Urteil des BAG vom 26.08.2009

BAG: ERA-Strukturkomponente, betriebliche Übung, Firmentarifvertrag, treu und glauben, apf, unechte rückwirkung, auszahlung, betriebsübergang, abkommen, eisen

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 26.8.2009, 5 AZR 969/08
ERA-Strukturkomponente - betriebliche Übung - Firmentarifvertrag
Leitsätze
Die in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB geregelte Transformation von Tarifverträgen gilt auch für einen vor dem
21. August 1980 vollzogenen Betriebsübergang.
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm
vom 16. Oktober 2008 - 16 Sa 625/08 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche.
2 Der Kläger ist seit 1967 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der G GmbH & Co. KG,
als Maschinenschlosser tätig. Die Beklagte beschäftigt etwa 170 Arbeitnehmer und befasst sich
mit der Herstellung von und dem Handel mit Maschinen, Maschinenteilen, Zahnrädern und
Getrieben. Der Kläger ist Mitglied der IG Metall. Die Beklagte gehört keinem Arbeitgeberverband
an.
3 Die Rechtsvorgängerin der Beklagten vereinbarte mit der IG Metall im Jahr 1977 einen
Haustarifvertrag, der ua. folgende Regelungen enthielt:
㤠3
Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Tarifvertrages geltenden Tarifverträge für
Arbeiter, Angestellte und Auszubildende der Metallindustrie des Tarifgebietes Nordrhein-
Westfalen, abgeschlossen zwischen … sind Bestandteile dieses Tarifvertrages.
Die geltenden Tarifverträge sind in der Anlage 1 beigefügt und bezeichnet, die Teil dieses
Tarifvertrages sind.
§ 4
...
Zwischen den Parteien finden aber ebenfalls alle Abmachungen, Abkommen,
Zusatzabkommen und Änderungsverträge Anwendung, die zwischen den Parteien der mit
diesem Vertrag in Bezug genommenen Tarifverträge abgeschlossen werden. Dies gilt
auch hinsichtlich des Inkrafttretens neuer Tarifbestimmungen, die anstelle der in Bezug
genommenen Tarifverträge bzw. Tarifbestimmungen treten.
§ 5
Die in Bezug genommenen Tarifverträge, bzw. -abkommen oder -vereinbarungen, gelten in
der jeweils gültigen Fassung und mit dem jeweils gültigen Rechtsstatus.
...
Anlage 1
Die Tarifverträge im einzelnen:
…“
4 Bis zum 1. Januar 1979 fungierte die Beklagte als Komplementärin und Verwalterin der G GmbH
& Co. KG. Zum 1. Januar 1979 schied sie aus der KG aus. Auch beide Kommanditisten schieden
aus und traten als persönlich haftende Gesellschafter in die KG ein, die als OHG fortbestand. Die
Beklagte änderte ihren Geschäftszweck und schloss im Jahr 1979 einen Pacht- und
Betriebsüberlassungsvertrag mit der OHG. Sie übernahm das Anlagevermögen sowie die
Geschäftsbeziehungen der früheren KG und setzte deren operatives Geschäft fort. Nachdem das
Arbeitsverhältnis des Klägers auf sie übergegangen war, wandte sie fortan den Manteltarifvertrag
für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens an und gab die regelmäßigen
prozentualen Einkommenssteigerungen im Bereich der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-
Westfalens einschließlich etwaiger Einmalzahlungen an die Arbeitnehmer weiter. Im Übrigen hielt
sie sich nicht mehr an die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens.
5 Am 4. Juni 2002 schloss die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat eine
Betriebsvereinbarung mit folgendem Inhalt:
Es wird vereinbart, dass das Verhandlungsergebnis in der Eisen-, Metall- und
Elektroindustrie (IGM Nordrhein-Westfalen) in Bezug auf die Lohn- und Gehaltserhöhungen
übernommen wird.
