtigung nicht auf den Tenor oder die Rechtsmittelbelehrung be-
zog. Die Revision des Klägers ging am 2. Januar 2020 beim Bundesarbeitsge-
richt ein. Am 31. Januar 2020 ist die Revisionsbegründungsschrift über das be-
sondere elektronische Anwaltspostfach des Prozessbevollmächtigten des Klä-
gers in elektronischer, aber nicht durchsuchbarer Form beim Gericht eingegan-
gen. Auf den Hinweis der Geschäftsstelle des Senats vom 4. Februar 2020, der
dem Kläger am 10. Februar 2020 zugestellt wurde, hat der Klägervertreter die
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Revisionsbegründung erneut am 10. Februar 2020 - nunmehr in durchsuchba-
rer elektronischer Form - beim Bundesarbeitsgericht eingereicht und an Eides
Statt versichert, dass diese mit der Begründung vom 31. Januar 2020 überein-
stimmt.
Der Kläger strebt mit seiner Revision die vollumfängliche Stattgabe sei-
ner Klage an. Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision weiterhin ihren Klageab-
weisungsantrag. Beide Parteien begehren die Zurückweisung der Revision der
jeweiligen Gegenseite.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen der Beklagten und des Klägers sind zulässig, aber un-
begründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht die Berufungen des Klägers und
der Beklagten zurückgewiesen. Die Klage ist zulässig und zu einem erheblichen
Teil begründet. Die Beklagte ist dem Grunde nach verpflichtet, dem Kläger eine
betriebliche Altersversorgung nach der VO 2011 sowie Weihnachtsgeld zu zah-
len. Allerdings sind die Leistungen des BVV, soweit diese auf Beitragszahlun-
gen der Beklagten beruhen, anzurechnen.
I.
Die Revision des Klägers ist zulässig, insbesondere liegen die Voraus-
setzungen des § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO vor, so dass die erst am 10. Februar
2020 beim Bundesarbeitsgericht eingegangene formgemäße Revisionsbegrün-
dung gemeinsam mit der ursprünglich eingegangenen - nicht formgemäßen -
Revisionsbegründung vom 31. Januar 2020 noch als fristgemäß anzusehen ist.
§ 130a ZPO kommt jedenfalls für das Revisionsverfahren zur Anwendung, da
§ 72 Abs. 5 ArbGG für das Revisionsverfahren auf die Vorschriften der ZPO
verweist und § 46c ArbGG, der § 130a ZPO entspricht, in § 72 Abs. 5 ArbGG
nicht in Bezug genommen worden ist
.
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1.
Die Revisionsbegründungsfrist lief am 3. Februar 2020 ab. Der Berich-
tigungsbeschluss vom 21. Januar 2020 hat keine Auswirkungen auf die Fristen,
da ein solcher Beschluss grundsätzlich keinen Einfluss auf den Beginn und den
Lauf von Rechtsmittelfristen hat und hier auch nicht erst die berichtigte Urteils-
fassung zweifelsfrei erkennen ließ, gegen wen das Rechtsmittel zu richten war
.
2.
Der ursprünglich vom Klägervertreter eingereichte Revisionsbegrün-
dungsschriftsatz vom 31. Januar 2020 erfüllt nicht die Anforderungen des
§ 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO und § 2 Abs. 1 Satz 1 Elektronischer-Rechtsverkehr-
Verordnung
, was die Revi-
sion zunächst unzulässig macht.
a)
Hinsichtlich der Signatur und des Übermittlungswegs sind die Vorgaben
in § 130a Abs. 3 und Abs. 4 ZPO zu beachten. Die für die Übermittlung und Be-
arbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen
sind in der ERVV geregelt. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV ist das elektro-
nische Dokument in druckbarer, kopierbarer und, soweit technisch möglich,
durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF zu übermitteln. Die Durchsuchbarkeit
bezieht sich auf eine texterkannte Form und dient der Weiterbearbeitung im
Gericht
. Die technischen Anforderungen an
das zulässige Dateiformat ergeben sich aus der zu § 5 ERVV ergangenen Be-
kanntmachung
. Demnach
müssen hinsichtlich der zulässigen Dateiversionen PDF alle für die Darstellung
des Dokuments notwendigen Inhalte in der Datei enthalten sein
. Dies ist hier nicht der Fall.
b)
Das führt zur Unzulässigkeit der Revision. Sind die formellen Anforde-
rungen nicht eingehalten, führt dies zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels
. Alle elektronisch übermittelten Dokumen-
te - und damit auch die Revisionsbegründung, § 551 Abs. 2 Satz 1 ZPO - sind
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bei fehlender Durchsuchbarkeit nicht geeignet, die Formanforderungen zu erfül-
len
.
3.
Dieser Fehler ist jedoch nach § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO geheilt. Der
Kläger hat das Dokument nach Hinweis des Gerichts gemäß § 130a Abs. 6
Satz 1 ZPO unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten
Form nachgereicht und glaubhaft gemacht, dass es mit dem zuerst eingereich-
ten Dokument inhaltlich übereinstimmt.
a)
§ 130a Abs. 6 Satz 1 ZPO regelt den Fall, dass ein elektronisches Do-
kument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet ist. Folglich findet auch
die Eingangsfiktion Anwendung auf Formatfehler, dh. Fehler, aufgrund derer ein
elektronisches Dokument zur Bearbeitung durch das Gericht nicht geeignet ist
. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll einer Partei der
„Zugang zu den Gerichten durch Anforderungen des formellen Rechts, wie etwa
Formatvorgaben, nicht
in unverhältnismäßiger Weise“ erschwert werden. Die
Fehlermeldung über ein falsches Dateiformat muss unverzüglich zugehen, da-
mit der Absender das Dokument ohne Zeitverzögerung auf ein zugelassenes
Dateiformat umstellen kann
. Die Zustel-
lungsfiktion des § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO gilt demnach nur, wenn später ein
elektronisches Dokument eingereicht wird, das die Formvorschriften des § 130a
Abs. 3 und Abs. 4 ZPO einhält
. Das Rechtsmittel bleibt unzulässig, wenn
die erneute Begründung wiederum nicht durchsuchbar ist oder es an einer
Glaubhaftmachung iSd. § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO fehlt
.
