Urteil des BAG vom 22.07.2010

Nicht vorbehaltene ordentliche Kündigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses - Klagefrist

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 22.7.2010, 6 AZR 480/09
Nicht vorbehaltene ordentliche Kündigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses - Klagefrist
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 22. Januar 2009 - 11 Sa 616/08 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten im Rahmen einer Klage auf Annahmeverzugslohn darüber, ob die Klagefrist
des § 4 KSchG auch auf die nicht vorbehaltene ordentliche Kündigung eines befristeten
Arbeitsverhältnisses Anwendung findet.
2 Der Kläger war seit dem 2. November 2007 bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis
war bis zum 30. April 2008 befristet. Eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit sah der Arbeitsvertrag
nicht vor. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis gleichwohl mit der Frist des § 12 Nr. 1.1 des
Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe(BRTV-Bau) von sechs Werktagen durch
Schreiben vom 19. März 2008 zum 29. März 2008. Kündigungsschutzklage erhob der Kläger nicht.
Er bot lediglich seine Arbeitskraft bis zum 30. April 2008 an.
3 Nach außergerichtlicher schriftlicher Geltendmachung mit Schreiben vom 6. Mai bzw. 19. Mai 2008
begehrt der Kläger zuletzt mit seiner am 20. Juni 2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage
Annahmeverzugslohn für die Zeit vom 30. März bis 30. April 2008 in rechnerisch unstreitiger Höhe.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, das Arbeitsverhältnis sei frühestens zum 30. April 2008
beendet worden. Die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist könne er auch außerhalb der Frist des § 4
KSchG geltend machen. Er wehre sich nicht gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
selbst, sondern nur gegen deren Zeitpunkt. Dies sei vergleichbar mit der Klage auf Einhaltung der
Kündigungsfrist. Darum seien die Grundsätze, die das Bundesarbeitsgericht dazu in der
Entscheidung vom 15. Dezember 2005(- 2 AZR 148/05 -) aufgestellt habe, auf die vorliegende
Konstellation übertragbar.
4 Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.300,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Juni 2008 zu zahlen.
5 Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag darauf gestützt, dass dem Kläger für die Zeit nach
dem 29. März 2008 kein Entgelt mehr zustehe, weil er die Kündigung nicht innerhalb der Frist des
§ 4 KSchG angegriffen habe.
6 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat durch Beschluss vom 25. Juni
2009 zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
7 I. Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis hat aufgrund der Fiktionswirkung des § 7
KSchG mit dem 29. März 2008 geendet, weil der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 4 KSchG
Klage gegen die Kündigung vom 19. März 2008 erhoben hat. Ihm stehen deshalb keine
Entgeltansprüche für die Zeit seit dem 30. März 2008 zu. Die Vorinstanzen haben darum zu Recht
die Klage abgewiesen.
8 1. Die Klagefrist des § 4 KSchG ist auch einzuhalten, wenn die ordentliche Kündigung gegen das
Kündigungsverbot des § 15 Abs. 3 TzBfG verstößt, weil der befristete Vertrag weder die
Möglichkeit vorsieht, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen noch die Anwendbarkeit eines
Tarifvertrags vereinbart ist, der ein solches Kündigungsrecht enthält(KR/Friedrich 9. Aufl. § 4
KSchG Rn. 15; ErfK/Kiel 10. Aufl. § 4 KSchG Rn. 4; BBDK/Kriebel KSchG Stand April 2010 § 4
Rn. 20; Fornasier/Werner NJW 2007, 2729, 2733; vgl. für den tarifvertraglichen oder
arbeitsvertraglichen Ausschluss der ordentlichen Kündigung allgemein BAG 8. November 2007 -
2 AZR 314/06 - Rn. 17, BAGE 124, 367). Das folgt aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des
Gesetzes. Der Gesetzgeber wollte im Interesse einer raschen Klärung der Frage, ob eine
Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet hat oder nicht, für die Geltendmachung aller
Unwirksamkeitsgründe eine einheitliche Klagefrist von drei Wochen vorsehen. Dadurch sollte die
Ungewissheit, wann das Recht zur Erhebung der Kündigungsschutzklage im Einzelfall verwirkt ist,
beendet werden (vgl. BT-Drucks. 15/1204 S. 9 f.).
