Urteil des BAG vom 03.06.2020

Altersdiskriminierung - Verbot geltungserhaltender Reduktion

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 3. Juni 2020
Dritter Senat
- 3 AZR 226/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:030620.U.3AZR226.19.0
I. Arbeitsgericht Köln
Urteil vom 11. Juli 2018
- 20 Ca 3631/17 -
II. Landesarbeitsgericht Köln
Urteil vom 1. Februar 2019
- 10 Sa 557/18 -
Entscheidungsstichworte:
Altersdiskriminierung - Verbot geltungserhaltender Reduktion
Leitsätze:
1. Soweit eine Versorgungsordnung einen vorzeitigen Ruhestand mit Ver-
sorgungsleistungen bereits mit der Vollendung des 50. Lebensjahres ohne
versicherungsmathematische Abschläge wegen der vorgezogenen Inan-
spruchnahme ermöglicht, ist der Ausschluss einer Hinterbliebenenversor-
gung nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG unter dem Gesichtspunkt der Kom-
pensation gerechtfertigt, wenn die Ehe erst nach dem Ausscheiden aus
dem Arbeitsverhältnis geschlossen wurde. Das gilt auch dann, wenn Ver-
sorgungsberechtigte, die mit der Vollendung des 65. Lebensjahres in den
normalen Ruhestand treten, auch für spätere Eheschließungen noch eine
Hinterbliebenenversorgung erwerben können.
2. Abgrenzbare Teile in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Versor-
gungsordnung bestehend aus einer wegen des Alters diskriminierenden
und einer nicht diskriminierenden Regelung führen zu keiner Gesamtun-
wirksamkeit der Klausel nach den Grundsätzen des Verbots der geltungs-
erhaltenden Reduktion. Da das Unionsrecht keine Gesamtunwirksamkeit
einer solchen Klausel gebietet, kann der nationale Gesetzgeber die
Rechtsfolgen autonom bestimmen. Es gelten dann die Grundsätze des All-
gemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, die nur soweit reichen, wie es die
Beseitigung der Benachteiligung erfordert.
ECLI:DE:BAG:2020:030620.U.3AZR226.19.0
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BUNDESARBEITSGERICHT
3 AZR 226/19
10 Sa 557/18
Landesarbeitsgericht
Köln
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
3. Juni 2020
URTEIL
Kaufhold, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Kläger, Berufungskläger und Revisionskläger,
pp.
Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,
hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-
handlung vom 3. Juni 2020 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeits-
gericht Dr. Zwanziger, die Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Spinner
und Dr. Roloff sowie die ehrenamtlichen Richter Lohre und Mayer für Recht er-
kannt:
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3 AZR 226/19
ECLI:DE:BAG:2020:030620.U.3AZR226.19.0
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesar-
beitsgerichts Köln vom 1. Februar 2019 - 10 Sa 557/18 -
wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Verpflichtung der Beklagten auf Gewäh-
rung einer möglichen Hinterbliebenenversorgung für die Ehefrau des Klägers.
Der im November 1940 geborene Kläger war in der Zeit vom 1. März
1965 bis zum 31. März 1998 bei der Beklagten im höheren Management tätig.
Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin erteilte ihm eine Versorgungszusage
nach dem sog. Management-Statut. In der Pensionsordnung vom 16. Mai 1969
(im Folgenden PO) sind auszugsweise folgende Regelungen enthalten:
Pensionsordnung der F Aktiengesellschaft Köln
Ruhestand
4.
Normaler Ruhestand
Ein Angestellter erreicht das normale Ruhestandsal-
ter mit Vollendung des 65. Lebensjahres ...
5.
Vorzeitiger Ruhestand
Ein Angestellter, der sein 50. Lebensjahr vollendet
und mindestens 10 anrechenbare Dienstjahre bei der
Firma zurückgelegt hat, kann nach Maßgabe der fol-
genden Bestimmungen auf eigenen Wunsch in den
vorzeitigen Ruhestand treten oder von der Firma in
den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden:
a)
Im Falle des vorzeitigen Ruhestandes auf eige-
nes Verlangen erhält der Angestellte eine mo-
natliche Pension von der Vollendung seines
60. Lebensjahres ab; ...
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b)
Wenn das Dienstverhältnis auf Veranlassung
der Firma beendet wird, erhält der Angestellte
eine monatliche Pension, die sofort mit seinem
Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand beginnt. ...
Pensionsleistungen
7.
Pension bei normalem Ruhestand
Ein Angestellter hat Anspruch auf eine monatliche
Pension im normalen Ruhestand nach den folgenden
Bestimmungen:
a)
Nach 10 anrechenbaren Dienstjahren besteht
ein Versorgungsanspruch von 13,3% der anre-
chenbaren Bezüge. Dieser Anspruch steigert
sich mit jedem weiteren Dienstjahr um 1,6% der
anrechenbaren Bezüge.
b)
Einschließlich einer etwaigen Rente aus der
Sozialversicherung - abzüglich eines evtl. vor-
handenen Rententeiles auf Grund freiwilliger
Beiträge - dürfen die Pensionsleistungen in kei-
nem Fall höher sein als 75% der anrechenba-
ren Bezüge oder 80% der am 1. Januar 1957
tatsächlich gezahlten Bezüge, soweit sie ge-
mäß Ziff. 2 b) und c) anrechenbar sind. Der
kleinere der beiden Beträge ist maßgebend.
c)
Hat sich die Firma an der Beitragszahlung zu
einem Vertrag mit einem privaten oder öffentli-
chen Lebensversicherungsunternehmen betei-
ligt (z. B. Befreiungsversicherung), so erhöht
sich die anzurechnende Rente aus der Ange-
stellten-Versicherung um den Betrag, der sich
ergeben würde, wenn der doppelte Firmenanteil
zur Lebensversicherung für die Angestellten-
Versicherung verwendet worden wäre.
d)
Die Grenze von 80% der am 1. Januar 1957
tatsächlich gezahlten Bezüge, soweit sie gem.
Ziff. 2 b) und c) anrechenbar sind, wird vom
Vorstand der Firma mit Wirkung für den
1. Januar jeden ungeraden Jahres überprüft,
um festzustellen, ob sie im Hinblick auf eine
etwa eingetretene Änderung der allgemeinen
Wirtschaftslage noch angemessen ist.
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8.
Pension bei vorzeitigem Ruhestand
Die Grundsätze für die Berechnung der monatlichen
Pension der Angestellten im vorzeitigen Ruhestand
sind dieselben wie beim normalen Ruhestand, je-
doch mit folgenden Änderungen:
a)
Der Berechnung werden die anrechenbaren
Dienstjahre bis zum Tag des Eintritts in den
vorzeitigen Ruhestand zugrunde gelegt.
c)
Beim Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand auf
eigenes Verlangen des Angestellten wird die
unter Berücksichtigung der Bestimmungen un-
ter a) und b) zu berechnende Pension wegen
der Vorverlagerung des normalen Pensionsal-
ters von 65 Jahren auf das Alter von 60 Jahren
nach versicherungsmathematischen Grundsät-
zen gekürzt. Die Pension wird von der Vollen-
dung des 60. Lebensjahres ab gezahlt. ...
d)
Beim Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand auf
Veranlassung der Firma wird die Pension für
den vorzeitigen Ruhestand nach der Anwart-
schaft berechnet, die bis dahin für den norma-
len Ruhestand unter Berücksichtigung der Be-
stimmungen unter a) und b) erreicht worden ist.
Die Pension beginnt in diesem Falle mit dem
Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand.
10.
