Urteil des BAG vom 26.03.2013

Berufsbildung - Angemessene Ausbildungsvergütung - Abgrenzung von industrieller und handwerklicher Fertigung

Siehe auch:
Urteil des 3. Senats vom 26.3.2013 - 3 AZR 101/11 -
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 26.3.2013, 3 AZR 89/11
Berufsbildung - Angemessene Ausbildungsvergütung - Abgrenzung von industrieller und
handwerklicher Fertigung
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Sachsen-Anhalt vom 30. November 2010 - 6 Sa 66/10 - wird
zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger die Zahlung einer höheren
Ausbildungsvergütung verlangen kann.
2 Der Kläger wurde in der Zeit vom 1. August 2005 bis zum 31. Januar 2009 im Betrieb der
Beklagten in L zum Konstruktionsmechaniker, Fachrichtung Stahl- und Metallbau,
ausgebildet. Die Beklagte stellt dort mit etwa 400 überwiegend in der Produktion
beschäftigten Arbeitnehmern Spezialtankfahrzeuge für die Chemie-, Lebensmittel- und
Mineralölindustrie her. Darüber hinaus produziert sie dort Silo-, Tank- und
Gaseisenbahnwaggons sowie Container aus Aluminium und Edelstahl. Die Fahrzeuge
werden nahezu ausschließlich auftragsbezogen nach den Bedürfnissen der Kunden
konstruiert und hergestellt. Die Beklagte verfügt daneben über eine Betriebsstätte an ihrem
Hauptsitz in W, in der etwa 300 Arbeitnehmer überwiegend in der Verwaltung beschäftigt
sind. Die Beklagte stellt jährlich ca. 1.200 Fahrzeuge her und erwirtschaftete im Jahr 2004
einen Umsatz iHv. etwa 115 Mio. Euro; im Jahr 2006 belief sich der Umsatz auf
160 Mio. Euro. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden.
3 Dem Ausbildungsverhältnis der Parteien lag der Berufsausbildungsvertrag vom 10. Juni
2005 zugrunde, der ua. bestimmt, dass der Ausbildende dem Auszubildenden eine
Vergütung zahlt, die monatlich 310,00 Euro brutto im ersten, 340,00 Euro brutto im zweiten,
390,00 Euro brutto im dritten und 400,00 Euro brutto im vierten Ausbildungsjahr beträgt.
4 Die zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt e.V. und der
IG Metall-Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt abgeschlossenen
Tarifverträge über Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen der Metall- und
Elektroindustrie in Sachsen-Anhalt (im Folgenden: ETV-Metall) sahen im
streitgegenständlichen Zeitraum eine monatliche Ausbildungsvergütung iHv. 647,00 Euro
brutto im ersten, 725,00 Euro bzw. 755,00 Euro brutto im zweiten, 820,00 Euro bzw.
834,00 Euro brutto im dritten und 893,00 Euro bzw. 937,33 Euro brutto im vierten
Ausbildungsjahr vor. Nach dem von den Landesinnungsverbänden und der CGM
abgeschlossenen Tarifvertrag über Ausbildungsvergütungen für das Karosserie- und
Fahrzeugbauerhandwerk in den Ländern Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und
Thüringen vom 6. Mai 2004 (im Folgenden: TV-Fahrzeugbauerhandwerk) betrug die
monatliche Ausbildungsvergütung 250,00 Euro brutto im ersten, 276,00 Euro brutto im
zweiten, 327,00 Euro brutto im dritten und 368,00 Euro brutto im vierten Ausbildungsjahr.
