Urteil des BAG vom 25.02.2009

BAG: Eingruppierung eines Krankenpflegers nach MTV Pro Seniore, bewusste Tariflücke, vergütung, pflegepersonal, tarifvertrag, bewährung, gewerkschaft, absicht, vergleich, kauf

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 25.2.2009, 4 AZR 964/07
Eingruppierung eines Krankenpflegers nach MTV Pro Seniore - bewusste Tariflücke
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 19. Oktober 2007 - 8 Sa 1559/07 - insoweit
aufgehoben, als es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Berlin vom 4. Mai 2007 - 77 Ca 20225/06 - hinsichtlich der
Verurteilung in I. und II. zurückgewiesen hat.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom
4. Mai 2007 - 77 Ca 20225/06 - in I. und II. abgeändert und die Klage auch
insoweit abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Höhe der Vergütung, die der Kläger nach einem bei der Beklagten
geltenden Tarifvertrag zu beanspruchen hat.
2 Der Kläger ist seit dem 10. Mai 1994 staatlich anerkannter Krankenpfleger. Die Beklagte betreibt in
Berlin ein Krankenheim. Der Kläger wurde von ihr auf Grundlage eines am 25. Januar 2001
geschlossenen Arbeitsvertrages ab dem 20. Dezember 2000 als Krankenpfleger eingestellt und
entsprechend beschäftigt. Als Arbeitsentgelt wurde eine monatliche Vergütung iHv. 3.978,00 DM (=
2.033,92 Euro) vereinbart.
3 Am 24. September 2004 unterzeichneten die Pro Seniore Consulting und Conception für
Senioreneinrichtungen AG (Pro Seniore AG) und die Gewerkschaft ver.di verschiedene
Tarifverträge, darunter den Manteltarifvertrag (MTV) mit den Anlagen A und B, den Tarifvertrag über
eine Zuwendung und den Vergütungstarifvertrag Nr. 1 (VTV). Der betriebliche Geltungsbereich der
Tarifverträge wurde - in teilweise voneinander abweichenden Formulierungen - auf die in der
Anlage A zum MTV auf die im Einzelnen aufgeführten 21 zum Konzern der Pro Seniore AG
gehörenden Seniorenbetriebsgesellschaften mit insgesamt ebenfalls aufgeführten 96 „Residenzen“
(Einrichtungen) erstreckt. Die Beklagte betreibt eines von drei Krankenheimen, die in der Anlage A
zum MTV aufgeführt sind.
4 Der Kläger ist seit Oktober 2004 Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Im Monat Januar 2005 erhielt er
eine Grundvergütung iHv. 2.033,92 Euro. Mit Schreiben vom 17. Juni 2005 machte der Kläger
rückwirkend ab dem 1. Januar 2005 Vergütung nach VergGr. Ap Va (Fallgr. 3, Stufe 4) der
Anlage B zum MTV geltend. Hierauf reagierte die Beklagte nicht.
5 Mit seiner Klage verlangt der Kläger unter Einrechnung einer Bewährungszeit seit Beginn seiner
Beschäftigung die Feststellung, dass er in die VergGr. Ap V eingruppiert sei, und begehrt die sich
hieraus ergebende Differenzvergütung sowie ein Urlaubsgeld. Er sei grundsätzlich in die
VergGr. Ap IV (Fallgr. 1) der Anlage B - Pflegepersonal - zum MTV eingruppiert. Nach zweijähriger
Bewährungszeit sei er ab dem 20. Dezember 2002 in die VergGr. Ap V (Fallgr. 1) der Anlage B zum
MTV und nach weiterer vierjähriger Bewährungszeit in die VergGr. Ap Va der Anlage B zum MTV
eingruppiert. Die erforderlichen Bewährungszeiten habe er nicht erst ab Inkrafttreten des MTV
zurückgelegt. Soweit der MTV nur die Eingruppierung von Krankenpflegern regele, die als
Altenpfleger beschäftigt würden, bestehe eine unbewusste Tariflücke. Krankenpfleger seien als
Pflegefachkräfte wie Altenpfleger eingruppiert, auch wenn sie in der Tätigkeit eines Krankenpflegers
eingesetzt würden.