Beim Tode eines männlichen im Dienst befindlichen
Angestellten erhält seine ihn überlebende Ehefrau
(Witwe) eine Rente, die 55% der Monatsrente be-
trägt, die der Ehemann bezogen hätte, wenn er zum
Zeitpunkt seines Todes arbeitsunfähig geworden wä-
re.
Bei einem im vorzeitigen Ruhestand verstorbenen
Angestellten - der noch keine Rente bezogen
hat - beträgt die Witwenrente 55% von der gemäß
Ziff. 8 a), b) und c) ermittelten Rente.
Bei einem Rentenempfänger errechnet sich der Pro-
zentsatz von der tatsächlich bezogenen Rente.
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Ist die Witwe über 15 Jahre jünger als ihr verstorbe-
ner Ehemann, so vermindert sich die Pension für
jedes Jahr, um welches der Altersunterschied
15 Jahre übersteigt, um 5% des an sich für sie vor-
gesehenen Betrages.
Die Witwe erhält keine Pension,
a)
wenn die Ehe vor dem Tode des Verstorbenen
gelöst wurde, oder
b)
wenn
die
Ehe
nach
Vollendung
des
60. Lebensjahres des Verstorbenen geschlos-
sen wurde und nicht wenigstens 5 Jahre be-
standen hat, oder
c)
wenn die Ehe von einem Angestellten erst nach
seiner vorzeitigen Pensionierung gem. Ziff. 5
dieser Pensionsordnung geschlossen worden
ist, oder
d)
wenn die Witwe den Tod des verstorbenen
rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt hat.
Am 31. März 1998 schied der Kläger aufgrund einer Aufhebungsverein-
barung auf Veranlassung der Beklagten aus dem Arbeitsverhältnis aus. In der
Aufhebungsvereinbarung ist ausdrücklich auf den „jeweils gültigen Pensions-
plan“ verwiesen. Nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis bei der
Beklagten war der Kläger bei einem neu gegründeten Unternehmen beschäftigt,
dass das Händlernetz der Beklagten restrukturieren sollte. Der Kläger bezog ab
dem 1. April 1998 Leistungen nach der PO von der Beklagten, zunächst iHv.
7.564,00 Euro monatlich, zuletzt iHv. 7.721,87 Euro brutto.
Im Jahr 2001 verstarb die erste Ehefrau des Klägers. Im Juni 2002 hei-
ratete er seine im Juni 1953 geborene jetzige Ehefrau. Bis zur Vollendung sei-
nes 65. Lebensjahres im November 2005 bezog er von der Beklagten Versor-
gungsleistungen iHv. 670.034,08 Euro brutto.
Auf ein Schreiben des Klägers lehnte die Beklagte unter dem
10. Januar 2017 die Anerkennung einer möglichen Hinterbliebenenversorgung
für seine zweite Ehefrau ab.
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Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung des Bestehens ei-
nes Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung für seine zweite Ehefrau im Fall
seines Vorversterbens. Er hat die Auffassung vertreten, der Ausschluss der
Hinterbliebenenversorgung nach Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO sei altersdiskrimi-
nierend und daher unwirksam. Jüngere Pensionäre würden gegenüber regulä-
ren Pensionären diskriminiert, da bei letzteren bei späterer Heirat kein Aus-
schluss der Witwenpension erfolge. Die Klausel verstoße gegen § 10 Satz 3
Nr. 4 AGG, der nur unter bestimmten Voraussetzungen eine Ungleichbehand-
lung wegen des Alters erlaube. Die Norm sei als Rechtfertigungsgrund für die
Diskriminierung bei einer Hinterbliebenenversorgung nicht anwendbar, da dort
nur die Rede von Alters- und Invalidenpension sei. Zudem lägen ihre Voraus-
setzungen nicht vor, da die Beklagte die erforderlichen versicherungsmathema-
tischen Berechnungen nicht dargelegt habe. Der vorzeitige Ruhestand erhöhe
das Risiko der Witwenpension nicht. In Ziff. 10 Abs. 4 PO werde durch die ent-
sprechende Kürzungsvorschrift ausreichend dem geringeren Lebensalter des
Ehepartners Rechnung getragen. Da die Betriebszugehörigkeit für den Aus-
schluss der Witwenversorgung nach der PO unerheblich sei und vorzeitige
Pensionäre mit langer Betriebszugehörigkeit gegenüber regulären Pensionären
mit kürzerer Betriebszugehörigkeit ungerechtfertigt benachteiligt würden, sei der
Ausschluss ohne sachlichen Grund. Für die Diskriminierung wegen des Alters
sei auf den Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand abzustellen. Die vorzeitige
Pensionierung werde bereits durch die Kürzung nach Ziff. 8 Buchst. c PO beim
vorzeitigen Betriebsrentner, der nicht auf Veranlassung der Beklagten aus-
scheide, kompensiert. Der vorzeitig auf eigenen Wunsch ausscheidende Pensi-
onär werde damit doppelt benachteiligt. Die Beklagte verhalte sich zudem treu-
widrig, da er auf ihre Veranlassung in den vorzeitigen Ruhestand getreten sei.
Zu diesem Zeitpunkt sei ihr bekannt gewesen, dass seine erste Ehefrau le-
bensbedrohend krank gewesen sei. Sie könne sich daher nicht auf den Aus-
schlusstatbestand der PO berufen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass seine Ehefrau, geboren 1953, für den
Fall seines Vorversterbens bei zu diesem Zeitpunkt noch
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bestehender Ehe, resultierend aus der Pensionszusage
der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin Anspruch auf
Hinterbliebenen- bzw. Witwenpension hat.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend ge-
macht, ein Anspruch des Klägers bzw. seiner Ehefrau sei nach Ziff. 10 Abs. 5
Buchst. c PO wirksam ausgeschlossen. Der Kläger werde weder unmittelbar
noch mittelbar wegen des Alters diskriminiert, da die Vorschrift nicht an das Le-
bensalter anknüpfe. Eine etwaige mittelbare Diskriminierung sei jedenfalls sach-
lich gerechtfertigt. Die Ausschlussregelung verfolge durch die Begrenzung der
Leistungspflicht auf einen Personenkreis, bei dem der Versorgungsbedarf be-
reits während des Arbeitsverhältnisses angelegt sei, ein rechtmäßiges Ziel.
Dieser Ausschluss sei auch zulässig auf die Fälle der vorzeitigen Pensionierung
begrenzt, da bei vorzeitiger Pensionierung ein Ausscheiden einvernehmlich und
verbunden mit Abfindungsansprüchen der ausscheidenden Arbeitnehmer grei-
fe. Zudem entstünden hier besonders hohe finanzielle Belastungen durch die
betriebliche Altersversorgung, da ein frühzeitigerer Rentenbeginn als bei der
sonstigen Betriebsrente gelte. Vorzeitig ausgeschiedene Arbeitnehmer hätten
auch einen längeren Zeitraum nach dem Ausscheiden, um eine Ehe zu schlie-
ßen. Für die Altersdiskriminierung sei auf den Zeitpunkt der jeweiligen Ehe-
schließung abzustellen, so dass sich keine Differenzierung wegen des Alters im
Rahmen der Pensionsregelung für die Witwenversorgung ergebe. Der Bezugs-
punkt des Alters sei zwar für die Unterscheidung zwischen vorzeitigem und
normalem Ruhestand maßgeblich, nicht aber für den Zeitpunkt der Heirat. Ein
hinreichender Kausalzusammenhang zwischen dem Merkmal Alter und den
Voraussetzungen für den Ausschlusstatbestand in Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO
sei nicht gegeben. Von der Regelung seien gleichermaßen gleich alte Personen
betroffen. Da die Versorgungsfälle unterschiedlich seien, fehle es zudem an
einer vergleichbaren Lage. Als legitimes Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG sei die För-
derung der betrieblichen Altersversorgung durch Überschaubarkeit der jeweili-
gen Belastung anzusehen. Die Regelung sei angemessen und erforderlich, was
bereits § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG zeige. Ein treuwidriges Verhalten der Beklagten
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sei nicht gegeben, da eine Aufklärungspflicht vor Abschluss der Auflösungsver-
einbarung über sämtliche Eventualitäten mit etwaiger Auswirkung für die Hin-
terbliebenenversorgung nicht gegeben sei.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision ver-
folgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte begehrt die Zurück-
weisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht
hat die Berufung des Klägers zu Recht zurückgewiesen. Die zulässige Feststel-
lungsklage ist unbegründet.
