Urteil des BAG vom 11.12.2008

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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 11.12.2008, 2 AZR 395/07
Kündigung eines Schwerbehinderten - Verwirkung - Kenntnis des Arbeitgebers
Leitsätze
Im Falle des Betriebsübergangs nach § 613a BGB muss sich der Betriebsübernehmer die Kenntnis des
Betriebsveräußerers von der Schwerbehinderteneigenschaft eines Arbeitnehmers zurechnen lassen.
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 2. November 2006 - 6 Sa 290/06 - wird auf Kosten der
Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten im Revisionsverfahren über eine von der Beklagten auf betriebsbedingte
Gründe gestützte ordentliche Kündigung und einen Auflösungsantrag der Beklagten.
2 Der Kläger ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 60. Er war seit
1989 bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Firma S. angestellt. Das Arbeitsverhältnis
ging gemäß § 613a BGB zum 1. Dezember 2000 auf die Firma D. über. Nach dem mit dieser am
21. Dezember 2000 geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrag hat der Kläger zusätzlich zum
Jahresurlaub „entsprechend dem Schwerbehindertengesetz“ Anspruch auf weiteren Urlaub von
fünf Tagen. Am 1. April 2002 fand ein weiterer Betriebsübergang statt, diesmal auf die Beklagte.
3 Der Kläger war in der Betriebsstätte B eingesetzt, zuletzt als einziger Arbeitnehmer. Nachdem die
Beklagte beschlossen hatte, den Standort B zum 30. Juni 2005 zu schließen, kündigte sie das
Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 25. Februar 2005 zum 31. August 2005. Eine
Zustimmung des Integrationsamtes hatte sie nicht eingeholt. Erneut hat die Beklagte - diesmal
nach Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes - am 29. Juni 2005 das Arbeitsverhältnis
ordentlich gekündigt.
4 Der Kläger hat mit der am 18. März 2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage die
Unwirksamkeit der Kündigungen geltend gemacht. Er hat betriebsbedingte Kündigungsgründe
bestritten und im Laufe des ersten Rechtszugs zusätzlich geltend gemacht, die Kündigung vom
25. Februar 2005 sei wegen Verstoßes gegen das SGB IX unwirksam. Er habe die
Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Firma D., über seine Anerkennung als schwerbehinderter
Mensch unterrichtet. Die Beklagte müsse sich die Kenntnis ihrer Rechtsvorgängerin als eigenes
Wissen zurechnen lassen, zumal im Arbeitsvertrag ausdrücklich der Zusatzurlaub für
Schwerbehinderte aufgeführt sei. Er habe diesen Zusatzurlaub auch bei der Beklagten erhalten. Es
komme deshalb nicht darauf an, dass er sich erst im Juli 2005 auf den Sonderkündigungsschutz
berufen habe.
5 Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die schriftliche
Kündigung der Beklagten vom 25. Februar 2005 noch durch die weitere schriftliche
Kündigung vom 29. Juni 2005 aufgelöst worden ist.
6 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und ausgeführt: Sie habe keine Kenntnis von der
Anerkennung des Klägers als Schwerbehinderter gehabt. Der Kläger könne sich auf den
Sonderkündigungsschutz nicht berufen, da er ihn nicht innerhalb der Monatsfrist mitgeteilt habe.
Die etwaige Kenntnis ihrer Rechtsvorgängerin müsse sie sich nicht zurechnen lassen. Außerdem
müsse nach § 90 Abs. 2a SGB IX der Nachweis der Anerkennung „dem Arbeitgeber gegenüber“
geführt werden. Das sei nicht geschehen. Die Kündigung sei wegen Schließung der Außenstelle B
aus betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt.
7 Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger
zusätzlich und hilfsweise
Wiedereinstellung beantragt.
8 Die Beklagte hat auch insoweit Klageabweisung und zusätzlich und hilfsweise beantragt,
das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, die 10.000,00 Euro nicht übersteigen
sollte, aufzulösen.
