Urteil des BAG vom 09.11.2007

BAG: Antrag des Betriebsrats auf Feststellung der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers, fehlendes Rechtsschutzinteresse, eintragung im handelsregister, konkretes rechtsverhältnis, arbeitgeberverband

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 1.7.2009, 4 ABR 8/08
Antrag des Betriebsrats auf Feststellung der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers - fehlendes
Rechtsschutzinteresse
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des
Landesarbeitsgerichts Hamm vom 9. November 2007 - 13 TaBV 48/07 - wird
zurückgewiesen.
Gründe
1 I. Die Beteiligten - die Arbeitgeberin und der bei ihr gebildete antragstellende Betriebsrat - streiten
über die Tarifgebundenheit einer Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin an einen Gehaltstarifvertrag
der nordrheinischen Textilindustrie.
2 Im räumlichen und fachlichen Tätigkeitsbereich der Arbeitgeberin ist der Verband der Rheinischen
Textilindustrie e.V. mit Sitz in Wuppertal (im Folgenden: Arbeitgeberverband) für den Abschluss
von Tarifverträgen zuständig. Eine Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin, die R GmbH & Co. KG
(im Folgenden: KG) gehörte dem Arbeitgeberverband als Mitglied an. Komplementärin dieser KG
war die Firma R-GmbH; die A GmbH (im Folgenden: A GmbH) war deren Kommanditistin. Im
Jahre 2005 wurde die R-GmbH auf die A GmbH verschmolzen. Damit wuchs das gesamte
Gesellschaftsvermögen der KG bei der einzig verbliebenen Gesellschafterin an. Das Erlöschen
der KG wurde am 16. Februar 2005 im Handelsregister eingetragen. Die A GmbH firmierte mit
Wirkung ab 1. März 2005 in die A D GmbH um. Einen eigenen ausdrücklichen Aufnahmeantrag in
den Arbeitgeberverband hat die A GmbH zu keinem Zeitpunkt gestellt. Sie hat jedoch den
Mitgliedsbeitrag für das Jahr 2005 an den Arbeitgeberverband gezahlt.
3 Am 3. März 2005 fanden bei der A D GmbH Gespräche über den Abschluss eines
Firmentarifvertrages statt, an denen Repräsentanten des Arbeitgeberverbandes und der IG Metall
teilnahmen. Zu diesem Zeitpunkt gingen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass die A D
GmbH Verbandsmitglied sei. In einem Telefonat am 4. Mai 2006 wurde dies auch vom
Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes dem Vorsitzenden des antragstellenden Betriebsrates
mitgeteilt. Das Unternehmen selbst erklärte mit Schreiben vom 21. Juni 2006 gegenüber dem
Arbeitgeberverband „äußerst vorsorglich“ die Kündigung der Mitgliedschaft zum nächstmöglichen
Termin.
4 Am 22. Dezember 2006 teilte der Arbeitgeberverband dem antragstellenden Betriebsrat mit, dass
die A D GmbH zu keinem Zeitpunkt Verbandsmitglied gewesen sei.
5 Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, die A D GmbH sei jedenfalls bis zum 31. Dezember
2006 Mitglied des Verbandes und damit an die von diesem abgeschlossenen Tarifverträge
gebunden gewesen. Die Mitgliedschaft ergebe sich konkludent aus dem Verhalten des
Unternehmens, das durch den Verband im Jahre 2005 bis zu dem Telefonat zwischen dem
Betriebsratsvorsitzenden und dem Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes bestätigt worden
sei.
6 Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt,
festzustellen, dass im Betrieb der A D GmbH bis zum 31. Dezember 2006 der
Gehaltstarifvertrag der nordrheinischen Textilindustrie vom 12. Mai 2006 galt.
7 Die Arbeitgeberin hat beantragt den Antrag zurückzuweisen.
8 Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete
Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen und die
Rechtsbeschwerde zugelassen. Nach Einlegung der Rechtsbeschwerde des Betriebsrates ist die
A D GmbH gemäß der Eintragung im Handelsregister vom 30. Juli 2008 auf die P GmbH
verschmolzen worden, die am darauffolgenden Tag zu der jetzigen Firma der Arbeitgeberin
umfirmiert worden ist. Der Betriebsrat verfolgt mit der Rechtsbeschwerde sein zuletzt in der
Rechtsbeschwerdeinstanz präzisiertes Anliegen weiter. Die Arbeitgeberin beantragt, die
Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
9 II. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im
Ergebnis zu Recht die Beschwerde des Betriebsrates gegen den erstinstanzlichen Beschluss
zurückgewiesen. Der Antrag des Betriebsrates ist unzulässig.