I.
Die Feststellungsklage ist zulässig.
1.
Mit seiner Klage erstrebt der Kläger die hinreichend bestimmte Feststel-
lung
, dass seine (zweite) Ehefrau, die er konkret be-
zeichnet, Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung hat.
2.
Mit diesem Antrag begehrt der Kläger die Feststellung des Bestehens
eines Rechtsverhältnisses, an dessen alsbaldiger Feststellung durch richterli-
che Entscheidung er ein berechtigtes Interesse hat, § 256 Abs. 1 ZPO
.
a)
Bei einer Hinterbliebenenversorgung als Teil des Versorgungsverspre-
chens an den Arbeitnehmer handelt es sich um einen Vertrag zugunsten Dritter
iSv. § 328 Abs. 1 BGB. Dieser berechtigt den Arbeitnehmer grundsätzlich, die
Leistung auch selbst geltend zu machen, § 335 BGB. Unerheblich ist es inso-
weit, dass im Rahmen der Versorgungszusage die Hinterbliebenenversorgung
lediglich eine einzelne Verpflichtung darstellt. Die Feststellungsklage muss sich
nicht notwendig auf ein Rechtsverhältnis insgesamt erstrecken, sondern kann
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sich auch auf einzelne Rechtsbeziehungen oder Folgen aus dem Rechtsver-
hältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen sowie auf den Umfang
einer Leistungspflicht beschränken
.
b)
Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an alsbaldiger richterlicher
Feststellung. Die Beklagte stellt ihre Leistungspflicht in Abrede. Rentner und
ihre Ehegatten können - im Fall der Klageabweisung - durch ihr Vorsorge-,
Spar- und Konsumverhalten bestehenden Versorgungslücken Rechnung tra-
gen, auch in Bezug auf die Versorgung etwaig hinterbliebener Personen
.
II.
Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der derzeit
mit dem Kläger verheirateten Ehefrau eine Hinterbliebenenversorgung zu ge-
währen. Die grundsätzlich nach Ziff. 10 PO bestehende Witwenpension ist nach
Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c iVm. Ziff. 5 Buchst. b PO im Fall der vorzeitigen Pensi-
onierung auf Veranlassung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die
Beklagte wirksam ausgeschlossen. Die Beklagte hat auch nicht treuwidrig ge-
handelt.
1.
Nach Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO erhält die Witwe keine Pension, wenn
die Ehe von dem Angestellten erst nach seiner vorzeitigen Pensionierung ge-
mäß Ziff. 5 PO geschlossen worden ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend
erfüllt. Die Ehe des Klägers mit seiner zweiten Ehefrau ist erst nach seiner vor-
zeitigen Pensionierung geschlossen worden. Der Kläger ist mit Ablauf des
31. März 1998 vorzeitig pensioniert, die Ehe ist am 1. Juni 2002 geschlossen
worden.
2.
Der Ausschluss in Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO ist wirksam, da die Klau-
sel nicht wegen Verstoßes gegen das in § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG
normierte Verbot der Benachteiligung wegen des Alters gemäß § 7 Abs. 2 AGG
unwirksam ist, was gleichzeitig unter diesem Gesichtspunkt eine unangemes-
sene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ausschließt.
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a)
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist auf Ziff. 10 Abs. 5
Buchst. c PO anwendbar.
aa)
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gilt trotz der in § 2 Abs. 2
Satz 2 AGG enthaltenen Verweisung auf das Betriebsrentengesetz auch für die
betriebliche Altersversorgung, soweit das Betriebsrentengesetz nicht vorrangige
Sonderregelungen enthält
. Letzteres ist - wie der Senat bereits für ver-
gleichbare Fälle entschieden hat - nicht der Fall.
bb)
Der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes ist nach § 6 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AGG ebenfalls eröffnet. Der Kläger unterfällt als versor-
gungsberechtigter Arbeitnehmer und Ehemann unmittelbar dem Anwendungs-
bereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, da er zu den in § 6
Abs. 1 AGG genannten Personengruppen zählt. Obwohl er eine Feststellung in
Bezug auf die Versorgung seiner Ehefrau begehrt, kommt es für die Frage der
Benachteiligung auf den versorgungsberechtigten Arbeitnehmer - hier also den
Kläger - und nicht auf die hinterbliebene Person an
. Unerheblich ist, dass hier eine
Versorgung für den Fall des Todes verlangt wird. Nach dem Tod des Klägers ist
die hinterbliebene Person berechtigt, ein ihm zustehendes Recht als eige-
nes - abgeleitetes - Recht geltend zu machen
.
cc)
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist auch in zeitlicher Hinsicht
anwendbar. Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestand nach dem Inkraft-
treten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes am 18. August 2006
ein Rechtsverhältnis, nämlich ein Versorgungsverhältnis, das
über dieses Datum hinaus und in der Zukunft fortwährt
.
b)
Der in Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO enthaltene Ausschluss, wonach kein
Anspruch auf Witwenpension besteht, wenn die Ehe von dem Angestellten erst
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nach seiner vorzeitigen Pensionierung gemäß Ziff. 5 dieser Pensionsordnung
geschlossen worden ist, ist wirksam, soweit er die vorzeitige Pensionierung auf
Veranlassung der Beklagten erfasst. Er bewirkt zwar eine unmittelbare Benach-
teiligung wegen des Alters, diese ist indes nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG
gerechtfertigt.
aa)
Nach § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen der in
§ 1 AGG genannten Gründe, ua. wegen des Alters, benachteiligt werden. Unzu-
lässig sind unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen. Eine unmittelbare
Benachteiligung ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG gegeben, wenn eine Person
wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behand-
lung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Lage. Nach § 3
Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach
neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1
AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise
benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien
oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die
Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Bestim-
mungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7
Abs. 1 AGG verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam
.
bb)
Es ist von einer unmittelbaren Benachteiligung des Klägers wegen sei-
nes Alters auszugehen.
(1)
Der Senat hat bislang danach unterschieden, ob die Ausschlussklausel
unmittelbar an ein bestimmtes Lebensalter anknüpft, oder lediglich an den Ein-
tritt eines bestimmten Versorgungsfalls
. Der Ausschluss
der Witwenversorgung für den Fall, dass die Ehe erst nach Eintritt des Versor-
gungsfalls beim versorgungsberechtigten Arbeitnehmer geschlossen wurde,
knüpft nach Auffassung des Senats nicht an das Lebensalter an und beruht
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auch nicht unmittelbar auf diesem Merkmal. Daher scheidet in diesen Fällen
eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters aus
.
