Urteil des BAG vom 10.11.2011

Betriebsübergang - Begriff des übergangsfähigen Betriebsteils - Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Betriebsübernehmer

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 10.11.2011, 8 AZR 538/10
Betriebsübergang - Begriff des übergangsfähigen Betriebsteils - Gemeinschaftsbetrieb mehrerer
Betriebsübernehmer
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Sachsen-Anhalt vom 26. April 2010 - 5 Sa 332/08 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Frage, ob infolge eines Betriebsteilübergangs zwischen ihnen
ein Arbeitsverhältnis besteht sowie darüber, ob dieses durch vorsorglich ausgesprochene
Kündigungen des Beklagten zu 1) (im Folgenden: Beklagter) beendet worden ist.
2 Der Beklagte ist ein aufgrund der §§ 6 ff. des Gesetzes über kommunale
Gemeinschaftsarbeit des Landes Sachsen-Anhalt gebildeter Zweckverband für die
Abwasserbeseitigung, zu dem sich 42 Städte und Gemeinden im Landkreis M
zusammengeschlossen haben. 37 Städte und Gemeinden dieser Region hatten ferner für
die Trinkwasserversorgung den „T“ gebildet (im Folgenden: Streithelfer). Der Beklagte und
der Streithelfer gründeten 1996 die W GmbH (im Folgenden: GmbH), deren einzige
Gesellschafter sie zu gleichen Teilen wurden. Aufgrund von Geschäftsführungsverträgen
übernahm die GmbH gegen Entgelt umfassend alle kaufmännischen und technischen
Aufgaben des Beklagten in der Abwasserentsorgung sowie alle kaufmännischen und
technischen Aufgaben des Streithelfers bei der Trinkwasserversorgung. Technisch waren
insbesondere die Planung und Realisierung technischer Vorhaben, die Instandsetzung und
Instandhaltung von Anlagen, die Realisierung von Hausanschlüssen sowie die
Durchführung eines Havariedienstes zu bewältigen. Der kaufmännische Bereich umfasste
im Wesentlichen die Fakturierung der Forderungen, die Rechnungslegung und das Inkasso
der Forderungen im Namen der Gesellschafter. Daneben erbrachte die GmbH einzelne
kaufmännische und/oder technische Aufgaben der Trinkwasserversorgung und
Abwasserentsorgung für einzelne Gemeinden und andere Zweckverbände im Raum
Nordthüringen. Diese nicht mit dem Beklagten oder dem Streithelfer im Zusammenhang
stehenden Dienstleistungen machten etwa 10 % der Geschäftstätigkeit der GmbH aus. Die
GmbH beschäftigte etwa 90 Arbeitnehmer, davon zwei Drittel im technischen Bereich, den
Rest im kaufmännischen Sektor. Die Organisation war entsprechend in diese beiden
übergeordneten Bereiche aufgeteilt, wobei der technische Bereich in die Abteilung
Trinkwasser, Abwasser und Planung untergliedert war. Der kaufmännische Bereich
umfasste eine Finanzabteilung, eine Abteilung Abgaben/Recht sowie weitere
Unterbereiche.
3 Nach einer 1982 begonnenen Lehre war der Kläger seit dem 16. Juli 1984 bei der „W
GmbH“ (im Folgenden: GmbH) bzw. bei deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Bei der VEB
W war er als „Rohrleger“ tätig. Diese Tätigkeitsbezeichnung wurde von seinem neuen
Arbeitgeber nach der Deutschen Einheit übernommen. Nach einem mit der GmbH zum
1. Juli 2002 abgeschlossenen Änderungsvertrag wurde er nunmehr als „Mitarbeiter
Anschlusswesen“ bezeichnet. Im Bereich Anschlusswesen hat es eine Trennung der
Arbeitsaufgaben nach Trinkwasser und Abwasser nicht gegeben. Der Kläger hat Aufgaben
für die Abwasserentsorgung, die Trinkwasserversorgung und schließlich für die Erfüllung
von Verträgen mit anderen nordthüringer Gemeinden und Verbänden erledigt.
