Urteil des BAG vom 05.06.2018

Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei Vollstreckungsabwehrklage - Darlegungslast

Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 5. Juni 2018
Zehnter Senat
- 10 AZR 155/18 (A) -
ECLI:DE:BAG:2018:050618.B.10AZR155.18A.0
I. Arbeitsgericht Wiesbaden
Urteil vom 17. August 2017
- 10 Ca 73/17 -
II. Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil vom 19. Januar 2018
- 10 Sa 1277/17 -
Entscheidungsstichwort:
Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei Vollstreckungsab-
wehrklage
ECLI:DE:BAG:2018:050618.B.10AZR155.18A.0
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BUNDESARBEITSGERICHT
10 AZR 155/18 (A)
10 Sa 1277/17
Hessisches
Landesarbeitsgericht
BESCHLUSS
In Sachen
Klägerin, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,
pp.
Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,
hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 5. Juni 2018 beschlossen:
Der Antrag der Klägerin auf einstweilige Einstellung der
Zwangsvollstreckung aus Nr. 4 der Entscheidungsformel
des
Urteils
des
Arbeitsgerichts
Wiesbaden
vom
11. August 2011 - 4 Ca 2592/09 - wird zurückgewiesen.
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10 AZR 155/18 (A)
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Gründe
I.
Die Klägerin begehrt im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage die
einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung der Beklagten aus dem
rechtskräftigen Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 11. August 2011
. Nach Nr. 3 der Entscheidungsformel hat die Klägerin der
Beklagten diverse Auskünfte nach dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarif-
vertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom
20. Dezember 1999 idF des damals letzten Änderungstarifvertrags vom
5. Dezember 2007 über die von ihr im Zeitraum von April 2009 bis September
2009 beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten zu erteilen.
Nach Nr. 4 des Tenors muss sie der Beklagten für den Fall der Nichterteilung
der Auskünfte innerhalb einer bestimmten Frist eine Entschädigung in Höhe von
insgesamt 15.360,00 Euro zahlen.
Die Klägerin hat die fristgemäße Erfüllung der Auskunftsansprüche be-
hauptet. Sie hat überdies eingewandt, die Ansprüche seien entfallen, nachdem
der Zehnte Senat mit Beschluss vom 21. September 2016
die Unwirksamkeit der ihrer Verurteilung zugrunde liegenden
Allgemeinverbindlicherklärung vom 15. Mai 2008
des VTV in der im Streitzeitraum geltenden Fas-
sung festgestellt habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht
hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausge-
führt, die Klägerin habe die fristgemäße Erfüllung der Auskunftsansprüche nicht
hinreichend substantiiert dargelegt. Ob die Unwirksamkeit der AVE VTV 2008
als Einwendung im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage zu berücksichtigen
sei, könne dahinstehen. Das am 25. Mai 2017 in Kraft getretene Gesetz zur
Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) stelle mit
Rückwirkung klar, dass der VTV bei Eröffnung des betrieblichen Geltungsbe-
reichs trotz der Unwirksamkeit der AVE gelten solle.
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Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision rügt die Klä-
gerin die Überspannung der Substantiierungsanforderungen durch das Beru-
fungsgericht. Sie habe weiteren Vortrag zur fristgemäßen Erteilung der ge-
schuldeten Auskünfte nicht halten können. In seinem Hinweis vom 1. Dezember
2017 auf den Umfang ihrer Darlegungslast habe der Vorsitzende unter Verstoß
gegen § 139 ZPO keine konkreten Anforderungen an den von ihr erwarteten
Vortrag gestellt. Das Landesarbeitsgericht habe zudem den Anspruch der Klä-
gerin auf rechtliches Gehör verletzt
, indem es weder die
von ihr benannten Zeugen vernommen noch ihren Geschäftsführer als Partei
angehört habe. Die Unwirksamkeit der AVE VTV 2008 stehe der Vollstreckung
des Entschädigungsanspruchs ebenfalls entgegen. Das Landesarbeitsgericht
sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass dieser Einwand wegen des Inkrafttre-
tens des SokaSiG nicht greife. Das Gesetz werde einer verfassungsrechtlichen
Überprüfung nicht standhalten.
Die Klägerin beantragt,
die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsge-
richts Wiesbaden vom 11. August 2011 - 4 Ca 2592/09 -
ohne Sicherheitsleistung - hilfsweise: gegen Sicherheits-
leistung - einstweilen einzustellen.
II.
Der Antrag, der sich bei verständiger Auslegung auf die einstweilige
Einstellung der Zwangsvollstreckung aus Nr. 4 der Entscheidungsformel des im
Antrag bezeichneten Urteils richtet, hat in der Sache keinen Erfolg.
1.
Der Antrag ist nach § 62 Abs. 2 ArbGG, §§ 767, 769 Abs. 1 ZPO zuläs-
sig. Die Klägerin macht mit der Vollstreckungsabwehrklage Einwendungen gel-
tend, die den in Nr. 4 der Entscheidungsformel des Urteils des Arbeitsgerichts
titulierten Anspruch betreffen. Im Rahmen einer solchen Klage kann nach § 769
Abs. 1 Satz 1 ZPO die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung verlangt
werden. Zuständiges
„Prozessgericht“ iSv. § 769 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist im
Streitfall das Bundesarbeitsgericht, weil bei diesem auch die Vollstreckungsge-
genklage anhängig ist
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.