5 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die vereinbarte Ausbildungsvergütung sei nicht
angemessen iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG, da sie die tarifliche Ausbildungsvergütung nach
dem ETV-Metall um mehr als 20 vH unterschreite. Die sich während der Dauer seiner
Ausbildung ergebende Differenz zwischen der vereinbarten Ausbildungsvergütung und der
tariflichen nach dem ETV-Metall belaufe sich auf insgesamt 15.859,36 Euro brutto. Der
ETV-Metall sei der einschlägige Tarifvertrag für die Beurteilung der Angemessenheit der
Ausbildungsvergütung. Der von der Beklagten unterhaltene Betrieb sei der Metallindustrie
zuzurechnen und unterfalle deshalb dem fachlichen Geltungsbereich des ETV-Metall. Die
Beklagte stelle ihre Produkte industriell unter Nutzung von Maschinen und mit klassischer
Arbeitsteilung her und sei kein Unternehmen des Spezialfahrzeugbauhandwerks.
6 Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.859,36 Euro nebst Zinsen iHv. fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 3. Juni 2009 zu zahlen.
7 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die
vereinbarte Ausbildungsvergütung sei angemessen iSd. § 17 Abs. 1 BBiG. Sie habe sich
an dem TV-Fahrzeugbauerhandwerk vom 6. Mai 2004 orientiert und die danach
vorgesehene Ausbildungsvergütung leicht erhöht. Ihr Betrieb unterfalle dem fachlichen
Geltungsbereich des TV-Fahrzeugbauerhandwerk, da es sich um einen Handwerksbetrieb
und nicht um einen Industriebetrieb handele.
8 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung
des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter. Die
Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein weiterer Vergütungsanspruch nach § 17
Abs. 1 Satz 1 BBiG zu. Die dem Kläger von der Beklagten gewährte
Ausbildungsvergütung ist nicht unangemessen.
10 1. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG haben Auszubildende Anspruch auf eine angemessene
Vergütung. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG ist - wie schon die Vorgängernorm in § 10 Abs. 1
Satz 1 BBiG in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung (aF) - nur eine
Rahmenvorschrift und legt den Maßstab für die Angemessenheit der
Ausbildungsvergütung nicht selbst fest (BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 32,
BAGE 125, 285; vgl. auch BT-Drucks. V/4260 S. 9). Bei fehlender Tarifbindung ist es
Aufgabe der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung zu vereinbaren. Sie haben dabei
einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich nur darauf, ob die vereinbarte
Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die als noch angemessen anzusehen ist. Ob die
Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter
Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Maßgeblich
dafür ist die Verkehrsanschauung (BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 33 mwN,
aaO).
11 a) Wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung sind die einschlägigen
Tarifverträge. Bei ihnen ist anzunehmen, dass das Ergebnis der Tarifverhandlungen die
Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt. Eine Ausbildungsvergütung, die sich
an einem entsprechenden Tarifvertrag ausrichtet, gilt deswegen stets als angemessen
(BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 34, BAGE 125, 285; 15. Dezember 2005 -
6 AZR 224/05 - Rn. 11 f., AP BBiG § 10 Nr. 15 = EzA BBiG § 10 Nr. 11; 8. Mai 2003 -
6 AZR 191/02 - zu II 2 der Gründe, AP BBiG § 10 Nr. 14 = EzA BBiG § 10 Nr. 10). Eine
Ausbildungsvergütung ist in der Regel nicht angemessen iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG,
wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als
20 vH unterschreitet (BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - aaO).
12 Auch bei nicht tarifgebundenen Parteien ist es sachgerecht, vorrangig Tarifverträge als
Vergleichsmaßstab heranzuziehen und nicht etwaige Empfehlungen der Kammern und
Innungen. Diese sind nicht von Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite
ausgehandelt und bieten damit nicht die gleiche Gewähr für die angemessene
Berücksichtigung der Interessen beider Seiten wie Tarifverträge (BAG 15. Dezember 2005
- 6 AZR 224/05 - Rn. 13, AP BBiG § 10 Nr. 15 = EzA BBiG § 10 Nr. 11). Nur wenn tarifliche
Regelungen fehlen, kann auf branchenübliche Sätze abgestellt oder eine der
Verkehrsauffassung des betreffenden Gewerbezweigs entsprechende Vergütung
zugrunde gelegt werden. In diesem Fall kann auf die Empfehlungen der Kammern oder
Handwerksinnungen zurückgegriffen werden (BAG 15. Dezember 2005 - 6 AZR 224/05 -
Rn. 12, aaO).
