Urteil des BAG vom 11.06.2020

Kündigungsfrist für Geschäftsführerdienstverträge

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 11. Juni 2020
Zweiter Senat
- 2 AZR 374/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:110620.U.2AZR374.19.0
I. Arbeitsgericht
Brandenburg an der Havel
Urteil vom 30. August 2018
- 4 Ca 187/18 -
II. Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Urteil vom 12. Juni 2019
- 20 Sa 1689/18 -
Entscheidungsstichwort:
Kündigungsfrist für Geschäftsführerdienstverträge
Leitsatz:
Die gesetzliche Kündigungsfrist für Geschäftsführerdienstverträge, die
keine Arbeitsverträge sind, folgt aus § 621 BGB.
ECLI:DE:BAG:2020:110620.U.2AZR374.19.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
2 AZR 374/19
20 Sa 1689/18
Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
11. Juni 2020
URTEIL
Radtke, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Klägerin, Berufungsbeklagte und Revisionsklägerin,
pp.
Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte,
hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-
handlung vom 11. Juni 2020 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesar-
beitsgericht Prof. Dr. Koch, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Niemann
und Dr. Schlünder sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Niebler und die ehren-
amtliche Richterin Trümner für Recht erkannt:
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2 AZR 374/19
ECLI:DE:BAG:2020:110620.U.2AZR374.19.0
- 3 -
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesar-
beitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Juni 2019
- 20 Sa 1689/18 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündi-
gung und die maßgebliche Kündigungsfrist.
Die Beklagte übernahm im Jahr 2009 im Wege eines Betriebsüber-
gangs eine im Land Brandenburg gelegene Rehaklinik, in der die Klägerin be-
reits zuvor als Verwaltungsleiterin tätig war. Die Gesellschafterversammlung
bestellte sie im Juli 2009 zur Geschäftsführerin der Beklagten. Diese beschäf-
tigte sie auf Grundlage des schriftlichen Anstellungsvertrags vom 1. Dezember
2009 zu einem Jahresgrundentgelt iHv. 100.000,00 Euro brutto, das in zwölf
monatlichen Raten zu zahlen war. Nach § 19 Abs. 3 des Anstellungsvertrags
ersetzt dieser sämtliche zwischen den Parteien bestehenden sonstigen Rege-
lungen.
Im Juli 2017 verfassten die Klägerin und drei weitere Geschäftsführer
einen Brief an den Aufsichtsrat des Vereins, dessen Tochtergesellschaft die
Beklagte ist. Sie warfen dem Vereinsvorstand Untätigkeit, Unfähigkeit, eine ver-
fehlte Personalpolitik bei der Stellenbesetzung im Verein und die fehlende Ein-
bindung der Geschäftsführungen der Gesellschaften vor. Aus Sicht der Ge-
schäftsführer seien die Vorstandsmitglieder des Vereins „weder menschlich
noch fachlich in der Lage den Verein
… in die Zukunft zu führen“.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2017 mahnte der Verein die Klägerin ab. Im
August 2017 wurde ein Vorstandsmitglied des Vereins als alleinvertretungsbe-
rechtigter Geschäftsführer der Beklagten in das Handelsregister eingetragen
und die Alleinvertretungsbefugnis der Klägerin gestrichen.
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Mit Schreiben vom 13. September 2017 wandten sich die Klägerin und
zwei Geschäftsführer erneut an den Aufsichtsrat und vertieften ihre Kritik am
Vereinsvorstand. Im Rahmen eines am 7. November 2017 mit dem Vorstand
geführten Perspektivgesprächs bot die Klägerin an, die Geschäftsanteile der
Beklagten zu übernehmen.
Im Januar 2018 wurde die Klägerin von einer Managementkonferenz
ausgeladen. Ab Mitte Februar 2018 erhielt sie keine Auszüge über den Konto-
stand der Beklagten mehr.
Die Gesellschafterversammlung beschloss am 28. Februar 2018 die or-
dentliche Kündigung der Klägerin und ihre Abberufung als Geschäftsführerin
zum 1. März 2018. Mit einem auf 27. Februar 2018 datierten und der Klägerin
am Folgetag übergebenen Schreiben kündigte die Beklagte das Anstellungs-
verhältnis ordentlich zum 31. Mai 2018. Bei Zugang der Kündigung war die Klä-
gerin ehrenamtliche Richterin bei einem Arbeitsgericht im Land Brandenburg.
Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung des Anstel-
lungsverhältnisses gewandt. Sie sei bei Zugang der Kündigung Arbeitnehmerin
gewesen. Über die für das Amt einer Geschäftsführerin prägenden Verantwor-
tungs- und Entscheidungskompetenzen habe sie zuletzt nicht mehr verfügt. Die
Berufung der Beklagten auf § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG sei rechtsmissbräuchlich.
Die Kündigung sei wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot des
§ 612a BGB und gemäß Art. 110 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung des Landes
Brandenburg vom 20. August 1992 (BbgVerf) aufgrund ihrer Stellung als ehren-
amtliche Richterin unwirksam. Das Anstellungsverhältnis habe wegen ihrer Be-
triebszugehörigkeit erst zum 31. August 2018 beendet werden können.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, dass das Anstellungsverhältnis nicht durch
die Kündigung der Beklagten vom 27. Februar 2018 mit
Ablauf des 31. Mai 2018 beendet wird.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen, das Ver-
trauensverhältnis der Parteien sei nachhaltig beschädigt.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsge-
richt hat sie im Wesentlichen abgewiesen und festgestellt, dass das Anstel-
lungsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 30. Juni 2018 geendet hat. Mit ihrer
Revision begehrt die Klägerin eine Wiederherstellung der erstinstanzlichen Ent-
scheidung sowie hilfsweise die Feststellung
, dass ihr „Arbeitsverhältnis“ erst mit
Ablauf des 31. August 2018 geendet habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht
hat zu Recht festgestellt, dass zwischen den Parteien (nur) bis zum 30. Juni
2018 ein Anstellungsverhältnis bestanden hat.
I.
Die Klägerin wendet sich trotz ihres auf einen konkret genannten Zeit-
punkt bezogenen (Haupt-)Antrags nicht allein gegen die Beendigung des Ver-
tragsverhältnisses zu einem bestimmten Datum, sondern insgesamt gegen
dessen Auflösung. So haben auch die Vorinstanzen ihren Klageantrag verstan-
den. Der in der Revision erhobene - überflüssige - Hilfsantrag
, mit dem sie inhaltlich zumindest ein
Bestehen des Vertragsverhältnisses bis zum 31. August 2018 festgestellt haben
will, stellt keine unzulässige Änderung der Klage in der Revision dar, sondern
beinhaltet der Sache nach eine Klarstellung des bereits vom Hauptantrag um-
fassten Begehrens.
II.
Der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung vom 27. Februar
2018 stehen keine Unwirksamkeitsgründe entgegen.
1.
Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Kündigung
gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht der sozialen Rechtfertigung iSd. § 1 Abs. 2
KSchG bedurfte.
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a)
§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG enthält eine negative Fiktion. Danach gelten
die Vorschriften des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes nicht in
Betrieben einer juristischen Person für die Mitglieder des Organs, das zur ge-
setzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist. Dies gilt uneinge-
schränkt jedenfalls dann, wenn die organschaftliche Stellung als Geschäftsfüh-
rer zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung (noch) besteht
.
b)
Das war hier der Fall. Die Klägerin war im Zeitpunkt des Zugangs der
Kündigung noch zur Geschäftsführerin der Beklagten bestellt. An der Stellung
als Organmitglied iSd. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG hatte sich durch die Beschrän-
kungen ihrer Vertretungsmacht im August 2017 nichts geändert
. Nach den vom Landesarbeitsge-
richt getroffenen Feststellungen bestehen keine Anhaltspunkte, dass ihr die
Stellung als Geschäftsführerin in rechtsmissbräuchlicher Weise lediglich des-
halb belassen worden war, um ihr Anstellungsverhältnis einfacher kündigen zu
können.
2.
Die Kündigung ist nicht gem. § 26 Abs. 1 ArbGG bzw. § 45 Abs. 1a
Satz 3 DRiG jeweils iVm. § 134 BGB nichtig. Die Klägerin war im Zeitpunkt des
Kündigungszugangs zwar ehrenamtliche Richterin an einem Arbeitsgericht. Die
Kündigung fällt aber nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrif-
ten. Einen (versteckten) Zusammenhang zwischen Richtertätigkeit und Kündi-
gung hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Einen solchen macht auch
die Revision nicht geltend.
3.
Die Kündigung ist nicht nach Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf iVm. § 134
BGB nichtig. Die Klägerin fällt nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich
der Norm.
a)
Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf erfasst nicht die Kündigung eines An-
stellungsverhältnisses von Geschäftsführern einer GmbH, die nicht auf der
Grundlage eines Arbeitsvertrags tätig werden. Dies folgt aus Wortlaut, Entste-
hungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Verfassungsnorm.
