Urteil des BAG vom 11.06.2020
Kündigungsfrist für Geschäftsführerdienstverträge
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 11. Juni 2020
Zweiter Senat
- 2 AZR 374/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:110620.U.2AZR374.19.0
I.  Arbeitsgericht
Brandenburg an der Havel
Urteil vom 30. August 2018
- 4 Ca 187/18 -
II. Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Urteil vom 12. Juni 2019
- 20 Sa 1689/18 -
Entscheidungsstichwort:
Kündigungsfrist für Geschäftsführerdienstverträge
Leitsatz:
Die  gesetzliche  Kündigungsfrist  für  Geschäftsführerdienstverträge,  die
keine Arbeitsverträge sind, folgt aus § 621 BGB.
ECLI:DE:BAG:2020:110620.U.2AZR374.19.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
2 AZR 374/19
20 Sa 1689/18
Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
11. Juni 2020
URTEIL
Radtke, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Klägerin, Berufungsbeklagte und Revisionsklägerin,
pp.
Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte,
hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-
handlung  vom  11. Juni  2020  durch  den  Vorsitzenden  Richter  am  Bundesar-
beitsgericht  Prof. Dr. Koch,  die  Richter  am  Bundesarbeitsgericht  Dr. Niemann
und Dr. Schlünder sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Niebler und die ehren-
amtliche Richterin Trümner für Recht erkannt:
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2 AZR 374/19
ECLI:DE:BAG:2020:110620.U.2AZR374.19.0
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Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesar-
beitsgerichts  Berlin-Brandenburg  vom  12. Juni  2019
- 20 Sa 1689/18 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die  Parteien  streiten  über  die  Wirksamkeit  einer  ordentlichen  Kündi-
gung und die maßgebliche Kündigungsfrist.
Die  Beklagte  übernahm  im  Jahr  2009  im  Wege  eines  Betriebsüber-
gangs eine im Land Brandenburg gelegene  Rehaklinik,  in  der die Klägerin  be-
reits  zuvor  als  Verwaltungsleiterin  tätig  war.  Die  Gesellschafterversammlung
bestellte  sie  im  Juli  2009  zur  Geschäftsführerin  der  Beklagten.  Diese  beschäf-
tigte  sie auf  Grundlage  des  schriftlichen  Anstellungsvertrags vom 1. Dezember
2009  zu  einem  Jahresgrundentgelt  iHv.  100.000,00 Euro  brutto,  das  in  zwölf
monatlichen  Raten  zu  zahlen  war.  Nach  § 19  Abs. 3  des  Anstellungsvertrags
ersetzt  dieser  sämtliche  zwischen  den  Parteien  bestehenden  sonstigen  Rege-
lungen.
Im  Juli  2017  verfassten  die  Klägerin  und  drei  weitere  Geschäftsführer
einen  Brief  an  den  Aufsichtsrat  des  Vereins,  dessen  Tochtergesellschaft  die
Beklagte ist. Sie warfen dem Vereinsvorstand Untätigkeit, Unfähigkeit, eine ver-
fehlte Personalpolitik bei der Stellenbesetzung im Verein und die fehlende Ein-
bindung  der  Geschäftsführungen  der  Gesellschaften  vor.  Aus  Sicht  der  Ge-
schäftsführer  seien  die  Vorstandsmitglieder  des  Vereins  „weder  menschlich
noch fachlich in der Lage den Verein
… in die Zukunft zu führen“.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2017 mahnte der Verein die Klägerin ab. Im
August  2017  wurde  ein  Vorstandsmitglied  des  Vereins  als  alleinvertretungsbe-
rechtigter  Geschäftsführer  der  Beklagten  in  das  Handelsregister  eingetragen
und die Alleinvertretungsbefugnis der Klägerin gestrichen.
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Mit Schreiben vom 13. September 2017 wandten sich die Klägerin und
zwei  Geschäftsführer  erneut  an  den  Aufsichtsrat  und  vertieften  ihre  Kritik  am
Vereinsvorstand.  Im  Rahmen  eines  am  7. November  2017  mit  dem  Vorstand
geführten  Perspektivgesprächs  bot  die  Klägerin  an,  die  Geschäftsanteile  der
Beklagten zu übernehmen.
