Urteil des BAG vom 21.11.2012

Tarifauslegung - Berücksichtigung von Elternzeit bei der Stufensteigerung - Redaktionsversehen

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 21.11.2012, 4 AZR 139/11
Auslegung eines Tarifvertrages - Redaktionsversehen
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 10. Januar 2011 - 17 Sa 938/10 - teilweise
aufgehoben, soweit es die Berufung zurückgewiesen hat.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Frankfurt am Main vom 13. April 2010 - 4 Ca 9457/09 - auch im Übrigen
abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche der Klägerin und in diesem
Zusammenhang über die Auslegung einer tarifvertraglichen Regelung.
2 Die Klägerin ist bei der Beklagten als Purserette I in Teilzeit beschäftigt. In § 2 des
Arbeitsvertrages vom 8. Februar 1996 heißt es:
„Die gegenseitigen Rechte und Pflichten ergeben sich aus den für den Bereich
Kabinenbesatzungen Kontinent geltenden Tarifverträgen, … und aus den
Bestimmungen dieses Vertrages.“
3 Die Klägerin wurde zunächst nach der Beschäftigungsgruppe
„Stewardessen/Stewards/Kabinenbesatzungen Kontinent Stufe 00“ und ab dem Monat
September 1996 nach der Stufe 1 vergütet. Nach Stufensteigerungen erhielt sie seit dem
Monat September 2005 eine Vergütung nach der Stufe 10 der maßgebenden
Grundvergütungstabelle. In der Zeit vom 26. Oktober 2005 bis 28. August 2008 befand sie
sich in Elternzeit. Danach zahlte die Beklagte weiterhin eine Vergütung auf Grundlage der
Stufe 10 der Grundvergütungstabelle. Die Klägerin verlangte erfolglos eine Anpassung der
Stufen unter Berücksichtigung ihrer Elternzeit.
4 Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und ausgeführt: Sie habe einen
Anspruch auf ein Entgelt nach der Stufe 12 und ab dem Monat September 2008 nach der
Stufe 13 des Vergütungstarifvertrages Nr. 36 für das Kabinenpersonal (vom 8. Mai 2005 -
VTV Nr. 36). Die Elternzeit sei bei den Stufensteigerungen zu berücksichtigen. Der VTV
Nr. 36 sehe für vor dem 1. Juli 2005 eingestellte Mitarbeiter die weitere Geltung des
§ 3 Vergütungstarifvertrag Nr. 35 für das Kabinenpersonal (vom 20. Mai 2003 - VTV Nr. 35)
idF vom 1. Mai 2004 vor. Anders als § 3 Abs. 5 Unterabs. 2 VTV Nr. 36 nehme der VTV
Nr. 35 Elternzeiten bei der Ermittlung der Vergütungsstufe nicht aus.
5 Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Bedeutung - zuletzt beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 126,31 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2008 abzüglich
am 26. Februar 2010 gezahlter 83,21 Euro netto zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 248,69 Euro brutto sowie 289,57 Euro netto
nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
348,29 Euro seit dem 1. Oktober 2008 abzüglich am 26. Februar 2010
gezahlter 198,15 Euro netto zu zahlen;
3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 350,51 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2008 abzüglich
am 26. Februar 2010 gezahlter 4,64 Euro netto zu zahlen.
6 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie meint, die Tarifvertragsparteien
hätten unabhängig vom Einstellungsdatum der Mitarbeiter vereinbart, Beschäftigungszeiten,
in denen das Arbeitsverhältnis länger als drei Monate ununterbrochen geruht habe, bei den
Stufensteigerungen nicht mehr zu berücksichtigen. Bereits mit der „Konzertierten Aktion
Kabine“ vom 3. Mai 2005 sei eine Neufassung des VTV vereinbart worden, wie sie sich jetzt
im VTV Nr. 36 wiederfinde. Soweit der VTV Nr. 36 nicht auf die mit der „Konzertierten Aktion
Kabine“ vom 3. Mai 2005 vereinbarte Fassung des VTV Nr. 35 verweise, sondern irrtümlich
auf das Datum der Tarifvereinbarung „Konzertierte Aktion Cockpit“ vom 1. Mai 2004 Bezug
nehme, handele es sich um ein Redaktionsversehen.
7 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung
der Beklagten - soweit für die Revision von Bedeutung - zurückgewiesen. Mit der vom
Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Klageabweisung.
