Urteil des BAG vom 26.09.2007

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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 26.9.2007, 10 AZR 35/07
Gebot des gesetzlichen Richters - Reihenfolge der Heranziehung der ehrenamtlichen Richter
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 14. Juni 2006 - 11 Sa 967/03 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Kammer 11
des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen
Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 6. April 2001, mit dem der Kläger verurteilt
wurde, an die Beklagte 826.642,00 DM nebst Zinsen zu zahlen.
2 Das Arbeitsgericht hat die Vollstreckungsabwehrklage des Klägers abgewiesen. Das
Landesarbeitsgericht hat mit Versäumnisurteil vom 20. April 2006 die Berufung des Klägers gegen
das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit Urteil vom 14. Juni 2006 hat es auf die
mündliche Verhandlung vom selben Tag den Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil
vom 20. April 2006 als unzulässig verworfen und den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Einlegung des Einspruchs zurückgewiesen.
3 An dieser Entscheidung des Landesarbeitsgerichts wirkten die ehrenamtliche Richterin M und der
ehrenamtliche Richter S mit. Die ehrenamtliche Richterin M und der ehrenamtliche Richter S waren
bereits zu der Sitzung der Kammer 11 des Landesarbeitsgerichts am 20. April 2006 herangezogen
worden. Die erneute Heranziehung dieser ehrenamtlichen Richterin und dieses ehrenamtlichen
Richters zur Sitzung der Kammer 11 des Landesarbeitsgerichts am 14. Juni 2006 erfolgte nicht
nach der Reihenfolge einer Liste. Maßgebend dafür waren der Umfang und die Schwierigkeit der
Sache. Im Beschluss der Vorsitzenden der Kammer 11 vom 16. November 2005 über die
Heranziehung der der Kammer 11 zugewiesenen ehrenamtlichen Richterinnen und Richter im Jahr
2006 heißt es dazu:
„III. 1. Die Kammer 11 beschließt bei Vertagung einer Sache, in der die mündliche
Verhandlung oder Anhörung begonnen hat, nach Zustimmung der Parteien oder Beteiligten
unter Abweichung von der in Abschnitt I.1 und II vorgeschriebenen Reihenfolge die
Heranziehung derselben ehrenamtlichen Richterinnen und/oder Richter, wenn es wegen des
persönlichen Eindrucks aller beteiligten Richterinnen und/oder Richter von bereits erhobenen
Beweisen oder wegen des Umfangs und/oder der Schwierigkeit der Sache notwendig
erscheint.
...“
4 Beide Parteien hatten der erneuten Heranziehung der ehrenamtlichen Richterin M und des
ehrenamtlichen Richters S zu der Sitzung der Kammer 11 des Landesarbeitsgerichts am 14. Juni
2006 zugestimmt.
5 Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger, die Kammer 11 des
Landesarbeitsgerichts sei in der Sitzung am 14. Juni 2006 nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über seinen Einspruch und seinen
Wiedereinsetzungsantrag sei deshalb nach § 547 Nr. 1 ZPO als auf einer Verletzung des Rechts
beruhend anzusehen.
6 Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 14. Juni 2006 aufzuheben und die Sache an das
Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
7 Die Beklagte hat zu ihrem Antrag, die Revision des Klägers zurückzuweisen, vorgebracht, die
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom 20. April 2006 sei rechtskräftig und der Revision nicht
zugänglich.
Entscheidungsgründe
8 Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Der vom Kläger geltend gemachte
absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts gemäß
§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG liegt vor.
9 I. Der Kläger hat die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts innerhalb der
Revisionsbegründungsfrist unter Darlegung der entsprechenden Tatsachen ordnungsgemäß iSv.
§ 551 Abs. 3 Nr. 2 ZPO erhoben.
10 II. Die Rüge ist auch begründet.
11 1. § 547 Nr. 1 ZPO erfasst auch diejenigen Fälle, in denen über die Rechtsstreitigkeit andere
Richter entscheiden als die gesetzlich berufenen (BAG 16. Mai 2002 - 8 AZR 412/01 - BAGE 101,
145 unter Bezugnahme auf BAG 22. März 2001 - 8 AZR 565/00 - AP GG Art. 101 Nr. 59 = EzA
GG Art. 101 Nr. 5; 24. März 1998 - 9 AZR 172/97 - AP GVG § 21e Nr. 4 = EzA GVG § 21e Nr. 1;
BGH 19. Oktober 1992 - II ZR 171/91 - NJW 1993, 600) . Aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG als dem
Verbot der Entziehung des gesetzlichen Richters folgt, dass die Rechtsprechungsorgane nicht
anders besetzt werden dürfen, als dies in den allgemeinen Normen der Gesetze und der
Geschäftsverteilungspläne vorgesehen ist. „Gesetzlicher Richter“ bedeutet, dass sich der für die
einzelne Sache zuständige Richter im Voraus eindeutig aus einer allgemeinen Regelung ergeben
muss. Kennzeichen der Gewährleistung des gesetzlichen Richters ist die normative, abstrakt-
generelle Vorherbestimmung des jeweils für die Entscheidung zuständigen Richters (BAG
26. September 1996 - 8 AZR 126/95 - BAGE 84, 189, 194; 20. Juni 2007 - 10 AZR 375/06 -) .
12 2. Dem wird die erneute Heranziehung der ehrenamtlichen Richterin M und des ehrenamtlichen
Richters S zu der Sitzung der Kammer 11 des Landesarbeitsgerichts am 14. Juni 2006 nicht
gerecht. Der Beschluss der Vorsitzenden dieser Kammer vom 16. November 2005 über die
Heranziehung der dieser Kammer im Jahr 2006 zugewiesenen ehrenamtlichen Richterinnen und
Richter trägt die Heranziehung der ehrenamtlichen Richter aus dem Termin vom 20. April 2006
nicht. Es lag schon keine Vertagung nach Abschn. III Nr. 1 des Beschlusses vor. Zudem stellt
Abschn. III Nr. 1 des Beschlusses vom 16. November 2005 für die Abweichung der in Abschn. I
Nr. 1 und Abschn. II vorgeschriebenen Reihenfolge der Heranziehung auf den persönlichen
Eindruck aller beteiligten Richterinnen und/oder Richter von bereits erhobenen Beweisen sowie auf
den Umfang und die Schwierigkeit der Sache ab und genügt damit dem Erfordernis einer normativ
gebundenen Heranziehung von ehrenamtlichen Richtern nach § 39 ArbGG nicht. Obgleich es sich
bei dieser Vorschrift dem Wortlaut nach um eine Sollvorschrift handelt, konkretisiert die
Bestimmung das Gebot des gesetzlichen Richters und hindert damit die Heranziehung nicht
eindeutig im Voraus bestimmter ehrenamtlicher Richter.
13 3. Die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts ist unverzichtbar,
so dass das Einverständnis des Klägers mit der Besetzung der Richterbank nichts am Erfolg der
Rüge ändert.
14 III. Die Sache war an die Kammer 11 des Landesarbeitsgerichts zurückzuverweisen, weil nur
dadurch der Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters geheilt werden kann (BAG
20. Juni 2007 - 10 AZR 375/06 - mwN) .
Dr. Freitag
Marquardt
Brühler
Simon
Großmann