Urteil des BAG vom 13.02.2007

BAG (angebot, kläger, treu und glauben, zweck, sozialplan, arbeitnehmer, arbeitsverhältnis, arbeitgeber, anspruchsvoraussetzung, mitarbeiter)

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 13.2.2007, 1 AZR 163/06
Sozialplan - Gleichbehandlungsgrundsatz
Leitsätze
Die Betriebsparteien können den Anspruch auf eine Sozialplanabfindung im Falle einer vom Arbeitgeber
veranlassten Eigenkündigung des Arbeitnehmers an die Voraussetzung knüpfen, dass dem
Arbeitnehmer zuvor ein - unzumutbares - Arbeitsplatzangebot gemacht wurde.
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
München vom 19. Oktober 2005 - 5 Sa 383/05 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über einen Abfindungsanspruch aus einem Sozialplan.
2 Der am 11. Mai 1960 geborene Kläger war vom 1. April 1993 bis zum 31. März 2000 auf der
Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 29. Januar 1993 bei der Beklagten und deren
Rechtsvorgängerin, der W S Versicherungs-Gesellschaft, zuletzt im Servicezentrum M zu einem
Bruttomonatseinkommen von 2.808,02 Euro beschäftigt.
3 Die Unternehmen der W-Gruppe, zu denen auch die Beklagte zählte, bildeten jedenfalls ab 1995
mit den Unternehmen der D-Gruppe unter dem Dach einer Holding einen Konzern. Vor dem
Hintergrund von Umstrukturierungen und strategischer Neuausrichtung vereinbarte die Beklagte
mit dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat am 17. Mai 1999 einen
“Rahmeninteressenausgleich”. Dieser enthält ua. folgende Regelungen:
“1. Geltungsbereich
Dieser Rahmeninteressenausgleich gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ... wegen der
Maßnahmen im Zusammenhang mit der strategischen Neuausrichtung der Unternehmen. ...
2. Ziele und Strukturen
Kern der strategischen Neuausrichtung sind die weitere Umsetzung der Bildung von
Geschäftsfeldern (Zielgruppen) ... sowie die Nutzung von Synergien ... Der
Gesamtbetriebsrat nimmt dabei zur Kenntnis, dass damit eine Reduzierung von
Arbeitsplätzen verbunden ist.
Kernelemente der strategischen Neuausrichtung sind die höhere Kundenorientierung und ein
konsequentes Kostenmanagement mit folgenden Elementen:
Kundenorientierte Organisation
Neuer Marktauftritt
Opera/Kosten
Kompass
Profit Center Organisation
…”
4 Nach Nr. 7 des Rahmeninteressenausgleichs gilt zur Vermeidung oder Milderung möglicher
wirtschaftlicher Nachteile der “mit dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossene ... Sozialplan vom
heutigen Tage”. Der Sozialplan vom 17. Mai 1999 enthält ua. folgende Regelungen:
Ҥ 2 Geltungsbereich
Dieser Sozialplan findet Anwendung auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, soweit diese ab
1. Januar 1999 in einem ungekündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis gestanden haben.
...
§ 3 Nachteilsausgleich
1. Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis infolge der im
Rahmeninteressenausgleich vom heutigen Tage genannten unternehmerischen Maßnahmen
endet, sei es durch arbeitgeberseitige (Änderungs-)Kündigung, einen arbeitgeberseitig
veranlassten Aufhebungsvertrag oder durch Eigenkündigung nach Erhalt eines Angebots
eines unzumutbaren Arbeitsplatzes, erhalten Leistungen, deren Höhe sich entsprechend
nachfolgenden Regelungen ermittelt.
Gleichermaßen anspruchsberechtigt sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren
Arbeitsverhältnis durch betriebsbedingte Beendigungs-/Änderungs-Kündigung endet, auch
wenn der Beendigungsgrund nicht im Zusammenhang mit den im
Rahmeninteressenausgleich genannten unternehmerischen Maßnahmen steht.
...
§ 4 Entfallen der Abfindung bei zumutbarem Arbeitsplatzangebot
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das Angebot eines zumutbaren neuen Arbeitsplatzes
nicht annehmen und deren Arbeitsverhältnis deshalb endet, haben keinen Anspruch auf
Leistungen gemäß § 3.