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
8 Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung des
Landesarbeitsgerichts ist die Klage unbegründet. Die Klägerin kann keine Vergütung nach
der Stufe 12 der Grundvergütungstabelle des VTV Nr. 36 beanspruchen. Die Elternzeit der
Klägerin ist bei den Stufensteigerungen nicht zu berücksichtigen.
9 I. Auf das Arbeitsverhältnis finden aufgrund arbeitsvertraglicher Inbezugnahme die für den
Bereich Kabinenbesatzungen Kontinent geltenden Tarifverträge Anwendung.
10 II. Danach sind für den vorliegenden Rechtsstreit die folgenden Vereinbarungen der
Tarifvertragsparteien maßgebend:
11 1. Nach dem VTV Nr. 35 gilt für die Grundvergütung und Stufensteigerung:
„§ 3 Grundvergütung, Schichtzulage
1.
Die Höhe der Grundvergütung für Stewardessen/Stewards und die
Mindestgrundvergütung für Purseretten/Purser richtet sich nach Abs. (8).
2.
Stewardessen/Stewards erhalten für 18 Monate* eine Grundvergütung der
Stufe 0, danach der Stufe 1 der Tabelle in Abs. (8). Der Monat der
Erreichung der Stufe 1 gilt als individuelles Steigerungsdatum.
*Für Mitarbeiter mit Einstellungsdatum vor 01.07.2003 gilt § 3 II in der
Fassung des VTV Nr. 34.
5.
Die Grundvergütung steigt ab der Stufe 1 grundsätzlich mit der Vollendung
jeden Beschäftigungsjahres in einer Stufe zum nächsten individuellen
Steigerungsdatum auf die nächsthöhere Stufe bis zum Betrag der letzten
Stufe der jeweiligen Beschäftigungsgruppe. …
Bei unbezahltem Sonderurlaub ab 365 Tagen gilt die gesamte Zeit des
Sonderurlaubs nicht als Beschäftigungszeit.
8.
Grundvergütungstabelle für Stewardessen/Stewards und
Mindestgrundvergütungstabelle für Purseretten/Purser (in EUR)
Mindestvergütungstabelle gültig ab 01.05.2004
Tab.-
Ende
Stufe Grundvergütung
FB/Mindestgrundvergütung PUR**
Steigerungsbetrag
FB
0 …
78,04
…“
12 2. Am 3. Mai 2005 vereinbarten die Tarifvertragsparteien die „Konzertierte Aktion Kabine“,
die auszugsweise wie folgt lautet:
„A)
4.
Vergütungsstruktur Kabine
Modifikation der Vergütungsstruktur gemäß Anlage 2.
5.
Verlängerung Vergütungstarifverträge
a)
Die Laufzeit des Vergütungstarifvertrages Nr. 35 für das
Kabinenpersonal der DLH wird unter Berücksichtigung der
nachfolgenden Modifikationen wieder in Kraft gesetzt und
bis 31.12.2008 verlängert. Die Kündigungsfrist beträgt vier
Wochen zum Quartalsende.
B)
1.
Einkommenssicherung
a)
Im Zuge der Verlängerung der Laufzeit bis 31. Dezember
2008 werden mit Wirkung zum 1. Juli 2007 die individuellen
Grundvergütungen sowie Tabelleneckwerte
(Eingangswerte, Endwerte und Steigerungsbeträge,
Zulagen für PI und PII) um die vom Bundesministerium für
Arbeit und Sozialordnung für das jeweilige Vorjahr
veröffentlichte durchschnittliche Entwicklung der
Tarifentgeltabschlüsse im gesamten deutschen
Wirtschaftsgebiet (West) - mindestens um 2,5 % - erhöht.
b)
Mit Wirkung zum 1. Januar 2008 werden die individuellen
Grundvergütungen sowie die Tabelleneckwerte
(Eingangswerte, Endwerte und Steigerungsbeträge,
Zulagen für PI und PII) um den zu diesem Zeitpunkt vom
statistischen Bundesamt für das Vorjahr amtlich ermittelten
Inflationswert (Verbraucherpreisindex) erhöht.
C)
Ziffer A) 5. dieser Vereinbarung tritt zum 01.01.2005, im übrigen
treten die Regelungen zum 01.07.2005 in Kraft und haben eine
Laufzeit bis zum 31.12.2008; …“
13 Anlage 2 zu Buchst. A) Nr. 4 der „Konzertierten Aktion Kabine“ regelt ua.:
„Vergütungsstruktur Kabine
1. Die Vergütungstabelle gemäß § 3 Abs. (8) VTV Nr. 35 Kabine wird für ab dem
01.07.2005 neu eingestellte Mitarbeiter um folgende drei Vorschaltstufen ergänzt.
