Urteil des BAG vom 22.05.2007

BAG (anspruch auf rechtliches gehör, rechtliches gehör, kläger, verhalten, abmahnung, beschwerde, kündigung, partei, gespräch, bag)

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluß vom 22.5.2007, 3 AZN
1155/06
Pflicht zur Parteivernehmung oder Parteianhörung
Leitsätze
Hat ein Gespräch allein zwischen den Parteien stattgefunden, kann die für den Inhalt des Gesprächs
beweisbelastete Partei Beweis antreten, indem sie ihre eigene Anhörung oder Vernehmung beantragt.
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen
Landesarbeitsgerichts vom 17. Oktober 2006 - 7 Sa 964/05 - aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die
Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens - an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1 I. Die Parteien streiten darüber, ob eine von der Beklagten verhaltensbedingt begründete
Kündigung berechtigt ist und ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger weiterzubeschäftigen. Der
Kläger ist bei der Beklagten als Chefkoch eingesetzt. Die Parteien streiten darüber, ob er durch
sein Verhalten die Tätigkeit der später eingestellten Hoteldirektorin in nicht hinnehmbarer Weise
erschwert hat und ob hinsichtlich seines Verhaltens eine Abmahnung erforderlich war, bevor die
Kündigung ausgesprochen wurde. Dabei geht es auch darum, ob aus einem Gespräch zwischen
dem Kläger und den Geschäftsführern der Beklagten geschlossen werden kann, dass eine
Abmahnung des Klägers von vornherein keinen Erfolg gehabt hätte. Nach dem Vortrag der
Beklagten hat der Kläger die Frage, ob man sich zwischen ihm und der Hoteldirektorin
entscheiden müsse, bejaht.
2 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat
das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet
sich die auf grundsätzliche Bedeutung und einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches
Gehör gestützte Nichtzulassungsbeschwerde.
3 II. Die Beschwerde führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
4 1. Soweit sie auf grundsätzliche Bedeutung gestützt ist, kann die Beschwerde nicht zur Zulassung
der Revision führen. Sie erfüllt nicht die an eine Begründung (§ 72a Abs. 3 ArbGG) der
Beschwerde zu stellenden Anforderungen.
5 a) Wird eine Beschwerde auf grundsätzliche Bedeutung gestützt, ist in ihr ua. aufzuführen, welche
fallübergreifende, abstrakte Interpretation von Rechtsbegriffen das Landesarbeitsgericht
vorgenommen hat und dass diese nach Auffassung des Beschwerdeführers fehlerhaft ist (BAG
24. März 1993 - 4 AZN 5/93 - BAGE 73, 4) . In der Begründung ist deshalb anzuführen, von
welchen fallübergreifenden, abstrakten Überlegungen das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist.
Bezogen darauf ist dann die grundsätzliche Bedeutung darzulegen.
6 b) Als grundsätzlich bezeichnet die Beklagte die Rechtsfrage, “ob sich der Kläger bei dem hier zu
beurteilenden Sachverhalt auf die Rechtsprechung des BAG zu Abmahnungen berufen” kann.
Damit ist keine Rechtsfrage aufgezeigt, sondern lediglich auf mögliche Rechtsfehler des
Landesarbeitsgerichts abgestellt. Das reicht zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde
nicht aus.
7 2. Die Beklagte macht jedoch erfolgreich eine entscheidungserhebliche Verletzung ihres
Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend (§ 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG, Art. 103 GG). Das führt zur
Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 72a Abs. 7 ArbGG).