9 Eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit sei nicht zu erwarten. Der Kläger habe die
Beklagte als Lügnerin bezichtigt, indem er schriftsätzlich ausgeführt habe, die Darstellung der
Beklagten sei „mehr als zweifelhaft, um es milde auszudrücken“. Außerdem habe er die Beklagte
schriftsätzlich als „oberflächlich“ beleidigt.
10 Der Kläger hat Zurückweisung des Auflösungsantrags beantragt. Das Landesarbeitsgericht hat
durch Teilurteil die Berufung, soweit es die Kündigung vom 25. Februar 2005 und den
Auflösungsantrag der Beklagten betraf, zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag und ihren hilfsweise
gestellten Auflösungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
11 Die Revision ist unbegründet.
12 A. Das Landesarbeitsgericht hat die ordentliche Kündigung vom 25. Februar 2005 für unwirksam
gehalten. Die Kündigung hätte der Zustimmung des Integrationsamtes bedurft. Die Beklagte
müsse sich die Kenntnis ihrer Rechtsvorgängerin zurechnen lassen. Es sei Sache des
Betriebsübernehmers, sich über die konkreten arbeitsvertraglichen Beziehungen der
übernommenen Arbeitnehmer einen Überblick zu verschaffen. Das gelte hier umso mehr, als der
schriftliche Anstellungsvertrag einen deutlichen Hinweis auf die Schwerbehinderteneigenschaft
des Klägers enthalten habe. Da die Schwerbehinderung als bekannt zu betrachten sei, spiele die
einmonatige Mitteilungsfrist keine Rolle. Die von der Beklagten (zweitinstanzlich) beantragte
Auflösung scheide angesichts der Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen als der
Sozialwidrigkeit aus.
13 B. Dem folgt der Senat.
14 I. Die Kündigung ist nach § 85 Abs. 1 SGB IX iVm. § 134 BGB unwirksam.
15 1. Der Kläger hat fristgerecht gem. § 4 KSchG Klage erhoben. Zwar hat er die Unwirksamkeit der
Kündigung nach § 85 Abs. 1 SGB IX erst nach Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 KSchG geltend
gemacht. Das ist jedoch unschädlich, weil er es innerhalb des ersten Rechtszuges nachgeholt hat
(§ 6 KSchG, vgl. zuletzt BAG 23. April 2008 - 2 AZR 699/06 - AP KSchG 1969 § 4 Nr. 65 = EzA
KSchG § 4 nF Nr. 84) .
16 2. Der Kläger hat das Recht, die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 85 Abs. 1 SGB IX geltend
zu machen, nicht verwirkt.
17 a) Hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer - wie hier - im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung
bereits einen Bescheid über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten, so steht ihm der
Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX - abgesehen von den sich aus § 90 SGB IX
ergebenden Ausnahmen - an sich auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der
Schwerbehinderteneigenschaft oder der Antragstellung nichts wusste (vgl. BAG 12. Januar 2006 -
2 AZR 539/05 - AP SGB IX § 85 Nr. 3 = EzA SGB IX § 85 Nr. 5). Allerdings beurteilt der Senat die
Verwirkung des Rechts des Arbeitnehmers, sich nachträglich auf eine Schwerbehinderung zu
berufen und die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung geltend zu machen, nach strengen
Grundsätzen (19. April 1979 - 2 AZR 469/78 - AP SchwbG § 12 Nr. 5 = EzA SchwbG § 12 Nr. 6;
23. Februar 1978 - 2 AZR 462/76 - BAGE 30, 141; 17. September 1981 - 2 AZR 369/79 -). Danach
muss der Arbeitnehmer, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX aF
erhalten will, nach Zugang der Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist, die drei Wochen
beträgt (früher einen Monat, vgl. BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - AP SGB IX § 85 Nr. 3 =
EzA SGB IX § 85 Nr. 5; 13. Februar 2008 - 2 AZR 864/06 - AP SGB IX § 85 Nr. 5 = EzA KSchG
§ 4 nF Nr. 83), gegenüber dem Arbeitgeber seine bereits festgestellte oder zur Feststellung
beantragte Schwerbehinderteneigenschaft geltend machen. Unterlässt der Arbeitnehmer diese
Mitteilung, so hat er den besonderen Kündigungsschutz verwirkt. Die Verwirkung setzt jedoch
voraus, dass der Arbeitgeber die Schwerbehinderung oder den Antrag nicht kennt und deshalb mit
der Zustimmungspflichtigkeit der Kündigung nicht rechnen kann (BAG 6. September 2007 - 2 AZR
324/06 - AP SGB IX § 90 Nr. 4 = EzA SGB IX § 90 Nr. 4).