Bei Formatfehlern besteht damit die Möglichkeit der rückwirkenden Kor-
rektur. Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht
geeignet, ist dies dem Absender nach § 130a Abs. 6 Satz 1 ZPO unter Hinweis
auf die Unwirksamkeit des Eingangs und auf die geltenden technischen Rah-
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menbedingungen unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt gemäß § 130a
Abs. 6 Satz 2 ZPO als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen,
sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung
geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst ein-
gereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt
.
Zudem setzt die Vorschrift voraus, dass die erneut eingereichte Be-
gründung tatsächlich mit der ursprünglichen übereinstimmt. Dem steht nicht
entgegen, dass der Bevollmächtigte die inhaltliche Gleichheit nur glaubhaft ver-
sichern muss. Zweck des Versicherns ist es, die inhaltliche Übereinstimmung
durch das Gericht auf der Grundlage der Glaubhaftmachung zu prüfen. Andern-
falls hätte die Glaubhaftmachung nur einen formellen und keinen inhaltlichen
Zweck, wovon nicht auszugehen ist. Das Gesetz will Fehler bei der ursprüngli-
chen Einreichung in gewissem Maße heilbar machen, nicht eine neue Frist in
Gang setzen.
b)
Nach diesen Grundsätzen wahrt der nachgereichte Schriftsatz des Klä-
gervertreters vom 10. Februar 2020 die formellen Anforderungen des § 130a
Abs. 6 Satz 2 ZPO und ist mit dem Schriftsatz vom 31. Januar 2020 in der La-
ge, die am 3. Februar 2020 abgelaufene Revisionsbegründungsfrist zu wahren.
aa)
Der Kläger hat iSv. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemacht, dass beide
Schriftsätze inhaltlich übereinstimmen. Dafür reicht eine eidesstattliche oder
auch anwaltliche Versicherung aus
Eine solche hat der Klägervertreter hier
eingereicht.
bb)
Zudem handelt es sich um das inhaltlich identische Dokument
. Das hat der Senat im Freibeweis
geprüft.
cc)
Der Kläger hat den Schriftsatz auch unverzüglich nachgereicht und die
Identität der Schriftsätze glaubhaft gemacht, § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO
. Der Klägervertreter hat den Hinweis
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am 10. Februar 2020 zugestellt erhalten und damit ohne schuldhaftes Zögern
am selben Tag den Schriftsatz erneut elektronisch - nunmehr durchsuchbar - an
das Gericht versandt und gleichzeitig seine eidesstaatliche Versicherung abge-
geben.
dd)
Da sich die Glaubhaftmachung nur auf die Identität der Schriftsätze be-
zieht, ist es unerheblich, ob der Absender die Einreichung eines ungeeigneten
elektronischen Dokuments verschuldet hat
.
II.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere der Feststellungsantrag zu 3., der
auf eine künftige Feststellung der Leistungspflicht gerichtet ist, ist nach § 256
Abs. 1 ZPO zulässig. Der Kläger darf in einem solchen Fall nicht auf monatliche
Leistungsklagen für zukünftige Zeiträume verwiesen werden. Dem Feststel-
lungsantrag steht nicht der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage entge-
gen. Auf Klagen, die zukünftige Ansprüche zum Gegenstand haben, ist der
Grundsatz nicht anwendbar. Gegenüber Klagen nach § 257 ZPO ist ein Fest-
stellungsantrag nicht subsidiär; der Kläger kann vielmehr zwischen einer Fest-
stellungsklage und einer Klage auf zukünftige Leistung wählen
.
III.
Die Anträge zu 1. und 3. sind überwiegend begründet. Der Kläger hat
dem Grunde nach einen Anspruch gegen die Beklagte auf Leistungen der be-
trieblichen Altersversorgung nebst Zinsen aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbe-
handlungsgrundsatz iVm. der VO 2011 - auch für die Zukunft.
1.
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz bildet als privat-
rechtliche Ausprägung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG eine An-
spruchsgrundlage, die auch auf ungleich behandelnde Regelungen in Gesamt-
zusagen Anwendung findet. Die sachlich nicht gerechtfertigte Gruppenbildung
führt im Ergebnis zur Anpassung der Regelung.
a)
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist die privatrechtli-
che Ausprägung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. Er findet stets
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Anwendung, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem bestimmten erkenn-
baren und generalisierenden Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung ge-
währt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck
festlegt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgeber, seine
Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer La-
ge befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regel gleichzubehandeln.
Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer
innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Stellt
der Arbeitgeber hingegen nur einzelne Arbeitnehmer unabhängig von abstrak-
ten Differenzierungsmerkmalen in Einzelfällen besser oder ist die Anzahl der
begünstigten Arbeitnehmer im Verhältnis zur Gesamtzahl der betroffenen Ar-
beitnehmer sehr gering, kann ein nicht begünstigter Arbeitnehmer aus dem
Gleichbehandlungsgrundsatz nichts herleiten
.
b)
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt danach,
dass eine vorgenommene Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Eine sach-
verhaltsbezogene Ungleichbehandlung verstößt erst dann gegen den Grund-
satz der Gleichbehandlung, wenn sie willkürlich ist, weil sich ein vernünftiger
Grund für die Differenzierung nicht finden lässt. Dagegen ist bei einer perso-
nenbezogenen Ungleichbehandlung der Gleichbehandlungsgrundsatz bereits
dann verletzt, wenn eine Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen bei-
den Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht beste-
hen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können
. Maßgeblich für die Beurtei-
lung, ob für die unterschiedliche Behandlung ein hinreichender Sachgrund be-
steht, ist vor allem der Regelungszweck. Dieser muss die Gruppenbildung
rechtfertigen
.