8 a) Das Landesarbeitsgericht führt dabei aus, “hinsichtlich des Verhaltens des Klägers gegenüber
der neuen Hoteldirektorin” reichten die Vorwürfe nicht zum Ausspruch einer ordentlichen
Kündigung. Auch hier habe die Beklagte zunächst das von ihr beanstandete Verhalten des Klägers
abmahnen müssen. Es sei kein derart grober Pflichtverstoß zu erkennen, der ausnahmsweise zur
Kündigung ohne vorherige Abmahnung berechtigt hätte. Es habe an klaren
Kompetenzabgrenzungen gefehlt. Soweit die Gespräche stattgefunden hätten, habe die Beklagte
dem Kläger keine klaren Anweisungen erteilt und dem Kläger nicht für den Fall von Verstößen
dagegen im Wiederholungsfall die Kündigung angedroht. Es heißt dann im Urteil weiter:
“Soweit die Beklagte behauptet, der Kläger habe in dem Gespräch am 31.05.2005 die
Beklagte vor die Wahl gestellt, sie müsse sich zwischen ihm und Frau M entscheiden, so hat
sie für diese bestrittene Behauptung keinen zulässigen Beweis angeboten.”
9 Es sei auch - so die anzufechtende Entscheidung - durch keinen nachvollziehbaren Grund
dargelegt worden, dass der Kläger nach einer konkreten Abmahnung sein von der Beklagten
beanstandetes Verhalten nicht geändert hätte. Die Beklagte habe daher vorschnell gehandelt,
indem sie dem Kläger das Arbeitsverhältnis gekündigt habe, ohne ihm vorher die Möglichkeit zu
geben, sein Verhalten in Zukunft zu ändern.
10 Das Landesarbeitsgericht ist deshalb davon ausgegangen, das Verhalten des Klägers im
Verhältnis zur Hoteldirektorin stelle keine Pflichtverletzung dar. Jedenfalls keine so grobe
Pflichtverletzung, dass die sofortige Kündigung gerechtfertigt sei. Auch sei hinsichtlich des
beanstandeten Verhaltens nicht ersichtlich, dass nach einer Abmahnung eine Änderung des
Verhaltens des Klägers möglich gewesen wäre.
11 Soweit es dagegen darum geht, dass der Kläger die Beklagte vor die Wahl gestellt habe, sich
zwischen ihm und der Hoteldirektorin zu entscheiden, und damit nicht um das beanstandete
Verhalten gegenüber der Hoteldirektorin, hat das Landesarbeitsgericht tragend darauf abgestellt,
dass die Beklagte insoweit keinen zulässigen Beweis angetreten hat.
12 b) Unter Angabe der Fundstellen ihres Sachvortrages in der Berufungsbegründungsschrift und
Hinweis auf die Tatsache ihres Beweisantritts rügt die Beklagte im Zusammenhang mit ihrer
Behauptung mangelnden rechtlichen Gehörs, das Berufungsgericht habe sich nicht mit ihrem
Vortrag auseinandergesetzt, geschweige denn Beweis erhoben. Aus der angegebenen Stelle der
Berufungsbegründungsschrift ergibt sich, dass die Beklagte hinsichtlich des streitigen Gesprächs
Beweis angetreten hat durch Parteivernehmung ihrer Geschäftsführer. In der Beschwerdeschrift
führt sie dazu aus, Ziel des Gespräches sei es gewesen, den Kläger zum Einlenken zu bewegen
und insofern habe es in der Natur der Sache gelegen, dass kein Zeuge dem Gespräch beiwohnte.
13 Die Beschwerde rügt deshalb im Ergebnis, das Landesarbeitsgericht habe nicht davon ausgehen
dürfen, sie habe nicht in zulässiger Weise Beweis für ihren Sachvortrag im Hinblick auf den Inhalt
des Gesprächs angetreten und damit ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
14 c) Dieser gerügte Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) liegt vor.