4 Als Aufsichtsbehörde nach dem Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit des Landes
Sachsen-Anhalt verfügte der Landrat des Landkreises S am 3. November 2006, dass der
Beklagte und der Streithelfer ab 1. Januar 2007 ihre Aufgaben der Trinkwasserversorgung
und Abwasserentsorgung durch eigene betriebliche Mittel wahrzunehmen haben. Dafür
waren Wirtschaftspläne aufzustellen, die entsprechenden Planstellen waren bis zum
31. Dezember 2006 zu besetzen. Die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde
angeordnet. Der Beklagte und der Streithelfer kündigten daraufhin ohne Einhaltung der
vertraglichen Kündigungsfrist ihre Geschäftsbesorgungsverträge mit der GmbH zum
31. Dezember 2006. Als Gesellschafter wiesen sie den Geschäftsführer der GmbH an, die
Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist nicht durchzusetzen. Ebenso wies die
Gesellschafterversammlung den Geschäftsführer der GmbH an, verschiedene Verträge zur
Übertragung beweglicher und unbeweglicher Betriebsmittel der GmbH auf den Beklagten
und auf den Streithelfer abzuschließen. Der Beklagte übernahm durch notariellen Vertrag
vom 27. Dezember 2006 verschiedene Grundstücke und aufgrund eines weiteren Vertrags
vom 7. Dezember 2006 eine Fäkalienannahmestelle, einen Garagenkomplex und eine
Dekanteranlage. Noch nicht besetzte Planstellen schrieben der Beklagte und der
Streithelfer aus und luden zahlreiche, aber nicht alle Arbeitnehmer der GmbH, die sich
beworben hatten, zu Personalgesprächen ein. Im Falle einer Einstellung wurde der
Arbeitsvertrag mit der GmbH durch Aufhebungsvertrag beendet und ein neuer
Arbeitsvertrag mit dem Beklagten oder dem Streithelfer abgeschlossen. Für die GmbH
wurde am 22. Januar 2007 die Liquidation beschlossen, am 2. April 2007 wurde die
Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen beantragt.
5 Nach dem 1. Januar 2007 blieb der Kläger bei der GmbH, die unter dem 29. März 2007 sein
Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2007 kündigte. Unter dem 5. April 2007 erhob der
Kläger gegen den Beklagten Klage auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses infolge
Betriebsübergangs seit dem 1. Januar 2007 und erweiterte diese zum Zweck der
Kündigungsabwehr gegen die GmbH am 19. April 2007. Am 4. April 2007 hat der Kläger
gegenüber dem Streithelfer ebenfalls den Übergang seines Arbeitsverhältnisses geltend
gemacht. Der Beklagte sprach dann am 8. Mai 2007 eine vorsorgliche Kündigung zum
30. Juni 2007 und am 15. Juni 2007 eine weitere vorsorgliche Kündigung zum 31. Juli 2007
aus, die der Kläger ebenfalls mit Klageerweiterungen angriff. Auf die Streitverkündung des
Klägers ist der T dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten. Mit der GmbH hat
sich der Kläger am 21. April 2008 vergleichsweise über ein betriebsbedingtes Ende seines
Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2007 gegen Zahlung einer Abfindung verständigt,
wobei dieser Vergleich unter der auflösenden Bedingung geschlossen wurde, dass
rechtskräftig ein Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Beklagten festgestellt würde.
6 Der Kläger hat behauptet, beim „Bereich Abwasser“ habe es sich um eine Teileinheit der
GmbH gehandelt, die klar getrennt vom „Bereich Trinkwasser“ gewesen sei. Er, der Kläger,
habe im zeitlich weit überwiegenden Teil für den Bereich „Abwasser“ gearbeitet, der auf
den Beklagten übergegangen sei. Er sei daher diesem übergegangenen Betriebsteil
zuzuordnen, jedenfalls stünde ihm ein Wahlrecht zu, ob er den Übergang seines
Arbeitsverhältnisses auf den Beklagten oder den Streithelfer geltend mache. Der Beklagte
unterhalte seit dem 1. Januar 2007 selbst einen „Bereich Anschlusswesen“. Zudem hätten
Beklagter und Streithelfer über den Jahresbeginn hinaus zunächst einen
Gemeinschaftsbetrieb unterhalten, auf den der Betrieb der GmbH insgesamt übergegangen
sei.