Ein neuer Arbeitsplatz ist zumutbar, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
...
3. Regionale Zumutbarkeit
Die Entfernung zwischen bisherigem und neuem Arbeitsort darf höchstens 50 km betragen.
...
4. Formelle Zumutbarkeit
Diese ist gegeben, wenn die Unternehmen ein schriftliches Angebot für einen neuen
Arbeitsplatz unterbreitet haben, in dem
-
die von dem Stelleninhaber zu erfüllenden Aufgaben,
-
die gestellten besonderen Anforderungen,
-
die betriebliche Stellung,
-
die wesentlichen Arbeitsumstände,
-
die für den angebotenen Arbeitsplatz vorgesehene Vergütung sowie die vorgesehene
tarifliche Eingruppierung
angegeben werden.
§ 11 Inkrafttreten und Dauer
Dieser Sozialplan tritt mit seiner Unterzeichnung in Kraft.
Er ist erstmals zum 31.12.2005 kündbar.”
5 Auf einer Informationsveranstaltung am 26. und 27. Oktober 1999 teilte die Beklagte den
Arbeitnehmern des Servicezentrums M mit, dieses solle zum 31. Dezember 2001 geschlossen
werden; seine Aufgaben würden auf die Zentren H, K und W verlagert. Den Mitarbeitern wurde
eine Weiterbeschäftigung in einem dieser Zentren zugesagt. In einem an alle Mitarbeiter des
Servicezentrums gerichteten Schreiben vom 3. Dezember 1999 erläuterte die Beklagte die
personellen Auswirkungen der geplanten Maßnahmen. In dem Schreiben heißt es:
“Welche Mitarbeiter von welchen personellen Maßnahmen zu welchem Zeitpunkt persönlich
betroffen sein werden, hängt auch vom Ergebnis unserer noch bevorstehenden
Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat ... ab. ... Nach unseren Planungen sollen zum
31.12.2001 sämtliche Arbeiten des Servicezentrums auf die anderen Standorte verlagert
sein. Dies wird nicht auf einmal, sondern nur sukzessive möglich sein. ... Dies müssen wir
u.a. dadurch steuern, dass wir die Zeitpunkte des Wechsels von Mitarbeitern an andere
Standorte selbst bestimmen. (Wir weisen darauf hin), dass ein Wechsel eines Mitarbeiters
vor dem von uns bestimmten Zeitpunkt nicht in unserem Interesse wäre und daher zum
Verlust der Ansprüche aus dem Sozialplan führen würde.”
6 Mit Schreiben vom 17. Februar 2000 bat der Kläger um Aufhebung seines Arbeitsvertrags zum
1. April 2000. Mit Schreiben vom selben Tag teilte ihm die Beklagte mit, sie habe zurzeit keinen
Grund, ihm einen Aufhebungsvertrag anzubieten, und brauche ihn, um ihren Geschäftsbetrieb
aufrechterhalten zu können. Daraufhin kündigte der Kläger mit Schreiben vom 18. Februar 2000
sein Arbeitsverhältnis zum 31. März 2000. Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 21. Februar
2000 den Eingang des Kündigungsschreibens und nahm die Beendigung zum 31. März 2000 zur
Kenntnis.
7 Am 12. Mai 2000 schlossen die Beklagte und der bei ihr gebildete Gesamtbetriebsrat einen
Teilinteressenausgleich “Opera” ua. hinsichtlich der Schließung des Servicezentrums M.
8 Mit der am 20. April 2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Zahlung
einer Abfindung iHv. 19.572,56 Euro nebst Zinsen verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, sein
Arbeitsverhältnis sei auf Grund arbeitgeberseitig veranlasster Eigenkündigung beendet worden.
Die Beklagte habe mit den auf der Informationsveranstaltung vom 26./27. Oktober 1999
gemachten Zusagen einer Weiterbeschäftigung auch bereits einen unzumutbaren Arbeitsplatz
angeboten. Ein weiteres Angebot habe er nicht abwarten müssen. Die in Betracht kommenden
Arbeitsplätze seien angesichts der Entfernung von weit mehr als 50 km alle unzumutbar gewesen.