10 1. Nach § 256 Abs. 1 ZPO ist eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens
eines Rechtsverhältnisses dann zulässig, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat,
das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald feststellen zu lassen. § 256 Abs. 1
ZPO setzt im Allgemeinen voraus, dass zwischen den Parteien eines Feststellungsprozesses ein
klärungsfähiges und klärungsbedürftiges konkretes Rechtsverhältnis besteht. Ein
Rechtsverhältnis im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO kann auch ein einzelner Anspruch sein, nicht
dagegen bloße Elemente oder Vorfragen eines Anspruchs (BAG 24. Januar 2001 - 7 ABR 2/00 -
mwN, AP ArbGG 1979 § 81 Nr. 50) . Darüber hinaus muss das Rechtsschutzinteresse auch noch
in der Rechtsbeschwerdeinstanz bestehen. Es fehlt, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung
für die Beteiligten keine rechtliche Wirkung mehr entfalten kann (BAG 16. April 2008 - 7 ABR 4/07 -
AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 32 = EzA BetrVG 2001 § 1 Nr. 7; 13. März 1991 -
7 ABR 5/90 - BAGE 67, 361) .
11 2. Vorliegend mangelt es dem Betriebsrat an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse für den
zuletzt gestellten Feststellungsantrag.
12 Dabei ist nicht darüber zu befinden, ob und unter welchen Bedingungen die Tarifgebundenheit
eines Arbeitgebers Gegenstand eines Feststellungsantrages sein kann (ebenfalls offengelassen in
BAG 24. April 2007 - 1 ABR 27/06 - BAGE 122, 121, 124 f.). Bei der Frage der Tarifgebundenheit
der Arbeitgeberin an einen konkreten Tarifvertrag handelt es sich um eine Rechtsfrage, die sich in
einer Vielzahl von Rechtsverhältnissen, an denen die Arbeitgeberin beteiligt ist, in ganz
unterschiedlicher Weise stellen kann, zB bei § 3, § 77 Abs. 3, § 80 Abs. 1 Nr. 1, § 86, § 87 Abs. 1,
§ 99 Abs. 1 und 2 BetrVG. Nicht jede materiell-rechtlich begründete Bindung einer Arbeitgeberin,
die für betriebsverfassungsrechtliche Positionen des Betriebsrates Wirkung entfalten kann, ist als
ein den Betriebsrat betreffendes Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO anzusehen. Hinsichtlich
einer eigenen Rechtsposition des Betriebsrates handelt es sich bei der Tarifgebundenheit der
Arbeitgeberin lediglich um eine Vorfrage. Durch eine stattgebende Entscheidung würde nicht
endgültig geklärt, ob dem Betriebsrat eine betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition
tatsächlich zusteht. Die abstrakte Beantwortung der Frage liefe auf die Erstellung eines
Rechtsgutachtens hinaus. Das ist - mit der gesondert normierten Ausnahme nach § 9 TVG -
grundsätzlich nicht die Aufgabe der Gerichte. Diese entscheiden über das Bestehen konkreter
Rechtsverhältnisse, Ansprüche und Verpflichtungen (BAG 3. Mai 2006 - 1 ABR 63/04 - AP
BetrVG 1972 § 81 Nr. 61) . Ein solches den Betriebsrat selbst betreffendes Rechtsverhältnis ist im
Antrag des Betriebsrates aber nicht genannt. Allein der Umstand, dass die Tarifgebundenheit des
Arbeitgebers für das Verhalten der Beteiligten in zahlreichen verschiedenen Fällen und
Fallkonstellationen von Bedeutung sein kann, reicht für das Rechtsschutzinteresse nicht aus (vgl.
BAG 27. Januar 2004 - 1 ABR 5/03 - BAGE 109, 227, 234) . Dies gilt im Streitfall um so mehr, als
sich der zuletzt gestellte Antrag des Betriebsrates auf die Rechtslage in einem bereits seit mehr
als zwei Jahren abgeschlossenen Zeitraum beschränkt und unter keinem Gesichtspunkt
erkennbar ist, welches aktuelle betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis des Betriebsrats
von der begehrten Feststellung erfasst werden könnte.
Bepler
Treber
Creutzfeldt
Dierßen
Grimm