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aa)
Schon ihr Wortlaut spricht für die Annahme, dass der Sonderkündi-
gungsschutz nur Arbeitnehmern und Personen, die in einem öffentlich-
rechtlichen Beschäftigungsverhältnis stehen, eingeräumt werden soll. Zwar be-
inhaltet die Wendung „Kündigung oder Entlassung“ für sich genommen keine
Einschränkung auf bestimmte Formen eines Rechtsverhältnisses. Die Norm
richtet sich aber
an „Arbeitgeber“ und „Dienstherren“. Mit dem Begriff „Arbeitge-
ber“ ist der nunmehr auch in § 611a Abs. 2 BGB genannte Vertragspartner des
Arbeitnehmers gemeint.
Die Bezeichnung „Dienstherr“ wird regelmäßig nicht bei
freien Dienstverhältnissen verwendet. In § 611 BGB ist sie nicht enthalten.
Stattdessen nennt das Bürgerliche Gesetzbuch den Vertragspartner des zur
Dienstleistung Verpflichteten „Dienstberechtigten“
. Die Formulierung
„Dienstherr“ ist dagegen ty-
pisch für öffentlich-rechtliche Beschäftigungsverhältnisse
.
bb)
Der Verfassungsgeber des Landes Brandenburg hat sich bei Art. 110
Abs. 1 BbgVerf, der die Position der Laienrichter stärken sollte, an die Regelung
in § 39 Abs. 3 Richtergesetz der DDR vom 5. Juli 1990
ange-
lehnt, um die Kontinuität der Strukturen zu wahren, die sich in der Wendezeit
entwickelt hatten
. § 39 Abs. 3 Satz 2 Richtergesetz der DDR betraf allein die Kündi-
gung durch einen Arbeitgeber. Auch aus den Gesetzesmaterialien
ergibt
sich kein Hinweis darauf, dass eine Erweiterung des verfassungsrechtlichen
Bestandsschutzes auf freie Dienstverhältnisse beabsichtigt war.
cc)
Zudem bedingt der Normzweck von Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf
nicht, dass das Anstellungsverhältnis eines GmbH-Geschäftsführers, der nicht
auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags beschäftigt wird, vom Kündigungsver-
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bot erfasst wird. Die Vorschrift soll insbesondere die Umgehung des allgemei-
nen Kündigungsschutzes durch vorgeschobene Kündigungsgründe verhindern
. Soweit aber von vornherein - wie im Fall eines freien Dienstverhältnisses -
kein Schutz vor ordentlichen Kündigungen besteht und deren Wirksamkeit nicht
von Kündigungsgründen abhängig ist, kann der Gedanke des Umgehungs-
schutzes keine Rolle spielen.
b)
Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe auch nach der
Beschränkung ihrer Vertretungsmacht im August 2017 nicht in einem Arbeits-
verhältnis zur Beklagten gestanden, wird von der Revision nicht angegriffen. Sie
lässt auch keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen.
aa)
Der Geschäftsführer einer GmbH wird für diese in aller Regel auf der
Grundlage eines freien Dienstvertrags, nicht eines Arbeitsvertrags tätig. Auch
gegenüber einem Geschäftsführer als freiem Dienstnehmer steht der Gesell-
schaft ein unternehmerisches Weisungsrecht zu. Eine Weisungsgebundenheit
des GmbH-Geschäftsführers, die so stark ist, dass sie auf einen Status als Ar-
beitnehmer schließen lässt, kommt allenfalls in extremen Ausnahmefällen in
Betracht
.
bb)
Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein solcher Ausnahmefall sei
vorliegend nicht gegeben, hält sich im Rahmen des den Tatsachengerichten
zustehenden Beurteilungsspielraums. Das Berufungsgericht durfte auch das
Vorbringen der Klägerin, ihr seien in großem Umfang Kompetenzen entzogen
worden, für unerheblich halten. Selbst durch den Verlust der ihr zuvor übertra-
genen Geschäftsführeraufgaben hätte sich ihr Anstellungsverhältnis nicht ohne
weiteres in ein Arbeitsverhältnis „umgewandelt“. Dies wäre nur in Betracht ge-
kommen, wenn die Klägerin bei der Ausübung ihrer verbliebenen Tätigkeit ei-
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nem Weisungsrecht der Beklagten unterlegen hätte
. An darauf bezogenen tatrichterlichen Feststellungen fehlt es aber.
