Urteil des BAG vom 22.04.2009

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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 22.4.2009, 5 AZR 629/08
Regelarbeitszeit im Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Düsseldorf vom 19. März 2008 - 2 Sa 56/08 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche.
2 Der Kläger war bis zum 31. Januar 2007 als Sicherheitsmitarbeiter zu einem Stundenlohn von
zuletzt 8,46 Euro brutto bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der
allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-
Westfalen vom 8. Dezember 2005 (im Folgenden: MTV NRW) Anwendung.
3 § 2 MTV NRW lautet:
㤠2
Arbeitsbedingungen für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer
1. Die tarifliche Mindestarbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers beträgt
monatlich 160 Stunden.
2. Die monatliche Regelarbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers beträgt im
Durchschnitt eines Kalenderjahres 260 Stunden.
3. Abweichend von Ziffer 2. beträgt die monatliche Regelarbeitszeit im Durchschnitt eines
Kalenderjahres für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer in kerntechnischen Anlagen, im
Geld- und Werttransportdienst und für Angestellte 173 Stunden.“
4 Die Arbeitnehmer der Beklagten waren zu festen Diensten eingeteilt. Im Jahr 2006 arbeitete der
Kläger im Durchschnitt weniger als 260 Stunden monatlich. Um einen Durchschnitt von
260 Stunden monatlich zu erreichen, hätte er zu weiteren 374,16 Stunden eingeteilt werden
müssen. Im Januar 2007 war der Kläger nach einer Kündigung wegen Betriebsstilllegung unter
Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung freigestellt. Für diesen Monat zahlte die Beklagte
ein Urlaubsentgelt entsprechend dem durchschnittlichen Monatsverdienst des Klägers in den
letzten drei Monaten.
5 Der Kläger macht geltend, die Beklagte sei gem. § 2 Ziff. 2 MTV NRW verpflichtet gewesen, ihn im
Durchschnitt jeden Kalenderjahres 260 Stunden monatlich zu beschäftigen. Er fordert Restlohn für
2006 iHv. 3.165,39 Euro brutto und Januar 2007 iHv. 198,51 Euro brutto auf der Grundlage einer
monatlichen Arbeitszeit von 260 Stunden.
6 Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.363,90 Euro brutto nebst Zinsen iHv.
fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. März 2007 zu zahlen.
7 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie ist der Auffassung, lediglich die tatsächlich
geleisteten Arbeitsstunden seien zu vergüten. § 2 Ziff. 2 MTV NRW enthalte keine Stundengarantie.
8 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das
Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen
Revision begehrt der Kläger weiterhin die Zurückweisung der Berufung.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
10 I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung restlicher Vergütung iHv.
3.165,39 Euro brutto nebst Zinsen für das Jahr 2006 sowie iHv. 198,51 Euro brutto nebst Zinsen
für den Monat Januar 2007. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, war die Beklagte
nicht verpflichtet, den Kläger während des Kalenderjahres 2006 im Durchschnitt mit 260 Stunden
monatlich zu beschäftigen. Eine entsprechende Pflicht folgte nicht aus § 2 MTV NRW. Vielmehr
beschränkte sich der tarifliche Anspruch des Klägers auf 160 Stunden monatlich (§ 2 Ziff. 1
MTV NRW).
11 1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der MTV NRW Anwendung. Dieser ist - mit
Ausnahme von § 11 - mit Wirkung vom 1. Januar 2006 für allgemeinverbindlich iSv. § 5 Abs. 1
TVG erklärt worden.
12 2. § 2 MTV NRW regelt die „Arbeitsbedingungen für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer“. Die
tarifliche Mindestarbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers wird in Ziff. 1 bestimmt.
Danach sind die Arbeitnehmer verpflichtet, monatlich 160 Stunden zu arbeiten, die Arbeitgeber
schulden in diesem Umfang die Beschäftigung der Arbeitnehmer. Darüber hinausgehend eröffnet
die in Ziff. 2 geregelte „monatliche Regelarbeitszeit im Durchschnitt eines Kalenderjahres“ den
Arbeitgebern die Möglichkeit, die Arbeitnehmer (unter Beachtung weiterer arbeitszeitrechtlicher
Vorschriften) über 160 Stunden monatlich hinaus zur Arbeit heranzuziehen. Doch verpflichtet die
Regelung der Ziff. 2 den Arbeitgeber nicht, alle tarifgebundenen Arbeitnehmer im Durchschnitt
260 Stunden monatlich zu beschäftigen. Dies lässt bereits der Wortlaut der Norm erkennen, folgt
aber deutlich aus der Systematik des Tarifvertrags, dem Zweck der Norm sowie ihrer
Entwicklung.