13 Die einschlägige tarifliche Vergütung bestimmt sich nicht danach, für welchen
Ausbildungsberuf die Ausbildung erfolgt. Entscheidend ist die fachliche Zuordnung des
Ausbildungsbetriebs (vgl. BAG 15. Dezember 2005 - 6 AZR 224/05 - AP BBiG § 10 Nr. 15
= EzA BBiG § 10 Nr. 11).
14 b) Der Auszubildende trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die vereinbarte
Ausbildungsvergütung unangemessen ist. Er genügt seiner Darlegungslast regelmäßig
damit, dass er sich auf die einschlägige tarifliche Vergütung - oder falls es eine solche
nicht gibt - auf Empfehlungen von Kammern und Innungen stützt und darlegt, dass die ihm
gezahlte Vergütung um mehr als 20 vH darunter liegt (vgl. BAG 19. Februar 2008 - 9 AZR
1091/06 - Rn. 35, BAGE 126, 12; 25. Juli 2002 - 6 AZR 311/00 - zu I 4 der Gründe, AP
BBiG § 10 Nr. 11 = EzA BBiG § 10 Nr. 9).
15 2. Danach ist die von der Beklagten gezahlte Ausbildungsvergütung nicht unangemessen.
Sie unterschreitet die in dem TV-Fahrzeugbauerhandwerk bestimmte
Ausbildungsvergütung nicht um mehr als 20 vH, sondern übersteigt diese. Für die Frage
der Angemessenheit der vereinbarten Ausbildungsvergütung iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG
ist - entgegen der Auffassung der Revision - auf den TV-Fahrzeugbauerhandwerk und
nicht auf den ETV-Metall abzustellen. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der
Ausbildungsbetrieb weise handwerkliche Elemente auf. Der Kläger habe nicht
hinreichend dargelegt, dass die Beklagte einen Industriebetrieb führe. Diese Würdigung
weist keine revisiblen Rechtsfehler auf.
16 a) Die Frage, ob ein Betrieb ein Handwerksbetrieb oder ein Industriebetrieb ist, kann nur
nach dem Gesamtbild des Betriebs beantwortet werden (vgl. BAG 27. Juni 1984 - 5 AZR
25/83 - zu II 2 a der Gründe). Die Abgrenzung hat nicht in erster Linie nach
gewerberechtlichen, handelsrechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Kriterien zu
erfolgen, sondern vorrangig danach, ob die überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer im
Betrieb eine handwerkliche oder nicht handwerkliche ist (vgl. BAG 11. März 1981 - 4 AZR
1022/78 - BAGE 35, 133, 137). Deshalb ist von einem Handwerksbetrieb nicht schon dann
auszugehen, wenn der Gewerbebetrieb in die Handwerksrolle eingetragen ist. Zwar stellt
die Eintragung in die Handwerksrolle, insbesondere wenn sie mit Zustimmung der
Industrie- und Handelskammer erfolgt ist, ein wesentliches Kriterium für die
Handwerkseigenschaft dar. Der jeweilige Betrieb muss aber nicht nur formell, sondern
auch materiell den Anforderungen eines Handwerksbetriebs entsprechen (vgl. BAG
27. Juni 1984 - 5 AZR 25/83 - zu II 2 c der Gründe). Dafür ist entscheidend, dass die
Handfertigkeit der am Produktionsprozess beteiligten Mitarbeiter prägend für die
Produktherstellung ist, die dabei eingesetzten Maschinen und technischen Hilfsmittel nur
der Erleichterung der händischen Tätigkeit, dh. der Unterstützung der Handfertigung,
dienen und durch ihren Einsatz nicht wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des
Handwerks entbehrlich werden. Der Handwerksbetrieb zeichnet sich gegenüber dem
Industriebetrieb dadurch aus, dass die Produktion von dem Können sowie den
Fertigkeiten zumindest einer Vielzahl der beschäftigten Arbeitnehmer und nicht von dem
Einsatz der solche Arbeitnehmer ersetzenden Maschinen abhängt und die Arbeitsteilung
nicht so weit fortgeschritten ist, dass jede einzelne Arbeitskraft nur bestimmte - in der
Regel immer wiederkehrende - und eng begrenzte Teilarbeiten auszuführen hat, wie dies
in einem Industriebetrieb der Fall ist. Für eine handwerksmäßige Betriebsweise spricht es
daher, wenn überwiegend fachlich qualifizierte, handwerklich ausgebildete Arbeitskräfte
beschäftigt werden (vgl. BAG 27. Juni 1984 - 5 AZR 25/83 - zu II 2 g der Gründe).
Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die technische Entwicklung dazu
geführt hat, dass auch Handwerksbetriebe, um wettbewerbsfähig bleiben zu können, in
zunehmendem Maße auf die Verwendung von Maschinen und vorgefertigtem Material
angewiesen sind (vgl. BVerwG 1. April 2004 - 6 B 5.04 - GewArch 2004, 488; Günther
GewArch 2012, 16 mwN). Die Nutzung von technischen Hilfsmitteln spricht daher nicht
zwingend für einen Industriebetrieb und gegen einen Handwerksbetrieb. Erst wenn die
Technisierung zur Folge hat, dass wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des
betreffenden Handwerks durch den Einsatz von Maschinen entbehrlich werden und kein
Raum mehr für das handwerkliche Können bleibt, spricht dies gegen eine
handwerksmäßige Betriebsform und für einen Industriebetrieb (vgl. BAG 27. Juni 1984 -
5 AZR 25/83 - zu II 2 d der Gründe). Steht das handwerkliche Element im Vordergrund,
liegt auch dann ein Handwerksbetrieb vor, wenn es sich um einen umsatz- und
personalstarken Betrieb handelt (sog. Betrieb des „Großhandwerks“). Auch eine
auftragsbezogene Produktion von Waren für bestimmte Kunden spricht für einen
Handwerksbetrieb (BAG 11. März 1981 - 4 AZR 1022/78 - aaO; 2. November 1960 - 1 AZR
251/58 - AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 8).
17 Die Beurteilung der Frage, ob ein Betrieb dem Handwerk zuzuordnen ist oder ob es sich
um einen Industriebetrieb handelt, obliegt in erster Linie den Gerichten der
Tatsacheninstanzen. Ihnen kommt insoweit ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer
eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt (BAG 13. April 2011 -
10 AZR 838/09 - Rn. 23, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 330).
18 b) Dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung hält die Würdigung des
Landesarbeitsgerichts stand.
19 aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Ausbildungsbetrieb weise -
unstreitig - handwerkliche Elemente auf. Aus dem Vortrag des Klägers lasse sich nicht
ableiten, dass eine industrielle Fertigung im Vordergrund stehe. Angesichts des
detaillierten Sachvortrags der Beklagten zu den Fertigungsvorgängen hinsichtlich der von
ihr überwiegend hergestellten Tank- und Silofahrzeuge für den Straßenverkehr hätte es
dem Kläger oblegen, die von ihm behauptete Fließbandproduktion detailliert darzulegen.
