Urteil des BAG vom 28.02.2003

BAG (arbeitnehmer, kündigung, abfindung, arbeitsverhältnis, ablehnung, höhe, arbeitgeber, grund, angebot, zahlung)

Siehe auch:
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 22.10.2009, 6 AZR 600/08
Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 22.10.2009, 6 AZR 595/08.
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Sachsen-Anhalt vom 18. Juli 2007 - 4 Sa 655/06 - unter Zurückweisung der
Revision im Übrigen im Kostenpunkt aufgehoben.
2. Die Kosten des ersten Rechtszugs haben die Klägerin zu 43 Prozent und die
Beklagte zu 57 Prozent zu tragen. Die Kosten der Berufung und der Revision
hat die Beklagte zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten noch über eine Abfindung nach dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung
vom 6. Juli 1992 idF vom 31. Januar 2003 (nachfolgend: TV Soziale Absicherung).
2 Die Klägerin war bei der Beklagten als Reinigungskraft mit Essenausgabe beschäftigt. Seit Oktober
2001 befand sich die Klägerin in Altersteilzeit im Blockmodell. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien
fand kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der TV Soziale Absicherung Anwendung. Dieser enthält
ua. die folgenden Regelungen:
„Vorbemerkungen
Die Tarifvertragsparteien sind sich darüber einig, dass bei erforderlichen Umstrukturierungen
die Sicherung von Beschäftigungsmöglichkeiten sowie die Qualifizierung der Arbeitnehmer
unter Nutzung aller bestehenden Möglichkeiten Vorrang hat gegenüber Entlassungen und den
damit verbundenen Maßnahmen zur sozialverträglichen Abfederung.
§ 4 Abfindung
(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis aus Gründen des Personalabbaus entweder
gekündigt oder durch Auflösungsvertrag beendet wird, erhält eine Abfindung.
...
(5) Eine Abfindung steht nicht zu, wenn
a) die Kündigung aus einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund (z.B. Ablehnung eines
anderen angebotenen Arbeitsplatzes, es sei denn, daß ihm die Annahme nach seinen
Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden kann) erfolgt ist oder
...
(6) Tritt der Arbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29
Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT-Ostdeutsche Sparkassen/BAT ein und ist die Zahl der
zwischen der Beendigung des alten und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses
liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrunde liegende Anzahl von
Bruchteilen der Monatsvergütung/des Monatslohnes (Absatz 2), verringert sich die
Abfindung entsprechend. Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen.
(7) Absatz 6 gilt entsprechend, wenn innerhalb des gleichen Zeitraums ein Anspruch auf
Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht.“
3 Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis vor dem Hintergrund eines im Stadtrat beschlossenen
Personalabbaus mit Schreiben vom 28. Februar 2003 zum 30. September 2003. Zu diesem
Zeitpunkt dauerte die Arbeitsphase noch an. Im Kündigungsschreiben heißt es:
„...
Nach Vergabe der Leistungen, voraussichtlich im Mai 2003, wird Ihnen ein
Weiterbeschäftigungsangebot bei einem privaten Dienstleister unterbreitet. Sofern Sie das
Angebot annehmen, werde ich die Kündigung zurücknehmen. In diesem Fall wird Ihr
Arbeitsverhältnis durch Personalüberleitungsvertrag mit den beschäftigungssichernden Folgen
des § 613 a BGB auf den privaten Anbieter übergeleitet.
...“
4 Ein von der Beklagten nach der Kündigung mit Schreiben vom 19. Mai 2003 unterbreitetes Angebot
auf Abschluss eines Personalüberleitungsvertrags mit einem privaten Dienstleister lehnte die
Klägerin ab. Sie verlangt nunmehr von der Beklagten die Zahlung einer der Höhe nach unstreitigen
Abfindung nach § 4 TV Soziale Absicherung.
5 Die Klägerin hat - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Interesse - beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Abfindung in Höhe von 8.132,50 Euro brutto
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Mai 2005
zu zahlen.
6 Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags geltend gemacht, der Klägerin
stehe keine Abfindung zu, weil sie ein Arbeitsplatzangebot abgelehnt habe. § 4 Abs. 5 Buchst. a TV
Soziale Absicherung setze weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Zweck eine bestimmte
zeitliche Abfolge zwischen der Kündigungserklärung und der Ablehnung eines anderen
Arbeitsplatzes durch den Arbeitnehmer voraus.