7 Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der W GmbH auf den
Beklagten zum 1. Januar 2007 übergegangen ist und mit diesem fortbesteht,
2. den Beklagten zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten arbeitsvertraglichen
Bedingungen als Mitarbeiter Anschlusswesen/Abwasser weiterzubeschäftigen,
3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und dem
Beklagten durch die schriftliche Kündigung des Beklagten vom 8. Mai 2007,
zugegangen am 9. Mai 2007, zum 30. Juni 2007 nicht aufgelöst worden ist,
4. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und dem
Beklagten auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu
unveränderten Bedingungen über den 30. Juni 2007 hinaus fortbesteht,
5. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und dem
Beklagten durch die schriftliche Kündigung des Beklagten vom 15. Juni 2007,
zugegangen am 18. Juni 2007, zum 31. Juli 2007 nicht aufgelöst worden ist.
8 Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags darauf verwiesen, die
Bereiche Abwasser und Trinkwasser seien bei der GmbH nicht streng getrennt gewesen. Er
habe auch nur einen Teil der Aufgaben der Abwasserentsorgung weitergeführt, da die
GmbH auch noch 2007 die Verträge mit den einzelnen Gemeinden und Verbänden
Nordthüringens zu erfüllen hatte.
9 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb vor dem
Landesarbeitsgericht ohne Erfolg. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein
Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der GmbH ist nicht
infolge eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs nach § 613a Abs. 1 BGB auf den
Beklagten übergegangen. Die vorsorglich vom Beklagten ausgesprochenen Kündigungen
eines etwa bestehenden Arbeitsverhältnisses von Mai und Juni 2007 gingen ins Leere.
11 A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
12 Von einem Betriebsübergang auf den Beklagten könne schon deswegen nicht
ausgegangen werden, weil dieser den Betrieb der GmbH nicht im Ganzen fortführe. Es
komme allenfalls ein Betriebsteilübergang in Betracht. Aber auch ein solcher liege nicht
vor, da der Beklagte nur einzelne Betriebsmittel der GmbH ab dem 1. Januar 2007 genutzt
habe. Selbst wenn der Beklagte alle Betriebsmittel, die zur Erfüllung der Aufgaben
„Abwasserentsorgung“ bei der GmbH vorhanden und erforderlich gewesen seien,
übernommen habe, seien diese bei der GmbH nicht in einem von den übrigen
betrieblichen Aktivitäten organisatorisch getrennten Betriebsteil eingebunden gewesen.
Dem Vortrag des Klägers könne nicht entnommen werden, dass und wie er als Mitarbeiter
der GmbH im „Bereich Anschlusswesen“ in eine derartige Einheit eingegliedert gewesen
sein könnte. Auch nach seinem Vortrag habe es im „Bereich Anschlusswesen“ eine
Trennung der Arbeitsaufgaben nach Trinkwasser und Abwasser nicht gegeben. Er habe
einräumen müssen, dass der „Bereich Anschlusswesen“ bei der GmbH auch Aufgaben
erfüllt habe, die die Trinkwasserversorgung betroffen hätten oder die Erfüllung der
Verträge mit den übrigen thüringer Vertragspartnern. Seinen Vortrag, der Beklagte und der
Streithelfer hätten ab dem 1. Januar 2007 einen Gemeinschaftsbetrieb geführt, auf den der
Gesamtbetrieb der GmbH übergegangen sei, habe der Kläger nicht hinreichend
substanziiert. Diese Behauptung sei einem Beweis nicht zugänglich.
13 B. Diese Begründung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
14 I. Das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der GmbH hat keiner abgrenzbaren
organisatorischen Einheit angehört, die auf den Beklagten übergegangen wäre. Der Senat
hält an dieser in ständiger Rechtsprechung entwickelten Tatbestandsvoraussetzung des
§ 613a BGB fest (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 730/09 - AP BGB § 613a Nr. 406), weil
entgegen der mit der Revision vertretenen Auffassung auch für das Europäische Recht
durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt ist, dass schon beim Betriebs(teil)veräußerer
eine abgrenzbare organisatorische wirtschaftliche Einheit vorgelegen haben muss, um
einen Betriebsteilübergang annehmen zu können.