Sein Vortrag zur Vorratsmontage von Containern stehe dem Vorbringen der Beklagten, es
würden keine Containerfahrzeuge ohne Kundenauftrag gefertigt, nicht entgegen. Der
Umstand, dass die Beklagte, um bei einem eingehenden Auftrag kurzfristig reagieren zu
können, bestimmte Teile bereits vorfertigen lasse, gebe der Herstellung der
Spezialfahrzeuge noch kein industrielles Gepräge. Das folge auch nicht aus dem Einsatz
von Schweißautomaten und -robotern. Auch insoweit habe der Kläger nicht substantiiert
darzulegen vermocht, dass dadurch die von ihm eingeräumten handwerklichen Elemente
nicht mehr die Produktion individuell ausgerüsteter Fahrzeuge nach Wunsch des
einzelnen Kunden präge. Bei der Herstellung von mehr als 1.000 Fahrzeugen pro Jahr sei
der Einsatz dieser Maschinen angesichts der Art des Produktes kein Indiz für eine
industrielle Fertigung, zumal die Beklagte darauf hingewiesen habe, dass kein Fahrzeug
ohne konkreten Kundenauftrag gefertigt werde. Auch die Unterhaltung einer eigenen
Reparaturabteilung, in der die produzierten Fahrzeuge sowohl in Stand gesetzt als auch
nach Kundenauftrag modernisiert und umgebaut werden, stehe der Annahme, der Betrieb
werde durch eine industrielle Fahrzeugproduktion geprägt, entgegen. Schließlich fehle
substantiierter Sachvortrag des Klägers zum Einsatz der gewerblichen Arbeitnehmer in
Form einer arbeitsteiligen Arbeit. Der Kläger sei auch dem Vortrag der Beklagten, sie
setze überwiegend ausgebildete Schlosser und Schweißer ein, nicht entgegen getreten.
Es sei nicht ausreichend, wenn der Kläger die Voraussetzungen für die Zuordnung des
Betriebs zum Fahrzeugbauerhandwerk bestreite; vielmehr habe er Tatsachen vorzutragen,
aus denen sich die von ihm behauptete Zuordnung zur Metallindustrie ergebe. Daran fehle
es.
20 bb) Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das
Landesarbeitsgericht ist von den zutreffenden Begriffen des Industrie- und
Handwerksbetriebs ausgegangen. Es hat bei seiner Subsumtion den Sachvortrag der
Parteien vollständig berücksichtigt und den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum
eingehalten. Seine Würdigung, der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt, dass die
Beklagte einen Industriebetrieb führe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Revisible Rechtsfehler werden von der Revision nicht aufgezeigt und sind auch sonst
nicht ersichtlich.
21 (1) Der Kläger hat in der Revision nicht aufgezeigt, dass das Landesarbeitsgericht seinen
Sachvortrag zum Einsatz von Maschinen und zur Arbeitsteilung im Betrieb der Beklagten
nicht oder unzureichend berücksichtigt hat. Er hat nicht geltend gemacht, substantiierten
Sachvortrag dazu gehalten zu haben, dass die Arbeitsteilung im Betrieb der Beklagten so
weit fortgeschritten ist, dass die Arbeitskräfte regelmäßig nur bestimmte, immer
wiederkehrende und eng begrenzte Teilarbeiten auszuführen haben. Er hat sich insoweit
auf eine abteilungsbezogene Produktion und einen fehlenden abteilungsübergreifenden
Personaleinsatz berufen. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die Arbeitsteilung
so ausgeprägt ist, dass die abteilungsbezogen beschäftigten Mitarbeiter nur bestimmte,
regelmäßig wiederkehrende und begrenzte Teilarbeiten auszuführen haben. Auch unter
Berücksichtigung der Auffassung des Klägers, die Konstruktion und Fertigung der
Fahrzeuge nach einem individuell gestalteten Kundenauftrag sei nicht
handwerksspezifisch, sondern werde auch in Unternehmen industrieller Prägung
praktiziert, erscheint die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht rechtsfehlerhaft. Die
auftragsbezogene Fertigung ist für sich allein kein für das Vorliegen eines
Handwerksbetriebs ausschlaggebendes Kriterium. Vielmehr ist sie - wie vom
Landesarbeitsgericht angenommen - ein in die Würdigung einzustellender Gesichtspunkt,
der jedenfalls nicht charakteristisch für einen Industriebetrieb ist. Das Landesarbeitsgericht
hat auch zu Recht erkannt, dass der beträchtliche Jahresumsatz und die Betriebsgröße
sowie die Zahl der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer nicht maßgeblich für
einen Industriebetrieb und gegen einen Handwerksbetrieb sprechen.