Abweichend wird in Bezug auf die era-Strukturkomponente vereinbart, dass diese in der
ersten Phase als Gesamtbetrag für 7 Monate (01.06.2002 bis 31.12.2002) mit der
Abrechnung für Dezember 2002 ausgezahlt wird.“
6 Der Tarifvertrag ERA-Anpassungsfonds (im Folgenden: TV ERA-APF) in der Metall- und
Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2003 idF vom 5. März 2004/2. Juni 2005
enthält ua. die folgenden Regelungen:
㤠2
Präambel
Der ERA-Anpassungsfonds dient der Sicherstellung eines gleitenden Übergangs vom
heutigen Tarifsystem auf das ERA-Entgeltsystem für alle Beteiligten. Insbesondere sollen
durch die vorübergehende Einbehaltung nicht ausgezahlter ERA-Strukturkomponenten und
deren spätere Verwendung entweder
-
zum Ausgleich von betrieblichen Kosten, die eine bestimmte Schwelle überschreiten,
oder
-
zur unmittelbaren Auszahlung an die Beschäftigten/Auszubildenden nach der
betrieblichen ERA-Einführung
spätere Verwerfungen bei der Umstellung vermieden werden.“
7
7 Unter § 3 des TV ERA-APF mit der Überschrift „Aufbau und Verwendung des ERA-
Anpassungsfonds“ wird erläutert, wie die Erhöhungen des Tarifvolumens ua. in den
Gehaltstarifverträgen 2002 und 2004 auf zwei Komponenten verteilt werden. Dazu heißt es:
„Eine Komponente dient der dauerhaften Erhöhung der Tabellenwerte der jeweiligen
Entgelte (Löhne, Gehälter; ‚lineares Volumen’). Die andere Komponente (‚restliches
Erhöhungsvolumen’) fließt in ERA-Strukturkomponenten, die in der ersten Tarifperiode
ausgezahlt, in den folgenden Tarifperioden jedoch nicht fällig werden.“
8 § 4 des TV ERA-APF regelt:
„…
b) In den jeweils folgenden Tarifperioden nach ihrer erstmaligen Begründung/Entstehung
werden die jeweiligen ERA-Strukturkomponenten aus den vorhergehenden
Tarifperioden zwar ebenfalls als Teil der Vergütung ermittelt, aber nicht ausgezahlt,
sondern zunächst einbehalten und für die Monate bis einschließlich Februar 2006
nach Maßgabe des § 4 d) dem Anpassungsfonds zugeführt.
Die bei der betrieblichen ERA-Einführung in dem ERA-Anpassungsfonds befindlichen
Beträge müssen entweder zur Deckung betrieblicher Mehrkosten aus der ERA-
Einführung oder zur Auszahlung an die Beschäftigten/Auszubildenden verwendet
werden.
c) Ist das ERA im Betrieb noch nicht eingeführt worden, werden ab März 2006 bis zur
betrieblichen ERA-Einführung die ERA-Strukturkomponenten in Höhe von 2,79 % als
Einmalzahlungen geleistet. Die Berechnung erfolgt entsprechend der Methode für die
Auszahlung der ERA-Strukturkomponente aus den Entgeltabkommen vom
16. Februar 2004.
Die Betriebsparteien können stattdessen durch freiwillige Betriebsvereinbarung
vereinbaren, dass auch diese weiteren ERA-Strukturkomponenten vorläufig nicht
ausgezahlt, sondern dem ERA-Anpassungsfonds zugeführt werden, um sie ebenso
wie die auf jeden Fall zuvor anfallenden, jedoch nicht ausgezahlten ERA-
Strukturkomponenten zu verwenden.
…“
9 Die Beklagte zahlte in den Jahren 2003 bis 2005 viermal die ERA-Strukturkomponente an die
Beschäftigten aus. Bis 2006 führten die Beklagte und die IG-Metall Verhandlungen über den
Abschluss eines Haustarifvertrags. Die Verhandlungen blieben erfolglos.