Auch die Revision hat insoweit keine Verfahrensrügen erhoben.
c)
Soweit die Klägerin meint, Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf sei auf ar-
beitnehmerähnliche Personen anwendbar, kann dahinstehen, ob dies zutrifft.
Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, sie sei keine arbeitnehmerähnliche
Person, lässt keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen.
aa)
Arbeitnehmerähnliche Personen unterscheiden sich von Arbeitnehmern
durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Sie sind - in der Regel wegen
ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern geringeren Weisungsgebun-
denheit, oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine be-
triebliche Organisation - in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig
als Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt das Merkmal
der wirtschaftlichen Abhängigkeit bzw. wirtschaftlichen Unselbstständigkeit. Au-
ßerdem muss die wirtschaftlich abhängige Person ihrer gesamten sozialen Stel-
lung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sein
.
bb)
Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, bei der Klägerin sei keine
mit einem Arbeitnehmer vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit gegeben, ist
frei von Rechtsfehlern
. Ihr Vortrag zu den seit
Sommer 2017 vorgenommenen Beschränkungen ihrer Vertretungsmacht
- seine Richtigkeit unterstellt - ändert nichts daran, dass die von ihr als Ge-
schäftsführerin geleisteten Dienste nach ihrer sozialen Typik nicht mit denen
eines Arbeitnehmers vergleichbar sind
. An der mit ihrem Amt verbundenen Rechtsstellung hat
sich durch die nach § 37 Abs. 1 GmbHG möglichen internen Beschränkungen
der Geschäftsführerbefugnisse und den Entzug der Alleinvertretungsberechti-
gung nichts geändert. Die Klägerin verkörperte unverändert die Arbeitgeberin
als gesetzliche Vertreterin der GmbH
. Durch die ge-
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setzlichen, nach außen nicht beschränkbaren Vertretungsbefugnisse unter-
scheidet sich der Geschäftsführer einer GmbH grundlegend von anderen lei-
tenden oder nicht leitenden Arbeitnehmern
.
4.
Die Kündigung der Klägerin ist nicht gem. § 612a iVm. § 134 BGB nich-
tig. Die Klägerin ist keine Arbeitnehmerin
und fällt nicht in den per-
sönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift. Dahinstehen kann, ob § 612a
BGB auch arbeitnehmerähnliche Personen erfasst
. Die Klägerin ist keine arbeitnehmerähn-
liche Person
.
5.
Die Kündigung ist weder sittenwidrig
noch treuwid-
rig
.
a)
Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig iSv. § 138 Abs. 1 BGB, wenn es
nach seinem Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung
von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, dem Anstandsgefühl aller
billig und gerecht Denkenden widerspricht. Verstößt das Rechtsgeschäft - wie
eine an sich neutrale Kündigung
nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die grundlegenden Wer-
tungen der Rechts- oder Sittenordnung, muss ein persönliches Verhalten des
Handelnden hinzukommen, welches diesem zum Vorwurf gemacht werden
kann. Hierfür genügt es im Allgemeinen nicht, dass vertragliche Pflichten ver-
letzt werden. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens
hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln oder der
zutage tretenden Gesinnung ergeben kann
.
b)
Der Grundsatz von Treu und Glauben in § 242 BGB bildet eine allen
Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Eine
gegen diesen Grundsatz verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer
Rechtslage ist wegen der darin liegenden Rechtsüberschreitung als unzulässig
anzusehen. Eine Kündigung verstößt in der Regel nur dann gegen § 242 BGB,
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wenn sie auf willkürlichen, sachfremden oder diskriminierenden Motiven beruht
.
Dieser Vorwurf scheidet dagegen aus, wenn ein irgendwie einleuchtender
Grund für die Kündigung vorliegt. Ein solcher ist bei einem auf konkreten Um-
ständen beruhenden Vertrauensverlust grundsätzlich auch dann gegeben,
wenn die Tatsachen objektiv nicht verifizierbar sind
.
c)
Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender
Weise festgestellt, dass die starke Kritik der Klägerin am Vorstand des Allein-
gesellschafters der Beklagten, die sie auch nach Ausspruch einer Abmahnung
erneuerte, und ihr - nach dem erfolglosen Versuch einer Konfliktlösung ge-
machtes - Angebot, die Geschäftsanteile der Beklagten zu übernehmen, die
weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Vorstand beeinträchtigte.