15 1. Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber
über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs
bestehenden Arbeitsverhältnissen ein, § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Diese gesetzliche
Regelung stellt die Umsetzung der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001
dar. Diese Richtlinie kodifiziert ihrerseits die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom
14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben
oder Unternehmens- oder Betriebsteilen in der durch die Richtlinie 98/50/EG des Rates
vom 29. Juni 1998 geänderten Fassung (vgl. EuGH 29. Juli 2010 - C-151/09 - [UGT-FSP]
AP Richtlinie 2001/23/EG Nr. 5 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2001/23 Nr. 4).
16 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH soll die Richtlinie 2001/23/EG die Kontinuität
der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse
unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleisten. Entscheidend für einen Übergang
iSd. Richtlinie ist daher, ob die fragliche Einheit ihre Identität bewahrt, was namentlich
dann gegeben sein kann, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wieder
aufgenommen wird (vgl. EuGH 29. Juli 2010 - C-151/09 - [UGT-FSP] AP Richtlinie
2001/23/EG Nr. 5 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2001/23 Nr. 4; 12. Februar 2009 - C-
466/07 - [Klarenberg] Slg. 2009, I-803 = AP Richtlinie 2001/23/EG Nr. 4 = EzA EG-Vertrag
1999 Richtlinie 2001/23 Nr. 2).
17 Daraus folgt, dass eine Übernahme nur dann unter die Richtlinie 2001/23/EG und damit
unter § 613a BGB fällt, wenn eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit
übernommen wird, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens
beschränkt ist. Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit bezieht sich auf eine organisierte
Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit
mit eigenem Zweck, die hinreichend strukturiert und selbständig ist. Eine solche Einheit
muss nicht unbedingt bedeutsame materielle oder immaterielle Betriebsmittel umfassen. In
bestimmten Wirtschaftszweigen liegen diese Betriebsmittel nämlich oft nur in ihrer
einfachsten Form vor und es kommt dort im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft
an. Daher kann eine organisierte Gesamtheit von Arbeitnehmern, denen eigens und auf
Dauer eine gemeinsame Aufgabe zugewiesen ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen,
ohne dass weitere Betriebsmittel vorhanden sind (EuGH 13. September 2007 - C-458/05 -
[Jouini ua.] Slg. 2007, I-7301 = AP Richtlinie 2001/23/EG Nr. 2 = EzA EG-Vertrag 1999
Richtlinie 2001/23 Nr. 1). In diesem Zusammenhang ist für die Beurteilung des Vorliegens
einer wirtschaftlichen Einheit iSv. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG auch zu prüfen,
ob die vom Veräußerer übertragenen Betriebsmittel bei ihm eine einsatzbereite
Gesamtheit dargestellt haben, die als solche dazu ausgereicht hat, die für die
wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens charakteristischen (Dienst-)Leistungen ohne
Inanspruchnahme anderer wichtiger Betriebsmittel oder anderer Unternehmensteile
erbringen zu können (vgl. EuGH 13. September 2007 - C-458/05 - [Jouini ua.] aaO). Auch
in Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt,
besteht nach Europäischem Recht das Erfordernis, dass der Übergang immer „eine
wirtschaftliche Einheit betreffen muss, die nach dem Inhaberwechsel ihre Identität
bewahrt“, wobei die Einheit nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden darf, also eine
reine Aufgabennachfolge selbst bei betriebsmittelarmen wirtschaftlichen Einheiten keinen
Betriebsübergang darstellt (vgl. EuGH 20. Januar 2011 - C-463/09 - [CLECE] EzA EG-
Vertrag 1999 Richtlinie 2001/23 Nr. 6).
18 2. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es Sache der nationalen Gerichte, anhand
dieser Auslegungsgesichtspunkte festzustellen, ob ein Betriebs(teil)übergang iSd.
Richtlinie 2001/23/EG (und damit im Sinne des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB) vorgelegen hat,
dh. insbesondere auch festzustellen, ob die Identität der übertragenen wirtschaftlichen
Einheit bewahrt worden ist (vgl. EuGH 12. Februar 2009 - C-466/07 - [Klarenberg] Slg.