18 b) Im Streitfall hat der Kläger sein Recht, den Sonderkündigungsschutz geltend zu machen,
deshalb nicht verwirkt, weil der Rechtsvorgängerin der Beklagten, die in das Arbeitsverhältnis
nach § 613a Abs. 1 BGB eingetreten ist, die Schwerbehinderung bekannt war. Das muss die
Beklagte als Betriebserwerberin gegen sich gelten lassen.
19 aa) Dass der Rechtsvorgängerin der Beklagten die Schwerbehinderung bekannt war, ist vom
Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt worden. Zulässige und begründete
Verfahrensrügen sind von der Revision insoweit nicht erhoben worden, so dass der Senat an die
Feststellung des Berufungsgerichts gebunden ist (§ 559 Abs. 2 ZPO) . Die von der Beklagten
erwogene Mutmaßung, ihre Rechtsvorgängerin habe von der Schwerbehinderung des Klägers
nichts gewusst und den Zusatzurlaub „entsprechend dem Schwerbehindertengesetz“ aus
Generosität vereinbart, erscheint lebensfremd. Das mag aber ebenso auf sich beruhen wie der
Umstand, dass zwischen der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin ohnehin eine personelle
Kontinuität im Bereich der Personalleitung bestanden zu haben scheint, die den
Informationstransfer möglicherweise hätte erleichtern können.
20 bb) Nach § 613a Abs. 1 BGB geht das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten auf den
Betriebserwerber über. Dem Arbeitnehmer sollen die Rechte erhalten bleiben, die ihm gegenüber
dem Betriebsveräußerer zustanden. Das gilt gerade auch für bestehenden
Sonderkündigungsschutz. Denn § 613a BGB will verhindern, dass der Übernehmer bei der
Übernahme der Belegschaft eine Auslese trifft; er soll sich insbesondere nicht von den besonders
schutzbedürftigen älteren, schwerbehinderten, unkündbaren oder sonst sozial schwächeren
Arbeitnehmern trennen können (BAG 26. Mai 1983 - 2 AZR 477/81 - BAGE 43, 13).
21 cc) Auch dem Arbeitgeber sollen die Rechte aus dem Arbeitsvertrag erhalten bleiben. Dazu gehört
das Kündigungsrecht. Allerdings sollen keiner der Vertragsparteien zusätzliche Rechte durch den
Betriebsübergang erwachsen. Das gilt, wie aus § 613a Abs. 4 BGB ersichtlich, gerade auch für
das Kündigungsrecht. Ist das Kündigungsrecht, wie im Fall des § 85 SGB IX, durch ein Verbot (mit
Erlaubnisvorbehalt) eingeschränkt, so kann es auch nur mit dieser Einschränkung übergehen.
Müsste der Arbeitnehmer eine von ihm bereits erfüllte Obliegenheit erneut erfüllen, um den
Sonderkündigungsschutz nicht aus Anlass des Betriebsübergangs zu verlieren, so brächte der
Betriebsübergang für ihn einen kündigungsrechtlichen Nachteil.
22 dd) In gleicher Weise hat der Senat für den Fall der Einhaltung von Ausschlussfristen entschieden.