Verwerfliche Motive der Beklagten, die sie zum Ausspruch der Kündigung ver-
anlasst haben, hat es ausgeschlossen. Ein durch das Verhalten der Klägerin
begründeter Vertrauensverlust bei der Beklagten stellt einen einleuchtenden
Grund für die Kündigung dar. Ob die ordentliche Kündigung des Anstellungs-
verhältnisses des Geschäftsführers einer GmbH mit Rücksicht auf seine Ver-
trauensstellung als organschaftlicher Vertreter der Gesellschaft mit Unterneh-
merfunktion - sofern ihre formellen Voraussetzungen erfüllt sind - auch dann
wirksam ist, wenn sie sich auf keinen anderen Grund als den Willen des kündi-
gungsberechtigten Organs stützen kann
, bedarf deshalb hier keiner Entscheidung.
III.
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Kündi-
gung vom 27. Februar 2018 das Anstellungsverhältnis der Klägerin mit der in
§ 621 Nr. 4 BGB bestimmten Frist von sechs Wochen zum Schluss des Kalen-
dervierteljahrs zum 30. Juni 2018 beendet hat. Die Revision rügt demgegen-
über zu Unrecht die unterbliebene Anwendung von § 622 Abs. 2 BGB.
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1.
Die Parteien haben im Anstellungsvertrag die Frist für dessen ordentli-
che Kündigung nicht eigenständig geregelt, sondern lediglich auf „die gesetzli-
che Kündigungsfrist“ Bezug genommen.
2.
Der Bundesgerichtshof hat in zwei Entscheidungen § 622 Abs. 1 Satz 1
BGB in der vom 1. September 1969 bis zum 14. Oktober 1993 geltenden Fas-
sung (im Folgenden aF) auf die Kündigung des Anstellungsverhältnisses von
GmbH-Geschäftsführern angewandt, soweit diese nicht zugleich Mehrheitsge-
sellschafter waren. Zur Begründung hat er angeführt, es liege eine planwidrige
Regelungslücke vor, nicht an der Gesellschaft beteiligte Fremdgeschäftsführer
seien mit Arbeitnehmern vergleichbar und die entsprechende Anwendung des
§ 622 Abs. 1 Satz 1 BGB aF statt des § 621 Nr. 3 BGB liege gleichermaßen im
Interesse des Geschäftsführers und der Gesellschaft
.
3.
Die instanzgerichtliche Rechtsprechung ist dem Bundesgerichtshof ge-
folgt
. Auch das Schrifttum
hat sich überwiegend dem Bundesgerichtshof angeschlossen
.
4.
Allerdings ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch auf
Ablehnung gestoßen
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.
5.
Das Bundesarbeitsgericht hat die im Gesetz über die Fristen für die
Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926
bestimmte Fristenregelung jedenfalls bei Fremd-
geschäftsführern für anwendbar gehalten
6.
Nach zutreffender Ansicht kann sich ein Geschäftsführer, der nicht
Mehrheitsgesellschafter der GmbH ist und zu ihr in keinem Arbeitsverhältnis
steht, nicht auf die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB beru-
fen.
a)
§ 622 BGB ist - seinem Wortlaut entsprechend - nur auf die Kündigung
des Arbeitsverhältnisses anzuwenden. Wegen der für freie Dienstverhältnisse
bestehenden Regelung in § 621 BGB fehlt es an einer ausfüllungsbedürftigen
planwidrigen Regelungslücke, die eine analoge Anwendung der Norm auf die
Kündigung eines Geschäftsführeranstellungsvertrags zuließe. Aus diesem
Grund ist es rechtlich ohne Bedeutung, ob das Fristenregime in § 622 Abs. 1
Satz 1 BGB gegenwärtig noch als interessengerechter anzusehen ist, als die
Kündigungsfrist des § 621 Nr. 3 BGB.
b)
Mit der ab 15. Oktober 1993 geltenden Neufassung des § 622 BGB hat
der Gesetzgeber die Anbindung der Kündigungsfristenregelung an Arbeitsver-
hältnisse betont. Es ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass er die Kündi-
gungsfristenregelung für (Fremd-)Geschäftsführer dort verortet sehen wollte.
Wäre dies sein Wille gewesen, hätte die Neuregelung Anlass gegeben, die be-
stehende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in eine gesetzliche Rege-
lung zu übernehmen. Dies ist nicht erfolgt. Anhaltspunkte für ein diesbezügli-
ches
„Redaktionsversehen“ des Gesetzgebers bestehen nicht.
c)
Es wäre ferner ein Wertungswiderspruch, mit der Rechtsprechung des
Neunten Senats des Bundesarbeitsgerichts § 622 BGB nicht auf arbeitneh-
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merähnliche Personen anzuwenden
, wohl aber auf einen (Fremd-)Geschäftsführer, dessen geleistete
Dienste nach ihrer sozialen Typik noch weniger mit denen eines Arbeitnehmers
vergleichbar sind
.