(2)
Zwar knüpft die PO in Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c nicht an ein bestimmtes
Alter, sondern an bestimmte Versorgungssituationen an, nämlich hier an den
vorzeitigen Ruhestand
. Allerdings knüpft dieser Aus-
schluss seinerseits nach Ziff. 5 PO an den konkret bestimmten Altersabschnitt
zwischen der Vollendung des 50. und der Vollendung des 65. Lebensjahres an.
Diese Unterscheidung führt im vorliegenden Fall dazu, dass der Kläger mit der
Anknüpfung in Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO an die vorzeitige Pensionsleistung
und damit nach Ziff. 5 PO zwischen der Vollendung des 50. und der Vollendung
des 65. Lebensjahres unmittelbar wegen des Alters benachteiligt wird. Damit
lässt sich hier eine klar bestimmte Altersgruppe bestimmen, da der vorzeitige
Ruhestand für Versorgungsberechtigte mit einem Lebensalter zwischen der
Vollendung des 50. und der Vollendung des 65. Lebensjahres betroffen ist.
Denn allein mit dem Eintritt in den normalen Ruhestand greift der Ausschluss
nach Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO nicht mehr, sondern allein der Ausschluss
nach Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. b PO, wonach die Witwe von der Hinterbliebenen-
versorgung ausgeschlossen ist, wenn die Ehe nach der Vollendung des
60. Lebensjahres des Verstorbenen geschlossen wurde und nicht wenigstens
fünf Jahre zuvor bestanden hat. Eine Unterscheidung nach bestimmten Ge-
burtsjahrgängen begründet aber eine unmittelbare Benachteiligung
.
(3)
Der Einwand der Beklagten, es komme allein auf den Zeitpunkt des
späteren Eheschlusses an, ist für die Benachteiligung nicht maßgeblich. Denn
bereits durch die Unterscheidung nach vorzeitigem und normalem Pensionsein-
tritt werden die beiden Beschäftigtengruppen unmittelbar nach ihrem Alter in
Gruppen mit unterschiedlichen Regelungen für die Witwenpension unterteilt.
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Außerdem zeigt der persönliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleich-
behandlungsgesetzes, dass auf die Person des Versorgungsberechtigten abzu-
stellen ist. Wenn es aber auf den versorgungsberechtigten Ehemann als unmit-
telbar versorgungsberechtigte Person ankommt, wird er von der Maßnahme
unmittelbar wegen des Alters benachteiligt. Denn sein Alter ist nach der Rege-
lung für den Ausschluss der Hinterbliebenenversorgung maßgeblich. Wann sich
die Regelung durch Eheschließung tatsächlich auswirkt, ist dagegen unerheb-
lich.
c)
Weiterhin müssen sich die Benachteiligten in einer vergleichbaren Lage
wie die Nichtbenachteiligten oder fiktiv Nichtbenachteiligten befinden, § 3
Abs. 1, Abs. 2 AGG, was vorliegend zweifelhaft sein könnte.
aa)
Grundsätzlich müssen sich die unmittelbar und mittelbar Benachteilig-
ten mit den Nichtbenachteiligten in einer vergleichbaren Lage befunden haben,
§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG. Die Situationen müssen indes nicht identisch, sondern
nur vergleichbar sein. Dies ist nicht allgemein und abstrakt, sondern spezifisch
und konkret von den nationalen Gerichten im Einzelfall anhand des Zwecks und
der Voraussetzungen für die Gewährung der fraglichen Leistungen festzustellen
.
bb)
Die vergleichbare Lage ist problematisch, wenn man annähme, dass es
sich bei der Leistung der Beklagten nach Ziff. 8 Buchst. d PO, die der Kläger
erhält - anders als im Fall eines normalen Ruhestandes nach Ziff. 4 und 7
PO - nicht um betriebliche Altersversorgung handelt. Dafür könnte sprechen,
dass sie vor dem 60. Lebensjahr einsetzt
und zudem neben dem Erreichen eines bestimmten
Alters - und damit eines in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG genannten Risikos
- noch eine weitere Vo-
raussetzung zu erfüllen ist, nämlich eine
„Veranlassung durch die Firma“
. Andererseits entspricht der Leistungszweck spätestens ab dem für den
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normalen Ruhestand geltenden Alter dem der Leistung bei normalem Ruhe-
stand, also der Absicherung des „Langlebigkeitsrisikos“. Dieses Alter hat der im
November 1940 geborene Kläger bereits überschritten.
d)
Diese Frage kann letztlich jedoch dahinstehen. Denn die hier allein im
Streit stehende Benachteiligung des Klägers wegen der vorzeitigen Pensionie-
rung auf Veranlassung der Beklagten gegenüber der normalen Pensionierung
ist nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG gerechtfertigt. Dabei kann weiter dahin-
stehen, ob es sich bei den in Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO enthaltenen Differen-
zierungen um Altersgrenzen iSd. § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG handelt. § 10 Satz 3
Nr. 4 AGG erfasst von seinem Wortlaut her nur die Festsetzung von Altersgren-
zen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung
für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei
Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im
Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Be-
schäftigten. Ob darunter auch Altersgrenzen für Eheschließungen und daraus
folgend ein Leistungsausschluss einer Hinterbliebenenversorgung fallen, kann
dahinstehen. Denn jedenfalls ist die durch die Regelungen bewirkte unmittelba-
re Benachteiligung wegen des Alters nach der grundlegenden und neben § 10
Satz 3 Nr. 4 AGG stets anwendbaren Regelung in § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG
gerechtfertigt. Die durch Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO bewirkte Ungleichbehand-
lung wegen des Alters beruht auf einem legitimen Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG.
Darüber hinaus ist die Benachteiligung auch angemessen und erforderlich iSv.
§ 10 Satz 2 AGG.
aa)
Die Ungleichbehandlung wegen des Alters beruht auf einem legitimen
Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG.
(1)
Legitime Ziele iSv. § 10 Satz 1 AGG sind wegen der in Art. 6 Abs. 1
Richtlinie
2000/78/EG genannten Beispielsfälle „Beschäftigungspolitik, Arbeits-
markt und berufliche Bildung“ nicht nur solche aus dem Bereich Arbeits- und
Sozialpolitik
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ECLI:DE:BAG:2020:030620.U.3AZR226.19.0
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. Auch Ziele, die
ein Arbeitgeber mit einer im Arbeitsvertrag vorgesehenen betrieblichen Alters-
versorgung anstrebt, können legitime Ziele im Sinne der europäischen Vorga-
ben sein
. Dem-
entsprechend sind Ziele, die im Rahmen von Anliegen der Beschäftigungspolitik
und des Sozialschutzes einen Ausgleich zwischen verschiedenen beteiligten
Interessen schaffen sollen, um damit der Verbreitung der betrieblichen Alters-
versorgung zu dienen, als legitim iSv. § 10 Satz 1 AGG anzusehen. Dazu ge-
hört auch, den unternehmerischen Belangen einer begrenz- und kalkulierbaren
Belastung Rechnung zu tragen
. Indem § 10 AGG erlaubt, in Versorgungs-
ordnungen die Leistungspflichten des Versorgungsschuldners zu begrenzen
und damit für diesen eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundla-
ge zu schaffen, verfolgt die gesetzliche Bestimmung das Ziel, die betriebliche
Altersversorgung zu verbreiten. Es hält sich demnach im Rahmen dieses legiti-
men Ziels, wenn in einer Versorgungsordnung von dieser Möglichkeit Gebrauch
gemacht wird
.
(2)
Das mit der Regelung verfolgte Ziel muss dabei nicht ausdrücklich be-
nannt werden. Auch aus dem allgemeinen Kontext der Regelung können sich
Anhaltspunkte ergeben, die es ermöglichen, den Zweck der Regelung festzu-
stellen und dadurch Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Be-
stimmung zu überprüfen
.