c)
Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist zugleich Anspruchsgrundlage und
Schranke der Rechtsausübung. Wegen seines Schutzcharakters gegenüber der
Gestaltungsmacht des Arbeitgebers greift er nur dort ein, wo der Arbeitgeber
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durch gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung
schafft
. Voraussetzung für
die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die
Regelbildung des Arbeitgebers ist daher, dass dieser durch ein eigenes gestal-
tendes Verhalten ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung geschaffen
hat. Liegen einer Leistung bestimmte Voraussetzungen zugrunde, muss die
vom Arbeitgeber damit selbst geschaffene Gruppenbildung gemessen am
Zweck der Leistung im genannten Sinne sachlich gerechtfertigt sein
.
d)
Der Arbeitgeber ist nicht nur dann an den arbeitsrechtlichen Gleichbe-
handlungsgrundsatz gebunden, wenn er einseitig allgemeine Anspruchsvoraus-
setzungen für eine Leistung bestimmt hat, sondern auch dann, wenn arbeitsver-
tragliche Vereinbarungen vorliegen. Dann begrenzt der Grundsatz um des
Schutzes des Arbeitnehmers willen die Gestaltungsmacht des Arbeitgebers
. Das gilt ins-
besondere auch bei Gesamtzusagen, da sich der einzelne Arbeitnehmer beim
Abschluss von Arbeitsverträgen typischerweise in einer Situation struktureller
Unterlegenheit befindet. Es ist Aufgabe des Rechts, auf die Wahrung der
Grundrechtspositionen beider Vertragspartner hinzuwirken, um zu verhindern,
dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine Fremdbestim-
mung verkehrt
. Die Anwen-
dung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Gesamtzusa-
gen ist deshalb in der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
anerkannt
.
e)
Rechtsfolge einer Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehand-
lungsgrundsatzes ist dann die Korrektur der arbeitgeberseitig bestimmten
gleichbehandlungswidrigen Voraussetzung. Die sachlich nicht gerechtfertigte
Gruppenbildung führt im Ergebnis zu einer Anpassung dieses Merkmals durch
ein gleichbehandlungskonformes. Der Arbeitnehmer, der ohne sachliche Recht-
fertigung ungleich behandelt wurde, kann die Leistung, von der er nach der Re-
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gelbildung des Arbeitgebers wegen Nichterfüllung des gleichbehandlungswidri-
gen Tatbestandsmerkmals ausgeschlossen war, von diesem verlangen, wenn
es keine weiteren Voraussetzungen gibt oder etwaige weitere Voraussetzungen
von ihm erfüllt werden
.
Gemäß § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG können Versorgungsverpflichtun-
gen nicht nur auf einer Versorgungszusage, sondern auch auf dem Grundsatz
der Gleichbehandlung beruhen. Im Betriebsrentenrecht hat der arbeitsrechtliche
Gleichbehandlungsgrundsatz daher schon kraft Gesetzes anspruchsbegrün-
dende Wirkung
. Er
stellt im Zusammenspiel mit der vom Arbeitgeber geschaffenen Ordnung eine
Anspruchsgrundlage auf Leistungen des Arbeitgebers dar. Zumindest im Er-
gebnis ähnliches wird außerhalb des Betriebsrentenrechts
angenommen, wenn
davon ausgegangen wird, es ergäben sich Ansprüche aus der gleichheitswidri-
gen vom Arbeitgeber geschaffenen Ordnung iVm. dem arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz
2.
Die Beklagte hat hier ihren Beschäftigten - und damit auch dem Kläger -
auf der Grundlage einer Gesamtzusage Leistungen entsprechend der VO 2011
nach einem bestimmten, erkennbaren und generalisierenden Prinzip aufgrund
einer abstrakten Regelung zugesagt und gewährt, indem sie bestimmte Leis-
tungsvoraussetzungen und bestimmte Zwecke festgelegt hat.
a)
Die Beklagte ist grundsätzlich verpflichtet, aufgrund einer Gesamtzusa-
ge und damit aufgrund einer abstrakten Regelung Leistungen entsprechend der
VO 2011 zu gewähren.
aa)
Eine Gesamtzusage ist die an alle Arbeitnehmer des Betriebs oder ei-
nen nach abstrakten Merkmalen bestimmten Teil von ihnen in allgemeiner Form
gerichtete ausdrückliche Willenserklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leis-
tungen erbringen zu wollen. Eine ausdrückliche Annahme des in der Erklärung
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enthaltenen Antrags iSv. § 145 BGB wird dabei nicht erwartet und es bedarf
ihrer auch nicht. Das in der Zusage liegende Angebot wird gemäß § 151
Satz 1 BGB angenommen und ergänzender Inhalt des Arbeitsvertrags. Die Ar-
beitnehmer - auch die nachträglich in den Betrieb eintretenden - erwerben einen
einzelvertraglichen Anspruch auf die zugesagten Leistungen, wenn sie die An-
spruchsvoraussetzungen erfüllen. Dabei wird die Gesamtzusage bereits dann
wirksam, wenn sie gegenüber den Arbeitnehmern in einer Form verlautbart
wird, die den einzelnen Arbeitnehmer typischerweise in die Lage versetzt, von
der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Auf dessen konkrete Kenntnis kommt es
nicht an
.
Bei Gesamtzusagen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedin-
gungen. Ihre Inhalte sind daher nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn
einheitlich so auszulegen, wie sie von rechtsunkundigen, verständigen und red-
lichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise be-
teiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismög-
lichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners
zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Ver-
tragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist
in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die
Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typi-
scherweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen
ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet
werden muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen
ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern
verfolgte Ziele gelten. Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein
nicht behebbarer Zweifel, geht dies gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des
Verwenders
.
Weil die Auslegung der uneingeschränkten Prüfung durch das Revisionsgericht
unterliegt, kann dieses die Auslegung, soweit sie durch das Berufungsgericht
unterblieben ist, selbst vornehmen
.
