Urteil des BAG vom 17.03.2010

Unternehmensübergreifender Gesamtbetriebsrat - Unwirksamkeit eines Sozialplans

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 17.3.2010, 7 AZR 706/08
Unternehmensübergreifender Gesamtbetriebsrat - Unwirksamkeit eines Sozialplans
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
München vom 11. März 2008 - 6 Sa 461/07 - aufgehoben.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom
3. Dezember 2004 - 37 Ca 23675/03 - wird zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über einen Abfindungsanspruch aus einem Sozialplan.
2 Die Klägerin war nach den unangegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts seit dem
1. April 1992 bei der nunmehr auf die Beklagte verschmolzenen D AG und deren
Rechtsvorgängerin zuletzt im Service-Zentrum M der Abteilung Telefonischer Schadensdienst
beschäftigt. Im Zuge unternehmerischer Umstrukturierungen war ihr zunächst mit der T AG
geschlossenes Arbeitsverhältnis nach den Feststellungen des Berufungsgerichts „unter Beitritt“
der D AG „geführt worden“.
3 Die Unternehmen der W-Gruppe, zu denen auch die D AG zählte, bildeten jedenfalls ab 1995 mit
den Unternehmen der D-Gruppe unter dem Dach einer Holding einen Konzern. Nach den
unangefochtenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts schlossen „die W-Versicherungen mit
dem Gesamtbetriebsrat“ am 17. Mai 1999 einen Rahmeninteressenausgleich und einen
Sozialplan. Am 12. Mai 2000 schlossen nach den gleichfalls unangefochtenen Feststellungen des
Landesarbeitsgerichts die „W-Versicherungen mit dem Gesamtbetriebsrat“ den ua. die Schließung
des Service-Zentrums M betreffenden Teilinteressenausgleich „O“.
4 Der Errichtung des den Rahmeninteressenausgleich, Sozialplan und Teilinteressenausgleich
abschließenden „Gesamtbetriebsrats“ liegt die „Konzeption zur Betriebsverfassung der D“ vom
1. Dezember 1997 (Konzeption 1997) zugrunde. In dieser heißt es ua.:
„Die Unternehmen der D, T und W bilden eine Versicherungsgruppe. Die folgende
Konzeption dient der Sicherung der Gleichbehandlung aller Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter.
I. Die einzelnen Betriebsstätten der D-, T- und W-Unternehmen in B, H, K, M, O und W
sowie die Gebietsdirektionen, Filialdirektionen und Vertriebsdirektionen bilden jeweils
eine organisatorische Einheit. Die Mehrzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist für
mehrere Unternehmen der D, T und W tätig.
...
II.
1. ...
2. Die Mehrzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Direktion M, des
Service-Zentrums M und der ID N sind für mehrere D-Unternehmen tätig.
Die typischen mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen des
Arbeitgebers werden für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Direktion
M, des Service-Zentrums M und der ID N einheitlich getroffen, soweit sie
nicht dem VID/AD der Ressorts M/M- bzw. Stamm-Vertrieb angehören.
3. -
4.
...
5. Es bestehen danach Repräsentanzen für die einzelnen Betriebe der D-, T-
und W-Unternehmen. Bei engen Verflechtungen der Betriebe
(Arbeitsorganisation) und der Notwendigkeit zur Gleichbehandlung der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt es jedoch Fragen, die über den
betrieblichen Bereich hinausgehen.
Zur Zusammenarbeit in derartigen Fragen sieht das
Betriebsverfassungsgesetz die Bildung eines Gesamtbetriebsrates vor.
Nach § 47 Abs. 4 BetrVG kann die Mitgliederzahl durch eine
Betriebsvereinbarung geregelt werden. Eine entsprechende Vereinbarung
ist beigefügt (Anlage 2).“
5 Die Anlage 2 zur Konzeption 1997 lautet auszugsweise:
„Vereinbarung zur Bildung eines Gesamtbetriebsrates gem. § 47 Abs. 5 BetrVG
zwischen
D Holding Aktiengesellschaft
- nachstehend Unternehmen genannt -
und dem
Gesamtbetriebsrat D
Gesamtbetriebsrat T
Gesamtbetriebsrat W
wird folgende Vereinbarung getroffen:
1. Zur Behandlung von Angelegenheiten im Sinne des § 50 BetrVG, die alle oder
mehrere Betriebe der D-, T- sowie W-Unternehmen betreffen, wird ein
Gesamtbetriebsrat D gebildet.