Die rechtzeitige Geltendmachung von Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber dem
Betriebsveräußerer reicht danach zur Wahrung der Ausschlussfrist auch gegenüber dem
Betriebserwerber (BAG 21. März 1991 - 2 AZR 577/90 - AP BGB § 615 Nr. 49 = EzA BGB § 615
Nr. 68). Andererseits beginnt die Ausschlussfrist - insoweit zu Lasten des Arbeitnehmers - nicht
neu ab dem Betriebsübergang (BAG 13. Februar 2003 - 8 AZR 236/02 - AP BGB § 613a Nr. 244 =
EzA TVG § Ausschlussfristen Nr. 162). Dies ist ein Ausfluss des Grundsatzes, dass Rechte und
Pflichten gerade so weiterbestehen sollen, als hätte es den Betriebsübergang nicht gegeben. Der
vollständige Eintritt des Betriebsübernehmers in die Rechte und Pflichten des bisherigen
Arbeitgebers bedeutet nicht nur eine Nachfolge in rechtlichen Beziehungen, der Übernehmer muss
sich auch Gegebenheiten zurechnen lassen, die als Tatbestandsmerkmale für spätere
Rechtsfolgen von Bedeutung sind. Das gilt zB für ein Angebot, das der Arbeitnehmer gegenüber
seinem früheren Arbeitgeber zur Begründung von Annahmeverzug gemacht hat (vgl. Senat 9. Juli
1987 - 2 AZR 467/86 - zu II 2 der Gründe und 8. April 1988 - 2 AZR 681/87 - zu II 3 der Gründe).
Dies entspricht dem Zweck des § 613a BGB (vgl. auch: Art. 3 Abs. 2 Richtlinie 1998/50 EG) . Der
Arbeitnehmer soll nicht eines Zahlungsanspruchs nur deshalb verlustig gehen, weil der Betrieb
übergeht, obwohl er vorher alle Voraussetzungen für einen Anspruch gegen den früheren Inhaber
des Betriebes geschaffen hatte. Aus diesem Grund ist § 425 Abs. 2 BGB nicht anwendbar, sofern
dort auf den Verzug verwiesen wird, denn aus dem besonderen Übernahmeschuldverhältnis iSd.
§ 613a BGB ergibt sich „etwas anderes“ iSv. § 425 Abs. 1 BGB (BAG 21. März 1991 - 2 AZR
577/90 - AP BGB § 615 Nr. 49 = EzA BGB § 615 Nr. 68).
23 ee) Dementsprechend wird in der Literatur - soweit sie sich mit der Frage befasst - durchweg die
Auffassung vertreten, dass der Betriebserwerber sich die Kenntnis des bisherigen
Betriebsinhabers von Umständen, die einen Sonderkündigungsschutz begründen, zurechnen
lassen muss (vgl. HaKo/Mestwerdt 3. Aufl. § 613a BGB Rn. 63; KDZ/Zwanziger 7. Aufl. § 613a
BGB Rn. 92; ebenso für § 626 Abs. 2 BGB: ErfK/Preis 8. Aufl. § 613a BGB Rn. 79; APS/Steffan
3. Aufl. § 613a BGB Rn. 99).
24 ff) Dem steht die Entscheidung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Februar
2007 (- 8 AZR 397/06 - BAGE 121, 273) nicht entgegen. In dem Urteil ist festgehalten, dass der
Kündigungsschutz nach dem KSchG nicht übertragen wird, wenn zwar der alte, nicht aber der
neue Betriebsinhaber die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KSchG erfüllt. Dieser Fall ist aber mit
dem hier gegebenen nicht vergleichbar. Es geht hier nicht um die betrieblichen Voraussetzungen
des Kündigungsschutzes, sondern um persönliche Gegebenheiten, die im vorliegenden Fall auch
nicht - wie die des Kündigungsschutzes in dem vom Achten Senat entschiedenen Fall -
weggefallen sind. Sie bestehen vielmehr weiter.