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- 22 -
bb)
Die VO 2011 ist nicht als Dienstvereinbarung, sondern als eine Rege-
lung, die auf eine Umsetzung in den in der DV 2011 genannten Unternehmen
durch weitere Akte gerichtet ist, zu verstehen. Dies können Betriebs- oder
Dienstvereinbarungen oder ausdrückliche einzelvertragliche Zusagen sein, zu
denen auch Gesamtzusagen gehören. Eine solche hat die Beklagte erteilt.
(1)
Dienstvereinbarungen erfüllen im Bereich des Personalvertretungs-
rechts dieselbe Funktion wie Betriebsvereinbarungen im Rahmen der Betriebs-
verfassung, haben also normative Wirkung auf die Beschäftigungsverhältnisse,
wie dies § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG für Betriebsvereinbarungen vorsieht. Sie
sind deshalb ebenso auszulegen wie Betriebsvereinbarungen
. Gleiches gilt daher für die Frage,
ob eine Dienstvereinbarung vorliegt. Diese Frage ist nach denselben Ausle-
gungsgrundsätzen zu beantworten, wie sie für die Auslegung einer Betriebsver-
einbarung gelten
.
Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters nach
den für Tarifverträge und für Gesetze geltenden Grundsätzen auszulegen. Da-
bei ist vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn
auszugehen. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille
der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichti-
gen, soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist fer-
ner auf den Gesamtzusammenhang der Regelungen, weil dieser Anhaltspunkte
für den wirklichen Willen der Betriebsparteien geben kann. Soweit kein eindeu-
tiges Auslegungsergebnis möglich ist, kommen ohne Bindung an eine Reihen-
folge weitere Auslegungskriterien wie etwa eine regelmäßige Anwendungspra-
xis oder die Normengeschichte in Betracht. Im Zweifel gebührt derjenigen Aus-
legung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch
brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt
.
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- 23 -
(2)
Danach ist die VO 2011 keine Dienstvereinbarung.
(a)
Dafür spricht der Wortlaut vor dem Hintergrund der Entwicklung der
Versorgungsordnungen.
Die Versorgungsregeln waren ab 2004 bei der Beklagten zunächst in
der sog.
„Versorgungsregelung - D-Versorgungsordnung“ in einem eigenständi-
gen und abgeschlossenen Regelungswerk enthalten. Dabei wurden sie in der
Überschrift, in der Präambel und innerhalb des Regelwerks als Dienstvereinba-
rung bezeichnet. Das deutet darauf hin, dass sie auch als solche gewollt war.
Allerdings war auch schon bei der VO 2004 eine Umsetzung bei der Beklagten
von der Regelung vorausgesetzt und damit erforderlich. Diese Versorgungsre-
geln wurden aber in den Jahren 2007 und 2011 demgegenüber dadurch fortge-
zeichnet, dass dieser Versorgungsordnung kurze zweiseitige „Dienstvereinba-
rungen“ vorgeschaltet wurden, die DV 2007 und 2011. Dabei wurde die Versor-
gungsordnung selbst - anders als die sie begleitende Regelung - nicht mehr als
Dienstvereinbarung bezeichnet und der Begriff innerhalb der Versorgungsord-
nung auch nicht mehr verwandt. Dies deutet darauf hin, dass sie einen derarti-
gen Rechtscharakter gerade nicht mehr haben sollte.
(b)
Weiter spricht für dieses Auslegungsergebnis, dass der VO 2011 nach
ihrem Inhalt keine eigenständige Wirkung im Arbeitsverhältnis zur Beklagten
zukommen sollte, also die sich aus Dienstvereinbarungen ergebende Normwir-
kung gerade nicht eintreten sollte. Nach § 1 VO 2011 sollte diese Versorgungs-
regelung nur dann gelten, wenn dies vom Arbeitgeber mit dem Mitarbeiter aus-
drücklich einzelvertraglich oder im Rahmen einer Dienst- oder Betriebsverein-
barung vereinbart wurde. Es bedurfte also eines weiter gehenden Umsetzungs-
akts, was dagegen spricht, dass aus der VO 2011 unmittelbar Ansprüche abge-
leitet werden konnten.
(3)
Danach ist die VO 2011 darauf angelegt, nach einer Umsetzung in den
beteiligten Unternehmen Grundlage für entsprechende Ansprüche zu sein. So-
weit die Regelung dabei eine ausdrückliche einzelvertragliche Vereinbarung als
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Möglichkeit vorsieht, kann diese Voraussetzung auch durch eine Gesamtzusa-
ge erfüllt werden.
(a)
Die Bestimmung des § 1 VO 2011 ist nicht dahin zu verstehen, dass es
einer einzelvertraglichen Abrede mit dem einzelnen Arbeitnehmer in einem ei-
genständigen Dokument bedurft hätte. Diese Annahme übersieht den Rege-
lungszusammenhang und den Regelungsgegenstand. In derselben Regelung
wird wie in § 1 DV 2011 klargestellt, dass jedes Unternehmen nur im Verhältnis
zu den eigenen Mitarbeitern aus der Versorgungsregelung verpflichtet ist und
eine Verpflichtung im Verhältnis zu den Mitarbeitern anderer Unternehmen nicht
begründet wird. Aus diesem Zusammenhang wird deutlich, dass es nicht um
eine nur auf einzelne Arbeitnehmer bezogene einzelvertragliche Zusage als
solche, sondern um eine (vertragliche) Zusage gegenüber den Arbeitnehmern
des eigenen Unternehmens mit kollektivem Bezug geht. Das verdeutlicht auch
die Gleichstellung mit der Zusage im Rahmen einer Betriebs- oder Dienstver-
einbarung, wo es auch nicht um eine Zusage nur in Einzelfällen geht. Hinzu
kommt, dass es sich vom Regelungsgegenstand um die konzern- und unter-
nehmensweit zu behandelnde betriebliche Altersversorgung handelt. Das ergibt
die Aufzählung der verschiedenen Unternehmen in der DV 2011, in der auf die
VO 2011 verwiesen wird. Die Beklagte hat kein Regelungsinteresse, gegenüber
jedem einzelnen Arbeitnehmer durch eine konkrete ausdrückliche einzelvertrag-
liche Vereinbarung vorzugehen.