2009, I-803 = AP Richtlinie 2001/23/EG Nr. 4 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2001/23
Nr. 2).
19 3. Aufgrund dieser Rechtsprechung des EuGH geht der Senat davon aus, dass die von
einem Erwerber übernommene organisierte Gesamtheit von Personen und/oder Sachen
bereits beim Veräußerer eine wirtschaftliche Einheit dargestellt und damit die Qualität
eines Betriebsteils gehabt haben muss, um die Voraussetzung des § 613a Abs. 1 Satz 1
BGB erfüllen zu können (vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 455/10 -; 7. April 2011 -
8 AZR 730/09 - mwN, AP BGB § 613a Nr. 406; 27. Januar 2011 - 8 AZR 326/09 - AP BGB
§ 613a Nr. 402 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 123; 16. Mai 2007 - 8 AZR 693/06 - AP
BetrVG 1972 § 111 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 70).
20 Deshalb muss bereits beim bisherigen Betriebs(teil)inhaber eine selbständig abtrennbare
organisatorische Einheit vorgelegen haben, mit welcher innerhalb des betrieblichen
Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt worden ist. Die Erfüllung eines betrieblichen
Teilzwecks ist nur eine der Voraussetzungen für die Annahme des Vorliegens eines
Betriebsteils und vermag das Fehlen einer abgrenzbaren organisatorischen Einheit nicht
zu ersetzen. Hierbei darf die im Betriebsteil liegende Einheit nicht als bloße Tätigkeit
verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus anderen Merkmalen, wie
ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden
und ggf. den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln. Allerdings genügt eine beim
Betriebs(teil)veräußerer bestehende funktionelle Verknüpfung nicht, um einen schon beim
Veräußerer bestehenden Betriebsteil mit organisatorischer Selbständigkeit anzunehmen,
der im Sinne des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB übertragen werden könnte. Die
Selbständigkeit der schon beim Betriebs(teil)veräußerer abgrenzbaren organisatorischen
wirtschaftlichen Einheit muss nach der Rechtsprechung des EuGH allerdings beim
Betriebserwerber nicht mehr vollständig erhalten bleiben (vgl. EuGH 12. Februar 2009 - C-
466/07 - [Klarenberg] Slg. 2009, I-803 = AP Richtlinie 2001/23/EG Nr. 4 = EzA EG-Vertrag
1999 Richtlinie 2001/23 Nr. 2; vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 730/09 - AP BGB § 613a
Nr. 406). Aufgrund dieser klaren Rechtsprechung des EuGH war der Senat nicht
verpflichtet, ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV einzuleiten.
21 4. Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass ein vollständiger
Betriebsübergang auf den Beklagten schon deswegen nicht angenommen werden kann,
weil dieser unstreitig nicht den gesamten Betrieb der GmbH übernommen hat. Die
Weiterführung eines erheblich eingeschränkten Betriebs schließt trotz der Nutzung
sächlicher Betriebsmittel des früheren Betriebsinhabers einen vollständigen
Betriebsübergang aus (vgl. BAG 16. Februar 2006 - 8 AZR 204/05 - Rn. 20, AP BGB
§ 613a Nr. 300 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 46). Unstreitig hat der Beklagte nicht alle
Betriebsmittel der GmbH übernommen, ebenso ist nicht strittig, dass der Beklagte weder
mit den Aufgaben befasst ist, die früher die GmbH für den Streithelfer erfüllte, noch, dass
der Beklagte die der GmbH übertragenen Aufgaben für Gemeinden und Zweckverbände
außerhalb des Bereichs des Beklagten oder des Streithelfers wahrnimmt. Der Beklagte
beschäftigt auch nur 37 Arbeitnehmer, die früher bei der GmbH tätig waren, etwa 30
weitere sind heute beim Streithelfer beschäftigt und 22 Arbeitnehmer, darunter auch der
Kläger, verblieben bei der GmbH.