6 Der Kläger hat soweit für die Revision von Bedeutung, zuletzt noch beantragt ,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.598,89 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 99,21 Euro seit dem 7. Dezember 2005,
aus 99,21 Euro seit dem 7. Januar 2006,
aus 99,21 Euro seit dem 7. Februar 2006,
aus 85,32 Euro seit dem 7. März 2006,
aus 99,21 Euro seit dem 7. April 2006,
aus 99,21 Euro seit dem 9. Mai 2006,
aus 99,21 Euro seit dem 8. Juni 2006,
aus 99,21 Euro seit dem 7. Juli 2006,
aus 99,21 Euro seit dem 8. August 2006,
aus 99,21 Euro seit dem 7. September 2006,
aus 99,21 Euro seit dem 7. Oktober 2006,
aus 99,21 Euro seit dem 7. November 2006,
aus 99,21 Euro seit dem 7. Dezember 2006,
aus 140,63 Euro seit dem 8. Januar 2007,
aus 250,32 Euro seit dem 7. Februar 2007,
aus 250,32 Euro seit dem 8. März 2007,
aus 340,89 Euro seit dem 10. April 2007 und
aus 340,89 Euro seit dem 8. Mai 2007
zu zahlen,
2. festzustellen, dass der Kläger seit dem 1. November 2005 nach Vergütungsgruppe Ap
IV und seit dem 1. Januar 2007 Vergütungsgruppe Ap V der Anlage B -
Pflegepersonal - zum Manteltarifvertrag zwischen der Pro Seniore Consulting und
Conception für Senioreneinrichtungen AG und der Vereinten
Dienstleistungsgewerkschaft vom 24. September 2004 zu vergüten ist.
7 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich zuletzt nur noch darauf berufen, der
Kläger habe nicht dargetan, dass er als Altenpfleger beschäftigt werde. Arbeitnehmer, die wie der
Kläger als Krankenpfleger beschäftigt seien, würden von der tariflichen Vergütungsordnung nicht
erfasst. Die Vergütungsordnung gelte nur für Krankenpfleger, die als Altenpfleger beschäftigt seien.
Eine unbewusste Tariflücke liege nicht vor. Die Tarifvertragsparteien hätten nicht die Absicht
gehabt, eine abschließende und umfassende Eingruppierungsregelung für alle
Beschäftigtengruppen und alle ausgeübten Tätigkeiten zu treffen. Eine solche Verpflichtung bestehe
Beschäftigtengruppen und alle ausgeübten Tätigkeiten zu treffen. Eine solche Verpflichtung bestehe
auch nicht.
8 Das Arbeitsgericht hat unter Abweisung der Klage im Übrigen festgestellt, dass der Kläger seit dem
1. November 2005 nach der VergGr. IV und ab dem 1. Januar 2007 in die VergGr. V eingruppiert ist
und der Zahlungsklage - über das zuerkannte Urlaubsgeld hinaus - in diesem Umfang, gemindert
um Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung und bis
auf einen geringen Umfang der begehrten Zinsen, stattgeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der
Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegen
sein Urteil mit Ausnahme der Verurteilung zur Zahlung des Urlaubsgelds zugelassenen Revision
verfolgt die Beklagte in Umfang der Zulassung die Klageabweisung des Zahlungs- und des
Feststellungsbegehrens. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der
Beklagten, soweit sie in der Revisionsinstanz angefallen ist, zu Unrecht zurückgewiesen. Der
Kläger ist weder in der VergGr. Ap IV noch in der VergGr. Ap V eingruppiert. Die Tätigkeit des
Klägers unterfällt nicht der Vergütungsordnung - Pflegepersonal - der Anlage B zum MTV. Er hat
deshalb keinen Anspruch auf Zahlung der entsprechenden Vergütung.