(b)
Ferner ist zu beachten, dass an anderer Stelle, nämlich beim Leis-
tungsausschluss nach § 2 Abs. 4 VO 2011 ebenfalls an eine einzelvertragliche
Zusage angeknüpft - also derselbe Wortlaut benutzt - wird. Würde man jedoch
unter beiden Formulierungen dasselbe verstehen, käme es zu einer sinnlosen
Regelung: Es würde nämlich die VO 2011 aufgrund einer auf den Einzelfall zu-
geschnittenen Vereinbarung gelten, es sei denn, im Einzelfall wäre etwas ande-
res vereinbart. Die Regelung in § 2 Abs. 4 VO 2011 wäre letztlich völlig über-
flüssig. Geht man jedoch davon aus, dass die Geltung der VO 2011 auch durch
eine Gesamtzusage herbeigeführt werden kann, ergibt es auch Sinn, Arbeit-
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nehmer davon auszunehmen, für die eine gerade mit ihnen einzeln vereinbarte
Regelung gilt.
(c)
Das entspricht auch allgemeinen Grundsätzen. Danach wird das in der
Gesamtzusage liegende Angebot von den Arbeitnehmern gemäß § 151 BGB
angenommen und damit ergänzender Inhalt des Arbeitsvertrags. Die Arbeit-
nehmer erwerben einen einzelvertraglichen Anspruch auf die zugesagten Leis-
tungen, wenn sie die betreffenden Anspruchsvoraussetzungen erfüllen
.
(d)
Unschädlich ist, dass die VO 2011 nach ihrem § 2 Abs. 1 und Abs. 2
persönlich nur für die dort genannten Arbeitnehmer gelten soll, soweit ihr Ar-
beitsverhältnis zur D Deutsche Girozentrale oder einem anderen Konzernunter-
nehmen besteht, das die VO 2011 durch Dienst- oder Betriebsvereinbarung
abgeschlossen hat. Dass dabei die ausdrückliche einzelvertragliche Zusage
nicht genannt ist, kann nicht dem Sinn der Regelung entsprechen, weil sonst
diese Möglichkeit einer Vereinbarung durch ausdrückliche einzelvertragliche
Zusage entgegen § 1 Satz 1 VO 2011 völlig entfallen würde. Ausgeschlossen
werden sollen nur Arbeitnehmer, die in Konzernunternehmen arbeiten, für die
die VO 2011 überhaupt nicht gilt, etwa in neu in den Konzern eintretenden Un-
ternehmen.
(4)
Die Beklagte hat eine solche Gesamtzusage entsprechend ihrem be-
reits durch die Mitunterzeichnung der DV 2011 zum Ausdruck gebrachten Wil-
len jedenfalls mit dem Infoblatt Stand 01/2018 erteilt, das in dem von ihr mitbe-
nutzten Intranet veröffentlicht wurde
. In diesem In-
foblatt ist ausdrücklich die Rede von Anspruchsberechtigung, Versorgungsfällen
und Höhe der Leistungen und damit von einer Verpflichtung und Geltung der
VO 2011, die ihrerseits im Intranet veröffentlicht wurde. Der am Ende des Do-
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kuments enthaltene Hinweis auf die VO 2011 als einzig gültige Regelungs-
grundlage relativiert die Zusage nicht - im Gegenteil
. Das Infoblatt unterstreicht die Zusage in einer für die Mitarbeiter verständ-
lichen Sprache und damit die Geltung und Anwendung der VO 2011, zumal es
konstitutiv auf diese verweist. Die VO 2011 soll nach dem Hinweis am Ende die
„maßgebliche“ Grundlage des Versorgungssystems sein. Die vorstehenden
Ausführungen, mit denen lediglich die außerhalb des Hinweises gemeint sind,
sollen für sich genommen keine Ansprüche begründen, sondern aufgrund des
Infoblatts nur - aber auch - die VO 2011.
b)
Soweit sich die Beklagte auf die Entscheidung des Fünften Senats vom
13. August 1980
beruft, übersieht sie, dass sie selbst im vor-
liegenden Verfahren erkennbar keine vermeintlich normativ wirkende Regelung
vollziehen wollte. Sie hat vielmehr anders als in der angezogenen Entschei-
dung, wo der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung abge-
schlossen hatte, eine Regelung umgesetzt, die gerade keine Dienstvereinba-
rung darstellt, sondern außerhalb einer Dienstvereinbarung auf eine Umsetzung
auch durch Gesamtzusage hin angelegt war.
3.
Der Kläger ist nicht insgesamt wegen § 2 Abs. 4 VO 2011 von den Leis-
tungen der VO 2011 ausgeschlossen. Die Herausnahme von Arbeitnehmern mit
einer anderen einzelvertraglichen Leistungszusage aus der VO 2011 nach § 2
Abs. 4 VO 2011 verstößt gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungs-
grundsatz und führt dazu, dass der Ausschluss nicht greift und der Kläger die
Leistungen nach der VO 2011 verlangen kann.
a)
Die Voraussetzungen einer anderweitigen einzelvertraglichen Zusage
iSv. § 2 Abs. 4 VO 2011 lagen vor, um die Leistungen der Beklagten dem
Grunde nach auszuschließen. Der Kläger war zwar zunächst bei der C AG be-
schäftigt, die ihn zum BVV angemeldet hatte, und trat erst zum 1. Juli 1990 in
ein Arbeitsverhältnis mit der D Kapitalanlagegesellschaft mbH, einer Rechts-
vorgängerin der Beklagten, ein. Allerdings hatte die Rechtsvorgängerin der Be-
klagten sich mit Vertrag vom 26. Juli 1993 verpflichtet, zwei Drittel des Gesamt-
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beitrags der Versicherungsbeiträge zu zahlen. Mit Vertrag vom 12. September
1994, geschlossen zwischen dem BVV, der D M GmbH und dem Kläger, ver-
pflichtete sich nunmehr diese, zwei Drittel des Gesamtbeitrags der Versiche-
rungsbeiträge zu zahlen. Damit war dem Kläger eine Zusage erteilt, indem eine
freiwillige, jederzeit kündbare Beitragsergänzung zugesagt wurde
-
.
