Urteil des BAG vom 23.01.2007

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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 23.1.2007, 9 AZR 557/06
Unzulässigkeit einer Feststellungsklage - Zurückbehaltungsrecht - Mobbing
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 5. Januar 2006 - 6 Sa 20/06 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über das Recht der Klägerin, ihre Arbeitsleistung zurückzubehalten.
2 Die Klägerin ist seit 1. Oktober 1986 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt.
Zuletzt war sie als “Office-Trainerin” in der EDV-Entwicklung eingesetzt. Bei den Kunden, die sie zu
betreuen hatte, handelte es sich im Wesentlichen um konzernangehörige Unternehmen. Als der
Klägerin im Frühjahr 2004 bekannt wurde, dass ihr Abteilungsleiter über ihre Arbeitskollegin V. bei
Kunden erkunden lies, ob diese mit der Arbeitsleistung der Klägerin zufrieden seien, kam es zu
Gesprächen zwischen der Klägerin und dem damaligen Geschäftsführer der Beklagten sowie dem
Abteilungsleiter. Nachdem diese Gespräche aus ihrer Sicht ohne befriedigendes Ergebnis blieben,
fühlte sich die Klägerin durch den damaligen Geschäftsführer der Beklagten, ihren Abteilungsleiter
sowie ihre Arbeitskollegin V. “gemobbt”. Vermittlungsversuche des Betriebsratsvorsitzenden, des
Personalleiters des Kunden, bei dem die Klägerin eingesetzt war, und des Konzernpersonalleiters
blieben in der Folgezeit erfolglos.
3 Vom 28. Mai 2004 bis 23. August 2004 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. An diese
Erkrankung schlossen sich ein dreiwöchiger Urlaub und eine Wiedereingliederungsmaßnahme an.
Nach Wiederaufnahme ihrer Arbeitstätigkeit kündigte die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom
21. Oktober 2004 die Zurückbehaltung ihrer Arbeitsleistung wegen “permanenter Mobbing-
Attacken” an, denen sie ausgesetzt sei. Ab 22. Oktober 2004 erbrachte die Klägerin keine
Arbeitsleistung mehr. Seit dem 10. Dezember 2004 war sie dann wegen psychosomatischer
Erkrankungen fortlaufend arbeitsunfähig. Nach der Entlassung aus einer psychosomatischen Klinik
am 29. September 2005 wurde der Klägerin weiterhin Arbeitsunfähigkeit bescheinigt.
4 Mit dem 22. Oktober 2004 hat die Beklagte die Zahlung von Arbeitsvergütung eingestellt.
5 Die Klägerin hat Klage auf Vergütungszahlung für den Zeitraum 22. Oktober 2004 bis 30. November
2004, auf Zahlung einer der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung für den
Verlust des Arbeitsplatzes und eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 20.000,00 Euro
erhoben. Zusätzlich hat sie die Feststellung begehrt, dass ihr die Zurückbehaltung ihrer Arbeitskraft
ab dem 22. Oktober 2004 zustehe.
6 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Im von der Klägerin angestrengten
Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Feststellungsklage abgetrennt und als
eigenständiges Verfahren weitergeführt. In diesem abgetrennten Verfahren hat die Klägerin
beantragt,
gegenüber der Beklagten festzustellen, dass der Klägerin ab dem 22. Oktober 2004 ein
Zurückbehaltungsrecht ihrer Arbeitsleistung zusteht.
7 Die Beklagte hat beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des
Arbeitsgerichts zurückzuweisen. Sie bestreitet das Vorliegen von “Mobbing-Handlungen”
gegenüber der Klägerin.
8 Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision
zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, während die Beklagte die
Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
10 I. Das Landesarbeitsgericht hat die Feststellungsklage im Wesentlichen mit der Begründung
abgewiesen, dass zum einen “die zu beantwortende Frage kein Rechtsverhältnis iSd. § 256 Abs. 1
ZPO darstellt” und zum anderen “ein Interesse an alsbaldiger Feststellung fehlt”. Ob das
Landesarbeitsgericht die Klage als unzulässig oder unbegründet betrachtet hat, geht aus den
Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht hervor.
11 Das Berufungsurteil ist zwar rechtsfehlerhaft, jedoch konnte der Senat nach § 563 Abs. 3 ZPO
selbst entscheiden. Die Sache ist zur Entscheidung reif.
12 II. Die Feststellungsklage ist unzulässig.
13 1. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts besteht für die Feststellung des Bestehens
eines Zurückbehaltungsrechtes ein Feststellungsinteresse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO. Rechtliche
Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage sind insoweit unbegründet.
14 a) Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines
Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass
das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Zwar können nach
§ 256 Abs. 1 ZPO nur Rechtsverhältnisse Gegenstand einer Feststellungsklage sein, nicht bloße
Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses. Eine Feststellungsklage muss sich jedoch
nicht notwendig auf das Rechtsverhältnis als Ganzes erstrecken. Sie kann sich auch auf einzelne
Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder
Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (st. Rspr. vgl. Senat
15. August 2006 - 9 AZR 571/05 - zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen mwN).
15 b) Die Klägerin begehrt die Feststellung des Bestehens eines Zurückbehaltungsrechtes an ihrer
Arbeitsleistung ab dem 22. Oktober 2004. Streitgegenstand ist damit das Bestehen oder
Nichtbestehen der Verpflichtung der Klägerin, die im Arbeitsvertrag gemäß § 611 Abs. 1 BGB
versprochenen Dienste zu leisten. Somit bezieht sich die Feststellungsklage auf eine Folge des
bestehenden Arbeitsverhältnisses und zwar auf die Frage, ob die Klägerin nach § 611 Abs. 1 BGB
verpflichtet ist, ab dem 22. Oktober 2004 ihre Arbeitsleistung zu erbringen oder ob ihr § 273 Abs. 1
BGB das Recht einräumt, diese geschuldete Leistung solange zu verweigern, bis die Beklagte als
Arbeitgeberin ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung nachgekommen ist, die behaupteten
“Mobbing-Handlungen” zu unterbinden.
