Urteil des BAG vom 16.01.2013

Konkurrenztätigkeit - Darlegungs- und Beweislast

BUNDESARBEITSGERICHT Entscheidung vom 16.1.2013, 10 AZR
560/11
Konkurrenztätigkeit - Darlegungs- und Beweislast
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Düsseldorf vom 2. Mai 2011 - 11 Sa 27/11 - aufgehoben, soweit es die
Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf
vom 6. Dezember 2010 - 2 Ca 533/10 - hinsichtlich des Zahlungsantrags
zurückgewiesen hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin Frau N
(vormals handelnd unter „Häusliche Krankenpflege A“, im Folgenden: Pflegedienst A),
nimmt den Ehemann und langjährigen Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin, Herrn D,
auf Schadensersatz wegen Wettbewerbsverletzungen in Anspruch.
2 Nachdem am 2. April 2008 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der
Insolvenzschuldnerin eröffnet worden war, erstrebte der Kläger als Insolvenzverwalter
wiederholt die Stilllegung des Betriebs. Dazu kam es jedoch zunächst nicht. Der Kläger
stellte Zeitarbeitskräfte und den - zuvor schon bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigten -
Beklagten ein und führte mit Hilfe der Insolvenzschuldnerin den Geschäftsbetrieb weiter.
3 Nachdem es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und der
Insolvenzschuldnerin sowie dem Beklagten gekommen war, wies die
Insolvenzschuldnerin den Kläger mit Schreiben vom 10. November 2009 auf den
bestehenden Personalmangel hin, der sie außerstande setze, den Pflegedienst
ordnungsgemäß weiterzuführen. Der Kläger nahm hierauf in seinem Schreiben vom
25. November 2009 Bezug und kündigte an, den Betrieb zu schließen, wenn gewisse
Bedingungen nicht kurzfristig erfüllt würden. Versuche des Klägers, über Stellenanzeigen
neue Mitarbeiter zu gewinnen, schlugen fehl. Nach Auskunft der Insolvenzschuldnerin ihm
gegenüber meldeten sich auf die Anzeigen keine Interessenten.
4 Mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 teilte die Insolvenzschuldnerin dem Kläger mit, sie
werde den Betrieb zum 31. Dezember 2009 einstellen, da sie über zu wenig Personal
verfüge. Daraufhin kündigte der Kläger sämtliche Pflegeverträge zum 31. Dezember 2009.
Unter dem 23. Dezember 2009 kündigte der Beklagte sein Arbeitsverhältnis mit dem
Kläger zum 31. Januar 2010.
5 Mit „Übernahmevertrag“ vom 29. Dezember 2009 veräußerte der Kläger den Pflegedienst
A an Herrn H. In dem Vertrag heißt es ua.:
„Der Erwerber übernimmt die derzeitigen Betreuungsverträge per 01.01.2010 und
zahlt hierfür als Entgelt einen durchschnittlichen Monatsumsatz, ausgehend von der
Vergütung der letzten Monate mithin der Monate Juli bis Dezember 2009. Soweit
der Veräußerer nicht in der Lage sein sollte, diese Entgelte nachvollziehbar zu
errechnen, wird das Entgelt aufgrund einer Berechnung aus den Vergütungen der
ersten drei Monate nach Übernahme der Vertragsverhältnisse durch die Erwerber
berechnet.
...
Soweit Patienten sich weigern, das Vertragsverhältnis auf den Erwerber zu
übertragen, wird der Kaufpreis um diesen Umsatz gemindert.“
6 Die Insolvenzschuldnerin erzielte in den Monaten Juli 2009 bis Oktober 2009 einen
Umsatz von insgesamt 123.838,55 Euro. Aus dem Übernahmevertrag realisierte der
Kläger lediglich 471,35 Euro.
7 Beginnend mit dem 1. Januar 2010 gründete der Beklagte unter dem Namen „P“ einen
eigenen Pflegedienst, stellte zu diesem Zweck zwei Mitarbeiter ein und schloss vor dem
1. Januar 2010 neun Pflegeverträge mit Patienten ab, die zuvor Kunden des
Pflegedienstes A waren.