7 Das Arbeitsgericht hat die zunächst erhobene Kündigungsschutzklage ebenso wie den hilfsweise
geltend gemachten Abfindungsanspruch abgewiesen und im Urteil den Wert ausgehend von der
Tabellenvergütung der Klägerin auf 14.338,96 Euro festgesetzt. Die Klägerin hat gegen dieses Urteil
zunächst ohne Beschränkung Berufung eingelegt. Mit der Berufungsbegründung hat sie lediglich
noch die Zahlung einer Abfindung von 8.132,50 Euro beantragt. Das Landesarbeitsgericht hat die
Beklagte antragsgemäß verurteilt und die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben. Mit
der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
8 I. Die Revision der Beklagten ist im Wesentlichen nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die
Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe von 8.132,50 Euro brutto. Das Urteil
des Landesarbeitsgerichts war allerdings im Kostenpunkt aufzuheben und die Kostenverteilung
neu vorzunehmen.
9 1. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 TV Soziale Absicherung liegen vor. Das Arbeitsverhältnis
der Klägerin wurde aus Gründen des Personalabbaus gekündigt. Die Höhe der Abfindung steht
zwischen den Parteien nicht im Streit.
10 2. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Abfindungsanspruch der Klägerin nicht deshalb
gem. § 4 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung ausgeschlossen, weil die Klägerin das auf
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei dem privaten Dienstleister gerichtete Angebot der
Beklagten abgelehnt hat.
11 a) Nach § 4 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung steht dem Arbeitnehmer eine Abfindung
nicht zu, wenn die Kündigung aus einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund (zB Ablehnung
eines anderen angebotenen Arbeitsplatzes, es sei denn, dass ihm die Annahme nach seinen
Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden kann) erfolgt ist. Nach dem
Wortlaut dieser Tarifnorm muss das Arbeitsplatzangebot der Kündigung zeitlich vorangegangen
sein. Nur dann kann die Kündigung aufgrund der Ablehnung des Angebots aus einem vom
Arbeitnehmer zu vertretenden Grund „erfolgt“ sein . Die Kündigung muss zu der vom
Arbeitnehmer zuvor erklärten Ablehnung des Arbeitsplatzangebots in einem
Kausalzusammenhang stehen (Senat 15. Juli 1999 - 6 AZR 695/97 - ZTR 2000, 227). Erfolgt das
Arbeitsplatzangebot und dessen Ablehnung erst zeitlich nach der Kündigungserklärung, fehlt
dieser Kausalzusammenhang zwischen der Ablehnung des Angebots und der Kündigung. Dies gilt
unabhängig davon, ob sich das Angebot auf einen Arbeitsplatz beim bisherigen Arbeitgeber oder
bei einem Dritten bezieht (vgl. dazu Senat 21. April 2005 - 6 AZR 361/04 - AP TVG § 4
Rationalisierungsschutz Nr. 42).
12 b) Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Abfindungsanspruch nach § 4 Abs. 5 Buchst. a
TV Soziale Absicherung nur ausgeschlossen ist, wenn die Kündigung aus einem vom
Arbeitnehmer „zu vertretenden Grund“ erfolgt. Der Arbeitnehmer hat die Ablehnung eines
angebotenen Arbeitsplatzes nur dann zu vertreten, wenn ihm ein hinreichend bestimmtes Angebot
gemacht wurde. Nur wenn der Arbeitnehmer weiß, wer der neue Arbeitgeber sein wird und zu
welchen Bedingungen die Weiterbeschäftigung erfolgen soll, kann ihm vorgeworfen werden, den
Grund für die Kündigung schuldhaft (§ 276 Abs. 1 BGB) herbeigeführt zu haben. Die vage
Ankündigung einer anderen Beschäftigungsmöglichkeit genügt hierfür nicht. Die gegenteilige
Auffassung der Beklagten ist mit dem Wortlaut der Tarifbestimmung nicht vereinbar.
13 c) Entgegen der Auffassung der Beklagten bezweckt § 4 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung
nicht, Abfindungsansprüche generell auszuschließen, wenn der Arbeitnehmer im Anschluss an
das bisherige Arbeitsverhältnis eine zumutbare soziale Absicherung aus einem neuen
Arbeitsverhältnis hätte erlangen können. Der tarifliche Gesamtzusammenhang macht vielmehr
deutlich, dass der Abfindungsanspruch nur dann ausgeschlossen ist, wenn einer der tariflich
normierten Ausschlusstatbestände vorliegt. Diese erfassen keineswegs alle denkbaren
Konstellationen einer wirtschaftlichen Absicherung des Arbeitnehmers nach erfolgter Kündigung.