15 aa) Art. 103 Abs. 1 GG sichert - iVm. Art. 2 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 3 GG
gewährleisteten Rechtsstaatsprinzip - den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht und das
mit ihm im Zusammenhang stehende Recht auf Gewährleistung eines wirkungsvollen
Rechtsschutzes. Er gebietet ein Ausmaß an rechtlichem Gehör, das sachangemessen ist, um
den in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten - wie hier eine vorliegt - aus dem Rechtsstaatsprinzip
folgenden Erfordernissen eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden. Insbesondere
müssen die Beteiligten einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit die Möglichkeit haben, sich im
Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Auch gehört es zu den für
einen fairen Prozess und einen wirkungsvollen Rechtsschutz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten
unerlässlichen Verfahrensregeln, dass das Gericht über die Richtigkeit bestrittener
Tatsachenbehauptungen nicht ohne hinreichende Prüfung entscheidet. Ohne eine solche Prüfung
fehlt es an einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Entscheidungsgrundlage. Um sie zu
gewährleisten, bedarf es eines Mindestmaßes an rechtlichem Gehör (vgl. BVerfG 21. Februar
2001 - 2 BvR 140/00 - NJW 2001, 2531, zu III 1 a der Gründe) .
16 bb) Die aus der Verfassung folgende Pflicht zur Prüfung verbietet es, einer Partei, die - wie hier -
ihre Behauptung über den Inhalt eines Gesprächs allein durch ihre eigene Vernehmung führen
kann, dieses Beweismittel zu verwehren. Damit würde die Partei in ihrer Beweisnot belassen. Bei
einer derartigen Fallgestaltung ist es geboten, die Partei entweder selber im Wege der
Parteivernehmung nach § 448 ZPO, soweit dessen Voraussetzungen vorliegen, oder im Wege der
Parteianhörung nach § 141 ZPO persönlich zu hören. Ein Beweisantrag auf Heranziehung der
Partei als Beweismittel ist dann nicht unzulässig.
17 Dies ist für die Fallgestaltung, dass in einem Zivilprozess eine Seite auf einen ihr nahestehenden
Zeugen zurückgreifen kann, während die andere Seite an einem “Vieraugengespräch” lediglich
allein beteiligt war, in der Rechtsprechung anerkannt (BVerfG 21. Februar 2001 - 2 BvR 140/00 -
NJW 2001, 2531, zu III 1 b der Gründe; BAG 6. Dezember 2001 - 2 AZR 396/00 - BAGE 100, 52,
zu B III 2 b bb der Gründe; zu Unrecht skeptisch: Sächsisches LAG 15. September 1999 - 2 Sa
519/99 - NZA-RR 2000, 497) . Für diese Konstellation ist auch anerkannt, dass bei einer anderen
Handhabung ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention
vorliegt (EGMR 27. Oktober 1993 - 37/1992/382/460 - NJW 1995, 1413) . Die Grundsätze sind
darüber hinaus auch auf eine Fallgestaltung wie sie hier vorliegt zu übertragen, dass ein Gespräch
allein zwischen den Parteien stattgefunden hat und deshalb kein Zeuge, auch kein “gegnerischer”
Zeuge, zugegen ist. Auch in diesem Fall stünde die Partei vor einer nicht behebbaren Beweisnot,
würde ihr nicht Gelegenheit gegeben, den notwendigen Beweis überhaupt zu führen (vgl. BAG
16. September 1999 - 2 AZR 712/98 - AP GrO kath. Kirche Art. 4 Nr. 1 = EzA BGB § 611
Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 45, zu II 2 f dd der Gründe; im Ergebnis wie hier Zwanziger DB 1997,
776, 778) .
18 d) Der Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs war auch entscheidungserheblich.
Hätte das Landesarbeitsgericht den streitigen Sachvortrag der Parteien nicht von vornherein
wegen des aus seiner Sicht unzulässigen Beweisantritts außer Betracht gelassen, wäre es nicht
auszuschließen, dass es ihn in tatsächlicher Hinsicht so gewertet hätte, dass eine Abmahnung
des Klägers von vornherein aussichtslos und daher entbehrlich gewesen wäre. Auf der Basis einer
derartigen Wertung wäre dann Beweis zu erheben gewesen.
19 e) Da sich revisionsrechtlich bedeutsame Fragen nicht stellen, sondern eine Würdigung durch das
Tatsachengericht geboten ist, war aus Gründen der Beschleunigung eine Zurückverweisung des
Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht angebracht.
20 III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
Reinecke
Kremhelmer
Zwanziger
Lohre
Kaiser