Im Übrigen verstoße der Sozialplan, soweit er einen Abfindungsanspruch im Falle einer
Eigenkündigung anders als beim Aufhebungsvertrag zusätzlich von dem Erhalt eines
unzumutbaren Arbeitsplatzes abhängig mache, gegen den nach § 75 BetrVG zu beachtenden
Gleichbehandlungsgrundsatz.
9 Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 19.572,56 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 4 % seit dem 1. April
2000 zu zahlen.
10 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Ein Abfindungsanspruch des Klägers sei nicht
entstanden. Im Falle einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers sei nach dem Sozialplan das
vorherige Angebot eines unzumutbaren Arbeitsplatzes notwendige Anspruchsvoraussetzung.
Daran fehle es. Außerdem sei die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht von ihr veranlasst;
sie habe vielmehr durch die Ablehnung des Aufhebungsvertrags deutlich gemacht, eine
Vertragsbeendigung zu diesem Zeitpunkt nicht zu wollen. Sie habe auf Grund des weiteren
Beschäftigungsbedarfs einen sachlichen Grund für diese Ablehnung gehabt. Zumindest sei ein
entstandener Abfindungsanspruch nach § 24 ihres Haustarifvertrags (MTV) wegen Versäumung
der darin geregelten Ausschlussfrist verfallen.
11 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung
zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die
Klage weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
12 Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen habe die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger
hat keinen Abfindungsanspruch nach § 3 Nr. 1 des Sozialplans. Sein Arbeitsverhältnis hat durch
keinen der in dieser Bestimmung genannten Tatbestände geendet. Der Beklagten ist es nicht
verwehrt, sich hierauf zu berufen.
13 I. Nach § 3 Nr. 1 des Sozialplans entsteht im Falle einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers ein
Abfindungsanspruch erst, wenn ihm der Arbeitgeber zuvor einen unzumutbaren Arbeitsplatz
angeboten hat. Diese Regelung ist wirksam. Sie verstößt nicht gegen den auch für
Betriebsparteien geltenden Gleichbehandlungsgrundsatz.
14 1. Die Betriebsparteien haben bei Sozialplänen - wie auch sonst bei Betriebsvereinbarungen - den
betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu
beachten, dem wiederum der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde liegt.
Dieser zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten
sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Maßgeblich für das
Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher Gruppen rechtfertigenden Sachgrunds ist vor allem
der mit der Regelung verfolgte Zweck (vgl. BAG 22. März 2005 - 1 AZR 49/04 - BAGE 114, 179,
zu 3 a der Gründe; 31. Mai 2005 - 1 AZR 254/04 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 175 = EzA BetrVG
2001 § 112 Nr. 14, zu II 1 b aa der Gründe, auch zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen) .
Macht ein Sozialplan den Anspruch auf die Sozialplanabfindung allein von der rechtlichen
Beendigungsform des Arbeitsverhältnisses abhängig, ohne auf den Beendigungsgrund
abzustellen, erfolgt eine Gruppenbildung, welche die Anwendung des Gleichheitssatzes ermöglicht
und gebietet. So entspricht es ständiger Senatsrechtsprechung, dass Arbeitnehmer, die auf Grund
eines vom Arbeitgeber veranlassten Aufhebungsvertrags oder einer von ihm veranlassten
Eigenkündigung ausscheiden, grundsätzlich mit denjenigen gleich zu behandeln sind, deren
Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber gekündigt wird (26. Oktober 2004 - 1 AZR 503/03 - AP BetrVG
1972 § 112 Nr. 171 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 11, zu I 2 a der Gründe mwN) . Ursache für das
Ausscheiden muss die vom Arbeitgeber vorgenommene Betriebsänderung sein. Dies ist sie auch
dann, wenn der Arbeitgeber beim Arbeitnehmer im Hinblick auf eine konkret geplante
Betriebsänderung die berechtigte Annahme hervorgerufen hat, mit der eigenen Initiative zur
Kündigung des Arbeitsverhältnisses komme er einer sonst notwendig werdenden
betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers nur zuvor (BAG 22. Juli 2003 - 1 AZR 575/02 -
BAGE 107, 100 = AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 160 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 7, zu II 2 der
Gründe mwN) .