2. In den Gesamtbetriebsrat entsenden
der Betriebsrat Direktion M
2 Mitglieder
der Betriebsrat SZ M
1 Mitglied
der Betriebsrat Industrie N
1 Mitglied
der Betriebsrat W
7 Mitglieder
…“
Erklärung
der beteiligten Gewerkschaften
„Unter Beachtung der engen Verflechtung der D-Unternehmen und der bisher bestehenden
betrieblichen Übung sehen wir die Konzeption der D-Unternehmen als angemessene
Regelung für den Umfang der Beteiligungsrechte und die Form der Zusammenarbeit an.
Wir werden die in den Verhandlungen erarbeitete Konzeption gegenüber unseren
Mitgliedern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der D-Unternehmen vertreten.“
7 Nachdem die Arbeitgeberseite auf einer Informationsveranstaltung am 26. und 27. Oktober 1999
den Arbeitnehmern des Service-Zentrums M mitgeteilt hatte, dieses solle zum 31. Dezember 2001
geschlossen und seine Aufgaben auf die Zentren H, K und W verlagert werden, bat die Klägerin
mit einem an die D AG und die „T Versicherung“ gerichteten Schreiben vom 21. Januar 2000 um
Aufhebung ihres Arbeitsvertrags zum 29. Februar 2000. Die D AG bestätigte mit Schreiben vom
24. Januar 2000 den Eingang des „Kündigungsschreibens“ und erklärte sich damit einverstanden,
das Arbeitsverhältnis zum von der Klägerin gewünschten Zeitpunkt zu beenden.
8 Mit ihrer am 19. Dezember 2003 erhobenen und zuletzt nur noch gegen die Beklagte gerichteten
Klage hat die Klägerin die Zahlung einer der Berechnung und Höhe nach unstreitigen Abfindung
von 21.686,21 Euro nebst Zinsen auf der Grundlage des Sozialplans vom 17. Mai 1999 verlangt.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Sozialplan sei nicht etwa deshalb unwirksam, weil er von
einem in der Betriebsverfassung nicht vorgesehenen unternehmensübergreifend errichteten
Gesamtbetriebsrat geschlossen worden sei. Die Errichtung dieses Gremiums auf der Grundlage
der Konzeption 1997 gehe darauf zurück, dass zwischen den beteiligten Unternehmen des D -
Konzerns eine Vereinbarung zur gemeinsamen Führung aller Unternehmen in personellen und
sozialen Angelegenheiten bestanden habe. Diese Leitungsvereinbarung berücksichtige, dass
sämtliche Mitarbeiter der „D“ jedenfalls auch Arbeitnehmer der Beklagten bzw. deren
Rechtsvorgängerin seien und gegebenenfalls daneben in einem weiteren Arbeitsverhältnis mit
einem verbundenen Unternehmen stünden. Jedenfalls sei eine mögliche Unwirksamkeit des
aufgrund der Konzeption 1997 geschaffenen Gremiums durch seine rechtsverbindliche Billigung
seitens der Gewerkschaften geheilt worden.
9 Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 21.686,21 Euro brutto nebst Zinsen iHv. vier Prozent seit
dem 1. April 2000 zu zahlen.
10 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die
Klageforderung könne nicht auf den Sozialplan vom 17. Mai 1999 gestützt werden. Dieser sei
unwirksam, denn die Errichtung der ihn abschließenden unternehmensübergreifenden
Arbeitnehmervertretung verstoße gegen zwingende betriebsverfassungsrechtliche
Organisationsvorschriften.
11 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr zunächst auf die
Berufung der Klägerin entsprochen. Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht
die Entscheidung aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung der Klägerin
daraufhin erneut entsprochen und der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte
weiterhin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen klageabweisenden Urteils. Die Klägerin
beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
12 Die Revision der Beklagten ist begründet und führt unter Aufhebung der Entscheidung des
Landesarbeitsgerichts zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klage ist
unbegründet.
13 I. Die Klägerin kann die Klageforderung nicht auf den Sozialplan vom 17. Mai 1999 stützen. Dieser
Sozialplan ist unwirksam.
14 1. Nach den unangefochtenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts schlossen den Sozialplan
vom 17. Mai 1999 „die W-Versicherungen mit dem Gesamtbetriebsrat“. Der „Gesamtbetriebsrat“
ist unternehmensübergreifend errichtet worden. Dies verstößt gegen zwingende
Organisationsvorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes.