Im  Januar  2018  wurde  die  Klägerin  von  einer  Managementkonferenz
ausgeladen. Ab Mitte Februar 2018 erhielt  sie keine Auszüge über den Konto-
stand der Beklagten mehr.
Die Gesellschafterversammlung beschloss am 28. Februar 2018 die or-
dentliche  Kündigung  der  Klägerin  und  ihre  Abberufung  als  Geschäftsführerin
zum  1. März  2018.  Mit  einem auf 27. Februar  2018  datierten  und  der  Klägerin
am  Folgetag  übergebenen  Schreiben  kündigte  die  Beklagte  das  Anstellungs-
verhältnis ordentlich zum 31. Mai 2018. Bei Zugang der Kündigung war die Klä-
gerin ehrenamtliche Richterin bei einem Arbeitsgericht im Land Brandenburg.
Mit  ihrer  Klage  hat  sich  die  Klägerin  gegen  die  Kündigung  des  Anstel-
lungsverhältnisses gewandt. Sie sei bei Zugang der Kündigung Arbeitnehmerin
gewesen.  Über die für das Amt einer Geschäftsführerin prägenden Verantwor-
tungs- und Entscheidungskompetenzen habe sie zuletzt nicht mehr verfügt. Die
Berufung der Beklagten auf § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG sei rechtsmissbräuchlich.
Die  Kündigung  sei  wegen  Verstoßes  gegen  das  Maßregelungsverbot  des
§ 612a  BGB  und  gemäß  Art. 110  Abs. 1  Satz 2  der  Verfassung  des  Landes
Brandenburg vom 20. August 1992 (BbgVerf) aufgrund ihrer Stellung als ehren-
amtliche Richterin unwirksam. Das Anstellungsverhältnis habe wegen ihrer Be-
triebszugehörigkeit erst zum 31. August 2018 beendet werden können.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen,  dass  das  Anstellungsverhältnis  nicht  durch
die  Kündigung  der  Beklagten  vom  27. Februar  2018  mit
Ablauf des 31. Mai 2018 beendet wird.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen, das Ver-
trauensverhältnis der Parteien sei nachhaltig beschädigt.
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Das  Arbeitsgericht  hat  der  Klage  stattgegeben.  Das  Landesarbeitsge-
richt  hat  sie  im  Wesentlichen  abgewiesen  und  festgestellt,  dass  das  Anstel-
lungsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 30. Juni 2018 geendet hat. Mit ihrer
Revision begehrt die Klägerin eine Wiederherstellung der erstinstanzlichen Ent-
scheidung sowie hilfsweise die Feststellung
, dass ihr „Arbeitsverhältnis“ erst mit
Ablauf des 31. August 2018 geendet habe.
Entscheidungsgründe
Die  Revision  der  Klägerin  ist  unbegründet.  Das  Landesarbeitsgericht
hat  zu  Recht  festgestellt,  dass  zwischen  den  Parteien  (nur)  bis  zum  30. Juni
2018 ein Anstellungsverhältnis bestanden hat.
I.
Die  Klägerin  wendet  sich  trotz  ihres  auf einen  konkret  genannten Zeit-
punkt  bezogenen  (Haupt-)Antrags  nicht  allein  gegen  die  Beendigung  des  Ver-
tragsverhältnisses  zu  einem  bestimmten  Datum,  sondern  insgesamt  gegen
dessen Auflösung. So haben auch die Vorinstanzen ihren Klageantrag verstan-
den. Der in der Revision erhobene - überflüssige - Hilfsantrag
,  mit  dem  sie  inhaltlich  zumindest  ein
Bestehen des Vertragsverhältnisses bis zum 31. August 2018 festgestellt haben
will,  stellt  keine  unzulässige  Änderung  der  Klage  in  der  Revision  dar,  sondern
beinhaltet  der  Sache nach  eine  Klarstellung  des  bereits  vom  Hauptantrag  um-
fassten Begehrens.
II.
Der  von  der  Beklagten  ausgesprochenen  Kündigung  vom  27. Februar
2018 stehen keine Unwirksamkeitsgründe entgegen.
1.
Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Kündigung
gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht der sozialen Rechtfertigung iSd. § 1 Abs. 2
KSchG bedurfte.
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a)
§ 14  Abs. 1  Nr. 1  KSchG  enthält  eine  negative  Fiktion.  Danach  gelten
die  Vorschriften des Ersten Abschnitts  des Kündigungsschutzgesetzes nicht in
Betrieben  einer  juristischen  Person  für  die  Mitglieder  des  Organs,  das  zur  ge-
setzlichen  Vertretung  der  juristischen  Person  berufen  ist.  Dies  gilt  uneinge-
schränkt jedenfalls dann, wenn die organschaftliche Stellung als Geschäftsfüh-
rer  zum  Zeitpunkt  des  Zugangs  der  Kündigung  (noch)  besteht
.
b)
Das  war  hier  der  Fall.  Die  Klägerin  war  im  Zeitpunkt  des  Zugangs  der
Kündigung  noch  zur  Geschäftsführerin  der  Beklagten  bestellt.  An  der  Stellung
als Organmitglied iSd. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG hatte sich durch die Beschrän-
kungen  ihrer  Vertretungsmacht  im  August  2017  nichts  geändert
. Nach den vom Landesarbeitsge-
richt  getroffenen  Feststellungen  bestehen  keine  Anhaltspunkte,  dass  ihr  die
Stellung  als  Geschäftsführerin  in  rechtsmissbräuchlicher  Weise  lediglich  des-
halb belassen worden  war, um ihr Anstellungsverhältnis einfacher kündigen zu
können.
2.
Die  Kündigung  ist  nicht  gem.  § 26  Abs. 1  ArbGG  bzw.  § 45  Abs. 1a
Satz 3 DRiG jeweils iVm. § 134 BGB nichtig. Die Klägerin war im Zeitpunkt des
Kündigungszugangs zwar ehrenamtliche Richterin an einem Arbeitsgericht. Die
Kündigung fällt aber nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrif-
ten.  Einen  (versteckten)  Zusammenhang  zwischen  Richtertätigkeit  und  Kündi-
gung hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Einen solchen macht auch
die Revision nicht geltend.
3.
Die Kündigung ist nicht nach Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf iVm. § 134
BGB nichtig. Die Klägerin fällt nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich
der Norm.
a)
Art. 110  Abs. 1  Satz 2  BbgVerf  erfasst  nicht  die  Kündigung  eines  An-
stellungsverhältnisses  von  Geschäftsführern  einer  GmbH,  die  nicht  auf  der
Grundlage  eines  Arbeitsvertrags  tätig  werden.  Dies  folgt  aus  Wortlaut,  Entste-
hungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Verfassungsnorm.
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aa)
Schon  ihr  Wortlaut  spricht  für  die  Annahme,  dass  der  Sonderkündi-
gungsschutz  nur  Arbeitnehmern  und  Personen,  die  in  einem  öffentlich-
rechtlichen Beschäftigungsverhältnis  stehen, eingeräumt werden soll. Zwar be-
inhaltet  die  Wendung  „Kündigung  oder  Entlassung“  für  sich  genommen  keine
Einschränkung  auf  bestimmte  Formen  eines  Rechtsverhältnisses.  Die  Norm
richtet sich aber
an „Arbeitgeber“ und „Dienstherren“. Mit dem Begriff „Arbeitge-
ber“ ist der nunmehr auch in § 611a Abs. 2 BGB genannte Vertragspartner des
Arbeitnehmers gemeint.
Die Bezeichnung „Dienstherr“ wird regelmäßig nicht bei
freien  Dienstverhältnissen  verwendet.  In  § 611  BGB  ist  sie  nicht  enthalten.