10 I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung hinsichtlich der in die Revision gelangten
Streitpunkte damit begründet, der Tarifvertrag weise hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers als
Krankenpfleger eine planwidrige, unbewusste Tariflücke auf. Diese sei so zu schließen, dass die
Eingruppierung des Klägers wie die eines Altenpflegers zu erfolgen habe. Es sei von einer
Vergleichbarkeit der Ausbildung und der Tätigkeit von Altenpflegern einerseits und der von
Krankenpflegern andererseits auszugehen. Anhaltspunkte, dass für diesen Personenkreis keine
Eingruppierung erfolgen sollte, seien dem Tarifvertrag nicht zu entnehmen. Der Kläger habe
deshalb einen Anspruch auf Vergütung nach VergGr. IV der Anlage B zum MTV ab dem
1. November 2005 und der VergGr. Ap V der Anlage B zum MTV ab dem 1. Januar 2007.
11 II. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten ist begründet. Die Begründung des
Landesarbeitsgerichts für die Zurückweisung der Berufung der Beklagten ist nicht frei von
Rechtsfehlern.
12 1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der MTV kraft beiderseitiger Tarifbindung
Anwendung. Die Beklagte ist als tarifvertragschließende Partei beim Abschluss des Tarifvertrages
von der Konzernmuttergesellschaft wirksam vertreten worden (vgl. dazu Senat 17. Oktober 2007 -
4 AZR 1005/06 - AP TVG § 1 Nr. 40 = EzA TVG § 1 Nr. 48) . Der Kläger ist Mitglied der
tarifvertragschließenden Gewerkschaft ver.di.
13 2. Die sich aus der Geltung des Tarifvertrages für das Arbeitsverhältnis der Parteien hinsichtlich
der Eingruppierung des Klägers maßgebenden Vorschriften lauten:
㤠12
Eingruppierung
1. Die Eingruppierung der Arbeitnehmer richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen der
Vergütungsordnung (Anlage B). Der Arbeitnehmer erhält Vergütung nach der
Vergütungsgruppe, in die er eingruppiert ist.
2. Der Arbeitnehmer ist in die Vergütungsgruppe eingruppiert, deren
Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende
Tätigkeit entspricht.
Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer
Vergütungsgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die
für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer
Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen.
...“
14 Die in § 12 Abs. 1 Satz 1 MTV in Bezug genommene Anlage B hat ua. folgenden Inhalt:
„Anlage B zum Manteltarifvertrag vom 24. September 2004
Pflegepersonal
...
Vorbemerkungen
...
Nr. 2
Krankenschwestern, die Tätigkeiten von Altenpflegerinnen ausüben, sind als
Altenpflegerinnen eingruppiert.
Nr. 3
Kinderkrankenschwestern, die Tätigkeiten von Altenpflegerinnen ausüben, sind als
Altenpflegerinnen eingruppiert.
Vergütungsgruppe Ap IV
1. Altenpflegerinnen mit entsprechender Tätigkeit
...
nach vierjähriger Bewährung in der jeweiligen Fallgruppe
Vergütungsgruppe Ap V
1. Altenpflegerinnen mit entsprechender Tätigkeit
nach zweijähriger Bewährung in der Vergütungsgruppe FG 1.
...
Vergütungsgruppe Ap Va
...
3. Altenpflegerinnen der Vergütungsgruppe Ap V Fallgruppe 1 nach vierjähriger Bewährung
in dieser Fallgruppe, frühestens jedoch nach sechsjähriger Berufstätigkeit nach Erlangung
der staatlichen Erlaubnis.“
15 3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Vergütung nach VergGr. Ap IV oder der VergGr. V der
Anlage B zum MTV. Die ihm übertragene Tätigkeit erfüllt nicht die Voraussetzungen der hierfür
herangezogenen tariflichen Tätigkeitsmerkmale.