8 Der Kläger hat im Wesentlichen vorgetragen, es hätten sich zwei Personen auf seine
Ende 2009 aufgegebenen Stellenanzeigen gemeldet. Diese hätten aber bei dem
Beklagten einen Vertrag unterzeichnet. Der Beklagte habe sämtliche Patienten der
Insolvenzschuldnerin für seinen neuen Pflegedienst übernommen. Wäre dies nicht
geschehen, hätten die Patienten sich zwangsläufig mit dem Pflegedienst H für eine
kurzfristige Fortführung der Pflege in Verbindung setzen müssen, sodass nach der
Übernahmevereinbarung ein höheres Entgelt aus dem Verkauf des Pflegedienstes A hätte
erzielt werden können. Mit Herrn H sei vereinbart gewesen, dass er - der Kläger - die
Patientenpflegeverträge kündige und diese dann dem Pflegedienst H vermittle. Diese
Vermittlung habe der Beklagte durch seine Übernahme der Patientenverträge unmöglich
gemacht. Unter Berücksichtigung der letzten aufgeklärten Umsätze, wobei im November
und Dezember 2009 von zumindest gleichbleibenden Umsätzen auszugehen sei, hätte er
- der Kläger - aus dem Übernahmevertrag 30.939,95 Euro erzielen können, sodass sich
sein Schaden auf insgesamt 30.468,24 Euro belaufe. Von diesem Betrag sei noch -
aufgrund einer Aufrechnung im Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf mit dem
Aktenzeichen - 1 Ca 1428/10 - ein Betrag von 4.412,96 Euro in Abzug zu bringen.
9 Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 26.055,28 Euro nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage vom
8. Januar 2010 zu zahlen.
10 Der Beklagte, der im ersten Rechtszug beantragt hatte, die Klage abzuweisen, hat in
zweiter Instanz weder vorgetragen noch Anträge gestellt. Erstinstanzlich hat er die Ansicht
vertreten, der Übernahmevertrag des Klägers mit Herrn H vom 29. Dezember 2009 sei
rechtlich unzulässig.
11 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung
zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der
Kläger sein Klagebegehren weiter. Der Beklagte ist zum Termin vor dem
Bundesarbeitsgericht nicht erschienen.
Entscheidungsgründe
12 I. Die Revision hat Erfolg. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das
Landesarbeitsgericht die auf Leistung von Schadensersatz gerichtete Klage nicht
abweisen. Der Beklagte hat seine Pflicht zur Unterlassung von Konkurrenztätigkeiten
während des Arbeitsverhältnisses verletzt (§ 60 HGB). Ob und in welchem Umfang der
Kläger vom Beklagten Schadensersatz verlangen kann (§ 61 Abs. 1 HGB), steht noch
nicht fest. Deshalb musste das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden
(§ 563 ZPO).
13 1. Der Beklagte hat gegen das vertragliche Konkurrenzverbot verstoßen. Die Auffassung
des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe insoweit nicht ausreichend vorgetragen, trifft
unter Berücksichtigung der Säumnislage im Berufungstermin nicht zu. Nach § 539 Abs. 2
ZPO ist bei Säumnis des Berufungsbeklagten das zulässige tatsächliche Vorbringen des
Berufungsklägers als zugestanden anzunehmen. Soweit es den Berufungsantrag
rechtfertigt, ist nach dem Antrag zu erkennen.
14 a) Während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses ist einem Arbeitnehmer
grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt
(st. Rspr., BAG 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA
BGB 2002 § 626 Nr. 30; 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 15 mwN, AP BGB § 626
Nr. 213 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 21). Durch gleichwohl entfaltete Konkurrenztätigkeiten
- einschließlich des Abwerbens von Arbeitnehmern und Kunden - verstößt der
Arbeitnehmer gegen seine vertraglichen Pflichten.