Stattdessen  nennt  das  Bürgerliche  Gesetzbuch  den  Vertragspartner  des  zur
Dienstleistung  Verpflichteten  „Dienstberechtigten“
.  Die  Formulierung
„Dienstherr“  ist dagegen ty-
pisch  für  öffentlich-rechtliche  Beschäftigungsverhältnisse
.
bb)
Der  Verfassungsgeber  des  Landes  Brandenburg  hat  sich  bei  Art. 110
Abs. 1 BbgVerf, der die Position der Laienrichter stärken sollte, an die Regelung
in  § 39  Abs. 3  Richtergesetz  der  DDR  vom  5. Juli  1990
ange-
lehnt,  um  die  Kontinuität  der  Strukturen  zu  wahren,  die  sich  in  der  Wendezeit
entwickelt  hatten
. § 39 Abs. 3 Satz 2 Richtergesetz der DDR betraf allein die Kündi-
gung durch einen Arbeitgeber. Auch aus den Gesetzesmaterialien
ergibt
sich  kein  Hinweis  darauf,  dass  eine  Erweiterung  des  verfassungsrechtlichen
Bestandsschutzes auf freie Dienstverhältnisse beabsichtigt war.
cc)
Zudem  bedingt  der  Normzweck  von  Art. 110  Abs. 1  Satz 2  BbgVerf
nicht,  dass  das  Anstellungsverhältnis  eines  GmbH-Geschäftsführers,  der  nicht
auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags beschäftigt  wird,  vom Kündigungsver-
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bot  erfasst  wird.  Die  Vorschrift  soll  insbesondere  die  Umgehung  des  allgemei-
nen  Kündigungsschutzes  durch  vorgeschobene  Kündigungsgründe  verhindern
. Soweit aber von vornherein - wie im Fall eines freien Dienstverhältnisses -
kein Schutz vor ordentlichen Kündigungen besteht und deren Wirksamkeit nicht
von  Kündigungsgründen  abhängig  ist,  kann  der  Gedanke  des  Umgehungs-
schutzes keine Rolle spielen.
b)
Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe auch nach der
Beschränkung  ihrer  Vertretungsmacht  im  August  2017  nicht  in  einem  Arbeits-
verhältnis zur Beklagten gestanden, wird von der Revision nicht angegriffen. Sie
lässt auch keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen.
aa)
Der  Geschäftsführer  einer  GmbH  wird  für  diese  in  aller  Regel  auf  der
Grundlage  eines  freien  Dienstvertrags,  nicht  eines  Arbeitsvertrags  tätig.  Auch
gegenüber  einem  Geschäftsführer  als  freiem  Dienstnehmer  steht  der  Gesell-
schaft  ein  unternehmerisches  Weisungsrecht  zu.  Eine  Weisungsgebundenheit
des GmbH-Geschäftsführers, die so stark ist, dass sie auf einen Status als Ar-
beitnehmer  schließen  lässt,  kommt  allenfalls  in  extremen  Ausnahmefällen  in
Betracht
.
bb)
Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein solcher Ausnahmefall sei
vorliegend  nicht  gegeben,  hält  sich  im  Rahmen  des  den  Tatsachengerichten
zustehenden  Beurteilungsspielraums.  Das  Berufungsgericht  durfte  auch  das
Vorbringen  der  Klägerin,  ihr  seien  in  großem  Umfang  Kompetenzen  entzogen
worden, für unerheblich halten. Selbst durch den Verlust der ihr zuvor übertra-
genen Geschäftsführeraufgaben hätte sich ihr Anstellungsverhältnis nicht ohne
weiteres in ein Arbeitsverhältnis „umgewandelt“.  Dies wäre nur in Betracht ge-
kommen,  wenn  die  Klägerin  bei  der  Ausübung  ihrer  verbliebenen  Tätigkeit  ei-
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nem  Weisungsrecht  der  Beklagten  unterlegen  hätte
. An darauf bezogenen tatrichterlichen Feststellungen fehlt es aber.
Auch die Revision hat insoweit keine Verfahrensrügen erhoben.
c)
Soweit  die  Klägerin  meint,  Art. 110  Abs. 1  Satz 2  BbgVerf  sei  auf  ar-
beitnehmerähnliche  Personen  anwendbar,  kann  dahinstehen,  ob  dies  zutrifft.