25 c) Die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung war auch nicht nach § 90 Abs. 2a SGB
IX entbehrlich. Die Auffassung der Beklagten, die Schwerbehinderung müsse nach § 90 Abs. 2a
SGB IX gegenüber dem Arbeitgeber nachgewiesen werden, teilt der Senat nicht.
26 aa) Nach einer gelegentlich vertretenen Auffassung soll aus § 90 Abs. 2a SGB IX folgen, dem
Arbeitgeber müsse der Bescheid über die Schwerbehinderung vorgelegt werden, damit der
Sonderkündigungsschutz erhalten bleibe (Bauer/Powietzka NZA-RR 2004, 505, 507; Cramer
NZA 2004, 698, 704; Böhm ArbRB 2004, 377).
27 bb) Nach der Gegenauffassung genügt die objektive Existenz eines geeigneten Bescheides, der
die Schwerbehinderung - bzw. die Gleichstellung - nachweist (Etzel FS zum 25-jährigen Bestehen
der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV 241, 248 f.; Griebeling NZA 2005, 494, 496 f.;
Düwell BB 2004, 2811, 2812; Westers br 2004, 93, 95; Grimm/Brock/Windeln DB 2005, 282, 285;
Westers br 2004, 93, 96; Rolfs/Barg BB 2005, 1678, 1679; Schlewing NZA 2005, 1218, 1219;
Staffhorst AuA 1/2005, 35; Bernhardt/Barthel AuA 8/2004, 20, 23; Striegel FA 2005, 12, 13;
Schulze AuR 2005, 252, 254).
28 cc) Für die zuletzt genannte Auffassung sprechen die besseren Gründe (so schon BAG 1. März
2007 - 2 AZR 217/06 - BAGE 121, 335). Der Wortlaut des Gesetzes zwingt nicht zu der
gegenteiligen Auffassung. Das Gesetz sagt nicht, wem gegenüber der Nachweis erfolgen muss,
und es spricht auch nicht von der Pflicht zur Vorlage eines Bescheides. Sinn der Einführung des
§ 90 Abs. 2a SGB IX war die Abstellung von Missbräuchen, die sich nach Auffassung des
Gesetzgebers eingebürgert hatten, indem kurz vor dem Ausspruch von Kündigungen von
vornherein aussichtslose Anträge auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt
wurden, um das Risiko des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess oder in dessen Vorfeld -
scheinbar - zu erhöhen. Die Abstellung dieses Missbrauchs setzt aber nicht voraus,
Schwerbehinderten, deren Anerkennung seit Langem feststeht und nicht in Zweifel gezogen wird,
eine zusätzliche verfahrensmäßige Hürde in den Weg zu stellen. Dies vor allem dann nicht, wenn
der Arbeitgeber die Schwerbehinderung kennt - oder sich die Kenntnis zurechnen lassen muss -
und auch nicht bestreitet. Der Arbeitgeber, der die Schwerbehinderung nicht kennt, ist ausreichend
durch die vom Senat entwickelten Grundsätze zur Verwirkung geschützt. Der Arbeitgeber, der die
ihm vom Arbeitnehmer mitgeteilte Schwerbehinderung bezweifelt, kann die Anerkennung
bestreiten und sich auf diese Weise Klarheit verschaffen. Seine Belange sind in jedem Fall
geschützt.
29 II. Der Auflösungsantrag der Beklagten muss erfolglos bleiben. Nach ständiger Rechtsprechung
des Senats kann der Arbeitgeber, wenn eine Kündigung aus anderen Gründen als der
Sozialwidrigkeit unwirksam ist, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Gericht nach
§§ 9, 10 KSchG nicht erreichen (vgl. zuletzt 28. August 2008 - 2 AZR 63/07 -).
30 III. Die Kosten der Revision fallen der Beklagten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.
Rost
Eylert
Schmitz-Scholemann
Beckerle
Pitsch