15 aa) Die für Handlungsgehilfen geltende Regelung des § 60 Abs. 1 HGB konkretisiert einen
allgemeinen Rechtsgedanken. Der Arbeitgeber soll vor Wettbewerbshandlungen seines
Arbeitnehmers geschützt werden. Der Arbeitnehmer darf im Marktbereich seines
Arbeitgebers ohne dessen Einwilligung Dienste und Leistungen nicht Dritten anbieten.
Dem Arbeitgeber soll dieser Bereich uneingeschränkt und ohne die Gefahr einer
nachteiligen Beeinflussung durch den Arbeitnehmer offenstehen (BAG 21. November
1996 - 2 AZR 852/95 - zu II 1 a der Gründe, EzA BGB § 626 nF Nr. 162; 26. Januar 1995 -
2 AZR 355/94 - zu II 2 a der Gründe, EzA BGB § 626 nF Nr. 155).
16 bb) Der Arbeitnehmer darf auch dann keine Konkurrenzgeschäfte tätigen, wenn sicher ist,
dass der Arbeitgeber den vom Arbeitnehmer betreuten Sektor oder die betreffenden
Kunden nicht erreichen wird (BAG 16. Juni 1976 - 3 AZR 73/75 - zu II 1 der Gründe, AP
BGB § 611 Treuepflicht Nr. 8 = EzA BGB § 611 Treuepflicht Nr. 1). Die Darlegungs- und
Beweislast für eine Einwilligung des Arbeitgebers trägt der Arbeitnehmer (BAG 16. Juni
1976 - 3 AZR 73/75 - zu II 2 b der Gründe, aaO).
17 cc) Allerdings darf der Arbeitnehmer, wenn ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach
§ 74 HGB nicht vereinbart ist, schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Zeit
nach seinem Ausscheiden die Gründung eines eigenen Unternehmens oder den Wechsel
zu einem Konkurrenzunternehmen vorbereiten (vgl. BAG 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 -
Rn. 15 mwN, AP BGB § 626 Nr. 213 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 21). Verboten ist aber die
Aufnahme einer werbenden Tätigkeit, zB durch Vermittlung von Konkurrenzgeschäften
oder aktives Abwerben von Kunden oder Arbeitnehmern. Bloße
Vorbereitungshandlungen, die in die Interessen des Arbeitgebers nicht unmittelbar
eingreifen, erfüllen diese Voraussetzungen nicht (BAG 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 -
aaO).
18 b) Die danach maßgeblichen Anforderungen an das tatsächliche Vorbringen für einen
Wettbewerbsverstoß hat der Kläger erfüllt.
19 aa) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Beklagte vor dem
1. Januar 2010 neun Verträge mit Kunden des Pflegedienstes A geschlossen und nach
den Behauptungen des Klägers auch die übrigen Patienten der Insolvenzschuldnerin in
seinen eigenen Pflegedienst übernommen. Dazu war der Beklagte nicht berechtigt. Er
stand bis zum 31. Januar 2010 im Arbeitsverhältnis mit dem Kläger und durfte deshalb mit
dessen Kunden keine Pflegeverträge schließen. Tat er es, wie im Streitfall, doch, so
verstieß er gegen seine vertraglichen Pflichten. Mit dem Abschluss der Verträge hat der
Beklagte den Bereich erlaubter Vorbereitungshandlungen weit überschritten.
20 bb) Zu einer weiter konkretisierten Darstellung der Vertragsgespräche zwischen dem
Beklagten und den Patienten war der Kläger nicht gehalten. Er musste nicht, wie vom
Landesarbeitsgericht gefordert, darlegen, wie, wann und wo der Beklagte unter welchen
Umständen die Pflegeverträge mit den vormaligen Kunden des Pflegedienstes A
geschlossen hat. Schon in der vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatsache, dass er
die Vereinbarungen noch während seines Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger getroffen
hat, liegt ein Verstoß gegen seine vertragliche Pflicht zur Unterlassung von Wettbewerb.