15 2. Die Betriebsparteien haben den Gleichbehandlungsgrundsatz beachtet. Sie haben durch die für
den Fall der Eigenkündigung vorgesehene zusätzliche Anspruchsvoraussetzung des vorherigen
Erhalts eines unzumutbaren Arbeitsplatzangebots zwar innerhalb dieses Kreises von
Arbeitnehmern eine weitere Gruppenbildung vorgenommen. Die damit verbundene
Ungleichbehandlung ist aber sachlich gerechtfertigt.
16 a) Arbeitnehmer, welche auf Veranlassung des Arbeitgebers eine Eigenkündigung vor Erhalt eines
unzumutbaren Änderungsangebots aussprechen, werden hinsichtlich der Sozialplanabfindung
schlechter behandelt als diejenigen, die in derselben Situation vom Arbeitgeber gekündigt werden
oder mit ihm einen Aufhebungsvertrag schließen.
oder mit ihm einen Aufhebungsvertrag schließen.
17 b) Diese Ungleichbehandlung ist nach Sinn und Zweck des Sozialplans sachlich gerechtfertigt. Die
zusätzliche Anspruchsvoraussetzung hat dabei eine mehrfache Funktion:
18 aa) Zum einen soll das Entstehen eines Abfindungsanspruchs in den Fällen verhindert werden, in
denen der Verlust des Arbeitsplatzes dadurch vermieden werden kann, dass dem Arbeitnehmer
ein zumutbarer anderer Arbeitsplatz angeboten wird. Der Wegfall des Abfindungsanspruchs bei
Ablehnung eines zumutbaren Arbeitsplatzangebots ist in § 4 Abs. 1 des Sozialplans ausdrücklich
geregelt. In § 3 Nr. 1 des Sozialplans wird - zugunsten des selbst kündigenden Arbeitnehmers -
typisierend unterstellt, dass das Angebot eines zumutbaren Arbeitsplatzes nicht (mehr) möglich
ist, wenn dem Arbeitnehmer bereits ein unzumutbares Angebot gemacht worden ist. Bereits dieser
Zweck ist grundsätzlich geeignet, die zusätzliche Anspruchsvoraussetzung im Falle der
Eigenkündigung des Arbeitnehmers zu rechtfertigen. Es entspricht Sinn und Zweck eines
Sozialplans, Abfindungsansprüche dann auszuschließen, wenn der Verlust des Arbeitsplatzes
vermieden werden kann. Dieser mit der zusätzlichen Anspruchsvoraussetzung verfolgte Zweck
entfällt allerdings in den Fällen, in denen zur Zeit der Eigenkündigung des Arbeitnehmers bereits
feststeht, dass ihm ein zumutbares Arbeitsplatzangebot gar nicht unterbreitet werden kann. In
einem solchen Fall lässt sich mit diesem Zweck die Versagung des Abfindungsanspruchs nicht
rechtfertigen (vgl. hierzu auch BAG 25. März 2003 - 1 AZR 169/02 - EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 6,
zu II 2 b cc der Gründe) . Das Landesarbeitsgericht hat zuverlässige Feststellungen darüber, ob
zum Zeitpunkt der Eigenkündigung des Klägers feststand, dass ihm ein zumutbarer Arbeitsplatz
nicht würde angeboten werden können, nicht getroffen. Dies kann jedoch dahinstehen, da
jedenfalls der weitere mit der zusätzlichen Anspruchsvoraussetzung verbundene Zweck die
Differenzierung rechtfertigt.
19 bb) Die zusätzliche Anspruchsvoraussetzung ist auch Ausdruck der Beurteilung der
Betriebsparteien, dass bei Arbeitnehmern, die ohne Einverständnis des Arbeitgebers und ohne das
Angebot eines - ggf. auch weiter entfernten - Arbeitsplatzes abzuwarten, ihr Arbeitsverhältnis
vorzeitig kündigen, davon ausgegangen werden kann, dass sie bereits eine neue zumutbare
Arbeitsstelle gefunden haben und damit keine oder nur geringe wirtschaftliche Nachteile erleiden
(vgl. BAG 9. November 1994 - 10 AZR 281/94 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 85 = EzA BetrVG 1972
§ 112 Nr. 78, zu II 2 b der Gründe) . Das rechtfertigt es, in diesen Fällen eine geringere Abfindung
oder auch den vollständigen Ausschluss eines Abfindungsanspruchs vorzusehen. Zweck eines
Sozialplans ist es gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, die den Arbeitnehmern durch die
Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder abzumildern (vgl.