15 a) Nach § 47 Abs. 1 BetrVG wird der Gesamtbetriebsrat für ein Unternehmen gebildet. Das
Betriebsverfassungsgesetz kennt keinen eigenständigen Unternehmensbegriff, sondern setzt ihn
voraus. Es knüpft dabei an die in anderen Gesetzen für das Unternehmen vorgeschriebenen
Rechts- und Organisationsformen an. Nach den Vorschriften des Aktiengesetzes, des GmbH-
Gesetzes, des Handelsgesetzbuches und des Bürgerlichen Gesetzbuches können die
Kapitalgesellschaften, die Gesellschaften des Handels- und des bürgerlichen Rechts wie auch
Vereine jeweils nur Träger eines einheitlichen Unternehmens sein(BAG 13. Februar 2007 - 1 AZR
184/06 - Rn. 17 mwN, BAGE 121, 168). Für das Betriebsverfassungsgesetz folgt die das
Unternehmen kennzeichnende Einheitlichkeit seines Rechtsträgers vor allem aus der im Gesetz
angelegten Unterscheidung zwischen Konzern und Unternehmen. Ein Konzern ist unabhängig von
seiner konkreten Ausgestaltung trotz einer einheitlichen Leitung kein einheitliches Unternehmen,
sondern ein Zusammenschluss rechtlich selbständiger Unternehmen, die infolge des
Zusammenschlusses ihre rechtliche Selbständigkeit als Unternehmen nicht verlieren. Die
rechtliche Selbständigkeit von Kapitalgesellschaften und Gesamthandsgesellschaften des
Handelsrechts geht auch nicht dadurch verloren, dass sie mit einem oder mehreren Unternehmen
wirtschaftlich verflochten sind oder Personengleichheit der Geschäftsführung besteht.
Dementsprechend kann sich ein Unternehmen iSd. BetrVG nicht über den Geschäfts- und
Tätigkeitsbereich seines Rechtsträgers hinaus erstrecken. Vielmehr markiert der Rechtsträger mit
seinem Geschäfts- und Tätigkeitsbereich die Grenzen des Unternehmens. Der Begriff des
Unternehmens setzt damit auch in § 47 BetrVG die Einheitlichkeit und die rechtliche Identität des
betreibenden Unternehmens voraus. Um einen Gesamtbetriebsrat zu bilden, müssen daher die
mehreren Betriebe alle von demselben Unternehmen betrieben werden. Für Betriebe
verschiedener Rechtsträger kann kein gemeinsamer Betriebsrat errichtet werden (BAG
13. Februar 2007 - 1 AZR 184/06 - Rn. 18 f. mwN, aaO).
16 b) Der den Sozialplan vom 17. Mai 1999 schließende „Gesamtbetriebsrat“ wurde
unternehmensübergreifend und damit unter Verstoß gegen § 47 BetrVG errichtet.
17 aa) Das Landesarbeitsgericht hat in den Gründen seiner Entscheidung ausgeführt, der gebildete
„Gesamtbetriebsrat“ sei für alle Unternehmen errichtet worden und dabei Bezug genommen auf
die Auflistung der Unternehmen, die den Teilinteressenausgleich „O“ vom 12. Mai 2000
abgeschlossen haben. Hierbei handelt es sich um eine für den Senat bindende Feststellung. Eine
solche Feststellung kann auch in den Entscheidungsgründen enthalten sein(BAG 18. September
2003 - 2 AZR 498/02 - zu B I 1 der Gründe, AP ZPO § 314 Nr. 4 = EzA ZPO 2002 § 314 Nr. 1).
Diese Feststellung entspricht der Konzeption 1997. Nach I. Satz 1 dieser Konzeption bilden die
einzelnen Betriebsstätten „der D-, T- und W-Unternehmen“ in verschiedenen Städten sowie die
Gebietsdirektionen, Filialdirektionen und Vertriebsdirektionen jeweils eine organisatorische Einheit.
Dabei ist nach I. Satz 2 der Konzeption 1997 die Mehrzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „für
mehrere Unternehmen tätig“. Aus II. Nr. 2 der Konzeption 1997 ergibt sich, dass die typischen
mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen des Arbeitgebers ua. für das Service-Zentrum M, in
dem die Klägerin tätig war, einheitlich getroffen werden und dort ein einheitlicher Betriebsrat
gewählt wird. Nach der in II. Nr. 5 der Konzeption 1997 in Bezug genommenen Anlage 2 Nr. 1 wird
„zur Behandlung von Angelegenheiten iSd. § 50 BetrVG, die alle oder mehrere Betriebe der D-, T-
sowie W-Unternehmen betreffen“, ein Gesamtbetriebsrat D gebildet.