16 a) Der auf Feststellung und Zahlung der tarifgerechten Vergütung gerichteten Klage kann nur
stattgegeben werden, wenn die in der gesamten Arbeitszeit des Klägers angefallenen
Arbeitsvorgänge im tariflich geforderten Umfang die Anforderungen eines oder mehrerer
Tätigkeitsmerkmale der von ihm in Anspruch genommenen Vergütungsgruppe erfüllen (§ 12 Nr. 2
MTV) .
17 b) Auf die von den Vorinstanzen nicht gestellte Frage nach dem Vorliegen bestimmter
Arbeitsvorgänge kommt es auch in der Revisionsinstanz nicht an. Der Kläger erfüllt bei keinem
denkbaren Zuschnitt seiner Arbeitsvorgänge ein Tätigkeitsmerkmal der VergGr. IV oder Va der
Anlage B zum MTV. Denn er ist nicht nach den Tätigkeitsmerkmalen für Altenpfleger der Anlage B
zum MTV eingruppiert.
18 aa) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts übt der ausdrücklich
als Krankenpfleger eingestellte Kläger diese Tätigkeit auch aus. Zu Recht gehen die Vorinstanzen
und die Parteien auch davon aus, dass die Tätigkeit eines Krankenpflegers von keinem der in der
Anlage B zum MTV genannten Tätigkeitsmerkmale unmittelbar erfasst ist.
19 bb) Erfüllt die Tätigkeit eines Arbeitnehmers im Geltungsbereich eines Tarifvertrages keines der in
der tariflichen Vergütungsordnung geregelten Tätigkeitsmerkmale, handelt es sich um eine
Tariflücke. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen und der des Klägers handelt es sich
vorliegend allerdings nicht um eine unbewusste Tariflücke, die es den Gerichten erlauben kann,
sie aus einem eindeutig feststellbaren Sinn und Zweck des Tarifvertrages heraus zu schließen
(st. Rspr., etwa Senat 15. Juni 1994 - 4 AZR 330/93 - zu II 2 der Gründe, BAGE 77, 94, 101) .
20 Die Gerichte sind nicht befugt, gegen den Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche
Regelungen zu „schaffen“ oder eine schlechte Verhandlungsführung einer Tarifvertragspartei
dadurch zu belohnen, dass ihr Vertragshilfe geleistet wird (Senat 24. September 2008 - 4 AZR
642/07 - EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 46; Wiedemann/Wank TVG 7. Aufl. § 1 Rn. 1038) . Das wäre
ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie (Senat 15. Juni
1994 - 4 AZR 330/94 - mwN, BAGE 77, 94; 14. April 1999 - 4 AZR 189/98 - BAGE 91, 163, 173 f.;
24. September 2008 - 4 AZR 642/07 - aaO) .
21 (1) Eine bewusste Tariflücke ist anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien eine
regelungsbedürftige Frage erkennbar gewollt ungeregelt lassen und dies in einer entsprechenden
Auslassung seinen Ausdruck findet, wobei die Unterlassung der Regelung ihren Grund auch darin
haben kann, dass die Tarifvertragsparteien sich über die betreffende Frage nicht haben einigen
können (Senat 26. August 1987 - 4 AZR 146/87 - AP BAT 1975 §§ 23, 23 Nr. 138; 29. August 1984
- 4 AZR 309/82 - BAGE 46, 292, 298) .