etwa BAG 12. November 2002 - 1 AZR 58/02 - BAGE 103, 321 = AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 159
= EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 3, zu III 1 der Gründe mwN). Bei deren Einschätzung haben die
Betriebsparteien einen erheblichen Beurteilungs- und Ermessensspielraum (vgl. etwa BAG
24. August 2004 - 1 ABR 23/03 - BAGE 111, 335, zu III 2 c aa der Gründe mwN).
Dementsprechend durften sie vorliegend die typisierende Beurteilung vornehmen, dass den selbst
“vorzeitig” kündigenden Arbeitnehmer durch die Betriebsänderung keine oder sehr viel geringere
wirtschaftliche Nachteile drohen als den anderen Arbeitnehmern. Dem steht nicht entgegen, dass
auch Arbeitnehmer, die einen neuen Arbeitsplatz gefunden haben, wirtschaftliche Nachteile
erleiden können (vgl. etwa BAG 22. Juli 2003 - 1 AZR 575/02 - BAGE 107, 100, zu II 3 der Gründe
mwN). Es liegt im Ermessen der Betriebsparteien, inwieweit sie auch diese Nachteile ausgleichen
wollen.
20 cc) Ob durch die zusätzliche Anspruchsvoraussetzung auch ein Anreiz für die Arbeitnehmer
geschaffen werden sollte, ihr Arbeitsverhältnis nicht ohne Einverständnis des Arbeitgebers vor
dem aus betrieblicher Sicht gebotenen Beendigungstermin zu beenden, kann dahinstehen. In
einem solchen Fall hätte es der Arbeitgeber in der Hand, eine den betrieblichen Interessen
zuwiderlaufende Eigenkündigung des Arbeitnehmers durch den damit verbundenen Verlust des
Abfindungsanspruchs zu erschweren. Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dieses
Interesse des Arbeitgebers an der geordneten Weiterführung des Betriebs bis zu dessen
Schließung wiederholt als Rechtfertigungsgrund für die Versagung eines Abfindungsanspruchs im
Falle “vorzeitiger” Eigenkündigung des Arbeitnehmers anerkannt (vgl. 9. November 1994 - 10 AZR
281/94 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 85 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 78, zu II 2 a der Gründe;
19. Juli 1995 - 10 AZR 885/94 - BAGE 80, 286, zu III 3 a der Gründe; 11. Oktober 1995 - 10 AZR
100/95 -, zu II 2 d der Gründe) . Der vorliegende Fall erfordert keine Entscheidung, ob nach dem
Zweck eines Sozialplans ein solches betriebliches Interesse die Differenzierung rechtfertigt.
21 II. Der Kläger hat ein Angebot iSv. § 3 Nr. 1 des Sozialplans nicht erhalten.
22 1. Wie die Auslegung der Bestimmung ergibt, setzt sie ein hinreichend bestimmtes
Vertragsangebot voraus. Das allgemeine Inaussichtstellen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
genügt nicht.
23 a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Sozialpläne als
Betriebsvereinbarungen besonderer Art wegen ihrer aus § 77 Abs. 4 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 3
BetrVG folgenden normativen Wirkung wie Tarifverträge auszulegen. Auszugehen ist
dementsprechend zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber
hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von
besonderer Bedeutung sind ferner der Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der
Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag
gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten,
zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt
(22. November 2005 - 1 AZR 458/04 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 176, zu B II 1 der Gründe mwN)
.