10 Das Abkommen über die Tariflöhne in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-
Westfalens vom 22. April 2006 (im Folgenden: LA) enthält ua. folgende Regelungen:
㤠7
ERA-Strukturkomponente
1. Ist das ERA im Betrieb noch nicht eingeführt worden, werden ab März 2006 bis zur
betrieblichen ERA-Einführung weitere Einmalzahlungen aus den ERA-
Strukturkomponenten in Höhe von 2,79 % geleistet (§ 4 c) TV ERA-APF).
2. Die Betriebsparteien können durch freiwillige Betriebsvereinbarung jeweils bis zu zwei
Auszahlungszeitpunkte für die Auszahlung der Einmalzahlungen aus den ERA-
Strukturkomponenten betreffend den Zeitraum März 2006 bis Dezember 2006 bzw.
den Zeitraum Januar bis Dezember der nachfolgenden Kalenderjahre festlegen.
…“
11 Mit der Klage begehrt der Kläger die Auszahlung monatlicher ERA-Strukturkomponenten gem.
§ 4c) TV ERA-APF für die Zeit von März bis Dezember 2006. Die kollektivrechtliche Wirkung des
Haustarifvertrags von 1977 mit seiner dynamischen Verweisung auf die Tarifverträge der Metall-
und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens sei aufgrund des Betriebsübergangs im Jahr 1979
erhalten geblieben. Jedenfalls sei durch die wiederholte vorbehaltlose Gewährung der ERA-
Strukturkomponenten in den Jahren 2003 bis 2005 ein Anspruch aus betrieblicher Übung
entstanden.
12 Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 803,85 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
13 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
14 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des
Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der
Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
15 I. Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung der
ERA-Strukturkomponente für März bis Dezember 2006.
16 1. Der Anspruch folgt nicht aus § 7 des LA iVm. § 4c) TV ERA-APF. Diese tarifliche Regelung
findet als solche im Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung.
17 a) Die Beklagte ist weder tarifgebunden noch im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in den
zwischen der IG Metall und der Rechtsvorgängerin der Beklagten abgeschlossenen
Firmentarifvertrag eingetreten .
18 b) Der TV ERA-APF und das LA finden im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht wegen des im
Jahre 1979 vollzogenen Betriebsübergangs Anwendung.
19 aa) Nach dem Wortlaut des § 613a Abs. 1 aF trat der Betriebserwerber - ebenso wie heute nach
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nF - lediglich in die Rechte und Pflichten aus dem bestehenden
Arbeitsverhältnis ein. Zu dieser Zeit galten die Sätze 2 bis 4 des § 613a Abs. 1 BGB noch nicht.
Diese Regelungen wurden erst durch das am 21. August 1980 in Kraft getretene Arbeitsrechtliche
EG-Anpassungsgesetz (BGBl. I S. 1308) in § 613a BGB eingefügt. Kollektivverträge wurden von
§ 613a Abs. 1 BGB aF nicht erfasst, weil Kollektivnormen nicht Inhalt der Arbeitsverhältnisse sind,
sondern auf diese wie Gesetze einwirken. Gleichwohl wurde im Schrifttum mit unterschiedlichen
Begründungen (§ 25 HGB, § 419 BGB, § 3 TVG) vertreten, der Übergang der Arbeitgeberstellung
beim Betriebsübergang begründe eine Tarifgebundenheit an einen Firmentarifvertrag des
Veräußerers (Hueck/Nipperdey Lehrbuch des Arbeitsrechts Band II/1 7. Aufl. S. 473;
Wiedemann/Stumpf TVG 5. Aufl. § 3 Rn. 73; Schaub Arbeitsrechtshandbuch 3. Aufl. § 119 III;
Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 3 Rn. 57; weitere Nachweise bei Seiter DB 1980, 877, 879 Fn. 16).