Die  Würdigung  des  Landesarbeitsgerichts,  sie  sei  keine  arbeitnehmerähnliche
Person, lässt keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen.
aa)
Arbeitnehmerähnliche Personen unterscheiden sich von Arbeitnehmern
durch  den  Grad der  persönlichen  Abhängigkeit.  Sie  sind  - in  der  Regel  wegen
ihrer  fehlenden  oder  gegenüber  Arbeitnehmern  geringeren  Weisungsgebun-
denheit,  oft  auch  wegen  fehlender  oder  geringerer  Eingliederung  in  eine  be-
triebliche  Organisation -  in  wesentlich  geringerem  Maße  persönlich  abhängig
als Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt das Merkmal
der wirtschaftlichen Abhängigkeit bzw. wirtschaftlichen Unselbstständigkeit. Au-
ßerdem muss die wirtschaftlich abhängige Person ihrer gesamten sozialen Stel-
lung  nach  einem  Arbeitnehmer  vergleichbar  sozial  schutzbedürftig  sein
.
bb)
Die  Würdigung  des  Landesarbeitsgerichts,  bei  der  Klägerin  sei  keine
mit einem Arbeitnehmer vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit gegeben,  ist
frei  von  Rechtsfehlern
. Ihr Vortrag zu den seit
Sommer  2017  vorgenommenen  Beschränkungen  ihrer  Vertretungsmacht
- seine  Richtigkeit  unterstellt -  ändert  nichts  daran,  dass  die  von  ihr  als  Ge-
schäftsführerin  geleisteten  Dienste  nach  ihrer  sozialen  Typik  nicht  mit  denen
eines  Arbeitnehmers  vergleichbar  sind
.  An  der  mit  ihrem  Amt  verbundenen  Rechtsstellung  hat
sich  durch  die  nach  § 37  Abs. 1  GmbHG  möglichen  internen  Beschränkungen
der  Geschäftsführerbefugnisse  und  den  Entzug  der  Alleinvertretungsberechti-
gung  nichts  geändert.  Die  Klägerin  verkörperte  unverändert  die  Arbeitgeberin
als gesetzliche Vertreterin der GmbH
. Durch die ge-
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setzlichen,  nach  außen  nicht  beschränkbaren  Vertretungsbefugnisse  unter-
scheidet  sich  der  Geschäftsführer  einer  GmbH  grundlegend  von  anderen  lei-
tenden  oder  nicht  leitenden  Arbeitnehmern
.
4.
Die Kündigung der Klägerin ist nicht gem. § 612a iVm. § 134 BGB nich-
tig.  Die  Klägerin  ist  keine Arbeitnehmerin
und  fällt  nicht  in  den per-
sönlichen  Anwendungsbereich  der  Vorschrift.  Dahinstehen  kann,  ob  § 612a
BGB  auch  arbeitnehmerähnliche  Personen  erfasst
. Die Klägerin ist keine arbeitnehmerähn-
liche Person
.
5.
Die Kündigung ist weder sittenwidrig
noch treuwid-
rig
.
a)
Ein  Rechtsgeschäft  ist  sittenwidrig  iSv.  § 138  Abs. 1  BGB,  wenn  es
nach  seinem  Inhalt  oder  Gesamtcharakter,  der  durch  umfassende  Würdigung
von  Inhalt,  Beweggrund  und  Zweck  zu  ermitteln  ist,  dem  Anstandsgefühl  aller
billig  und  gerecht  Denkenden  widerspricht.  Verstößt  das  Rechtsgeschäft  - wie
eine  an  sich  neutrale  Kündigung
nicht  bereits  seinem  Inhalt  nach  gegen  die  grundlegenden Wer-
tungen  der  Rechts-  oder  Sittenordnung,  muss  ein  persönliches  Verhalten  des
Handelnden  hinzukommen,  welches  diesem  zum  Vorwurf  gemacht  werden
kann.  Hierfür  genügt  es  im  Allgemeinen  nicht,  dass  vertragliche  Pflichten  ver-
letzt  werden.  Vielmehr  muss  eine  besondere  Verwerflichkeit  des  Verhaltens
hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln oder der
zutage  tretenden  Gesinnung  ergeben  kann
.
b)
Der  Grundsatz  von  Treu  und  Glauben  in  § 242  BGB  bildet  eine  allen
Rechten,  Rechtslagen  und  Rechtsnormen  immanente  Inhaltsbegrenzung.  Eine
gegen diesen Grundsatz verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer
Rechtslage ist wegen der darin liegenden Rechtsüberschreitung als unzulässig
anzusehen. Eine Kündigung verstößt in der Regel nur dann gegen § 242 BGB,
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wenn sie auf willkürlichen, sachfremden oder diskriminierenden Motiven beruht
.