18 bb) Die Bildung eines unternehmensübergreifenden „Gesamtbetriebsrats“ verstößt auch dann
gegen § 47 BetrVG, wenn die Unternehmen der Versicherungsgruppe ausschließlich oder
teilweise Gemeinschaftsbetriebe iSv. § 1 Abs. 2 BetrVG unterhalten. Auch für von verschiedenen
Trägerunternehmen unterhaltene Gemeinschaftsbetriebe kann kein unternehmensübergreifender
Gesamtbetriebsrat errichtet werden; die Trägerunternehmen werden durch die Bildung von
Gemeinschaftsbetrieben nicht zu einem Unternehmen iSv. § 47 BetrVG. Vielmehr entsenden die
Betriebsräte der Gemeinschaftsbetriebe jeweils Mitglieder in sämtliche bei den
Trägerunternehmen zu errichtenden Gesamtbetriebsräte. Dies folgt zwingend aus § 47 Abs. 9
BetrVG(vgl. BAG 13. Februar 2007 - 1 AZR 184/06 - Rn. 19 mwN, BAGE 121, 168).
19 cc) Die Unternehmen der D-Versicherungsgruppe haben sich nicht etwa unter Wahrung ihrer
rechtlichen Selbständigkeit zu einem einheitlichen Unternehmensträger in Form einer
Unternehmensführungsgesellschaft nach bürgerlichem Recht verbunden. Für die Annahme,
alleinige Arbeitgeberin, bei der ein Gesamtbetriebsrat wirksam errichtet werden konnte, sei die D
Versicherung AG, gibt es ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte. Nach der Konzeption 1997
ist die Mehrzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den einzelnen Betriebsstätten vielmehr „für
mehrere Unternehmen der D, T und W tätig“. In II. Nr. 5 der Einleitung zur Konzeption 1997 ist
ausgeführt, dass Repräsentanzen für die einzelnen Betriebe „der D-, T- und W-Unternehmen“
bestehen. Weiter wird in Nr. 1 der Anlage 2 zur Konzeption 1997 auf die alle oder mehrere Betriebe
„der D-, T- sowie W-Unternehmen betreffenden“ Angelegenheiten im Sinne des § 50 BetrVG
Bezug genommen. Dies spricht gegen die Annahme, die Betriebe seien sämtlich von der auf die
Beklagte verschmolzenen D AG geführt worden.
20 dd) Die Zulässigkeit der Errichtung des „Gesamtbetriebsrats“ ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 1 Nr. 2
oder 3 BetrVG. Der aufgrund der Konzeption 1997 gebildeten Gesamtarbeitnehmervertretung liegt
keine tarifvertragliche Vereinbarung zugrunde. Die Anlage 2 der Konzeption 1997 ist vielmehr
zwischen der D-Holding AG und mehreren Gesamtbetriebsräten vereinbart worden. Bei der
„Erklärung der beteiligten Gewerkschaften“ auf Seite 18 der Konzeption 1997 handelt es sich nicht
um einen Tarifvertrag, sondern lediglich um die zustimmende Erklärung einer Tarifvertragspartei
zu der betrieblichen Regelung.
21 2. Der unter Verstoß gegen § 47 BetrVG errichtete „Gesamtbetriebsrat“ ist rechtlich nicht existent.
Sein Handeln ist unbeachtlich; der mit ihm geschlossene Sozialplan vom 17. Mai 1999 ist
unwirksam.
22 a) Bereits funktionelle Zuständigkeitsüberschreitungen im Verhältnis zwischen Betriebsrat,
Gesamtbetriebsrat und Konzernbetriebsrat führen zur Unwirksamkeit der von dem unzuständigen
Betriebsverfassungsorgan geschlossenen Vereinbarungen(vgl. BAG 24. Mai 2006 - 7 AZR
201/05 - Rn. 11, AP BetrVG 1972 § 29 Nr. 6 = EzA BetrVG 2001 § 29 Nr. 1). Dies gilt erst recht,
wenn ein Gremium betriebsverfassungsrechtlich gar nicht vorgesehen und unter Verkennung
zwingender betriebsverfassungsrechtlicher Organisationsvorschriften errichtet worden ist. Ein
solches Gremium ist rechtlich nicht existent (vgl. auch für die unter Verkennung der
Voraussetzungen des § 54 BetrVG erfolgte Errichtung eines Konzernbetriebsrats: BAG 23. August
2006 - 7 ABR 51/05 - AP BetrVG 1972 § 54 Nr. 12 = EzA BetrVG 2001 § 54 Nr. 2; 14. Februar
2007 - 7 ABR 26/06 - BAGE 121, 212). Ihm stehen daher auch keine
betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse zu. Von ihm abgeschlossene Betriebsvereinbarungen
sind unwirksam.