9 2. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Geltendmachung des Fortbestands des
gekündigten Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der vereinbarten Befristung in den Fällen des
§ 15 Abs. 3 TzBfG mit der Nichteinhaltung der Kündigungsfrist, die der Arbeitnehmer auch
außerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend machen kann, nicht vergleichbar.
10 a) Die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist kann auch außerhalb der 3-Wochenfrist des § 4 KSchG
noch geltend gemacht werden. Der Arbeitnehmer, der lediglich die Einhaltung der Kündigungsfrist
verlangt, stellt nicht in Frage, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung als solche aufgelöst
wird. Er strebt nur die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem anderen Zeitpunkt als der
Arbeitgeber an(BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 148/05 - Rn. 15 ff., BAGE 116, 336; bestätigt
durch BAG 6. Juli 2006 - 2 AZR 215/05 - Rn. 12 ff., AP KSchG 1969 § 4 Nr. 57).
11 b) Diese Erwägungen greifen bei einer Klage auf Annahmeverzugslohn, mit der die Unwirksamkeit
einer Kündigung nach § 15 Abs. 3 TzBfG geltend gemacht wird, nicht. In diesem Fall akzeptiert der
Arbeitnehmer gerade nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die erklärte Kündigung.
Er hält im Gegenteil die Kündigung unter Berufung auf § 15 Abs. 3 TzBfG für unwirksam. Er nimmt
lediglich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die vereinbarte Befristung als
nachfolgenden Beendigungstatbestand zu einem späteren Zeitpunkt hin. Im Unterschied zur
Geltendmachung einer zu kurzen Kündigungsfrist ist also nicht nur ein einziger
Beendigungstatbestand gegeben, der das Arbeitsverhältnis auch nach dem Willen des
Arbeitnehmers tatsächlich beenden soll, allerdings zu einem späteren Zeitpunkt als vom
Arbeitgeber gewollt. Ist die Kündigung unwirksam, weil das Kündigungsverbot des § 15 Abs. 3
TzBfG missachtet worden ist, und macht der Arbeitnehmer den Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Befristung geltend, liegen vielmehr zwei unterschiedliche
Beendigungstatbestände vor, wobei die Kündigung als erster Tatbestand das Arbeitsverhältnis
nach dem Willen des Arbeitnehmers gerade nicht beenden kann und soll. Erst der Auslauf der
Befristung soll als zweiter, nachgeschalteter Beendigungstatbestand zur Beendigung des
Arbeitsverhältnisses führen. Es geht also nicht bloß um die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist,
sondern um den Ausschluss der ordentlichen Kündigung im befristeten Arbeitsverhältnis. Auf
diesen Fall ist § 4 KSchG anwendbar(KR/Friedrich 9. Aufl. § 4 KSchG Rn. 15).
12 II. Auch der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis noch nicht dem Geltungsbereich des
Kündigungsschutzgesetzes unterfiel, entband den Kläger nicht von der Verpflichtung, die Klagefrist
des § 4 KSchG einzuhalten(Senat 9. Februar 2006 - 6 AZR 283/05 - Rn. 17 f., BAGE 117, 68).
13 III. Das Landesarbeitsgericht hat rechtlich zutreffend ausgeführt, dass der Ausspruch einer nach
§ 15 Abs. 3 TzBfG ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung mit einer mündlichen Kündigung
nicht vergleichbar ist, dass auch eine etwaige Treuwidrigkeit der Kündigung in der Frist des § 4
KSchG hätte geltend gemacht werden müssen und die Kündigungserklärung nicht in eine
Kündigung zum 30. April 2008 umgedeutet werden kann. Gegen diese Ausführungen erhebt die
Revision keine Angriffe.
14 IV. Da wegen der Versäumung der Klagefrist des § 4 KSchG die Kündigung der Beklagten vom
19. März 2008 aufgrund der Fiktionswirkung des § 7 KSchG als wirksam gilt und das
Arbeitsverhältnis zum 29. März 2008 als beendet anzusehen ist, fehlt es an dem für den begehrten
Annahmeverzug erforderlichen Bestand eines Arbeitsverhältnisses für den streitgegenständlichen
Vergütungszeitraum(vgl. APS/Ascheid/Hesse 3. Aufl. § 7 KSchG Rn. 10).
15 V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fischermeier
Brühler
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Sieberts
Spiekermann