In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist diese Auffassung nicht vertreten worden
(offen gelassen in Senat 4. Dezember 1974 - 5 AZR 75/74 - zu 2 c der Gründe, AP TVG § 3 Nr. 2
= EzA TVG § 3 Nr. 1). Jedenfalls mit dem Inkrafttreten des Arbeitsrechtlichen EG-
Anpassungsgesetzes und der Ergänzung des § 613a Abs. 1 BGB um die Sätze 2 bis 4 hat der
Gesetzgeber aber verdeutlicht, dass es zuvor keine allein durch den Betriebsübergang
veranlasste Tarifgebundenheit des Betriebserwerbers gab, auch nicht hinsichtlich eines
Firmentarifvertrags. Dies belegt die Begründung des Regierungsentwurfs (BR-Drucks. 353/79
vom 17. August 1979 S. 18). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten erstmals mit der
Ergänzung des § 613a Abs. 1 BGB um die Sätze 2 bis 4 die durch einen Tarifvertrag geregelten
Rechte und Pflichten entsprechend Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 77/187/EWG vom 14. Februar 1977
(ABl. EG Nr. L 61 vom 5. März 1977 S. 26) einen Bestandsschutz „erhalten“. Das Schutzniveau
zugunsten der Arbeitnehmer sollte gehoben werden. Der dazu gewählte, dogmatisches Neuland
betretende Weg bestätigt, dass die frühere Rechtslage keine Tarifgebundenheit der
Betriebserwerber kraft Betriebsübergangs kannte.
20 bb) Nach der Neuregelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB werden diejenigen Rechte und Pflichten
eines übergehenden Arbeitsverhältnisses, die durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags geregelt
sind, Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Betriebserwerber und dem Arbeitnehmer, dh.
sie werden transformiert. Der kollektivrechtliche Charakter bleibt beim Betriebsübernehmer
erhalten und der Erwerber ist an die transformierten Regelungen in einer Weise gebunden, die der
Nachbindung des aus einem tarifschließenden Arbeitgeberverband ausgetretenen Arbeitgebers
gem. § 3 Abs. 3 TVG weitgehend entspricht, allerdings zeitlich begrenzt auf eine Dauer von einem
Jahr (BAG 22. April 2009 - 4 AZR 100/08 -). Damit wird der Erwerber für diesen Zeitraum im
Hinblick auf die übergegangenen Arbeitsverhältnisse so gestellt, als sei er wie der Veräußerer
zwingend an den normativen Teil des Tarifvertrags gebunden. Auf diese Weise werden die auf
einer kollektivrechtlichen Ebene begründeten Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis für
den Arbeitnehmer gesichert. Der Unterschied zu den individualvertraglich begründeten Rechten
und Pflichten besteht in ihrer einseitig zwingenden Wirkung innerhalb der Sperrfrist. Die
transformierten Normen wirken in dieser Zeit vergleichbar wie Mindestarbeitsbedingungen iSv. § 4
Abs. 1, Abs. 3 TVG (BAG 22. April 2009 - 4 AZR 100/08 -).
21 cc)Die Neuregelung des Jahres 1980 ist auch auf die vor dem 21. August 1980 vollzogenen
Betriebsübergänge anwendbar. Jedenfalls mit dem Inkrafttreten der Sätze 2 bis 4 des § 613a
Abs. 1 BGB hatten die unter Geltung des § 613a BGB vollzogenen Betriebsübergänge für die noch
bestehenden Arbeitsverhältnisse zur Folge, dass die durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags
geregelten Rechte und Pflichten eines übergehenden Arbeitsverhältnisses transformiert wurden.
Bereits der Wortlaut des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB spricht für eine Anwendung der
Transformationslösung auf vor dem 21. August 1980 vollzogene Betriebsübergänge. Das Gesetz
knüpft zwar an einen bestehenden Rechtszustand an („sind“ diese Rechte und Pflichten durch
Rechtsnormen eines Tarifvertrags geregelt), schließt aber die Anwendung auf vollzogene
Betriebsübergänge nicht aus. Denn der Erwerber ist in Ansehung des Betriebsübergangs und des
Firmentarifvertrags immer noch der „neue Inhaber“ iSd. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Diese unechte
Rückwirkung des Änderungsgesetzes ist verfassungsrechtlich zumindest gerechtfertigt, weil so
eine ungleiche Schutzlücke behoben worden ist. Zudem entspricht diese Regelung den Vorgaben
der Richtlinie 77/187/EWG vom 14. Februar 1977 (ABl. EG Nr. L 61 vom 5. März 1977 S. 26).
Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie bedingt keine unmittelbare und zwingende Weitergeltung der
Tarifnormen, eine Transformation, wie in den § 613a Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BGB geregelt, genügt (
BAG 20. Juni 2001 - 4 AZR 295/00 - zu I 1 c cc (3), I 2 b dd der Gründe, AP TVG § 1
Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 18 = EzA BGB § 613a Nr. 203). Die Richtlinie bezweckt nur, die
am Tag des Übergangs bestehenden Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer zu wahren (EuGH
9. März 2006 - C-499/04 - [Werhof] Slg. 2006, I-2397).
22 dd) Damit gilt zwar der von der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit der IG Metall geschlossene
Haustarifvertrag im Verhältnis der Parteien als fortwirkender Inhalt des Arbeitsverhältnisses, doch
hat die darin geregelte Verweisung auf Tarifverträge der Metallindustrie des Tarifgebiets Nordrhein-
Westfalen mit der Transformation ihre Dynamik verloren. Die transformierten Normen werden
lediglich mit demjenigen Tarifstand Inhalt des Arbeitsverhältnisses, den sie zum Zeitpunkt des
Betriebsübergangs aufweisen. Werden diese Normen nachträglich verändert, wirkt sich die
Veränderung nicht auf den Inhalt der übergegangenen Normen aus (BAG 22. April 2009 - 4 AZR
100/08 - Rn. 83; 29. August 2001 - 4 AZR 332/00 - BAGE 99, 10, 19). Enthält ein nach § 613a
Abs. 1 Satz 2 BGB transformierter Tarifvertrag eine dynamische Verweisung auf andere
Tarifverträge, werden diese Normen lediglich mit ihrem Inhalt zum Zeitpunkt des
Betriebsübergangs in die Arbeitsverträge der übernommenen Arbeitnehmer einbezogen (BAG
29. August 2001 - 4 AZR 332/00 - aaO; 20. Juni 2001 - 4 AZR 295/00 - zu I 2 b aa - hh der Gründe,
AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 18 = EzA BGB § 613a Nr. 203 ) . Folglich ist die
Beklagte nicht zur Einführung von ERA sowie zur Anwendung des TV ERA-APF verpflichtet.
23 2. Eine dynamische Fortgeltung der tarifvertraglichen Regelungen aufgrund der Verweisung im
Haustarifvertrag folgt ebenso wenig aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) iVm.
§ 18 AktG. Soweit der Kläger insoweit auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom
11. September 1991 (- 4 AZR 71/91 - BAGE 68, 261), in dem eine Einwirkungspflicht der
Konzernmutter auf ein (ausländisches) selbständiges Tochterunternehmen bejaht wurde, damit
dieses inländische Tarifverträge anwendet, verweist, sind weder die tatsächlichen Umstände noch
die vom Kläger geltend gemachte Rechtsfolge vergleichbar. Der Kläger hat noch nicht einmal
behauptet, dass die gesellschaftsrechtlichen Veränderungen des Jahres 1979 auf Seiten der
Arbeitgeberin im Zusammenhang mit den tarifvertraglichen Bindungen der Veräußerin standen.
24 3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung der ERA-Strukturkomponente aufgrund
betrieblicher Übung.