b)
Mit der Regelung in § 2 Abs. 4 VO 2011 hat die Beklagte allerdings den
Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.
aa)
Der durch § 2 Abs. 4 VO 2011 bewirkte Ausschluss von Arbeitnehmern
mit einer Individualzusage ist nur gerechtfertigt, wenn der mit kollektivem Ver-
sorgungssystem des Arbeitgebers verfolgte Versorgungszweck bereits durch
individuell vom Arbeitgeber zugesagte Leistungen erreicht wird. Dementspre-
chend können grundsätzlich auch Arbeitnehmer, denen bereits eine individuelle
Zusage auf eine betriebliche Altersversorgung erteilt wurde, von einem kol-
lektiven Versorgungswerk ausgenommen werden. Der vollständige Ausschluss
solcher Arbeitnehmer ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn die Arbeitnehmer
mit individuellen Zusagen im Versorgungsfall eine zumindest annähernd
gleichwertige Versorgung erhalten
. Nur dann lässt sich
aus dem Versorgungszweck der Betriebsrente eine derartige Einschränkung
rechtfertigen.
bb)
Die Beklagte hat nicht behauptet, dass der Kläger beim BVV eine Ver-
sorgung erhält, die der nach der VO 2011 annähernd gleichwertig ist. Dies ist
auch fernliegend.
IV.
Allerdings muss sich der Kläger den Teil der BVV-Rente anrechnen
lassen, der auf Beiträgen beruht, die die Beklagte oder ihre Rechtsvorgängerin-
nen aufgrund ihrer Zusage an den BVV gezahlt haben.
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1.
Der Anspruch des Klägers beruht nach dem Vorgesagten auf dem ar-
beitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in seiner Ausprägung, die sich
aus § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG ergibt. Der Kläger hat hinsichtlich der vom Ar-
beitgeber getragenen Versorgung Anspruch darauf, mit anderen Arbeitnehmern
gleichbehandelt zu werden. Das bedeutet, er kann eine Arbeitgeberleistung von
gleichem wirtschaftlichen Wert verlangen. Das erfordert lediglich den Ausgleich
der Differenz zwischen den durch die Übernahme der BVV-Beiträge bewirkten
Leistungen und denen nach der VO 2011.
Da die VO 2011 ausschließlich eine arbeitgeberfinanzierte Altersver-
sorgung regelt, muss sich der Kläger nur solche Leistungen des BVV auf die
Altersrente nach der VO 2011 anrechnen lassen, die auf Beiträgen der Beklag-
ten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin beruhen
. Hiervon sind das Arbeits- und das Landesar-
beitsgericht zu Recht ausgegangen. Soweit der Kläger Leistungen des BVV
erhält, die auf seinen Eigenbeiträgen beruhen, kommt eine Anrechnung nicht in
Betracht. Auch die Beklagte verlangt dies nicht mehr.
Darüber hinaus ist eine Anrechnung von Leistungen des BVV, die auf
den Beiträgen der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin beruhen, nur in dem
Umfang möglich, in dem der Kläger aufgrund der VO 2011 für Beschäftigungs-
zeiten Anwartschaften erworben hat. Nach § 5 Abs. 1 VO 2011 gilt als anrech-
nungsfähige Dienstzeit grundsätzlich nur die Zeit, die der Mitarbeiter in dem
Unternehmen verbracht hat. Da der Kläger danach in der Zeit vom Beginn sei-
nes Arbeitsverhältnisses bis zu dessen Beendigung mit Ablauf Anwartschaften
nach der VO 2011 erworben hatte, können die Leistungen des BVV grundsätz-
lich nur insoweit angerechnet werden, als sie auf in diesem Zeitraum von der
Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin gezahlten Beiträgen beruhen
.
2.
Der gebotenen Anrechnung kann der Kläger nicht entgegenhalten, sie
verstoße durch die Teilaufrechterhaltung der Regelung des § 2 Abs. 4 VO 2011
gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion von Allgemeinen Ge-
schäftsbedingungen.
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a)
Zwar ist es eine Grundlage des AGB-Rechts, dass ganz oder teilweise
unwirksame Klauseln nach § 306 Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil werden.
Soweit die Bestimmungen nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam
sind, richtet sich der Inhalt des Vertrags nach den gesetzlichen Vorschriften,
§ 306 Abs. 2 BGB. Eine geltungserhaltende Reduktion wird allgemein ausge-
schlossen, mit der eine einheitliche und damit auch einer einheitlichen AGB-
Kontrolle unterliegende Klausel durch das Gericht in einen zulässigen und ei-
nen unzulässigen Teil getrennt und in ihrem rechtlich nicht zu beanstandenden
Teil aufrechterhalten wird
. Sie ist im Rechtsfolgensystem des § 306 BGB nicht vorgese-
hen
.
b)
Außerdem könnte argumentiert werden, vertragliche Abweichungen in
Gesamtzusagen vom arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz seien als
mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung im Betriebsren-
tenrecht
nicht vereinbar, so dass die Klausel im
Zweifel eine unangemessene Benachteiligung darstellen dürfte, § 307 Abs. 2
Nr. 1 BGB, mit der Folge, dass die Gesamtregelung insoweit unwirksam sein
könnte. Für eine Inhaltskontrolle und Gesamtunwirksamkeit des § 2 Abs. 4 VO
2011 könnte zudem sprechen, dass es sich auch bei der Gesamtzusage um
eine vertragliche Abrede handelt, die auf Allgemeinen Geschäftsbedingungen
beruht und insoweit grundsätzlich einer Inhaltskontrolle unterworfen ist
. So hat etwa der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts eine
unter dem konkludenten Vorbehalt einer abändernden Betriebsvereinbarung
stehende Gesamtzusage am Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB
gemessen
.