Scheidet etwa der Arbeitnehmer aus dem öffentlichen Dienst aus und begründet er im Anschluss
daran auf eigene Initiative ein Arbeitsverhältnis bei einem privaten Arbeitgeber, führt dies mangels
eines entsprechenden Ausschlusstatbestands nicht zu einem Ausschluss des
Abfindungsanspruchs, obwohl der Arbeitnehmer wirtschaftlich abgesichert ist. Nur unter den in § 4
Abs. 6 TV Soziale Absicherung genannten Voraussetzungen, dh. Weiterbeschäftigung bei einem
Arbeitgeber iSd. § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT-Ostdeutsche Sparkassen/BAT, verringert
sich die Abfindung nach den in § 4 Abs. 6 TV Soziale Absicherung im Einzelnen aufgeführten
Maßgaben. Weiter ist zu berücksichtigen, dass gem. § 4 Abs. 7 TV Soziale Absicherung der
Abfindungsanspruch nicht ausgeschlossen ist, wenn das Rentenstammrecht des Arbeitnehmers
bereits vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden ist. Der Arbeitnehmer, der bereits
vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf eine gesetzliche Rente hat,
verliert daher den tariflichen Abfindungsanspruch nicht schon deshalb, weil eine anderweitige
soziale Absicherung besteht (Senat 1. Juni 1995 - 6 AZR 926/94 - BAGE 80, 158).
14 d) Das Vorgehen der Beklagten steht auch nicht im Einklang mit dem in der Vorbemerkung des
TV Soziale Absicherung formulierten übergreifenden Ziel des Tarifvertrags, bei den erforderlichen
Umstrukturierungen Beschäftigungsmöglichkeiten vorrangig gegenüber Entlassungen und den
damit verbundenen Maßnahmen zur sozialverträglichen Abfederung zu prüfen . Durch die
Kündigung hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis beendet, ohne zuvor entsprechend der
tarifvertraglichen Zielsetzung anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten geklärt und dem
Arbeitnehmer zur Vermeidung der Entlassung Arbeitsplatzangebote unterbreitet zu haben.
15 e) Das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen der Ablehnung eines angebotenen
Arbeitsplatzes und der nachfolgenden Kündigung führt entgegen der Auffassung der Beklagten
nicht zu einem Wahlrecht des Arbeitnehmers zwischen einem Abfindungsanspruch und einem
anderen Arbeitsplatz . Hätte die Beklagte der Klägerin den Arbeitsplatz bei dem privaten
Reinigungsunternehmen vor der Kündigung angeboten, hätte der Klägerin kein Anspruch auf eine
Abfindung zugestanden (vgl. Senat 21. April 2005 - 6 AZR 361/04 - AP TVG § 4
Rationalisierungsschutz Nr. 42).
16 3. Die Ablehnung des Arbeitsplatzangebots durch die Klägerin war nicht rechtsmissbräuchlich
(§ 242 BGB). Die Klägerin war nicht verpflichtet, den ihr nach der Kündigung angebotenen
Arbeitsplatz anzunehmen, um der Beklagten die Zahlung der tariflichen Abfindung zu ersparen. Die
Beklagte übersieht, dass sie es in der Hand gehabt hätte, mit der Kündigung bis zur Klärung der
anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten zu warten und der Klägerin vor der Kündigung den
Arbeitsplatz bei dem Dienstleister anzubieten. In diesem Falle hätte der Klägerin kein
Abfindungsanspruch zugestanden (vgl. Senat 21. April 2005 - 6 AZR 361/04 - AP TVG § 4
Rationalisierungsschutz Nr. 42).
17 4. Der Zinsanspruch beruht auf §§ 291, 288 BGB.
18 II. Die Klägerin hat wegen des Unterliegens hinsichtlich des zunächst als Hauptantrag gestellten
Kündigungsschutzantrags die Kosten des ersten Rechtszugs zu 43 Prozent zu tragen, die
Beklagte hat von diesen Kosten 57 Prozent zu tragen (§ 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Kosten der
Berufung hat die Beklagte zu tragen (§ 91 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 23 Abs. 1 Satz 1
RVG). Die Kosten des vorliegenden Revisionsverfahrens hat die Beklagte gem. § 97 Abs. 1 ZPO
zu tragen; das teilweise Obsiegen im Kostenpunkt ändert daran nichts (vgl. BGH 11. Juni 1992 -
I ZR 226/90 - NJW 1992, 2969).
Fischermeier
Linck
Spelge
K. Jerchel
Augat