22 5. Die Überlegung des Berufungsgerichts, der Kläger sei bei der GmbH nicht in einem
abgrenzbaren Betriebsteil beschäftigt gewesen, der auf den Beklagten übergegangen sei,
ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
23 Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, dass auch nach dem Vortrag des Klägers
im „Bereich Anschlusswesen“ eine Trennung zwischen Abwasser und Trinkwasser nicht
bestanden habe, hat der Kläger ebenso wenig mit einer Verfahrensrüge angegriffen wie
die weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts, der Kläger habe einräumen müssen,
dass er als Mitarbeiter des Bereichs „Anschlusswesen“ auch für den Bereich Trinkwasser
tätig geworden sei. Der Senat ist daher an diese Feststellungen des Landesarbeitsgerichts
gebunden (§ 559 Abs. 2 ZPO).
24 Danach ist das Arbeitsverhältnis des Klägers selbst dann nicht auf den Beklagten oder
den Streithelfer übergegangen, wenn es sich beim Bereich „Abwasser“ um eine
abgrenzbare, organisatorisch selbständige wirtschaftliche Einheit gehandelt hätte, die auf
den Beklagten übergegangen wären oder wenn Entsprechendes für den Bereich
„Trinkwasser“ mit einem Übergang auf den Streithelfer gölte. Denn als „Mitarbeiter
Anschlusswesen“ hat der Kläger keinem solchen Bereich angehört. Nach den
Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wirkte der Beschäftigungsbereich
„Anschlusswesen“ bei der GmbH in der Art einer „technischen Stabsabteilung“, war also
keinem der Bereiche „Abwasser“ oder „Trinkwasser“ zuzuordnen. Es kommt, wie das
Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen hat, nicht darauf an, ob der Kläger
überwiegend für den einen oder den anderen Bereich bei der GmbH tätig war. Auch wenn
er nach seinem Vorbringen „ganz überwiegend“ Arbeiten für den Bereich „Abwasser“
verrichtet hat, kann dies für sich genommen einen Übergang des Arbeitsverhältnisses auf
den Beklagten nach § 613a BGB nicht begründen, weil es insoweit an einem
übergangsfähigen Betriebsteil fehlte.
25 II. Ohne Erfolg macht die Revision weiter geltend, das Landesarbeitsgericht habe die
Erwägung ausgeblendet, der Beklagte und der Streithelfer hätten ab 1. Januar 2007
zunächst einen Gemeinschaftsbetrieb unterhalten, welcher den (gesamten) Betrieb der
GmbH auch über den Jahreswechsel hinaus zunächst als Gesamtbetrieb übernommen
habe.
26 1. Unter einem Betrieb versteht die Rechtsprechung eine organisatorische Einheit,
innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe technischer
und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt (vgl. zum
Betrieb iSd. BetrVG: BAG 21. Juli 2004 - 7 ABR 57/03 - AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 15 = EzA
BetrVG 2001 § 4 Nr. 1; 17. Januar 2007 - 7 ABR 63/05 - BAGE 121, 7 = AP BetrVG 1972
§ 4 Nr. 18 = EzA BetrVG 2001 § 4 Nr. 2; 7. Mai 2008 - 7 ABR 15/07 - NZA 2009, 328;
13. August 2008 - 7 ABR 21/07 - NZA-RR 2009, 255). Ein Betrieb kann auch von
mehreren Arbeitgebern als gemeinsamer Betrieb geführt werden. Davon geht auch § 1
Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BetrVG aus. Nur wenn ein solcher gemeinsamer Betrieb unter
Beteiligung des Beklagten gebildet worden wäre, könnte ein Betriebs- oder
Betriebsteilübergang auf den Beklagten überhaupt in Frage kommen.
27 Die Rechtsfigur des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen liegt vor, wenn die in
einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel mehrerer
Unternehmen für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst,
geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von
einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Die beteiligten Unternehmen müssen
sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden
haben (BAG 23. September 2010 - 8 AZR 567/09 - AP BGB § 613a Nr. 389 = EzA BGB
2002 § 613a Nr. 120; 11. Dezember 2007 - 1 AZR 824/06 - mwN, EzA BetrVG 2001 § 77
Nr. 21).