Die Steigerungen erfolgen innerhalb der Vorschaltstufen nach Ablauf von jeweils
2 Beschäftigungsjahren.
Stufe
Grundvergütung in EUR
Steigerungsbeträge in EUR
A
1.350,00
B
1.450,00
100,00
C
1.550,00
100,00
2. Beschäftigungszeiten, in denen das Arbeitsverhältnis länger als drei Monate
hintereinander ruht (… Elternzeit) …, bleiben bei den Stufensteigerungen
unberücksichtigt.“
14 3. Der am 8. Mai 2005 geschlossene VTV Nr. 36 enthält folgende Bestimmungen:
„§ 3 Grundvergütung*, Schichtzulage
(1) Die Höhe der Grundvergütung für Stewardessen/Stewards und die
Mindestgrundvergütung für Purseretten/Purser richtet sich nach
Abs. (8).
(3) Purseretten/Purser erhalten eine Grundvergütung, die sich ab Purser-
Werdung individuell aus ihrer Flugbegleiter-Grundvergütung nach
Maßgabe der Abs. (5) bis (9) entwickelt. …
(5) Die Grundvergütung steigt innerhalb der Vergütungsstufen 1A - 1C mit
der Vollendung von 2 Beschäftigungsjahren in einer Stufe zum
nächsten individuellen Steigerungsdatum auf die nächsthöhere Stufe
bis maximal in Stufe 1C. Ab Stufe 2 steigt die Grundvergütung mit der
Vollendung jeden Beschäftigungsjahres in einer Stufe zum nächsten
individuellen Steigerungsdatum auf die nächsthöhere Stufe bis zum
Betrag der letzten Stufe der jeweiligen Beschäftigungsgruppe. …Die
Vergütungsstufen 5, 9 und 13 (für Mitarbeiter, die vor dem 01.07.2005
______________________________
* Für Mitarbeiter mit Einstellungsdatum vor dem 01.07.2005 gilt § 3
Vergütungstarifvertrag Nr. 35 für das Kabinenpersonal in der Fassung vom
01.05.2004 fort.
eingestellt wurden) bzw. Vergütungsstufen 6 und 10 (für Mitarbeiter,
die nach dem 01.07.2005 eingestellt wurden) können nur erreicht
werden, sofern die Qualifikationsnachweise entsprechend
Protokollnotiz I erbracht sind.
Beschäftigungszeiten, in denen das Arbeitsverhältnis länger als drei
Monate ununterbrochen ruht (Elternzeit, …), bleiben bei den
Stufensteigerungen unberücksichtigt.
(8) Grundvergütungstabelle für Stewardessen/Stewards und
Mindestgrundvergütungstabelle für Purseretten/Purser (in EUR)
gültig ab 01.07.2005*
Stufe
Grundvergütung
FB/Mindestgrundvergütung PUR**
Steigerungsbetrag
FB
1A
1B
1C
2***
1.350,00
1.450,00
1.550,00
1.786,89
100,00
100,00
236,89
101,61
_______________________
* Siehe auch Protokollnotiz III.“
15 III. In Anwendung dieser tariflichen Regelungen bleiben bei der Ermittlung der
Stufensteigerungen Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis der Parteien infolge Elternzeit
geruht hat, wie es auch § 3 Abs. 5 Unterabs. 2 VTV Nr. 36 vorsieht, nach der Nr. 2 der
Anlage 2 zu Buchst. A) Nr. 4 der „Konzertierten Aktion Kabine“ vom 3. Mai 2005
unberücksichtigt. Soweit in der Fußnote * zum Wort „Grundvergütung“ des § 3 VTV Nr. 36
im Zusammenhang mit § 3 VTV Nr. 35 die Fassung vom „01.05.2004“ genannt wird,
handelt es sich um ein Redaktionsversehen. Für die vor dem 1. Juli 2005 eingestellten
Mitarbeiter wird vielmehr auf den § 3 VTV Nr. 35 idF der „Konzertierten Aktion Kabine“
verwiesen.