25 a) Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen
des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine
Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot
zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel
stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich
gewordenen Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht der
Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des
Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157
BGB) verstehen musste und durfte. Im Wege der Auslegung des Verhaltens des Arbeitgebers ist
zu ermitteln, ob der Arbeitnehmer davon ausgehen musste, die Leistung werde nur unter
bestimmten Voraussetzungen oder nur für eine bestimmte Zeit gewährt (Senat 9. Februar 2005 -
5 AZR 284/04 -; BAG 28. Mai 2008 - 10 AZR 274/07 - Rn. 15 ff., AP BGB § 242 Betriebliche
Übung Nr. 80 = EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 8; 28. Juni 2006 - 10 AZR 385/05 -
Rn. 35 f. mwN, BAGE 118, 360).
26 Bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber kann eine betriebliche Übung der Erhöhung der Löhne
und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet nur
angenommen werden, wenn es deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür
gegeben hat, dass er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten
Tariflohnerhöhungen übernehmen will. Denn ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber will sich
grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen und seine
Entscheidungsfreiheit für die künftige Lohn- und Gehaltsentwicklung behalten. Deshalb können die
Arbeitnehmer nicht von einer dauerhaften Bindung des Arbeitgebers an zukünftige
Rechtsänderungen ausgehen (Senat 9. Februar 2005 - 5 AZR 284/04 - mwN; 16. Januar 2002 -
5 AZR 715/00 - AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 56 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung
Nr. 37).
27 b) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend die Voraussetzungen einer betrieblichen Übung
verneint. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Belegschaft aufgrund eines Rechtsirrtums
von der Tarifgebundenheit der Beklagten ausging, also ohnehin die Befolgung des Tarifrechts als
scheinbarer Normvollzug keine tarifliche Übung begründen konnte.
28 aa) Keine besonderen Anhaltspunkte gibt es dafür, dass der frühere Nachvollzug der Anpassung
tariflicher Entgelte auf einem entsprechenden, in die Zukunft gerichteten Bindungswillen der
Beklagten schließen ließ.
29 bb) Ebenso wenig hat die Beklagte, als sie in den Jahren 2003 bis 2005 insgesamt viermal ERA-
Strukturkomponenten an die Arbeitnehmer zahlte, für die Belegschaft erkennbar eine dauerhafte
Bindung gewollt. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der ERA-Strukturkomponente um eine
besondere Form der Entgelterhöhung handelte. Wenn der Arbeitgeber diese zahlt, weil ggf. noch
Tarifverhandlungen über die zukünftige Entgeltgestaltung geführt werden, fließt auch dies in das
Vorstellungsbild der Arbeitnehmer ein. Für die Zahlung der ERA-Strukturkomponente nach § 4a),
b) TV ERA-APF gab es nach Februar 2006 ohnehin keine tarifliche Grundlage mehr.
30 cc) Erst recht ist keine betriebliche Übung entstanden, die zu einer entsprechenden Anwendung
von § 7 Nr. 1 LA iVm. § 4c) TV ERA-APF führte. Wartezahlungen hat die Beklagte nicht geleistet.
Aus der Zahlung der tariflich bis Februar 2006 fälligen, früheren ERA-Strukturkomponenten in
Anlehnung an § 4a), b) TV ERA-APF konnte kein Vertrauen auf die dauerhafte Zahlung der ab
März fälligen tariflichen Wartezahlungen nach § 4c) TV ERA-APF entstehen. Nach § 7 Nr. 1 LA
iVm. § 4c) TV ERA-APF werden ab März 2006 bis zur betrieblichen ERA-Einführung „weitere“
ERA-Strukturkomponenten iHv. 2,79 % als Einmalzahlungen geleistet. Diese Wartezahlungen ab
März 2006 sollen die Zeit bis zur Einführung der neuen Entgelte überbrücken und der
Beschleunigung der ERA-Einführung dienen. Ist der Arbeitgeber nicht zur betrieblichen ERA-
Einführung verpflichtet, fehlt die Grundlage für einen Anspruch auf Wartezahlungen (Senat
14. Januar 2009 - 5 AZR 175/08 - Rn. 16, EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 134).
31 II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller-Glöge
Mikosch
Laux
Heel
Zoller