16 Die Klägerin hat auch ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung iSd. § 256 Abs. 1 ZPO. Die
Feststellungsklage ist die einzige Möglichkeit, mit Rechtskraftwirkung die zwischen den Parteien
bestehende rechtliche Ungewissheit über das Bestehen eines Zurückbehaltungsrechtes zu
beseitigen (BAG 2. Februar 1994 - 5 AZR 273/93 - BAGE 75, 332) .
17 2. Die Feststellungsklage ist allerdings unzulässig, weil der Klageantrag nicht hinreichend
bestimmt ist, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
18 a) Der Klageantrag muss den erhobenen Anspruch nach Inhalt und Umfang konkret bezeichnen
und die Art der Klage ergeben. Bei Feststellungsanträgen ist erforderlich, dass sich dann, wenn
dem Antrag in der Sache stattgegeben wird, der objektive Umfang der Bindungswirkung der
gerichtlichen Entscheidung hinreichend feststellen lässt (BAG 24. Januar 2001 - 7 ABR 2/00 - AP
ArbGG 1979 § 81 Nr. 50 = EzA ZPO § 253 Nr. 20) .
19 b) Diesen Anforderungen genügt der Feststellungsantrag der Klägerin nicht.
20 Zunächst legt der Senat den Klageantrag zugunsten der Klägerin dahingehend aus, dass sie ein
Zurückbehaltungsrecht nicht zeitlich unbegrenzt, sondern nur für den Zeitraum geltend macht, in
dem sie den behaupteten “permanenten Mobbing-Attacken” ausgesetzt ist. Dem Wortlaut ihres
Antrages nach begehrt die Klägerin zwar die Feststellung des Zurückbehaltungsrechtes ab dem
22. Oktober 2004 ohne zeitliche Begrenzung. Allerdings ist für das Verständnis eines
Klageantrages nicht an dem buchstäblichen Wortlaut der Antragsfassung zu haften. Vielmehr hat
das Gericht den erklärten Willen zu erforschen, wie er aus der Klagebegründung, dem Prozessziel
und der Interessenlage hervorgeht. Die für Willenserklärungen geltenden Auslegungsregeln
(§§ 133, 157 BGB) sind auch für die Auslegung von Klageanträgen heranzuziehen. Auch das
Revisionsgericht ist zur Auslegung von Klageanträgen befugt (Senat 3. April 2001 - 9 AZR 301/00 -
BAGE 97, 241) .
21 Aus dem gesamten Vorbringen der Klägerin ergibt sich, dass sie sich nicht mehr in der Lage sieht,
ihre Arbeitsleistung für die Beklagte zu erbringen, weil ihr auf Grund von “Mobbing-Attacken”
gesundheitliche Beeinträchtigungen drohen. Daraus folgt, dass sie nicht ein auf unbestimmte
Dauer gerichtetes Zurückbehaltungsrecht in Anspruch nimmt, sondern nur ein solches für die Zeit,
während der die sog. “Mobbing-Situation” besteht.
22 c) Auch ein solcher in diesem Sinne ausgelegter Feststellungsantrag ist nicht hinreichend
bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
23 Durch ein Urteil, das feststellt, dass die Klägerin ab 22. Oktober 2004 berechtigt ist, ihre
Arbeitsleistung zurückzubehalten, solange sie “Mobbing-Attacken” oder einer “Mobbing-Situation”
ausgesetzt ist, würde nicht klar, wie lange und unter welchen Voraussetzungen dieses
Zurückbehaltungsrecht besteht. So ist der Begriff des “Mobbings” derart unbestimmt, dass auf
Grund eines dem Klageantrag entsprechenden Feststellungsurteils weder objektiv noch subjektiv
für die Beklagte erkennbar wäre, wann die Klägerin diesem “Mobbing” nicht mehr ausgesetzt ist,
so dass deren Zurückbehaltungsrecht erlischt. Damit der Klageantrag zu einem Rechtsklarheit
schaffenden Feststellungsurteil führen könnte, hätte die Klägerin konkret die Tatsachen angeben
müssen, aus denen sie die “Mobbing-Situation” ableitet, dh. welche Umstände ihrer Arbeit oder
welche Handlungen oder Äußerungen ihrer Vorgesetzten oder Arbeitskollegen sie als “Mobbing”
betrachtet. Nur dann würde klar, ob die Beklagte Maßnahmen getroffen hat, welche die Entstehung
einer sog. “Mobbing-Situation” künftig ausschließen. Um diesem Erfordernis an einen hinreichend
bestimmten Klageantrag zu genügen, hätte die Klägerin zB angeben müssen, mit welchen
Vorgesetzten oder Mitarbeitern sie nicht mehr zusammenarbeiten kann oder mit welchen
Tätigkeiten sie nicht mehr betraut werden darf, weil im Rahmen dieser Aufgaben oder bei einer
Zusammenarbeit mit diesen Personen “Mobbing-Situationen” entstünden. Nur dann könnte im
Rahmen der Begründetheitsprüfung der Klage festgestellt werden, ob durch diese konkret von der
Klägerin behaupteten Umstände eine “Mobbing-Situation” entsteht, welche ein
Zurückbehaltungsrecht der Klägerin begründen kann.
24 III. Die Klägerin hat die Kosten des erfolglosen Revisionsverfahrens nach § 97 Abs. 1 ZPO zu
tragen.
Düwell
Reinecke
Böck
Hintloglou
Klosterkemper