7.
Die Kündigungserklärung der Beklagten hat danach das Anstellungs-
verhältnis der Klägerin mit der Frist des § 621 Nr. 4 BGB zum 30. Juni 2018
beendet.
a)
Die Kündigungserklärung ist hinreichend bestimmt
. Die Kündigung wurde „unter Einhal-
tung der vertraglichen Kündigungsfris
t zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ ausge-
sprochen, der nach Berechnung der Beklagten der 31.
Mai 2018 sei. Die „ver-
tragliche Kündigungsfrist“ ist nach § 17 Abs. 2 des Anstellungsvertrags die ge-
setzliche Kündigungsfrist. Damit ist durch die Kündigungserklärung klargestellt,
dass die Beklagte mit der kürzest möglichen gesetzlichen Frist kündigen wollte
. Aus der Formulierung „zum
nächstmöglichen Zeitpunkt“ ist ebenso abzuleiten, dass sie die Kündigung mit
der objektiv zutreffenden Kündigungsfrist aussprechen wollte
.
b)
Da für Dienstverhältnisse, in denen - wie im vorliegenden Fall - die Ver-
gütung nach Vierteljahren oder längeren Zeitabschnitten bemessen ist, die
Kündigungsfrist nach § 621 Nr. 4 BGB sechs Wochen zum Schluss eines Ka-
lendervierteljahrs beträgt, kann die gegenüber der Klägerin ausgesprochene
Kündigung als eine solche zum 30. Juni 2018 ausgelegt werden. Im Rahmen
dieser Norm spielt die Dauer des Vertragsverhältnisses keine Rolle, sondern
nur der Zeitabschnitt, für den die Vergütung bemessen ist, unabhängig von
Auszahlungsmodus und Fälligkeit
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. In § 4 Abs. 1 des Anstellungsvertrags haben die Parteien
ein Jahresgehalt vereinbart. Dass dieses in zwölf monatlichen Raten zu zahlen
war, ist für die Länge der Kündigungsfrist ohne Bedeutung.
8.
Der Senat kann über die Anwendbarkeit des § 621 Nr. 4 BGB in dem
vorgenannten Sinne entscheiden, ohne zuvor den Gemeinsamen Senat der
obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG anzurufen.
a)
Nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG ist die Vorlage an den Gemeinsamen Se-
nat der obersten Gerichtshöfe des Bundes geboten, wenn ein oberster Ge-
richtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten
Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen will. Voraussetzung
hierfür ist, dass sich die zur Entscheidung vorgelegte Rechtsfrage im Anwen-
dungsbereich derselben Rechtsvorschrift stellt oder dass sie auf der Grundlage
von Vorschriften aufgeworfen wird, die zwar in verschiedenen Gesetzen stehen,
in ihrem Wortlaut aber im Wesentlichen und in ihrem Regelungsinhalt gänzlich
übereinstimmen und deswegen nach denselben Prinzipien auszulegen sind
.
b)
Danach besteht keine Vorlagepflicht nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG. Eine
Divergenz zu der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs be-
treffend § 622 Abs. 1 BGB aF liegt nicht vor. Die letztgenannte Vorschrift ist mit
Wirkung ab 15. Oktober 1993 grundlegend geändert worden. In der Zeit nach
der Neufassung sind keine Entscheidungen des Bundesgerichtshofs dokumen-
tiert, in denen er sich tragend zur gesetzlichen Kündigungsfrist für (Fremd-)
Geschäftsführer einer GmbH geäußert hat. Im Urteil vom 19. September 2005
hat er vielmehr ausdrücklich offenge-
lassen, ob § 622 Abs. 6 BGB auf das Anstellungsverhältnis eines GmbH-
Geschäftsführers entsprechend anwendbar ist, und auf seine zuvor ergangenen
Entscheidungen nur berichtend hingewiesen.
IV.
Der Senat hat von einer Berichtigung des zweitinstanzlichen Tenors
abgesehen, obwohl sich dessen Formulierung in missverständlicher Weise an
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§ 4 Satz 1 KSchG anlehnt. Er hält insoweit den Hinweis für ausreichend, dass
sich der obsiegende Teil der Klage aus einem Begehren nach § 256 Abs. 1
ZPO ergibt.
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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