(3)
Danach beruht die durch Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c iVm. Ziff. 5 Buchst. b
PO bewirkte Ungleichbehandlung wegen des Alters vorzeitig auf Veranlassung
der Beklagten Pensionierter auf einem legitimen Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG.
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Der Ausschluss begrenzt - was deutlich aus dem Kontext der PO er-
kennbar ist - die mit der Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung verbun-
denen finanziellen Risiken. Vorzeitig auf Veranlassung der Beklagten Pensio-
nierte haben ab der Vollendung des 50. Lebensjahres nach Ziff. 5 Buchst. b PO
Anspruch auf eine monatliche Pension mit dem Eintritt in den vorzeitigen Ruhe-
stand. Der ab diesem Zeitpunkt greifende Leistungsausschluss für später gehei-
ratete Personen dient dem Interesse des Arbeitgebers an einer überschaubaren
und kalkulierbaren Versorgungslast. Gerade bei der Hinterbliebenenversorgung
hat er ein anerkennenswertes Interesse an einer Begrenzung des Leistungsum-
fangs, da ein derartiges Leistungsversprechen zusätzliche Unwägbarkeiten und
Risiken nicht nur in Bezug auf den Zeitpunkt des Leistungsfalls, sondern auch
für die Dauer der Leistungserbringung mit sich bringt
. Diese Wirkung des Ausschlusses ist offensicht-
lich. Entgegen der Ansicht des Klägers bedurfte es deshalb keines weiteren
Vortrags der Beklagten über die Berechnung ihrer Belastungen.
bb)
Der Anspruchsausschluss ist auch erforderlich iSv. § 10 Satz 2 AGG.
Die durch die Vorschrift bewirkte Begrenzung lässt sich nicht durch ein milderes
Mittel erreichen. Bestimmungen, die eine Überleitung der vorzeitigen Pension in
die normale Pension vorsehen - auch mit den Folgen für Hinterbliebene -, füh-
ren nicht zu einem planbareren Leistungsversprechen und sind damit nicht
gleich wirksam. Auch durch eine Beschränkung oder Überleitung lässt sich die
durch Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c iVm. Ziff. 5 Buchst. b PO bewirkte Begrenzung
der finanziellen Risiken für den Arbeitgeber nicht mit der gleichen Genauigkeit
und Sicherheit erreichen.
cc)
Die in Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO bestimmte Grenze ist auch nicht un-
angemessen, § 10 Satz 2 AGG. Sie führt nicht zu einer übermäßigen Beein-
trächtigung der legitimen Interessen der Versorgungsberechtigten, die vorzeitig
auf Veranlassung der Beklagten aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind.
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(1)
Eine Altersbegrenzung ist nach § 10 Satz 2 AGG grundsätzlich ange-
messen, wenn sie es erlaubt, das mit ihr verfolgte Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG zu
erreichen, ohne zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interes-
sen derjenigen Arbeitnehmer zu führen, die aufgrund der Klausel benachteiligt
werden
.
(2)
Bei der Hinterbliebenenversorgung hat der Arbeitnehmer zwar ein Ver-
sorgungsinteresse unabhängig von dem Lebensalter, zu welchem er seine Ehe
geschlossen hat. Da die Hinterbliebenenversorgung Entgeltcharakter hat, also
eine Gegenleistung für die Beschäftigungszeit und der darin erbrachten Arbeits-
leistung ist, und von Arbeitnehmern, die erst in höherem Alter heiraten, genauso
erarbeitet wird wie von denen, die früher - also vor dem vorzeitigen Ausschei-
den - heiraten, ist die Dauer der Ehe während des Arbeitsverhältnisses oder
auch ein versorgungsnahes Alter kein tauglicher Anknüpfungspunkt für einen
Anspruchsausschluss
. Danach ist es regelmäßig zwar nicht angemessen, die unter
Geltung einer Versorgungszusage geleistete Betriebszugehörigkeit im Hinblick
auf die Hinterbliebenenversorgung allein deshalb vollständig unberücksichtigt
zu lassen, weil der Versorgungsberechtigte bei der Eheschließung ein bestimm-
tes Lebensalter erreicht hatte
. Angemessen ist es hingegen, wenn eine Versorgungsordnung den Aus-
schluss einer Hinterbliebenenversorgung mit dem Ende des Arbeitsverhältnis-
ses oder dem Eintritt des Versorgungsfalls beim versorgungsberechtigten Ar-
beitnehmer selbst
oder auch
mit dem Erreichen der festen Altersgrenze der Versorgungsordnung, also
mit einem betriebsrentenrechtlichen Strukturprinzip verknüpft
. Der Arbeitgeber
ist berechtigt, die Lebensgestaltung des Arbeitnehmers für die Zeit nach einer
solchen Zäsur bei der Abgrenzung seiner Leistungspflichten unberücksichtigt zu
lassen
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. Dagegen ist eine von betriebsrentenrechtlichen Struk-
turprinzipien losgelöste, an das Alter anknüpfende Grenze, die eine zugesagte
Versorgung einschränken soll, in der Regel nicht angemessen. Es fehlt dann
hinsichtlich der berechtigten Interessen der Versorgungsberechtigten an einem
nachvollziehbaren Anknüpfungspunkt für den Anspruchsausschluss.
(3)
Daran gemessen erweist sich die Regelung als angemessen.
(a)
Entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht folgt dies aller-
dings nicht bereits daraus, dass ein nach der Vollendung des 50. Lebensjahres
ausgeschiedener Arbeitnehmer mehr als 15 Lebensjahre mehr Zeit hat, nach
seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis eine Ehe einzugehen, als ein
mit dem in Ziff. 4 PO für den Eintritt des normalen Ruhestandes genannten
65. Lebensjahr ausgeschiedener Arbeitnehmer. Denn die Versorgungsregelung
knüpft nicht an den tragenden Gedanken an, der es überhaupt rechtfertigt, aus-
geschiedenen Arbeitnehmern für danach geschlossene Ehen keine Hinterblie-
benenversorgung zuzubilligen. Es geht darum, die Lebensgestaltung nach die-
sem Zeitpunkt bei der Risikoabsicherung unberücksichtigt zu lassen. Im Ver-
gleich zur Gruppe der in den normalen Ruhestand tretenden Arbeitnehmer
spielt dieser Gesichtspunkt aber keine Rolle, weil es dort einen entsprechenden
Ausschlussgrund nicht gibt. Der Gesichtspunkt ist nur bei sonst vergleichbaren
Versorgungsberechtigten tragfähig. Er rechtfertigt es deshalb im Streitfall, dass
bei in den vorzeitigen Ruhestand eingetretenen Betriebsrentnern Hinterbliebe-
nenversorgung gezahlt wird, soweit die Ehe bei Eintritt in den Ruhestand schon
bestand, nicht aber bei späterer Eheschließung. Insoweit knüpft die Versor-
gungsregelung an ein betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip an. Konsequen-
ter Weise macht der Kläger unter diesem Gesichtspunkt auch keine Ungleich-
behandlung geltend.
(b)
Für die Gruppe der auf Veranlassung des Arbeitgebers in den Ruhe-
stand getretenen Arbeitnehmer nach Ziff. 5 Buchst. b PO, der auch der Kläger
angehört, rechtfertigt sich der Ausschluss gegenüber den in den normalen Ru-
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hestand getretenen Arbeitnehmern aber unter dem Gesichtspunkt der Kompen-
sation.