16 1. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann trotz des Wortlauts der
Fußnote * zu dem Wort „Grundvergütung“ in § 3 VTV Nr. 36 - bei der es sich nach den
Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur 22. September 2010 -
4 AZR 33/09 - Rn. 17 mwN) um eine tarifliche Regelung mit Normcharakter handelt - nicht
davon ausgegangen werden, dass für Mitarbeiter mit Einstellungsdatum vor dem 1. Juli
2005 § 3 VTV Nr. 35 mit der „Mindestvergütungstabelle gültig ab 01.05.2004“ gelten soll,
wie er am 20. Mai 2003 vereinbart wurde. Vielmehr ist von einem Redaktionsversehen
auszugehen (zu den Anforderungen vgl. BAG 13. Dezember 1995 - 4 AZR 615/95 - BAGE
82, 1; 18. Mai 1994 - 4 AZR 412/93 - zu II 3 b cc der Gründe, AP BAT 1975 §§ 22, 23
Nr. 175; 31. Oktober 1990 - 4 AZR 114/90 - BAGE 66, 177). Das ergibt die Auslegung des
Tarifvertrages (zu den Maßstäben etwa BAG 28. Januar 2009 - 4 ABR 92/07 - Rn. 26
mwN, BAGE 129, 238).
17 a) Bereits der Wortlaut der Fußnote * zum Wort „Grundvergütung“ des § 3 VTV Nr. 36 ist
unklar.
18 aa) Mit der Formulierung „in der Fassung“ wird grundsätzlich auf ein konkretes Abschluss-
oder Änderungsdatum eines Tarifvertrages verwiesen. Damit soll der zeitlich maßgebende
Regelungsbestand konkretisiert werden. Für einen solchen Sprachgebrauch der
Tarifvertragsparteien des VTV Nr. 36 spricht etwa die Fußnote * zu § 3 Abs. 2 VTV Nr. 35
(„Für Mitarbeiter mit Einstellungsdatum vor 01.07.2003 gilt § 3 II in der Fassung des
VTV Nr. 34.“).
19 Ein VTV Nr. 35 „in der Fassung vom 01.05.2004“ existiert jedoch nicht. Allerdings haben
die Tarifvertragsparteien für den vorliegend betroffenen Bereich „Kabinenpersonal“ am
3. Mai 2005 eine „Konzertierte Aktion Kabine“ vereinbart. Demgegenüber gehört das in der
Fußnote genannte Datum 1. Mai 2004 zu einer Vereinbarung dieser Tarifvertragsparteien
für einen anderen Bereich - die „Konzertierte Aktion Cockpit“. Bereits dieser
Zusammenhang legt ein Redaktionsversehen nahe.
20 bb) Es kann weiter nicht davon ausgegangen werden, die Fußnote * verweise auf den
VTV Nr. 35, wie er zu einem bestimmten Zeitpunkt gegolten hat. Zwar enthält der VTV
Nr. 35 in § 3 Abs. 8 für einzelne Zeiträume unterschiedliche Vergütungstabellen, darunter
eine „Mindestvergütungstabelle gültig ab 01.01.2004“. Diese war jedoch bereits
Bestandteil des am 20. Mai 2003 geschlossenen VTV Nr. 35. Angesichts dessen wäre bei
Zugrundelegen der vom Landesarbeitsgericht vertretenen Auffassung, es solle im Jahre
2005 auf den ab dem 1. Mai 2004 geltenden Regelungsbestand verwiesen werden, die
Nennung des Datums „in der Fassung vom 01.05.2004“ überflüssig.
21 b) Für ein Redaktionsversehen sprechen zudem der tarifliche Gesamtzusammenhang und
der erkennbare Regelungszweck.
22 aa) Der VTV Nr. 36 regelt wie seine Vorgängertarifverträge umfassend die Vergütung für
das Kabinenpersonal. § 3 VTV Nr. 36 sieht neben der Grundvergütung und der
Schichtzulage Stufensteigerungen unter bestimmten Voraussetzungen vor. § 3 Abs. 8 VTV
Nr. 36 enthält die Grundvergütungstabelle „gültig ab 01.07.2005*“. Nach der in der
Fußnote * zu dieser Tabelle genannten „Protokollnotiz III“ werden „mit Wirkung zum
01.01.2007 … die individuellen Grundvergütungen sowie die Tabelleneckwerte … um die
vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung für das jeweilige Vorjahr
veröffentlichte durchschnittliche Entwicklung der Tarifentgeltabschlüsse im gesamten
deutschen Wirtschaftsgebiet (West) - mindestens um 2,5 % - erhöht“ und „mit Wirkung zum
01.01.2008 … um den zu diesem Zeitpunkt“ ermittelten „‚Verbraucherpreisindex’“.