28 Die Begriffe „Betrieb“ und „gemeinschaftlicher Betrieb“ sind unbestimmte Rechtsbegriffe.
Bei der Beurteilung, ob eine Organisationseinheit ein Betrieb, ein selbständiger oder ein
unselbständiger Betriebsteil ist, steht dem Gericht der Tatsacheninstanz ein
Beurteilungsspielraum zu. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist in der
Revisionsinstanz nur daraufhin überprüfbar, ob es den Rechtsbegriff selbst verkannt,
gegen Denkgesetze, anerkannte Auslegungsgrundsätze oder allgemeine Erfahrungssätze
verstoßen oder wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat (vgl. zu § 1 Abs. 1 BetrVG:
BAG 9. Dezember 2009 - 7 ABR 38/08 - AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 19 = EzA BetrVG 2001
§ 1 Nr. 8; 17. Januar 2007 - 7 ABR 63/05 - BAGE 121, 7 = AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 18 =
EzA BetrVG 2001 § 4 Nr. 2).
29 2. Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das Berufungsurteil stand. Der Beklagte
und der Streithelfer betrieben ab 1. Januar 2007 keinen gemeinsamen Betrieb.
30 a) Das Landesarbeitsgericht hat als unstreitig festgestellt, dass 22 Beschäftigte, darunter
der Kläger, und 3 Auszubildende nach dem 31. Dezember 2006 bei der GmbH verblieben
und auch der Kläger seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zunächst dort weiter
erbrachte.
31 Soweit die Revisionsbegründung auf den vom Kläger erstinstanzlich gehaltenen Vortrag
verweist und diesen wiederholt, wird keine Verfahrensrüge erhoben. Daher kann der
Senat diesem vom Berufungsgericht nicht weiter behandelten Vorbringen erster Instanz
nicht nachgehen, er ist an die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gebunden (§ 559
Abs. 2 ZPO).
32 b) Im Übrigen ist der erstinstanzliche Vortrag des Klägers nicht geeignet, einen
gemeinschaftlichen Betrieb des Beklagten und des Streithelfers substanziiert darzustellen.
Selbst wenn der Beklagter und Streithelfer auch nach dem 1. Januar 2007 zunächst die
Betriebsstätte der GmbH wie die materiellen und immateriellen Betriebsmittel weiter
nutzten, reicht dies nicht für die Annahme eines gemeinsamen Betriebs aus, auf den der
Bereich „Anschlusswesen“ hätte übergegangen sein können. Es fehlt sowohl an dem
maßgeblichen Merkmal einer einheitlichen Leitung in personellen und sozialen
Angelegenheiten wie auch an einem von dem Beklagten und dem Streithelfer mit einem
gemeinsamen Betrieb verfolgten einheitlichen arbeitstechnischen Zweck. Solches war
beiden im November 2006 durch die Kommunalaufsicht verboten worden, die verfügt
hatte, dass die Abwasserentsorgung vom Beklagten, die Trinkwasserversorgung vom
Streithelfer ab 1. Januar 2007, und zwar getrennt voneinander, wahrzunehmen seien.
Entsprechend wurde der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft auch nicht von einem
einheitlichen Leitungsapparat gesteuert, sondern der Beklagte wies seine, der Streithelfer
die ihm zugeordneten, anderen Arbeitskräfte an (vgl. BAG 21. Februar 2001 - 7 ABR 9/00 -
Rn. 17 mwN, EzA BetrVG 1972 § 1 Nr. 11). An dieser Rechtslage hat sich durch die
Einfügung des § 1 Abs. 2 BetrVG mit der Reform vom 25. September 2001 nichts geändert
(vgl. Fitting BetrVG 25. Aufl. § 1 Rn. 85 mwN).
33 Konnte der Kläger Tatsachen für das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs nicht
substanziiert darlegen, so ist diese Frage nicht entscheidungserheblich. Daher erübrigte
sich auch ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV zur Frage, ob bei einem
Gemeinschaftsbetrieb zweier Betriebsübernehmer nach Europäischem Recht ein
Betriebsübergang angenommen werden kann.
34 III. Mangels eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und dem Beklagten ab dem
1. Januar 2007 gingen die vorsorglich ausgesprochenen Kündigungen des Beklagten von
Mai und Juni 2007 ins Leere, ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien konnte durch
diese nicht beendet werden. Die Kündigungsschutzanträge des Klägers sind unbegründet.
35 C. Nach § 97 ZPO hat der Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Hauck
Böck
Breinlinger
Eimer
Wroblewski