24 b) Die an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung ergibt, dass ein Angebot iSd. § 3 Nr. 1 des
Sozialplans so bestimmt sein muss, dass es mit einem einfachen “Ja” angenommen werden
kann. Bereits der Wortlaut der Regelung lässt darauf schließen, dass die Betriebsparteien den
Begriff Angebot im Sinne des juristischen Sprachgebrauchs und damit iSv. § 145 BGB verwandt
haben. Dies folgt auch aus dem systematischen Zusammenhang. In § 4 Nr. 4 des Sozialplans
haben die Betriebsparteien definiert, welche Voraussetzungen ein Angebot formal erfüllen muss,
um zumutbar zu sein. Hierzu zählen die Schriftform und konkrete Inhaltsangaben zum neuen
Arbeitsplatz. Ein solches Verständnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Die
Zumutbarkeit eines Arbeitsplatzangebots kann jedenfalls vollständig nur geprüft werden, wenn es
konkret ist und sich auf einen bestimmten Arbeitsplatz bezieht.
25 2. Hiernach war die auf der Informationsveranstaltung vom 26./27. Oktober 1999 allen Mitarbeitern
gegebene Zusage einer Weiterbeschäftigung entgegen der Auffassung des Klägers kein Angebot
iSv. § 3 Nr. 1 des Sozialplans. In dieser Veranstaltung wurde dem Kläger kein bestimmter
Arbeitsplatz angeboten. Die in § 4 Nr. 4 des Sozialplans beschriebenen formellen
Voraussetzungen eines solchen Angebots waren nicht ansatzweise erfüllt. Im Übrigen wurde auch
durch das Schreiben der Beklagten vom 3. Dezember 1999 nochmals deutlich, dass von
konkreten Angeboten zur Weiterbeschäftigung bis dahin noch nicht gesprochen werden konnte.
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht etwa aus den Ausführungen
des Senats im Urteil vom 25. März 2003 (- 1 AZR 169/02 - EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 6). Der
vom Kläger hierzu angeführte Satz aus dem Urteil vom 25. März 2003 - “Das von der Beklagten
unterbreitete Weiterbeschäftigungsangebot hätte den Kläger deshalb nach § 3 Nr. 1 des
Sozialplans zu einer mit Abfindungsansprüchen verbundenen Eigenkündigung berechtigt” (aaO, zu
II 2 b bb der Gründe) - bedeutet, wie sich jedenfalls aus dem Gesamtzusammenhang der
Entscheidungsgründe eindeutig ergibt, nicht, dass der Senat bereits die generelle Zusage auf der
Informationsveranstaltung als konkretes Angebot iSv. § 3 Nr. 1 des Sozialplans angesehen hätte.
Der Senat hat im Urteil vom 25. März 2003 weiter ausgeführt: “Der Kläger musste auch nicht
zuwarten, bis ihm ein unzumutbares Angebot konkret unterbreitet würde. Weil alle
Arbeitsplatzangebote, die die Beklagte auf der Informationsveranstaltung als sicher in Aussicht
gestellt hatte, unzumutbar waren, konnte er nicht annehmen, dass ihm bei weiterem Zuwarten
möglicherweise doch noch ein zumutbarer Arbeitsplatz angeboten würde” (aaO, zu II 2 b cc der
Gründe). Dies zeigt, dass der Senat nicht davon ausgegangen ist, es liege bereits ein Angebot iSv.
§ 3 Nr. 1 des Sozialplans vor. Im Übrigen ging es im Urteil vom 25. März 2003 nicht um die Frage,
wie lange ein Arbeitnehmer mit einer Eigenkündigung warten muss, um nicht des
Abfindungsanspruchs verlustig zu gehen, sondern darum, ob der dort geschlossene
Aufhebungsvertrag durch die Beklagte veranlasst war.
26 III. Der Beklagten ist es nicht etwa nach Treu und Glauben verwehrt, sich darauf zu berufen, dass
der Kläger “vorzeitig” gekündigt und ein Arbeitsplatzangebot nicht abgewartet hat. Sie war auch
nicht verpflichtet, dem Wunsch des Klägers nach dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu
entsprechen. Ihre Ablehnung entsprang nicht unsachlichen Beweggründen, sondern entsprach
ihrem berechtigten Interesse daran, das Kundenzentrum M bis zu dessen Schließung geordnet
weiterzuführen.
27 IV. Auf die Frage der Anwendbarkeit der Verfallfrist des § 24 MTV kam es nicht an.
Schmidt
Kreft
Linsenmaier
Federlin
Spoo