Urteil des BAG vom 23.06.2020

Betriebliche Altersversorgung - Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage - Gesamtzusage

Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 23. Juni 2020
Dritter Senat
- 3 AZN 442/20 -
ECLI:DE:BAG:2020:230620.B.3AZN442.20.0
I. Arbeitsgericht Koblenz
Urteil vom 27. November 2018
- 8 Ca 1614/18 -
II. Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil vom 14. Januar 2020
- 6 Sa 111/19 -
Entscheidungsstichworte:
Betriebliche Altersversorgung - Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage -
Gesamtzusage
Hinweis des Senats:
Führende Entscheidung zu weiteren Parallelsachen
ECLI:DE:BAG:2020:230620.B.3AZN442.20.0
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BUNDESARBEITSGERICHT
3 AZN 442/20
6 Sa 111/19
Landesarbeitsgericht
Rheinland-Pfalz
BESCHLUSS
In Sachen
Beklagte, Berufungsklägerin und Nichtzulassungsbeschwerdeführerin,
pp.
Klägerin, Berufungsbeklagte und Nichtzulassungsbeschwerdegegnerin,
hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 23. Juni 2020 beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 14. Januar 2020 - 6 Sa 111/19 - wird
als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens
zu tragen.
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Der
Wert
des
Beschwerdeverfahrens
wird
auf
1.400,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die auf grundsätzliche Bedeutung entscheidungserheblicher Rechtsfra-
gen gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1.
Nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine
Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt werden, dass eine entscheidungs-
erhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist der Fall, wenn
die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbe-
dürftigen Rechtsfrage abhängt und die Klärung entweder von allgemeiner Be-
deutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkun-
gen die Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt
.
Eine Rechtsfrage ist eine Frage, die die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die
Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm zum Gegenstand hat
.
2.
Stützt sich die anzufechtende Entscheidung auf mehrere sie jeweils
tragende Begründungen, kann einer Nichtzulassungsbeschwerde nur stattge-
geben werden, wenn sie hinsichtlich aller tragenden Begründungen zulässig
und begründet ist. Denn die Nichtzulassungsbeschwerde soll dazu führen, dass
das Bundesarbeitsgericht aufgrund der Revision voraussichtlich über eine der
divergierend beantworteten Rechtsfragen
entschei-
den, eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG
beantworten oder einem absoluten Revisionsgrund bzw. einer Verletzung des
rechtlichen Gehörs abhelfen muss
, auf die die Be-
gründung der Nichtzulassungsbeschwerde abstellt. Ist die anzufechtende Ent-
scheidung auf mehrere jeweils tragende Begründungen gestützt, muss die Be-
schwerdebegründung deshalb hinsichtlich jeder dieser Begründungen einen
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Zulassungsgrund aufzeigen. Dies gilt auch im Fall einer Alternativbegründung
.
3.
Danach genügt die Beschwerdebegründung nicht den gesetzlichen An-
forderungen. Die Beklagte hat hinsichtlich einer für sich tragenden Begründung
des Landesarbeitsgerichts keinen Zulassungsgrund aufgezeigt.
a)
Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung auf zwei tragende
Gründe gestützt.
Zum einen hat es angenommen, seit der Streichung des früheren § 7
Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG durch Art. 91 des Einführungsgesetzes zur Insol-
venzordnung (EGInsO) vom 5. Oktober 1994
sei ein Widerruf
von Versorgungsleistungen wegen wirtschaftlicher Notlage nicht mehr möglich,
weil dadurch der Insolvenzschutz durch den Pensions-Sicherungs-Verein VVaG
entfallen sei. Dies betreffe auch den - im Streitfall vorliegenden - Widerruf von
künftigen Leistungen im Insolvenzverfahren. Das Landesarbeitsgericht hat sich
dabei auf die Rechtsprechung des Senats in den Urteilen vom 17. Juni 2003
, vom 31. Juli 2007
und vom 18. November 2008
berufen, die aller-
dings nur laufende Betriebsrenten betrafen und sich ansonsten auf
- gesetzlich - unverfallbare Anwartschaften, nicht jedoch auf künftige Zuwächse
bezogen
.
Zum anderen ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, eine
Gesamtzusage könne nicht durch eine einseitige Neuregelung des Arbeitgebers
abgelöst werden, sondern nur durch eine Betriebsvereinbarung. Zudem liege
keine Neuregelung, sondern ein vollständiger Widerruf künftiger Leistungen vor,
sodass auch bei einer gegenteiligen Annahme im Streitfall die Voraussetzungen
eines Widerrufs nicht gegeben seien.
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b)
Jedenfalls, soweit die Ablösemöglichkeit einer Gesamtzusage durch
einseitige Arbeitgeberregelung betroffen ist, hat die Beschwerde nicht hinsicht-
lich aller Begründungserwägungen des Landesarbeitsgerichts einen Zulas-
sungsgrund aufgezeigt.
aa)
Die Beklagte formuliert insoweit die Frage,
„ob in dem Ausschluss eines Widerrufsrechts hinsichtlich
betrieblicher Altersversorgungszusagen, die ihren Rechts-
grund in einer Gesamtzusage mit kollektivem Bezug ha-
ben, ein unzulässiger Wertungswiderspruch zu der Ände-
rungsmöglichkeit von betrieblichen Versorgungszusagen,
die ihren Rechtsgrund in einer Betriebsvereinbarung ha-
ben, liegt“.
bb)
Damit sind keine Zulassungsgründe aufgezeigt. Mit der Begründung, es
fehle an einer Neuregelung, setzt sich die Beschwerde überhaupt nicht ausei-
nander.
Soweit die Frage das Problem betrifft, ob grundsätzlich eine Gesamtzu-
sage durch eine einseitige Erklärung des Arbeitgebers geändert werden kann,
ist diese Frage nicht klärungsbedürftig. Die Klärungsbedürftigkeit wird von der
Beschwerde auch nicht dargelegt. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass eine
Gesamtzusage grundsätzlich ablösungsoffen gegenüber einer neuen kol-
lektiven Regelung ist - sei es in Form einer neuen vertraglichen Einheitsrege-
lung, einer Gesamtzusage, in Form einer Betriebsvereinbarung oder einer
Sprecherausschussrichtlinie. Dies hat der Senat bereits entschieden
.
4.
Die Ausführungen der Beschwerde können auch nicht so verstanden
werden, dass die Beklagte - auch - eine Divergenz iSv. § 72a Abs. 3 Satz 2
Nr. 2 ArbGG geltend macht. Die Entscheidung vom 11. Dezember 2018
ist nicht, auch nicht indirekt in
der Beschwerdebegründung in Bezug genommen. Vielmehr macht die Be-
schwerde geltend, die von ihr aufgeworfene Frage sei offen. Soweit sie die zur
Ablösung von Betriebsvereinbarungen durch Betriebsvereinbarung ergangene
Rechtsprechung des Senats - ohne Anführung von Fundstellen - in Bezug
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nimmt, geht sie unausgesprochen und zu Recht davon aus, dass diese eine
andere Rechtsfrage behandelt und deshalb keine Divergenz begründen kann.
5.
Eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Landesarbeitsgericht
stellt keinen der im Gesetz abschließend aufgeführten Zulassungsgründe dar.
Auf Rechtsfehler könnte die anzufechtende Entscheidung nur im Rahmen einer
zugelassenen Revision überprüft werden.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfest-
setzung beruht auf § 63 GKG.
Zwanziger
Spinner
Günther-Gräff
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