(aa)
Die Regelung erlaubt einen vorzeitigen Ruhestand schon ab einem
sehr frühen Alter, nämlich ab der Vollendung des 50. Lebensjahres. Sie führt zu
einem Bezug von Pension nach der PO unabhängig davon, ob der Versor-
gungsempfänger eine anderweitige Tätigkeit ausübt, was bei Personen aus
dem gehobenen Management auch nach der Vollendung des 50. Lebensjahres
nicht nur eine theoretische Möglichkeit darstellt.
(bb)
Entscheidend für die Rechtfertigung ist, dass der frühe Zeitpunkt des
Eintritts in den Ruhestand zwar dazu führt, dass keine weiteren dienstzeitbezo-
genen Anwartschaften nach Ziff. 7 Buchst. a PO mehr aufgebaut werden kön-
nen, wie sich aus Ziff. 8 Buchst. a PO ergibt. Damit wird berücksichtigt, dass
der Versorgungsempfänger ab dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis
keine Betriebszugehörigkeit und damit auch keine Arbeitsleistung mehr erbringt.
Allerdings wird die Pension - anders als bei vorzeitigem Ruhestand auf eigenen
Wunsch nach Ziff. 8 Buchst. c PO - auch vor der Vollendung des 60. Lebens-
jahres sofort gezahlt und in keinem Fall versicherungsmathematisch gekürzt.
Die Versorgungsleistung wird also gegenüber den in den normalen Ruhestand
tretenden Arbeitnehmern ohne versicherungsmathematische Kompensation
wesentlich länger gezahlt. Das gibt den Versorgungsempfängern gleichzeitig
die gegenüber anderen nach der PO Versorgungsberechtigten erleichterte
Möglichkeit, aus ihrer bezogenen Versorgung eine eigene Vorsorgeabsicherung
zugunsten eines möglichen Hinterbliebenen aufzubauen oder entsprechende
Ersparnisse anzulegen.
(cc)
Die Angemessenheit wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die PO
an anderer Stelle bei normalen Versorgungsleistungen eine spätere Eheschlie-
ßung versorgungswirksam zulässt. Dafür sind die beiden Versorgungsleistun-
gen vorzeitige und normale Pension auch in ihrem wirtschaftlichen Umfang und
in den Leistungszielen der Arbeitgeberin zu unterschiedlich. Wenn der Arbeit-
geber für die vorzeitige Pension auf seine Veranlassung erhebliche Zusatzleis-
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tungen zusagt und erbringt, kann er hieran auch bei der Hinterbliebenenversor-
gung in diesem System eigenständige Voraussetzungen und Folgen knüpfen.
(dd)
Angesichts dessen kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob
die vorgenommene Unterscheidung letztlich auch auf einem betriebsrenten-
rechtlichen Strukturprinzip beruht.
3.
Ob der Leistungsausschluss der Hinterbliebenenversorgung auch in
den anderen Fällen der vorzeitigen Pensionierung - nämlich auf Verlangen des
Arbeitnehmers nach Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c iVm. Ziff. 5 Buchst. a PO - wirk-
sam ist, was wegen der in diesen Fällen bereits erfolgenden versicherungsma-
thematischen Abschläge und des späteren Leistungsbezugs nach Ziff. 8
Buchst. c PO zweifelhaft sein könnte, kann im vorliegenden Verfahren dahin-
stehen. Jedenfalls lassen sich die beiden Arten der vorzeitigen Pensionierung
nach Ziff. 5 Buchst. a und Buchst. b PO so klar voneinander trennen, dass eine
mögliche Unwirksamkeit des Ausschlusses der Hinterbliebenenversorgung für
vorzeitige Pensionierungen nach Ziff. 5 Buchst. a PO nicht auch zur Unwirk-
samkeit des Ausschlusses der vorzeitigen Pensionierung nach Ziff. 5 Buchst. b
PO führen würde. Zwar dürfte es sich bei der PO um Allgemeine Geschäftsbe-
dingungen handeln, so dass nach § 306 Abs. 1 BGB und dem Grundsatz des
Verbots der geltungserhaltenden Reduktion im Grundsatz von einer Unwirk-
samkeit des gesamten Ausschlusses nach Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO auszu-
gehen wäre. Allerdings spricht bereits viel für eine Teilbarkeit der Klausel we-
gen ihrer Bezugnahme auf die - offenkundig - teilbaren Regelungen in Ziff. 5
Buchst. a und Buchst. b PO. Jedenfalls gebieten es diskriminierungsrechtliche
und AGB-rechtliche Vorgaben, die Unwirksamkeitsfolgen des § 7 Abs. 2 AGG
nur auf benachteiligte Personen, und nicht auch auf Dritte zu erstrecken.
a)
Es spricht bereits viel für eine Teilbarkeit der Regelung in Ziff. 10 Abs. 5
Buchst. c PO einerseits in vorzeitige Pensionierung auf eigene und andererseits
auf fremde Veranlassung wegen ihrer Bezugnahme auf die teilbaren Regelun-
gen in Ziff. 5 Buchst. a und Buchst. b PO, so dass es auf die Frage einer unzu-
lässigen geltungserhaltenden Reduktion nicht ankommt.
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aa)
Grundsätzlich führt der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz - wozu auch
§ 7 Abs. 1 AGG zählt - bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen - wie hier ver-
mutlich bei der PO - zur Anwendung der Rechtsfolgen des § 306 BGB. Die
Rechtsfolgen von § 306 BGB kommen nicht nur zur Anwendung, wenn sich die
Unwirksamkeit einer Klausel aus den §§ 305 ff. BGB selbst ergibt, sondern
auch dann, wenn sie gegen sonstige gesetzliche Verbote verstößt
. § 306
Abs. 1 BGB enthält eine kodifizierte Abweichung von der Auslegungsregel des
§ 139 BGB und bestimmt, dass bei Teilnichtigkeit grundsätzlich der Vertrag im
Übrigen wirksam bleibt. Soweit die Klausel nicht teilbar ist, tritt an ihre Stelle
nach § 306 Abs. 2 BGB das Gesetz
.
bb)
Eine geltungserhaltende Reduktion von Klauseln - also ihre Zurückfüh-
rung auf den gerade noch zulässigen Inhalt durch die Gerichte - findet danach
grundsätzlich nicht statt
. Eine Klausel bleibt nur dann teilweise aufrechterhalten, wenn
sie mehrere Regelungen enthält und der unzulässige Teil sprachlich eindeutig
abgrenzbar ist. Verbleibt nach der Streichung der unwirksamen Teilregelung
und des unwirksamen Klauselteils eine verständliche Regelung, bleibt diese
bestehen
. Etwas anderes gilt, wenn ein Festhalten am Vertrag für den Ver-
wender eine unzumutbare Härte iSv. § 306 Abs. 3 BGB darstellt
.