23 bb) Nach der Auffassung des Landesarbeitsgerichts fände aufgrund der Fußnote * zum
Wort „Grundvergütung“ des § 3 VTV Nr. 36 für die vor dem 1. Juli 2005 eingestellten
Mitarbeiter § 3 VTV Nr. 35 („in der Fassung vom 01.05.2004“) und damit die dort in Abs. 8
für die Zeit ab dem 1. Mai 2004 gültige Mindestvergütungstabelle Anwendung. An
weiteren Vergütungssteigerungen, die der VTV Nr. 36 regelt, würde dieser
Beschäftigtenkreis dann nicht teilhaben. Es kann mangels entsprechender Anhaltspunkte
allerdings nicht angenommen werden, die Tarifvertragsparteien wollten für diese
Beschäftigten deren Vergütung auf dem Stand vom 1. Mai 2004 „einfrieren“. Davon gehen
auch weder die Klägerin, die zur Berechnung ihrer begehrten Differenzansprüche die
Vergütungsregelungen des VTV Nr. 36 für das Jahr 2008 zugrunde legt, noch das
Landesarbeitsgericht aus. Die Beklagte sieht dies ebenfalls nicht anders.
24 cc) Gegen einen solchen Regelungswillen spricht schließlich § 3 Abs. 5 Unterabs. 1
Satz 4 VTV Nr. 36, der ausdrücklich zwischen Mitarbeitern, die vor und nach dem 1. Juli
2005 eingestellt wurden, unterscheidet. Bei einer vollständigen Verweisung auf § 3 VTV
Nr. 35 für die vor dem 1. Juli 2005 eingestellten Mitarbeiter wäre diese Unterscheidung
überflüssig.
25 2. Die Auslegung der Fußnote * zum Wort „Grundvergütung“ des § 3 VTV Nr. 36 unter
Berücksichtigung des Redaktionsversehens der Tarifvertragsparteien (zu den Maßstäben
BAG 31. Oktober 1990 - 4 AZR 114/90 - BAGE 66, 177) ergibt, dass auf den § 3 VTV
Nr. 35 in der Fassung verwiesen wird, die er durch die „Konzertierte Aktion Kabine“ vom
3. Mai 2005 erhalten hat.
26 a) Bei der „Konzertierten Aktion Kabine“ vom 3. Mai 2005 einschließlich deren Anlage 2
handelt es sich um einen Tarifvertrag. Die Tarifvertragsparteien haben diese Vereinbarung
zwar nicht ausdrücklich als Tarifvertrag bezeichnet. Nach deren Begrifflichkeit und Inhalt
werden tarifliche Rechte und Pflichten der Tarifgebundenen in der Form von
Inhaltsnormen iSv. § 4 Abs. 1, § 1 Abs. 1 Halbs. 2 TVG begründet (zu den
Beurteilungsmaßstäben im Einzelnen etwa BAG 16. Mai 2012 - 4 AZR 366/10 - Rn. 24
mwN, NZA 2013, 220) und nicht nur auf an anderer Stelle vereinbarte oder erst noch zu
vereinbarende Regelungen verwiesen (vgl. BAG 19. Oktober 2011 - 4 AZR 643/09 -
Rn. 28).
27 In Buchst. A) Nr. 3 wird die Dauer des Erholungsurlaubs bestimmt, durch Buchst. A) Nr. 4
iVm. Nr. 1 der Anlage 2 die bisherigen Vergütungsregelungen des VTV Nr. 35 durch
Einführung von Vorschaltstufen in der Vergütungstabelle gem. § 3 Abs. 8 VTV Nr. 35
geändert und weiterhin in Buchst. A) Nr. 4 iVm. Nr. 2 der Anlage 2 die
Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten bei Stufensteigerungen geregelt, wenn
das Arbeitsverhältnis länger als drei Monate ununterbrochen ruht. Zudem wird in
Buchst. A) Nr. 5 Buchst. a die Laufzeit des VTV Nr. 35 unter Berücksichtigung der
vereinbarten Modifikationen „wieder in Kraft gesetzt“ und bis zum 31. Dezember 2008
verlängert. Unmittelbar festgelegt werden zudem die Entgelterhöhungen zum 1. Januar
2007 und 1. Januar 2008 (Buchst. B) Nr. 1 Buchst. a und b). Schließlich wird durch den
Buchst. C) über das Inkrafttreten der Bestimmungen der Wille zur Normsetzung deutlich.