Dieser  Vorwurf  scheidet  dagegen  aus,  wenn  ein  irgendwie  einleuchtender
Grund für  die  Kündigung  vorliegt.  Ein  solcher  ist  bei einem  auf  konkreten  Um-
ständen  beruhenden  Vertrauensverlust  grundsätzlich  auch  dann  gegeben,
wenn  die  Tatsachen  objektiv  nicht  verifizierbar  sind
.
c)
Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender
Weise  festgestellt,  dass  die  starke  Kritik  der  Klägerin  am  Vorstand  des  Allein-
gesellschafters der Beklagten,  die sie auch nach Ausspruch einer Abmahnung
erneuerte,  und  ihr  - nach  dem  erfolglosen  Versuch  einer  Konfliktlösung  ge-
machtes -  Angebot,  die  Geschäftsanteile  der  Beklagten  zu  übernehmen,  die
weitere  vertrauensvolle  Zusammenarbeit  mit  dem  Vorstand  beeinträchtigte.
Verwerfliche Motive der Beklagten, die sie  zum Ausspruch der Kündigung ver-
anlasst  haben,  hat  es  ausgeschlossen.  Ein  durch  das  Verhalten  der  Klägerin
begründeter  Vertrauensverlust  bei  der  Beklagten  stellt  einen  einleuchtenden
Grund  für  die  Kündigung  dar.  Ob  die  ordentliche  Kündigung  des  Anstellungs-
verhältnisses  des  Geschäftsführers  einer  GmbH  mit  Rücksicht  auf  seine  Ver-
trauensstellung  als  organschaftlicher  Vertreter  der  Gesellschaft  mit  Unterneh-
merfunktion  - sofern  ihre  formellen  Voraussetzungen  erfüllt  sind -  auch  dann
wirksam ist, wenn sie sich auf keinen anderen Grund als den Willen des kündi-
gungsberechtigten  Organs  stützen  kann
, bedarf deshalb hier keiner Entscheidung.
III.
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Kündi-
gung  vom  27. Februar  2018  das  Anstellungsverhältnis  der  Klägerin  mit  der  in
§ 621 Nr. 4 BGB bestimmten Frist von sechs Wochen zum Schluss des Kalen-
dervierteljahrs  zum  30. Juni  2018  beendet  hat.  Die  Revision  rügt  demgegen-
über zu Unrecht die unterbliebene Anwendung von § 622 Abs. 2 BGB.
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1.
Die Parteien haben im Anstellungsvertrag die  Frist für dessen ordentli-
che Kündigung nicht eigenständig geregelt, sondern lediglich auf „die gesetzli-
che Kündigungsfrist“ Bezug genommen.
2.
Der Bundesgerichtshof hat in zwei Entscheidungen § 622 Abs. 1 Satz 1
BGB in der vom 1. September 1969 bis zum 14. Oktober 1993 geltenden Fas-
sung  (im  Folgenden  aF)  auf  die  Kündigung  des  Anstellungsverhältnisses  von
GmbH-Geschäftsführern  angewandt,  soweit  diese  nicht  zugleich  Mehrheitsge-
sellschafter waren. Zur Begründung hat er angeführt, es liege eine planwidrige
Regelungslücke  vor,  nicht  an  der  Gesellschaft  beteiligte  Fremdgeschäftsführer
seien  mit  Arbeitnehmern  vergleichbar  und  die  entsprechende  Anwendung  des
§ 622 Abs. 1 Satz 1 BGB aF statt des § 621 Nr. 3 BGB liege gleichermaßen im
Interesse  des  Geschäftsführers  und  der  Gesellschaft
.
3.
Die  instanzgerichtliche Rechtsprechung ist dem Bundesgerichtshof  ge-
folgt
.  Auch  das  Schrifttum
hat  sich  überwiegend  dem  Bundesgerichtshof  angeschlossen
.