13 a) Die Regelung einer tariflichen „Mindestarbeitszeit“ vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer ist nach
ihrer Wortbedeutung so zu verstehen, dass sie den von beiden Arbeitsvertragsparteien bei
vereinbarter Vollzeitarbeit geschuldeten Umfang der Hauptleistungspflichten vorgibt. Eine solche
tarifliche Vorgabe der auf den Monat bezogenen Mindestarbeitszeit verdeutlicht den
Regelungsansatz. Die tarifgebundenen Arbeitgeber müssen die vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer
jedenfalls im Umfang dieser Mindestarbeitszeit zu Arbeitsleistungen heranziehen. Andererseits
haben die Arbeitnehmer keinen Anspruch, zu mehr als 160 Stunden monatlich herangezogen zu
werden. Die in Ziff. 2 eröffnete Flexibilisierungsmöglichkeit steht allein der Arbeitgeberseite offen,
begründet deshalb keine Ansprüche der Arbeitnehmer. Der in Ziff. 2 verwendete Begriff
„Regelarbeitszeit“ könnte zwar sprachlich anders verstanden werden, steht aber im
Zusammenhang mit der Vorgabe einer Mindestarbeitszeit in Ziff. 1. Er kann nicht losgelöst vom
übrigen Wortlaut der tariflichen Regelung betrachtet werden.
14 Diese Auslegung entspricht der Tarifentwicklung und der Entscheidung des Dritten Senats vom
22. Oktober 2002 (- 3 AZR 664/01 - AP TVG § 1 Auslegung Nr. 185), die den Begriff
„Regelarbeitszeit“ im damals gültigen Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in
Nordrhein-Westfalen, der in Ziff. 2.1 keine Mindestarbeitszeit, aber eine „monatliche
Regelarbeitszeit“ von 173 Stunden vorsah und im weiteren Flexibilisierungsmöglichkeiten enthielt,
nicht im Sinne einer Mindestbeschäftigungspflicht ausgelegt hat.
15 b) Die Ziff. 2 soll den Gegebenheiten im Sicherheitsgewerbe Rechnung tragen. Den Arbeitgebern
wird tarifvertraglich die Möglichkeit eröffnet, Arbeitsschichten an den Bedürfnissen der Kunden
auszurichten und dabei die tarifliche Mindestarbeitszeit nicht nur vorübergehend zu überschreiten.
Diesem Zweck würde es widersprechen, wenn der Tarifvertrag den Arbeitnehmern einen
Anspruch auf Beschäftigung im Umfang der Regelarbeitszeit einräumte. Im Übrigen gebührt
derjenigen Tarifauslegung der Vorrang, die zu einer vernünftigen, sachgerechten,
zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 25. Oktober 1995 - 4 AZR
478/94 - zu I 1 c aa der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 57 = EzA TVG § 4
Ausschlussfristen Nr. 116). Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, kann wegen der
Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitrechts die in § 2 Ziff. 2 MTV NRW genannte Zahl an
Arbeitsstunden überhaupt nur erreicht werden, wenn diese in größerem Umfang Zeiten der
Arbeitsbereitschaft enthält. Damit ist nur eine Tarifauslegung vereinbar, die davon ausgeht, § 2
Ziff. 2 MTV NRW umfasse in erheblichem Umfang Zeiten der Arbeitsbereitschaft. Fallen in einem
Betrieb keine oder nur geringfügige Zeiten der Arbeitsbereitschaft an, ist es dem Arbeitgeber von
Rechts wegen verwehrt, den Durchschnitt von 260 Stunden monatlich auch nur annähernd zu
erreichen. Deshalb liegt die Vorstellung fern, der MTV NRW gebe den Arbeitnehmern gleichwohl
und generell einen Anspruch, im Jahresdurchschnitt 260 Stunden monatlich beschäftigt zu
werden.
16 3. Wird das Vorbringen des Klägers, die Beklagte hätte ihn zumindest im Umfang des Vorjahrs (=
2005) beschäftigen müssen, als Hilfsbegründung gewertet, rechtfertigt auch dies nicht den
Klageantrag, denn allein aus der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung folgt kein Anspruch auf
gleichbleibende Beschäftigung in Folgejahren.
17 II. Über den in erster Instanz angekündigten, aber in mündlicher Verhandlung nicht gestellten
Hilfsantrag ist bereits deshalb nicht zu entscheiden, weil er vom Kläger nicht in die
Revisionsanträge einbezogen worden ist.
18 III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller-Glöge
Mikosch
Breinlinger
R. Rehwald
Dombrowsky