23 b) Hiernach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, aufgrund der vom Willen der
Betriebspartner getragenen und gewerkschaftlich gebilligten Errichtung des
unternehmensübergreifenden „Gesamtbetriebsrats“ seien die von diesem abgeschlossenen
Betriebsvereinbarungen wirksam, rechtsfehlerhaft. Die Errichtung des Gremiums nach der Anlage
2 zur Konzeption 1997 verstößt evident gegen die gesetzlichen Organisationsvorschriften des
BetrVG. Es ist ein Vertretungsorgan gebildet worden, das vom Betriebsverfassungsgesetz nicht
vorgesehen ist und keinen gesetzlichen Aufgabenbereich hat. Eine solche Arbeitnehmervertretung
ist rechtlich nicht existent und kann keine wirksamen Vereinbarungen abschließen. Die Billigung
der Errichtung des „Gesamtbetriebsrats“ durch eine gewerkschaftliche Erklärung vermag hieran
nichts zu ändern. Die Tarifvertragsparteien können nur nach Maßgabe der gesetzlichen
Regelungen betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten gestalten(§ 3 Abs. 1 BetrVG).
24 c) Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten
die durch die Anlage 2 zur Konzeption 1997 geschaffene Vertretungsstruktur ersichtlich längere
Zeit mitgetragen hat. Kommt es für die Begründetheit eines auf einen Sozialplan gestützten
Anspruchs eines Arbeitnehmers auf die Wirksamkeit des Sozialplans an, ist der Arbeitgeber nicht
gehindert, sich auf die Unwirksamkeit des Sozialplans zu berufen, auch wenn er diesen
abgeschlossen und das rechtlich nicht existente betriebsverfassungsrechtliche Organ des
Betriebspartners akzeptiert hat.
25 II. Die klagestattgebende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich nicht aus anderen
Gründen als richtig(§ 561 ZPO). Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat den Arbeitnehmern
keine Gesamtzusage über die Zahlung einer Abfindung unter Zugrundelegung der
Voraussetzungen des Sozialplans vom 17. Mai 1999 erteilt.
26 1. Die Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage kommt
allenfalls ausnahmsweise dann in Betracht, wenn besondere Umstände die Annahme
rechtfertigen, der Arbeitgeber habe sich unabhängig von der Betriebsvereinbarung auf jeden Fall
verpflichten wollen, seinen Arbeitnehmern die in dieser vorgesehenen Leistungen zu
gewähren(vgl. BAG 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 34, BAGE 118, 211). Dabei ist
insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Arbeitgeber von einer Betriebsvereinbarung durch
Kündigung jederzeit lösen kann, während eine Änderung der Arbeitsverträge, zu deren Inhalt eine
Gesamtzusage wird, nur einvernehmlich oder durch gerichtlich überprüfbare Änderungskündigung
möglich ist. Ein hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich unabhängig von der Wirksamkeit einer
Betriebsvereinbarung auf Dauer zu binden, ist daher nur in Ausnahmefällen anzunehmen (BAG
30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - aaO).
27 2. Hiernach hat sich die Beklagte nicht im Wege einer Gesamtzusage verpflichtet, die Abfindungen
nach Maßgabe des unwirksamen Sozialplans vom 17. Mai 1999 zu zahlen. Besondere Umstände,
die die Annahme rechtfertigen, die Beklagte habe sich unabhängig vom Sozialplan auf jeden Fall
verpflichten wollen, ihren Arbeitnehmern die in diesem vorgesehenen Leistungen zu gewähren,
liegen nicht vor. Rechtsfolge der Unwirksamkeit des Sozialplans ist vielmehr, dass für die
durchgeführte Betriebsänderung ein wirksamer Sozialplan - trotz der ggf. bestehenden
Verpflichtung nach § 112 BetrVG - bislang nicht zustande gekommen ist.
28 III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1 ZPO.
Linsenmaier
Gräfl
Schmidt
Bea
Willms