cc)
Die Klausel des Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO dürfte sprachlich teilbar
sein. Durch die ausdrückliche Bezugnahme in dieser Bestimmung auf Ziff. 5 PO
wird der hierin enthaltene teilbare Regelungsgehalt integraler Bestandteil und
Inhalt der Regelung in Ziff. 10 PO. Ziff. 5 PO enthält mit seinen beiden nach
Buchst. a und Buchst. b abgegrenzten Alternativen offenkundig teilbare Rege-
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lungsgegenstände und wird durch die Bezugnahme gleichsam in Ziff. 10 Abs. 5
Buchst. c PO einbezogen - und zwar mit den teilbaren Regelungsgegenständen
der vorzeitigen Pensionierung auf eigenes Verlangen des Arbeitnehmers einer-
seits und der vorzeitigen Pensionierung auf Verlangen der Beklagten anderer-
seits. Dass an beide Pensionierungen in Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO derselbe
Ausschlusstatbestand bzw. dieselbe Rechtsfolge geknüpft ist, macht die beiden
Regelungsteile, die in Bezug genommen worden sind, nicht sprachlich oder in-
haltlich unteilbar, sondern unterwirft beide abgrenzbaren Sachverhalte nur der-
selben Rechtsfolge. Streicht man in Ziff. 10 Abs. 5 Buchst. c PO den abgrenz-
baren Teil der Ziff. 5 Buchst. a PO in der Bezugnahme heraus, bleibt eine ver-
ständliche Regelung bestehen, nämlich der Leistungsausschluss in den Fällen
der vorzeitigen Pensionierung auf Verlangen der Beklagten nach Ziff. 5
Buchst. b PO.
b)
Selbst wenn man dem nicht folgt, steht die Begrenzung der Unwirk-
samkeitsfolge des § 7 Abs. 2 AGG bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen
- und eine sich möglicherweise aus demselben Gesichtspunkt ergebende Un-
wirksamkeit nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB - nur auf die benachteiligten Perso-
nen, und nicht auch auf nicht benachteiligte Dritte dann mit dem Recht der All-
gemeinen Geschäftsbedingungen im Einklang, wenn die unterschiedlichen
Fallgruppen nach der Struktur der Allgemeinen Geschäftsbedingungen - wie
hier - klar abgrenzbar sind.
aa)
Gemäß § 7 Abs. 2 AGG sind Bestimmungen in Vereinbarungen, die
gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, unwirksam.
Grundsätzlich ergeben sich nach allgemeiner Meinung die Rechtsfolgen der
Unwirksamkeit einer benachteiligenden Klausel aus § 139 BGB
. Die Diskriminierung kann in
aller Regel nur
durch eine „Anpassung nach oben“ beseitigt werden
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. Zu-
dem stellt § 2 Abs. 1 Nr. 2 iVm. § 8 Abs. 2 AGG für Arbeitsentgelt, zu dem auch
die Hinterbliebenenversorgung gehört, eine Grundlage für Ansprüche auf glei-
ches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit dar
. Hierbei handelt es sich um spezialgesetzliche Regelungen, um dem
Schutz vor diskriminierenden Vereinbarungen Rechnung zu tragen.
Bei diskriminierenden und damit nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksamen
Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird eine Anwendung des § 306 Abs. 1
BGB befürwortet, allerdings gleichzeitig auch für eine Anpassung der Regelung
für die Benachteiligten nach oben plädiert
. Eine geltungserhaltende Reduktion der diskriminieren-
den Regelung auf das gerade noch zulässige Maß soll ausscheiden
. Allerdings werden für
diese Annahme keine oder nur allgemeine Argumente vorgebracht. Die An-
nahme eines Verbots der geltungserhaltenden Reduktion scheint sich zudem
eher auf das Verbot eines teilweise Aufrechterhaltens der Regelung gegenüber
den Diskriminierten zu beziehen, die in der Tat nicht in Betracht kommt.
bb)
Unionsrechtlich ist jedoch keine umfassende Nichtigkeit mit einem Ver-
bot der geltungserhaltenden Reduktion geboten. Eine umfassende Nichtigkeit
auch gegenüber nicht Diskriminierten verlangt die Richtlinie 2000/78/EG nicht
ausdrücklich. Die Mitgliedstaaten treffen nach deren Art. 16 Buchst. b vielmehr
die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die mit dem Gleichbe-
handlungsgrundsatz nicht zu vereinbarenden Bestimmungen in Arbeits- und
Tarifverträgen, Betriebsordnungen und Statuten der freien Berufe und der Ar-
beitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen für nichtig erklärt werden oder er-
klärt werden können oder geändert werden. Folglich geht es klar erkennbar um
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die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarenden Bestimmun-
gen. Ein Verbot der geltungserhaltenden Reduktion nicht sprachlich und inhalt-
lich teilbarer Klauseln zugunsten von nicht Diskriminierten lässt sich hieraus
nicht ableiten.
Grundsätzlich kann die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehand-
lung, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt worden ist und
solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlas-
sen worden sind, nach ständiger Rechtsprechung nur dadurch gewährleistet
werden, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile
gewährt werden wie die, die den Angehörigen der privilegierten Gruppe zugute-
kommen, wobei diese Regelung, solange das Unionsrecht nicht richtig durchge-
führt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt
. Auch aus diesem Gedanken folgt nicht, bei
einer nur schwierig teilbaren Gesamtregelung die Nichtigkeit auf die nicht Dis-
kriminierten zu erstrecken. Der Grundsatz der Gleichbehandlung zeigt im Ge-
genteil, dass allein die unzulässig Benachteiligten einen Anspruch auf Gleich-
behandlung haben.
Das gilt auch dort, wo die diskriminierte Person das Benachteiligungs-
merkmal nicht selbst aufweisen muss, sondern benachteiligt wird, weil es eine
andere Person aufweist
.
Selbst dann, wenn es kein identifizierbares Opfer einer Diskriminierung gibt,
richtet sich der Schutz des Antidiskriminierungsrechts der Union auf den Schutz
einer im Antidiskriminierungsrecht umschriebenen Gruppe, nicht auf den Schutz
Dritter
.
cc)
Wenn also das Unionsrecht insoweit keine Gesamtunwirksamkeit einer
Allgemeinen Geschäftsbedingung gebietet, kann der nationale Gesetzgeber die
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Rechtsfolgen autonom bestimmen. Dies ist hier mit der Regelung in § 7 Abs. 2
AGG erfolgt. Es gelten die allgemeinen Grundsätze des Allgemeinen Gleichbe-
handlungsgesetzes, die keine umfassende Nichtigkeit erfordern, sondern nur
persönlich soweit reichen, wie es die Beseitigung der Benachteiligung erfordert.
Aus einer auf gleichgelagerte Gesichtspunkte gestützten Unwirksamkeit nach
§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB kann sich nichts Weitergehendes ergeben.
(1)
Diese Annahme entspricht dem Willen des Gesetzgebers. § 7 Abs. 2
AGG sollte ua. Art. 16 der Richtlinie 2000/78/EG umsetzen. Nach dessen
Buchst. b sollte ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot die Nichtigkeit
der entsprechenden Klausel in Individual- oder Kollektivverträgen zur Folge ha-
ben. Dies entsprach nach der Auffassung des Gesetzgebers auch der bisheri-
gen Rechtslage. Die Vorschrift habe deklaratorischen Charakter und solle die
primäre Sanktionierung derartiger Rechtsverstöße deutlich machen. Sonstige
Unwirksamkeits- oder Nichtigkeitsgründe würden durch die Vorschrift nicht be-
rührt
. Mehr als Art. 16 Buchst. b der Richt-
linie 2000/78/EG fordert, sollte also durch § 7 Abs. 2 AGG nicht bewirkt werden.