Unter § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB sollen zudem Ausprägungen des Gerechtigkeits-
gebots wie der Gleichbehandlungsgrundsatz fallen
. Jedenfalls
im Betriebsrentenrecht ist der Gleichbehandlungsgrundsatz - gerade auch we-
gen § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG - ein wesentlicher Grundgedanke einer gesetz-
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lichen Regelung. Auch der Senat hat zwischen dem Gleichbehandlungsgrund-
satz und AGB-Recht unterschieden
, gleichzeitig aber den Ausschluss nicht als unange-
messen benachteiligend angesehen, da der Arbeitgeber ein berechtigtes Inte-
resse gehabt habe
.
c)
Die Inhaltskontrolle wäre vorliegend auch nicht wegen § 310 Abs. 4
Satz 3 BGB ausgeschlossen. Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarun-
gen stehen danach Rechtsvorschriften iSv. § 307 Abs. 3 BGB gleich und be-
wahren kollektiv in Bezug genommene Regelungen vor einer Inhaltskontrolle
. Für Gesamt-
zusagen ist etwas derartiges nicht vorgesehen.
d)
Allerdings sprechen grundlegende Bedenken dagegen, die Regelungen
des § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB und das Rechtsfolgenkonzept des § 306
BGB auf Regelungen in Gesamtzusagen und damit auf § 2 Abs. 4 VO 2011 im
Betriebsrentenrecht anzuwenden, wenn und soweit sie gegen den Gleichbe-
handlungsgrundsatz verstoßen.
aa)
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz bildet jedenfalls im
Betriebsrentenrecht eine eigenständige Anspruchsgrundlage mit eigenständi-
gem Rechtsfolgenkonzept; außerhalb des Betriebsrentengesetzes wird im Er-
gebnis Ähnliches angenommen. Der Anspruch setzt für seine Anwendung und
Rechtsfolgen nicht voraus, dass eine hiervon abweichende Bestimmung in ei-
ner Gesamtzusage - etwa AGB-rechtlich - unwirksam sein müsste. Die unzu-
lässige Gruppenbildung in einer Gesamtzusage führt vielmehr zu dem Beste-
hen des Anspruchs im Zusammenspiel mit der vom Arbeitgeber geschaffenen
Regelung, nicht jedoch zur Unwirksamkeit der ungleich behandelnden Bestim-
mung der Gesamtzusage. Außerdem hat der nach dem Gleichbehandlungs-
grundsatz unzulässig ungleich behandelte Arbeitnehmer allein Anspruch auf
Gleichbehandlung mit den anderen Arbeitnehmern, nicht jedoch auf eine Bes-
serstellung diesen gegenüber.
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bb)
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz beinhaltet folglich
ein gegenüber dem AGB-Recht spezielleres und abgeschlossenes Regelungs-
und Rechtsfolgenkonzept. Er bildet damit jedenfalls eine im Arbeitsrecht gelten-
de Besonderheit iSv. § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 BGB; seine Spezialität, seine
Voraussetzungen und Rechtsfolgen sind angemessen zu beachten, was bei
einer Unwirksamkeit der benachteiligenden Regelung der Gesamtzusage - wie
auch der vorliegende Fall zeigt - nicht möglich wäre. Jedenfalls im Betriebsren-
tenrecht geht der Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG
als im Arbeitsrecht geltende Besonderheit nach § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1
BGB
der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB und den Rechtsfolgen
des § 306 BGB im Fall von gleichheitswidrigen Regelungen vor. Wenn der
Gleichbehandlungsgrundsatz auch auf privatautonome Abreden und damit auch
auf Gesamtzusagen sowie auf Allgemeine Geschäftsbedingungen Anwendung
findet, muss er wegen seiner speziellen Voraussetzungen und Rechtsfolgen
vorrangig vor den Wertungen des AGB-Rechts zur Unwirksamkeit und dem
Verbot der geltungserhaltenden Reduktion Anwendung finden. Andernfalls wür-
den diese insoweit im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten nicht mehr ange-
messen - iSv. § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 BGB - berücksichtigt.
cc)
Dies entspricht auch verfassungsrechtlichen Vorgaben. Der Gleichbe-
handlungsgrundsatz ist die privatrechtliche Ausprägung des Gleichheitssatzes
des Art. 3 Abs. 1 GG
. Wenn der
allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz damit auch auf den
Wertungen des Art. 3 Abs. 1 GG beruht, muss auch das dort anerkannte und
bestehende Rechtsfolgenprogramm beachtet werden. Unabhängig von Nichtig-
keit oder Unvereinbarkeit einer unzulässig nach Art. 3 Abs. 1 GG benachteili-
genden Regelung
führt der Verstoß gegen Art. 3
Abs. 1 GG nie zu einer Überkompensation oder Besserbehandlung der ur-
sprünglich Ausgeschlossenen. Es geht allein um eine Ausdehnung der Begüns-
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tigung auf unzulässig Ausgeschlossene
.
dd)
Zudem könnte eine andere Auffassung dazu führen, dass es zu Un-
gleichbehandlungen der vormals begünstigten Arbeitnehmergruppe kommt, die
ihrerseits zu Ansprüchen nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungs-
grundsatz führen könnten. Dann wären auch diesen Arbeitnehmern Leistungen
nach beiden Regelungen zu gewähren. Dies geht über eine geltungserhaltende
Reduktion weit hinaus.
ee)
Schließlich folgt dieses Ergebnis aus § 306 Abs. 2 BGB. Dort ist festge-
legt, dass dann, wenn Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam sind, sich
der Inhalt des Vertrags nach den gesetzlichen Regelungen richtet. Verstößt ei-
ne Regelung gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, ist nie
die einzelne Regelung für sich genommen gleichheitswidrig, sondern der unbe-
rechtigte Ausschluss aus den für andere geltenden Vereinbarungen. Die Un-
wirksamkeit verlangt, dass die für diese Situation geltende gesetzliche Rege-
lung Anwendung findet. Das ist aber der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungs-
grundsatz, der normative Kraft hat und deshalb ein Gesetz iSd. BGB darstellt
. Dieser verlangt aber lediglich eine Angleichung an den be-
günstigten Personenkreis, nicht jedoch eine Überkompensation.