4.
Allerdings  ist  die  Rechtsprechung  des  Bundesgerichtshofs  auch  auf
Ablehnung  gestoßen
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.
5.
Das  Bundesarbeitsgericht  hat  die  im  Gesetz  über  die  Fristen  für  die
Kündigung  von  Angestellten  vom  9. Juli  1926
bestimmte  Fristenregelung  jedenfalls  bei  Fremd-
geschäftsführern  für  anwendbar  gehalten
6.
Nach  zutreffender  Ansicht  kann  sich  ein  Geschäftsführer,  der  nicht
Mehrheitsgesellschafter  der  GmbH  ist  und  zu  ihr  in  keinem  Arbeitsverhältnis
steht, nicht auf die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB beru-
fen.
a)
§ 622 BGB ist - seinem Wortlaut entsprechend - nur auf die Kündigung
des  Arbeitsverhältnisses  anzuwenden.  Wegen  der  für  freie  Dienstverhältnisse
bestehenden  Regelung  in  § 621  BGB  fehlt  es  an  einer  ausfüllungsbedürftigen
planwidrigen  Regelungslücke,  die  eine  analoge  Anwendung  der  Norm  auf  die
Kündigung  eines  Geschäftsführeranstellungsvertrags  zuließe.  Aus  diesem
Grund  ist  es  rechtlich  ohne  Bedeutung,  ob  das  Fristenregime  in  § 622  Abs. 1
Satz 1  BGB  gegenwärtig  noch  als  interessengerechter  anzusehen  ist,  als  die
Kündigungsfrist des § 621 Nr. 3 BGB.
b)
Mit der ab 15. Oktober 1993 geltenden Neufassung des § 622 BGB hat
der  Gesetzgeber  die  Anbindung  der  Kündigungsfristenregelung  an  Arbeitsver-
hältnisse  betont.  Es  ist  jedenfalls  nichts  dafür  ersichtlich,  dass  er  die  Kündi-
gungsfristenregelung  für  (Fremd-)Geschäftsführer  dort  verortet  sehen  wollte.
Wäre dies sein Wille gewesen, hätte die Neuregelung Anlass gegeben, die be-
stehende  Rechtsprechung  des  Bundesgerichtshofs  in  eine  gesetzliche  Rege-
lung  zu  übernehmen.  Dies  ist  nicht  erfolgt.  Anhaltspunkte  für  ein  diesbezügli-
ches
„Redaktionsversehen“ des Gesetzgebers bestehen nicht.
c)
Es  wäre ferner ein Wertungswiderspruch,  mit  der  Rechtsprechung  des
Neunten  Senats  des  Bundesarbeitsgerichts  § 622  BGB  nicht  auf  arbeitneh-
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merähnliche Personen anzuwenden
,  wohl  aber  auf  einen  (Fremd-)Geschäftsführer,  dessen  geleistete
Dienste nach ihrer sozialen Typik noch weniger mit denen eines Arbeitnehmers
vergleichbar  sind
.
7.
Die  Kündigungserklärung  der  Beklagten  hat  danach  das  Anstellungs-
verhältnis  der  Klägerin  mit  der  Frist  des  § 621  Nr. 4  BGB  zum  30. Juni  2018
beendet.
a)
Die  Kündigungserklärung  ist  hinreichend  bestimmt
. Die Kündigung wurde „unter Einhal-
tung der vertraglichen Kündigungsfris
t zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ ausge-
sprochen,  der nach Berechnung der Beklagten der 31.
Mai 2018 sei. Die „ver-
tragliche Kündigungsfrist“ ist nach § 17 Abs. 2 des Anstellungsvertrags die ge-
setzliche Kündigungsfrist. Damit ist durch die Kündigungserklärung klargestellt,
dass die Beklagte mit der kürzest möglichen gesetzlichen Frist kündigen wollte
.  Aus der  Formulierung  „zum
nächstmöglichen Zeitpunkt“ ist ebenso abzuleiten, dass  sie  die  Kündigung mit
der  objektiv  zutreffenden  Kündigungsfrist  aussprechen  wollte
.