2.
Der Antrag ist nicht begründet. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass ihr
Schutzbedürfnis das Interesse der Beklagten an der Durchführung der Zwangs-
vollstreckung überwiegt.
a)
Ob die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung bereits daran
scheitert, dass die Klägerin entgegen § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nicht glaubhaft
gemacht hat, die Vollstreckung würde ihr einen nicht zu ersetzenden Nachteil
bringen, kann dahinstehen.
aa)
Nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG hat das Arbeitsgericht auf Antrag die
vorläufige Vollstreckbarkeit im Urteil auszuschließen, wenn der Schuldner
glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nach-
teil bringen würde. Nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG kann in den Fällen des
§ 707 Abs. 1 ZPO und des § 719 Abs. 1 ZPO die Zwangsvollstreckung nur un-
ter derselben Voraussetzung eingestellt werden. Seit dem 1. April 2008 be-
stimmt § 62 Abs. 1 Satz 4 ArbGG idF von Art. 2 Nr. 7 des Gesetzes zur Ände-
rung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom
26. März 2008
, dass die Zwangsvollstreckung in diesen Fällen
ohne Sicherheitsleistung eingestellt wird.
bb)
Unter Berufung auf den Wortlaut des § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG wird
vertreten, dass § 62 Abs. 1 ArbGG für die Fälle des § 769 ZPO keine Sonder-
regelung treffe. Daher sei für einstweilige Anordnungen nach § 769 ZPO kein
nicht zu ersetzender Nachteil erforderlich. Die Zwangsvollstreckung könne auch
gegen Sicherheitsleistung eingestellt oder nur gegen Sicherheitsleistung fortge-
setzt werden
. Vor der Än-
derung des § 62 Abs. 1 Satz 4 ArbGG befürworteten einige Gerichte demge-
genüber die analoge Anwendung des § 62 Abs. 1 ArbGG im Rahmen des § 769
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ZPO. Der Gesetzgeber habe die inhaltlichen Voraussetzungen der Zwangsvoll-
streckung in den Verfahren vor den Arbeitsgerichten bewusst anders geregelt
als in denjenigen vor den Zivilgerichten. Es sei nicht erkennbar, aus welchem
Sachgrund diese Wertentscheidung bei der Vollstreckungsgegenklage nach
§§ 767, 769 ZPO durchbrochen werden solle
.
b)
Der Antrag führt bereits nach § 769 Abs. 1 ZPO nicht zur Einstellung
der Zwangsvollstreckung. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass ihr Schutzbe-
dürfnis das Interesse der Beklagten an der Durchführung der Zwangsvollstre-
ckung überwiegt.
aa)
Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheits-
leistung gemäß § 769 Abs. 1 Satz 2 ZPO kommt nicht in Betracht, weil die Klä-
gerin nicht geltend macht, dass sie - wie nach dieser Bestimmung erforderlich -
zur Sicherheitsleistung außerstande sei.
bb)
Der Antrag führt auch nicht zur einstweiligen Einstellung der Zwangs-
vollstreckung gegen Sicherheitsleistung nach § 769 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Es fehlt
an der Darlegung eines das Interesse der Beklagten an der Durchführung der
Zwangsvollstreckung überwiegenden Schutzbedürfnisses der Klägerin.
(1)
Der Erlass einer Anordnung nach § 769 ZPO ist in das pflichtgemäße
Ermessen des Gerichts gestellt. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist
ausgeschlossen, wenn für den Antragsteller im Hauptverfahren keinerlei Er-
folgsaussichten bestehen
. In den üb-
rigen Fällen kommt es auf die Abwägung der gegenläufigen Schutzbedürfnisse
von Gläubiger und Schuldner an. Da das Gesetz die Interessen des Gläubigers
im Verhältnis zum Schuldner in den Vordergrund stellt
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, hat der Schuldner sein Schutzbedürfnis darzule-
gen und nach § 769 Abs. 1 Satz 3 ZPO glaubhaft zu machen, dass es in ange-
messenem Verhältnis zu den Aussichten des in der Hauptsache eingeleiteten
Rechtsstreits steht
und das Inte-
resse des Gläubigers an der Durchführung der Zwangsvollstreckung überwiegt
.
(2)
Die Klägerin hat in ihrem Einstellungsantrag keine Tatsachen vorgetra-
gen, aus denen sich ergibt, dass sie vor der Durchführung der Zwangsvollstre-
ckung durch die Beklagte geschützt werden muss. Ihren Ausführungen lässt
sich auch nicht entnehmen, aus welchen Gründen ihr Schutzbedürfnis das Inte-
resse der Beklagten an der Durchführung der Zwangsvollstreckung überwiegt.
Sie hat lediglich Vortrag zu den nach ihrer Auffassung bestehenden Erfolgsaus-
sichten für ihre Klage gehalten.
Gallner
Schlünder
Brune
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