22 (2) Entgegen der Auffassung der Revision musste das Landesarbeitsgericht aus dem
Vortrag des Klägers, die Geschäftsführer der Beklagten hätten mangels handwerklicher
Fähigkeiten weder die Möglichkeit noch seien sie in der Lage, im Betrieb persönlich
mitzuarbeiten und diesen im handwerklich-fachlichen Bereich zu überwachen, keine
abweichenden Schlüsse ziehen. Mit der Novellierung der Handwerksordnung durch das
Dritte Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher
Vorschriften vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2934) wurde das Betriebsinhaberprinzip
durch das Betriebsleiterprinzip ersetzt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 HandwO kann die fachliche
Betriebsleitung nunmehr auf einen Angestellten übertragen werden, sofern dieser die
Befähigungsvoraussetzungen erfüllt (vgl. zum Ganzen Günther GewArch 2012, 16, 18 f.
mwN). Dass die Geschäftsführer der Beklagten ggf. mangels eigener handwerklicher
Fähigkeiten nicht persönlich im Betrieb mitarbeiten und diesen nicht in fachlich-
handwerklicher Sicht leiten sowie überwachen können, spricht daher nicht für das
Vorliegen eines Industriebetriebs. Da die Beklagte in die Handwerksrolle eingetragen ist
und eine Eintragung in die Handwerksrolle nur erfolgt, wenn der Betriebsleiter seine
Befähigung durch die bestandene Meisterprüfung (vgl. § 7 Abs. 1a HandwO), durch
bestandene, der Meisterprüfung gleichwertige Prüfungen (vgl. § 7 Abs. 2 und Abs. 9
HandwO) oder aufgrund von Ausübungsberechtigungen, Ausnahmebewilligungen und
sonstigen Bescheinigungen nach Maßgabe des § 7 Abs. 2a, Abs. 3 und Abs. 7 HandwO
nachgewiesen hat, ist davon auszugehen, dass die Beklagte über einen Betriebsleiter mit
der erforderlichen Befähigung verfügt. Gegenteiliges hat auch der Kläger nicht behauptet.
23 (3) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist auch nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil
die Beklagte nicht nur in die Handwerksrolle eingetragen, sondern auch Mitglied der IHK
ist. Gemäß § 2 Abs. 3 IHKG gehören juristische Personen, die in der Handwerksrolle
eingetragen sind, mit ihrem nicht handwerklichen oder nicht handwerksähnlichen
Betriebsteil der IHK an. Aus der Zugehörigkeit zur IHK kann auch nicht geschlossen
werden, dass in dem Betrieb der Beklagten die industrielle Fertigung überwiegt und das
handwerkliche Element von untergeordneter Bedeutung ist. Eine Beitragspflicht
gegenüber der IHK besteht gemäß § 3 Abs. 4 IHKG nur, wenn der Gewerbebetrieb der in
der Handwerksrolle eingetragenen juristischen Person nach Art und Umfang einen in
kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert und der Umsatz des nicht
handwerklichen oder handwerksähnlichen Betriebsteils 130.000,00 Euro übersteigt.
Angesichts eines von der Beklagten im Jahr 2006 erzielten Jahresumsatzes iHv. ca.
160 Mio. Euro ist die Überschreitung der Umsatzgrenze von 130.000,00 Euro, bezogen auf
den nicht handwerklichen oder nicht handwerksähnlichen Betriebsteil, ohne Aussagekraft.
24 3. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu
tragen.
Gräfl
Schlewing
Spinner
Lohre
C. Reiter