b)
Da für Dienstverhältnisse, in denen - wie im vorliegenden Fall - die Ver-
gütung  nach  Vierteljahren  oder  längeren  Zeitabschnitten  bemessen  ist,  die
Kündigungsfrist  nach  § 621  Nr. 4  BGB  sechs  Wochen  zum  Schluss  eines  Ka-
lendervierteljahrs  beträgt,  kann  die  gegenüber  der  Klägerin  ausgesprochene
Kündigung  als  eine  solche  zum  30. Juni  2018  ausgelegt  werden.  Im  Rahmen
dieser  Norm  spielt  die  Dauer  des  Vertragsverhältnisses  keine  Rolle,  sondern
nur  der  Zeitabschnitt,  für  den  die  Vergütung  bemessen  ist,  unabhängig  von
Auszahlungsmodus  und  Fälligkeit
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2 AZR 374/19
ECLI:DE:BAG:2020:110620.U.2AZR374.19.0
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. In § 4 Abs. 1 des Anstellungsvertrags haben die Parteien
ein Jahresgehalt vereinbart. Dass dieses in zwölf monatlichen Raten zu zahlen
war, ist für die Länge der Kündigungsfrist ohne Bedeutung.
8.
Der  Senat  kann  über  die  Anwendbarkeit  des  § 621  Nr. 4  BGB  in  dem
vorgenannten  Sinne  entscheiden,  ohne  zuvor  den  Gemeinsamen  Senat  der
obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG anzurufen.
a)
Nach  § 2  Abs. 1  RsprEinhG  ist  die  Vorlage  an  den  Gemeinsamen  Se-
nat  der  obersten  Gerichtshöfe  des  Bundes  geboten,  wenn  ein  oberster  Ge-
richtshof  in  einer  Rechtsfrage  von  der  Entscheidung  eines  anderen  obersten
Gerichtshofs  oder  des  Gemeinsamen  Senats  abweichen  will.  Voraussetzung
hierfür  ist,  dass  sich  die  zur  Entscheidung  vorgelegte  Rechtsfrage  im  Anwen-
dungsbereich derselben Rechtsvorschrift stellt oder dass sie auf der Grundlage
von Vorschriften aufgeworfen wird, die zwar in verschiedenen Gesetzen stehen,
in ihrem Wortlaut aber im Wesentlichen und in ihrem Regelungsinhalt gänzlich
übereinstimmen  und  deswegen  nach  denselben  Prinzipien  auszulegen  sind
.
b)
Danach  besteht  keine  Vorlagepflicht  nach  § 2  Abs. 1  RsprEinhG.  Eine
Divergenz  zu  der  vorgenannten  Rechtsprechung  des  Bundesgerichtshofs  be-
treffend § 622 Abs. 1 BGB aF liegt nicht vor. Die letztgenannte Vorschrift ist mit
Wirkung  ab  15. Oktober  1993  grundlegend  geändert  worden.  In  der  Zeit  nach
der Neufassung sind keine Entscheidungen des Bundesgerichtshofs  dokumen-
tiert,  in  denen  er  sich  tragend  zur  gesetzlichen  Kündigungsfrist  für  (Fremd-)
Geschäftsführer  einer GmbH  geäußert  hat.  Im  Urteil  vom  19. September  2005
hat  er  vielmehr  ausdrücklich  offenge-
lassen,  ob  § 622  Abs. 6  BGB  auf  das  Anstellungsverhältnis  eines  GmbH-
Geschäftsführers entsprechend anwendbar ist, und auf seine zuvor ergangenen
Entscheidungen nur berichtend hingewiesen.
IV.
Der  Senat  hat  von  einer  Berichtigung  des  zweitinstanzlichen  Tenors
abgesehen,  obwohl  sich  dessen  Formulierung  in  missverständlicher  Weise  an
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2 AZR 374/19
ECLI:DE:BAG:2020:110620.U.2AZR374.19.0
§ 4 Satz 1 KSchG anlehnt.  Er hält insoweit den Hinweis für ausreichend,  dass
sich  der  obsiegende  Teil  der  Klage  aus  einem  Begehren  nach  § 256  Abs. 1
ZPO ergibt.
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Koch
Niemann
Schlünder
Niebler
Trümner
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