22 (2) Für eine unbewusste Tariflücke könnte auf den ersten Blick zwar sprechen, dass die Bildung
einer neuen Vergütungsordnung für die Unternehmen eines Konzerns, die bisher sehr
unterschiedliche Regelungen ablösen und bundesweit vereinheitlichen soll, jedenfalls keine
Tätigkeiten unberücksichtigt lassen will, die zum Kernbereich der Konzerntochtergesellschaften
gehören (so Senat 9. April 2008 - 4 AZR 117/07 - für den MTV, AP TVG § 1 Nr. 44;
24. September 2008 - 4 AZR 642/07 - EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 46) .
23 Um eine solche Tätigkeit handelt es sich aber bei derjenigen eines Krankenpflegers, der auch so
beschäftigt wird, nicht. In der Liste der Einrichtungen in der Anlage A zum MTV, für die er gelten
soll, ist von den 96 dort aufgeführten Einrichtungen neben zwei weiteren lediglich die Beklagte als
Krankenheim bezeichnet. Außer diesen drei Krankenheimen und ggf. der Einrichtung Pro Seniore
W GmbH in R gibt es - soweit ersichtlich - keine Einrichtung im Geltungsbereich des MTV, die
einem solchen Zweck dient.
24 (3) Es kann im Gegenteil nicht einmal davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien
eine vollständige und ausnahmslos sämtliche Tätigkeiten umfassende Vergütungsordnung
schaffen wollten. Es ist vielmehr - unter Zugrundelegung von komplexen
Tarifvertragsverhandlungen - vorstellbar und angesichts des tariflichen Wortlauts auch
naheliegend, dass sie in Kauf genommen haben, eher seltene Arbeiten im Vergleich zu allen
Tätigkeitssegmenten des gesamten Konzerns nicht in die zuletzt verbindlich vereinbarten
Regelungen aufzunehmen. Hierfür spricht bereits, dass die Tätigkeitsmerkmale in der Anlage B -
Pflegepersonal - zum MTV, nach der sich die Eingruppierung der Arbeitnehmer gem. § 12 Abs. 1
MTV richtet, trotz der offensichtlichen Vorbildfunktion von Tätigkeitsmerkmalen in der Anlage 1b -
Pflegepersonal - zum Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT), nicht vollständig denen des BAT
entsprechen. Einzelne Vergütungsgruppen - etwa die Vergütungsgruppen Ap IX und Ap X der
Anlage B - Pflegepersonal - zum MTV - werden vielmehr als „zZ nicht besetzt“ aufgeführt, obwohl
der BAT entsprechende Tätigkeitsmerkmale in den entsprechenden Vergütungsgruppen vorsieht.
Das zeigt, dass die Tarifvertragsparteien sich bewusst waren, nicht für jede Tätigkeit einer in der
Altenpflege tätigen Person eine Vergütungsregelung - in Anlehnung an den BAT - zu schaffen.
Damit kommt anders als im BAT und dessen Vergütungsordnung (vgl. dazu die Vorbemerkung zu
Anl. 1a des Allgemeinen Teils und die ausdrücklich geregelten Ausnahmen, hierzu Senat
14. August 1985 - 4 AZR 322/84 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 105) der Vollständigkeitsanspruch
der Erfassung aller Tätigkeiten im Wortlaut des MTV auch nicht zum Ausdruck. Andere Anzeichen
für ein übereinstimmendes Regelungsziel zur vollständigen Einbeziehung aller Tätigkeiten in die
Tätigkeitsmerkmale der Anlage B fehlen und sind auch vom Kläger nicht aufgezeigt worden.
25 (4) Gegen die Annahme einer unbewussten Tariflücke bei der Eingruppierung von
Krankenschwestern, spricht des Weiteren, dass die Tarifvertragsparteien mit den
Kinderkrankenschwestern und den Krankenschwestern, die nicht die Tätigkeit von
Altenpflegerinnen ausüben, in der neuen Vergütungsordnung des MTV weitere Tätigkeiten
bewusst ungeregelt gelassen haben, obwohl sie in Einrichtungen der Konzerntochterunternehmen
wie den drei in der Anlage A zum MTV aufgeführten Krankenheimen offensichtlich ausgeübt
werden. In den Vorbemerkungen zum Abschnitt - Pflegepersonal - der Anlage B zum MTV haben
die Tarifvertragsparteien in den Nummern 2 und 3 nur geregelt, dass Krankenschwestern bzw.