Deshalb musste der Kläger nicht vortragen, es habe festgestanden, dass Herr H zum
1. Januar 2010 alle 15 Pflegeverträge, die zuvor mit der Insolvenzschuldnerin bestanden,
übernehmen würde. Auch kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden, der Beklagte
habe angesichts der Kündigung sämtlicher Pflegeverträge durch den Kläger zum
31. Dezember 2009 von der Absicht des Klägers zur Geschäftsaufgabe und „Freigabe“ der
Kunden und damit von einem Einverständnis des Klägers mit der Konkurrenztätigkeit
ausgehen dürfen. Der Arbeitgeber muss weder darlegen, dass er die betreffenden
Geschäfte selbst hätte abschließen können, noch gehört es zur Schlüssigkeit seines
Vorbringens, dass er darlegt, mit der Konkurrenztätigkeit nicht einverstanden gewesen zu
sein. Vielmehr ist es Sache des Arbeitnehmers, entsprechende Tatsachen für das
Vorliegen eines (mutmaßlichen) Einverständnisses vorzutragen (BAG 16. Juni 1976 -
3 AZR 73/75 - zu II 2 b der Gründe, AP BGB § 611 Treuepflicht Nr. 8 = EzA BGB § 611
Treuepflicht Nr. 1). Allein die Kündigung der Verträge durch den Kläger begründete kein
Einverständnis; vielmehr war die Veräußerung des Pflegedienstes einschließlich des
Abschlusses von Anschlussverträgen durch einen Übernehmer eine bereits längere Zeit
im Raum stehende Option des Insolvenzverwalters.
21 cc) Eine Wettbewerbsverletzung durch den Beklagten ist, anders als das
Landesarbeitsgericht meint, auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger mit Herrn
H am 29. Dezember 2009 einen Übernahmevertrag geschlossen hat und darin ein
Betriebsübergang liege. Feststellungen, aus denen sich das Vorliegen der tatsächlichen
Voraussetzungen eines Betriebsübergangs (vgl. zuletzt BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR
243/11 - Rn. 26 bis 29) ergeben könnten, hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen und
sind dem Vorbringen des Klägers auch nicht zu entnehmen.
22 2. Ob und in welchem Umfang der Kläger vom Beklagten Schadensersatz verlangen kann,
steht noch nicht fest.
23 a) Gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 HGB kann der Arbeitgeber Zahlung von Schadensersatz
verlangen, wenn der Arbeitnehmer gegen die Pflicht zur Unterlassung von Konkurrenz
verstößt. Da im Streitfall die Verletzungshandlung feststeht, muss der Beklagte unter den
Voraussetzungen des § 249 ff. BGB Schadensersatz leisten. Insoweit mangelt es an
Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil. Ferner ist die in Betracht kommende
Schätzung des Schadens nach § 287 ZPO grundsätzlich dem Tatsachengericht
vorbehalten. Deshalb musste der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht
zurückverwiesen werden. Das Landesarbeitsgericht wird bei seiner erneuten Beurteilung
folgende Gesichtspunkte berücksichtigen müssen.
24 aa) Nach § 249 Abs. 1 BGB hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den
Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand
nicht eingetreten wäre (Naturalrestitution). Ist die Herstellung nicht möglich oder zur
Entschädigung des Gläubigers nicht genügend, hat der Ersatzpflichtige den Gläubiger in
Geld zu entschädigen, § 251 Abs. 1 BGB. Ob ein Vermögensschaden vorliegt, ist nach der
Differenzhypothese durch Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses
eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben
hätte, zu beurteilen (BAG 15. September 2011 - 8 AZR 846/09 - Rn. 47 mwN, AP BGB
§ 280 Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 611 Krankenhausarzt Nr. 4; BGH 18. Januar 2011 - VI ZR
325/09 - Rn. 8 mwN, BGHZ 188, 78). Nach § 252 BGB umfasst der zu ersetzende
Schaden auch den entgangenen Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der
Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen
Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (BAG
26. September 2012 - 10 AZR 370/10 - Rn. 18 bis 20, DB 2013, 122).
25 bb) Nach § 287 Abs. 1 ZPO entscheidet der Tatrichter unter Würdigung aller Umstände
nach freier Überzeugung, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch er ist. Die Norm
dehnt das richterliche Ermessen für die Feststellung der Schadenshöhe über die
Schranken des § 286 ZPO aus. Das Gesetz nimmt dabei in Kauf, dass das Ergebnis der
Schätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt; allerdings soll die Schätzung
möglichst nahe an diese heranführen (BAG 12. Dezember 2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 49,
BAGE 125, 147; 20. September 2006 - 10 AZR 439/05 - Rn. 37, BAGE 119, 294). Der
Tatrichter muss nach pflichtgemäßem Ermessen auch beurteilen, ob nach § 287 Abs. 1
ZPO nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestschadens möglich ist. Eine Schätzung
darf nur dann unterbleiben, wenn sie mangels konkreter Anhaltspunkte vollkommen „in der
Luft hinge“ und daher willkürlich wäre (BGH 24. Juni 2009 - VIII ZR 332/07 - Rn. 16, NJW-
RR 2009, 1404; 23. Oktober 1991 - XII ZR 144/90 - zu 3 a der Gründe, WM 1992, 36;
Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 287 Rn. 4); eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens,
auch in Form der Schätzung eines Mindestschadens, lässt § 287 ZPO grundsätzlich nicht
zu (st. Rspr., BGH 8. Mai 2012 - VI ZR 37/11 - Rn. 9, NJW 2012, 2267; 16. März 2004 -
VI ZR 138/03 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, NJW 2004, 1945).
26 cc) Der Geschädigte muss die Umstände darlegen und in den Grenzen des § 287 ZPO
beweisen, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den
besonderen Umständen des Falls die Wahrscheinlichkeit des Gewinneintritts ergibt. Da
die Beweiserleichterung des § 252 BGB und § 287 ZPO auch die Darlegungslast des
Geschädigten mindert, der Ersatz entgangenen Gewinns verlangt, dürfen insoweit keine
strengen Anforderungen gestellt werden (BAG 12. Dezember 2007 - 10 AZR 97/07 -
Rn. 48, BAGE 125, 147; BGH 18. Februar 2002 - II ZR 355/00 - zu A II 1 der Gründe,
NJW 2002, 2553). Dies gilt auch für den Nachweis eines wettbewerblichen Schadens, für
den es im Hinblick auf die künftigen Entwicklungen des Geschäftsverlaufs in der Natur der
Sache liegende Beweisschwierigkeiten gibt (BAG 20. September 2006 - 10 AZR 439/05 -
Rn. 37, BAGE 119, 294; BGH 17. April 1997 - X ZR 2/96 - zu III 1 der Gründe, NJW-
RR 1998, 331; 17. Juni 1992 - I ZR 107/90 - zu II B 1 c der Gründe, BGHZ 119, 20).
Greifbare Anknüpfungstatsachen, die für eine Schadensschätzung unabdingbar sind,
muss der Geschädigte im Regelfall darlegen und beweisen (BGH 8. Mai 2012 - VI ZR
37/11 - Rn. 9, NJW 2012, 2267).
27 b) Im Streitfall hat der Kläger geltend gemacht, er habe für die Veräußerung des
Pflegedienstes A wegen der unerlaubten Konkurrenz durch den Beklagten nur einen sehr
geringen Preis erzielen können. Er hätte bei Abschluss von Anschlusspflegeverträgen mit
allen Kunden einen durchschnittlichen Monatsumsatz zugunsten der Masse erhalten. Das
ist im Grundsatz nachvollziehbar und legt die Schlussfolgerung nahe, dass jedenfalls im
Rahmen des § 287 ZPO vom Eintritt eines Schadens auszugehen sein wird.