(2)
Die Regelung des § 21 Abs. 4 AGG spricht nicht gegen dieses Ergeb-
nis. Nach dieser nur für den Zivilrechtsverkehr geltenden Bestimmung kann sich
der Benachteiligende auf eine Vereinbarung, die von dem Benachteiligungsver-
bot abweicht, nicht berufen. Damit ist im Ergebnis ausdrücklich angeordnet,
dass das Diskriminierungsverbot nur dem Diskriminierten zugutekommt. Dar-
aus, dass damit ausdrücklich keine Unwirksamkeit solcher Regelungen mit po-
tentiellen Folgen zugunsten nicht Diskriminierter vorgesehen ist, kann für das
Arbeitsrecht auf nichts Gegenteiliges geschlossen werden. Mit der Bestimmung
sollte unter Ausschluss von § 139 BGB sichergestellt werden, dass das Schuld-
verhältnis im Übrigen weiter durchgeführt wird
. Einer
derartigen Regelung bedarf es für das Arbeitsrecht nicht, weil ein Verstoß des
Arbeitgebers gegen arbeitnehmerschützende Regelungen ohnehin nicht zur
Nichtigkeit des Arbeitsvertrags führt
. Immerhin zeigt die Bestimmung die Stoßrichtung des Allgemeinen
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Gleichbehandlungsgesetzes auf. Es ist auf den Schutz Diskriminierter, nicht auf
Vorteile für Dritte angelegt.
(3)
Der Ausschluss der geltungserhaltenden Reduktion ist bei Verstößen
gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zudem nicht nach dem Zweck
des Ausschlusses der geltungserhaltenden Reduktion geboten.
(a)
Es ist Ziel des Gesetzes, auf einen angemessenen Inhalt der in der
Praxis verwendeten oder empfohlenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen
hinzuwirken. Den Vertragspartnern des Verwenders soll die Möglichkeit sach-
gerechter Information über die ihnen aus dem vorformulierten Vertrag erwach-
senden Rechte und Pflichten verschafft werden. Dieses Ziel ließe sich nicht er-
reichen, wenn jeder Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu-
nächst einmal ungefährdet bis zur Grenze dessen gehen könnte, was zu seinen
Gunsten gerade noch vertretbarer Weise angeführt werden kann. Erst in einem
Prozess würde der Vertragspartner des Verwenders den Umfang seiner Rechte
und Pflichten zuverlässig erfahren. Zudem würde bei einer geltungserhaltenden
Reduktion nicht schon verhindert, dass der Vertragspartner des Verwenders in
der Vertragsabwicklungspraxis mit überzogenen Klauseln konfrontiert wird. Das
widerspräche dem mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ver-
folgten Schutz des Vertragspartners des Verwenders sowie dem Zweck des
Gesetzes, den Rechtsverkehr von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedin-
gungen freizuhalten
.
(b)
Beide Gesichtspunkte gebieten keine Anwendung des Ausschlusses
der geltungserhaltenden Reduktion auf Fälle eines Verstoßes gegen das All-
gemeine Gleichbehandlungsgesetz, soweit die betroffenen Fallgruppen in der
maßgeblichen Regelung selbst deutlich voneinander geschieden sind.
In diesen Fällen ist eindeutig, dass der unerlaubt Benachteiligte wegen
der Zugehörigkeit zu einer geregelten Fallgruppe ein Recht auf Gleichbehand-
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lung geltend machen kann. Die vom Regelungswerk klar abgegrenzte Fallgrup-
pe ist der Ansatzpunkt für Rechte nach dem Antidiskriminierungsrecht.
Auch der Zweck, diskriminierende Regelungen sanktionsartig von vorn-
herein zu verhindern, fordert im Antidiskriminierungsrecht keine Anwendung der
Regelungen des Ausschlusses der geltungserhaltenden Reduktion. Denn das
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz enthält über § 7 Abs. 2 AGG hinaus in
§ 15 AGG ein eigenes Sanktionssystem, das seinerseits auf eine abschrecken-
de Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber angelegt ist
.
Dass nach § 15 Abs. 5 AGG Ansprüche gegen den Arbeitgeber aus anderen
Rechtsvorschriften unberührt bleiben, betrifft nach dem Zusammenhang der
Regelung nur Ansprüche der unerlaubt benachteiligten Person, nicht aber sol-
che nicht diskriminierter Dritter.
(c)
Weiterhin sind die Grundsätze des § 306 Abs. 2 BGB zu beachten.
Denn an die Stelle der unwirksamen Klausel tritt das Gesetz. Als gesetzliche
Regelung kann hier auf das dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zu-
grunde liegende Regelungssystem zurückgegriffen werden. Danach ist die An-
passung nach oben für die Benachteiligten regelmäßige Rechtsfolge einer Dis-
kriminierung. Hieraus folgt aber auch, dass nicht Diskriminierte nicht von einer
Diskriminierung anderer Beschäftigter profitieren müssen. Dies ist im Gesetz
gerade nicht angelegt, sondern ihm fremd.
(d)
Die Entscheidung des Senats vom 30. September 2014
steht dieser Annahme nicht entgegen. Dort
hatte der Senat es nach der Transparenzkontrolle einer Pensionsordnung da-
hinstehen lassen, ob die Klausel eine mittelbare Benachteiligung wegen des
Geschlechts iSd. § 7 Abs. 1 Halbs. 1, § 3 AGG bewirkt und daher nach § 7
Abs. 2 AGG unwirksam ist. Er hat folglich keine Aussage zu den Rechtsfolgen
einer teilweise wegen des Alters diskriminierender Allgemeiner Geschäftsbe-
dingungen in einer Gesamtzusage getroffen.
dd)
Dieses Ergebnis und die so vorgenommene Umsetzung der Richt-
linie 2000/78/EG verstößt auch weder gegen ihren Art. 17 Satz 2, wonach die
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von den Mitgliedstaaten gewählten Sanktionen ua. wirksam und abschreckend
sein müssen, noch gegen den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz, dass
Verstöße gegen das Unionsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrens-
rechtlichen Regeln geahndet werden müssen, wie nach Art und Schwere
gleichartige Verstöße gegen das nationale Recht
.
§ 15 AGG sieht - jedenfalls im Grundsatz - wirksame und abschrecken-
de Sanktionen für Verstöße gegen die Richtlinie vor. Die hier angenommene
Rechtsfolge entspricht auch der Rechtsfolge von Verstößen gegen den allge-
meinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, für die der Senat mit
Urteil vom selben Tage Entsprechendes ausgesprochen hat
. Der Rückgriff auf die gesetzliche Regelung ent-
spricht § 306 Abs. 2 BGB und damit den Rechtsfolgen, die auch bei sonst un-
wirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgesehen sind.
4.
Ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV wegen
der unionsrechtlichen Fragen ist nicht geboten. Der vorliegende Fall wirft keine
zu klärenden Fragen des Unionsrechts auf
. Ob eine Diskriminierung wegen
des Alters iSd. Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG sachlich gerechtfertigt ist, haben
die nationalen Gerichte zu prüfen
, genauso wie die Frage der Rechtsfolgen einer
teilweise diskriminierenden Klausel in einer Versorgungsordnung.
5.
Der Beklagten ist es auch nicht verwehrt, sich auf das vorzeitige Aus-
scheiden des Klägers auf ihre Veranlassung zu berufen.
Der Grundsatz von Treu und Glauben
hindert sie nicht da-
ran, sich auf die von ihr veranlasste vorzeitige Beendigung zu berufen, auch
wenn Vertreter der Beklagten Kenntnis von der lebensbedrohlichen Erkrankung
der ersten Ehefrau des Klägers gehabt haben sollten. Das Berufungsgericht hat
zutreffend ausgeführt, dass die Beklagte in dem Aufhebungsvertrag ausdrück-
lich auf die PO hingewiesen hatte und kein Anlass für gesteigerte Aufklärungs-
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3 AZR 226/19
ECLI:DE:BAG:2020:030620.U.3AZR226.19.0
pflichten bestand
.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Zwanziger
Spinner
Roloff
Zwanziger
Mayer
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