Kinderkrankenschwestern, „die die Tätigkeiten von Altenpflegerinnen ausüben, als
Altenpflegerinnen eingruppiert“ sind. Damit haben die Tarifvertragsparteien verdeutlicht, dass sie
sich zumindest darüber bewusst waren, dass Krankenschwestern und Kinderkrankenschwestern
in den Einrichtungen beschäftigt werden. Für bestimmte dieser Arbeitnehmerinnen, nämlich
diejenigen, die als Altenpflegerinnen beschäftigt werden, sollte eine entsprechende Eingruppierung
erfolgen. Für die anderen, die zB eine Tätigkeit entsprechend ihrer Berufsbezeichnung ausüben,
wurde keine Eingruppierungsnorm geschaffen, weder in der Vorbemerkung noch in der
Vergütungsordnung selbst.
26 Angesichts dessen kann nicht unterstellt werden, dass den Tarifvertragsparteien weder bekannt
und noch bewusst war, dass die geschaffene Vergütungsordnung zum Manteltarifvertrag
unvollständig, jedenfalls nicht abschließend geregelt war, wenn man die Gesamtpalette der in der
Unternehmensgruppe der Beklagten tätigen Berufsgruppen zum Maßstab nimmt. Das zeigt auch
die von den Tarifvertragsparteien in die Anlage A des MTV aufgenommene Liste der
Einrichtungen, in denen drei Krankenheime aufgeführt sind. Die Tarifvertragsparteien haben damit
insgesamt hinreichend deutlich gemacht, dass ihnen die Lückenhaftigkeit der von ihnen
geschaffenen Vergütungsordnung bewusst war (so bereits Senat 24. September 2008 - 4 AZR
642/07 - EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 46) . Das ist im Hinblick auf die Freiheit der
Tarifvertragsparteien, zu bestimmen, ob und für welche Berufsgruppen sie tarifliche Regelungen
schaffen wollen, nicht zu beanstanden und von den Gerichten für Arbeitssachen hinzunehmen (
Senat 15. Juni 1994 - 4 AZR 330/93 - mwN, BAGE 77, 94, 100) .
27 (5) Aus § 1 Abs. 1 und Abs. 2 MTV sowie § 12 Abs. 1 MTV kann entgegen der Auffassung des
Landesarbeitsgerichts nicht geschlossen werden, die Tarifvertragsparteien wollten eine
Vergütungsordnung für sämtliche Arbeitnehmer schaffen. § 1 Abs. 1 MTV regelt lediglich den
sachlichen und § 1 Abs. 2 MTV den persönlichen Anwendungsbereich des Tarifvertrages. § 12
Abs. 1 MTV trifft - ähnlich wie § 22 Abs. 1 BAT - die allgemeine Eingruppierungsregelung. Allein
aus diesen Tarifregelungen kann eine Absicht der Tarifvertragsparteien, eine abschließende,
vollständige und umfassende Eingruppierung aller Beschäftigungsgruppen und aller Tätigkeiten bei
der Beklagten vorzunehmen, nicht entnommen werden.
28 c) Erweist sich die in Anlage B zum MTV geregelte Vergütungsordnung als für die Tätigkeit des
Klägers nicht einschlägig, weil der Tarifvertrag insoweit lückenhaft ist, gilt die vertragliche
Regelung (Senat 24. September 2008 - 4 AZR 642/07 - EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 46) . Der
Kläger hat deshalb lediglich einen Anspruch auf die bisher bereits von der Beklagten gezahlte
Vergütung entsprechend seinem Arbeitsvertrag.
29
29 III. Die Kosten der Revision hat der Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO, die Kosten der Vorinstanzen
nach § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 97 ZPO zu tragen.
Bepler
Winter
Treber
Pfeil
Weßelkock