28 aa) Die Auffassung, der Übernahmevertrag sei insgesamt nichtig, weil die Weitergabe von
Patientendaten erforderlich sei, ist nicht zutreffend. Grundsätzlich bestehen keine
Bedenken gegen die Veräußerung von Pflegediensten (vgl. FG Münster 7. Dezember
2010 - 15 K 2529/07 U - EFG 2011, 677, das von der Zulässigkeit eines solchen Vertrags
ohne Weiteres ausgeht). Die Lage ist, was die Weitergabe von Patientendaten betrifft,
nicht anders als bei der Veräußerung von Arztpraxen, die ebenfalls zulässig ist. Die - für
den Erwerber entscheidende - Fortführung der Vertragsbeziehungen mit Pflegebedürftigen
kann mit deren Einwilligung erfolgen (vgl. zur Weitergabe von Patientenkarteien bei der
Veräußerung von Arztpraxen: BGH 11. Dezember 1991 - VIII ZR 4/91 - zu I 3 der Gründe,
BGHZ 116, 268).
29 bb) Bei einer Schätzung wird allerdings auch zu berücksichtigen sein, dass der Kläger
nicht sicher sein konnte, dass die Patienten mit Herrn H Folgeverträge abschließen
würden. Bei der Schätzung ist zu beachten, dass ohne das schädigende
Dazwischentreten des Beklagten zwar eine Chance für Herrn H bestand, die
Pflegeverträge zu übernehmen; das Ausmaß dieser Chance hängt jedoch von mehreren
Umständen ab.
30 (1) Die Patienten waren in ihrer Entscheidung frei. Wie weit sie in der Lage waren,
kurzfristig mit dritten Pflegediensten Verträge zu schließen, ist bisher nicht festgestellt.
Eine besondere persönliche Bindung bestand weder zum Kläger noch zu Herrn H, wohl
aber zur Insolvenzschuldnerin und dem Beklagten. Es kommt jedenfalls in Betracht, dass
die Patienten, wenn sich der Beklagte nicht wettbewerbswidrig verhalten hätte, den
Vertrag gleichwohl nicht mit Herrn H geschlossen hätten.
31 (2) Die Bewertung der Chance, die dem Kläger entging, kann auch durch sein eigenes
Verhalten beeinflusst worden sein. Mussten zB die Patienten aufgrund der kurzfristigen
Kündigung eine nicht unerhebliche Zeit lang damit rechnen, der Betrieb werde vollständig
eingestellt und der Kläger habe auch kein Interesse an der Fortsetzung des jeweiligen
Vertragsverhältnisses, wird die durch die Verletzungshandlungen des Beklagten
zunichtegemachte Chance als eher gering anzusehen sein. Waren dagegen die Patienten
rechtzeitig auf ein Angebot durch Herrn H vorbereitet, dürfte eine höhere Vergütung aus
dem Übernahmevertrag zu erwarten gewesen sein.
32 (3) Ebenso kann sich auf die Bewertung der mit der Veräußerung verbundenen Chance
ausgewirkt haben, ob die Versuche des Herrn H, mit den Patienten Verträge
abzuschließen, auf einer mit ihrer Einwilligung zustande gekommenen Kenntnis von den
Patientendaten beruhte (vgl. Jaeger/Henckel InsO Stand 2004 § 35 Rn. 14;
Nerlich/Römermann/Andres Stand August 2012 § 35 InsO Rn. 74; Uhlenbruck/Hirte
13. Aufl. § 35 InsO Rn. 280) oder ob Herr H ohne eine solche Einwilligung in den Besitz
der notwendigen Informationen kam.
33 II. Über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Revision wird das
Landesarbeitsgericht zu entscheiden haben.
Rechtsbehelfsbelehrung
34 Gegen dieses Versäumnisurteil kann der Beklagte innerhalb einer Frist von zwei Wochen
seit Zustellung Einspruch beim
Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt,
einlegen.
35 Der Einspruch muss von einem Rechtsanwalt, dem Vertreter einer Gewerkschaft oder
eines Zusammenschlusses von Gewerkschaften mit der Befähigung zum Richteramt oder
dem Vertreter einer juristischen Person gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ArbGG mit der
Befähigung zum Richteramt unterzeichnet sein.
Mikosch
Mestwerdt
Schmitz-
Scholemann
Thiel
Stefan
Fluri