28 b) Das Auslegungsergebnis - wonach der VTV Nr. 35 in der Fassung gilt, die er durch die
tarifvertraglichen Änderungen der „Konzertierten Aktion Kabine“ vom 3. Mai 2005 erhalten
hat, und es sich bei dem Datum des „01.05.2004“ um ein Redaktionsversehen handelt -
entspricht auch einer sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren
tariflichen Regelung (zu diesem Kriterium s. nur BAG 12. Dezember 2007 - 4 AZR 991/06 -
Rn. 18, ZTR 2008, 315; 18. Mai 1994 - 4 AZR 412/93 - zu II 3 b aa der Gründe, AP BAT
1975 §§ 22, 23 Nr. 175).
29 aa) Durch den in der Fußnote * zum Wort „Grundvergütung“ des § 3 VTV Nr. 36
enthaltenen Verweis auf den VTV Nr. 35 idF der „Konzertierten Aktion Kabine“ werden die
durch diesen Tarifvertrag in Buchst. B) Nr. 1 erhöhten Vergütungsregelungen für vor dem
1. Juli 2005 eingestellte Mitarbeiter wirksam, die auch § 3 Abs. 8 VTV Nr. 36 iVm.
Protokollnotiz III übernommen hat. Dadurch ist gewährleistet, dass der in dieser Fußnote
bestimmte Mitarbeiterkreis an den Entgeltsteigerungen teilnimmt.
30 bb) Damit wird entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht lediglich auf den
VTV Nr. 35 als solchen verwiesen. Die in § 3 Abs. 8 VTV Nr. 36 enthaltene neue
Vergütungsstruktur würde ohne diesen Verweis in der Fußnote * zum Wort
„Grundvergütung“ auch für Mitarbeiter mit einem Einstellungsdatum vor dem 1. Juli 2005
gelten. Dann wären bei deren Stufenzuordnung auch die neuen sog. Vorschaltstufen zu
berücksichtigen, weil § 3 VTV Nr. 36 bei den Beschäftigungszeiten insoweit keine
Ausnahmen enthält. Durch den Verweis auf den VTV Nr. 35 idF der „Konzertierten Aktion
Kabine“ verbleibt es für diesen Mitarbeiterkreis aufgrund der Bestimmung in der Nr. 1 der
Anlage 2 zu Buchst. A) Nr. 4 „Konzertierte Aktion Kabine“ bei der bisherigen Regelung des
VTV Nr. 35, der diese vorgeschalteten Stufen nicht kennt.
31 3. In der Folge sind nach § 3 VTV Nr. 35 idF des Buchst. A) Nr. 4 iVm. Nr. 2 der Anlage 2
der „Konzertierten Aktion Kabine“ vom 3. Mai 2005 (ebenso wie nach § 3 Abs. 5 Satz 5
VTV Nr. 36) Beschäftigungszeiten, in denen das Arbeitsverhältnis wegen Elternzeit länger
als drei Monate ununterbrochen geruht hat, bei den Stufensteigerungen nicht zu
berücksichtigen, weshalb der Klägerin, die sich in der Zeit vom 26. Oktober 2005 bis zum
28. August 2008 in Elternzeit befand, für den streitgegenständlichen Zeitraum keine
Vergütung nach der Stufe 12 der Grundvergütungstabelle des VTV Nr. 36 zusteht.
32 Anders als die Nr. 1 der Anlage 2 zu Buchst. A) Nr. 4 der „Konzertierten Aktion Kabine“
vom 3. Mai 2005 sieht die Nr. 2 auch keine Einschränkungen oder Ausnahmen für
bestimmte Mitarbeiter vor. Es handelt sich bei Nr. 1 und Nr. 2 der Anlage 2 zu Buchst. A)
Nr. 4 der „Konzertierten Aktion Kabine“ um unterschiedliche und in keinem unmittelbaren
Zusammenhang stehende Regelungskomplexe. Es kann daher auch nicht aus
systematischen Gründen angenommen werden, die einschränkende Regelung über den
personellen Anwendungsbereich der Vorschaltstufen solle auch für die
Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten gelten, in denen das Arbeitsverhältnis
mehr als drei Monate ununterbrochen ruht.
33 IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Eylert
Winter
Treber
Lippok
Pust