3.
Auch § 5 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG steht einer solchen Anrechnung von
Leistungen des BVV nicht entgegen. Da die Leistungen des BVV sowohl arbeit-
geber- als auch arbeitnehmerfinanziert waren, hindert diese Norm eine Anrech-
nung nicht. Aus den Entscheidungen des Senats vom 23. Februar 1988
, 6. Juni 1989
, 5. September 1989
und 26. März 1996
kann der Kläger
ebenfalls nichts anderes ableiten
-
. Es kommt hier nicht auf Anrechnungsvorbehalte an,
sondern auf die gesetzlichen Rechtsfolgen einer Ungleichbehandlung.
4.
Soweit der Kläger geltend macht, die Beklagte habe im Jahr 1993 bzw.
1994 in Kenntnis der VO 1991 die Zusage erteilt, greift seine Rüge nicht durch.
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Es ist nicht ersichtlich, wie der Kläger hieraus ableiten will, die Beklagte habe
ihm beide Versorgungsleistungen kumulativ zukommen lassen. Außerdem wä-
ren anrechenbare Leistungen des BVV nicht sinnlos, da sie etwa im Fall eines
Ausscheidens des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis hätten portiert werden
können.
V.
Sonstige Gründe, die diesem Ergebnis entgegenstünden, greifen nicht
durch.
1.
Auf die durch Betriebsvereinbarung getroffenen Regelungen der VO
1988, der VO 1991, der VO 1993 und der VO 1995 kommt es nicht an. Das gilt
selbst dann, wenn diese noch normative Kraft entfalten sollten. Denn auch in
diesem Falle ließe es das Günstigkeitsprinzip zu, dass andere Vereinbarungen
zustandekommen. Die normativ geltenden Betriebsvereinbarungen träten ledig-
lich in ihrer Wirkung zurück
. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass hinsicht-
lich der nicht durch § 2 Abs. 4 VO 2011 erfassten Arbeitnehmer die Betriebs-
vereinbarungen günstiger sind, als die VO 2011. Es gibt damit eine Wirkungen
entfaltende Gesamtzusage, an der der Kläger nach dem arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz teilhaben kann.
Auch der Umstand, dass Arbeitnehmer mit Individualzusagen noch in
den Kreis der nach den Betriebsvereinbarungen Versorgungsberechtigten auf-
genommen waren, führt nicht dazu, dass an die Rechtfertigung der nunmehr
durch § 2 Abs. 4 VO 2011 begründeten Ungleichbehandlung erhöhte Anforde-
rungen zu stellen wären. Dem Arbeitgeber bleibt es vorbehalten, seine Rege-
lungsziele zu ändern, soweit dies den allgemein an die Gleichbehandlung zu
stellenden Anforderungen genügt. Berechtigte Erwartungen, die bis zu einer
Änderung der Versorgungsordnung erworben wurden, sind durch die Grundsät-
ze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit, die ihren Niederschlag
im dreistufigen Prüfungsschema gefunden haben, ausreichend geschützt
. Das könnte aber nur dazu führen, dass der Kläger noch An-
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sprüche nach den Betriebsvereinbarungen geltend machen könnte. Solche An-
sprüche sind indes nicht Gegenstand des Verfahrens.
2.
Der Kläger konnte in der Vorruhestandsvereinbarung nicht wirksam auf
die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung verzichten. Ob die Vereinba-
rung überhaupt Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ausschließt,
kann offenbleiben. Selbst wenn man dies annähme, wären Ansprüche des Klä-
gers aus der VO 2011 nicht erloschen, da Nr. 7 der Vorruhestandsvereinbarung
wegen Verstoßes gegen § 3 Abs. 1 BetrAVG iVm. § 134 BGB unwirksam wäre.
§ 3 Abs. 1 BetrAVG verbietet auch den entschädigungslosen Erlass einer Ver-
sorgungsanwartschaft in Vereinbarungen, die - wie hier - im Zusammenhang
mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen wurden
.
VI.
Die Klageforderungen sind im zugesprochenen Umfang auch der Höhe
nach begründet.
1.
Gegen die konkrete Berechnung des Anspruchs und der anzurechnen-
den Leistungen auf dieser rechtlichen Grundlage haben weder der Kläger noch
die Beklagte konkrete Einwände erhoben. Das gilt auch für die Berücksichti-
gung der Fixzulage als ruhegehaltfähiges Einkommen. Insoweit ist auf das vom
Berufungsgericht in Bezug genommene Urteil des Arbeitsgerichts zu verweisen.
Hierauf sind die vom BVV berechneten Anteile der Beklagten als Beiträge für
den Zeitraum der anrechnungsfähigen Dienstzeit anzurechnen.
2.
Der Anspruch des Klägers auf das Weihnachtsgeld für die Jahre 2015
(anteilig), 2016 sowie 2017 folgt grundsätzlich aus § 15 VO 2011. Er besteht
auch in der geltend gemachten und in der vom Arbeitsgericht zugesprochenen
Höhe von insgesamt 293,25 Euro.
3.
Die Zinsansprüche folgen aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.
Nach § 20 Abs. 3 VO 2011 sind die Leistungen monatlich im Voraus zu zahlen.
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Ab dem zweiten Werktag eines Monats befindet sich die Beklagte mit der Leis-
tung im Verzug.
VII.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Zwanziger
Spinner
Roloff
Zwanziger
Mayer
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