Urteil des BAG vom 14.03.2017

BAG (arbeitnehmer, betriebsrat, beschränkung, stellenausschreibung, benachteiligung, angabe, antrag, betrieb, ziel, arbeitgeber)

Siehe auch:
BUNDESARBEITSGERICHT Beschluß vom 18.8.2009, 1 ABR 47/08
Innerbetriebliche Stellenausschreibung - mittelbare Benachteiligung wegen des Alters -
Unterlassungsanspruch des Betriebsrats
Leitsätze
Die Beschränkung des Bewerberkreises in einer innerbetrieblichen Stellenausschreibung auf
Arbeitnehmer im ersten Berufs-/Tätigkeitsjahr kann eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters
darstellen.
Tenor
I. Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird unter Zurückweisung der
Rechtsbeschwerde im Übrigen der Beschluss des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 6. März 2008 - 9 TaBV 251/07 - aufgehoben.
II. Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts
Frankfurt am Main vom 9. August 2007 - 3 BV 127/07 - teilweise abgeändert:
1. Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, es zu unterlassen, im Bezirk 302
(Rüsselsheim) betriebsinterne Stellenausschreibungen für Verkaufs-
/Kassierkräfte mit Angabe des ersten Berufs- oder Tätigkeitsjahres für die
Eingruppierung vorzunehmen.
2. Der Arbeitgeberin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre
Verpflichtung aus II.1. ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000,00 Euro
angedroht.
3. Im Übrigen wird die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit von Stellenausschreibungen.
2 Die Arbeitgeberin betreibt bundesweit Drogeriemärkte. Antragsteller ist der für den Betrieb „Bezirk
302 (R)“ auf der Grundlage eines Tarifvertrags iSd. § 3 BetrVG errichtete Betriebsrat.
3 Der Arbeitgeber schrieb im Jahr 2007 wiederholt innerbetrieblich Stellen aus. Die
Stellenausschreibungen vom 9. und vom 14. Februar 2007 lauteten:
„… für die Verkaufsstelle
F, Dstraße
(männlich/weiblich) für 20,0 Stunden/Woche
Tarifgruppe: A/1. Bj. EUR 662,40“.
4 In der Stellenausschreibung vom 30. März 2007 hieß es:
„… für die Verkaufsstelle
B, Mstraße 5 - 9
(männlich/weiblich) für 20,0 Stunden/Woche
Tarifgruppe I/2. Bj. EUR 948,00“.
5 Nach einer weiteren innerbetrieblichen Stellenausschreibung vom 25. Juni 2007 war in der
Verkaufsstelle in O eine Stelle als Verkäufer/Kassierer (männlich/weiblich) für sieben
Wochenarbeitsstunden zu besetzen. Als Vergütung war in der Ausschreibung „Tarifgruppe: I/1.
Tj./EUR 242,30“ angegeben.
6 Die Arbeitgeberin wendet je nach Lage der Verkaufsstelle für das dort beschäftigte Personal die
Tarifverträge für die Arbeitnehmer im Einzelhandel im Land Rheinland-Pfalz bzw. im Hessischen
Einzelhandel an. Bei der in den Stellenausschreibungen genannten Gehaltsgruppe I bzw. A handelt
es sich um die niedrigste Vergütungsgruppe der jeweiligen Gehaltstarifverträge. Die
Vergütungshöhe der dort eingruppierten Arbeitnehmer erhöht sich mit der Anzahl der
zurückgelegten Berufs-/Tätigkeitsjahre.
7 Der Betriebsrat hat erfolglos der Aufnahme der Berufsjahre in den Text der
Stellenausschreibungen widersprochen und das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet. Er
hat die Auffassung vertreten, durch die in den Stellenausschreibungen enthaltene Beschränkung
auf das erste und das zweite Berufs-/Tätigkeitsjahr würden Arbeitnehmer von einer Bewerbung auf
die ausgeschriebenen Stellen abgehalten, die sich bereits in einem höheren Berufs-/Tätigkeitsjahr
befänden. Das bewirke eine nach dem AGG unzulässige mittelbare Benachteiligung wegen des
Alters, da die ausgeschlossenen Arbeitnehmer regelmäßig älter seien als der in den
Stellenausschreibungen angesprochene Bewerberkreis.
8 Der Betriebsrat hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung - beantragt,
dem Arbeitgeber aufzugeben, es zu unterlassen, im Bezirk 302 (R) Stellenausschreibungen
für Verkaufs-/Kassierkräfte mit Angabe des ersten oder zweiten Berufs- oder
Tätigkeitsjahres bei der Eingruppierung vorzunehmen bei Meidung eines Ordnungsgeldes in
Höhe von bis zu 10.000,00 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung;
hilfsweise,
dem Arbeitgeber aufzugeben, es zu unterlassen, im Bezirk 302 (R) bezirksinterne
Stellenausschreibungen für Verkaufs-/Kassierkräfte mit Angabe des ersten oder zweiten
Berufs- oder Tätigkeitsjahres bei der Eingruppierung vorzunehmen bei Meidung eines
Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 10.000,00 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung.
9 Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die in den
Stellenausschreibungen vorgenommene Beschränkung des Bewerberkreises zur Sicherung der
Altersstruktur und aus Kostengründen für gerechtfertigt gehalten. Bei den fraglichen
Verkaufsstellen handele es sich um umsatzschwache Filialen, die nur bei dem Einsatz von
Arbeitnehmern kostendeckend geführt werden könnten, die sich im ersten oder im zweiten Berufs-
/Tätigkeitsjahr befinden. Daneben sei der Antrag schon deshalb abzuweisen, weil sie jedenfalls
nicht „grob“ gegen ihre Pflichten aus dem AGG verstoßen habe.
10 Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihm entsprochen.
Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen
Entscheidung.
11 B. Die Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Hauptantrag
des Betriebsrats zu Unrecht entsprochen. Sein in der Rechtsbeschwerdeinstanz angefallener
Hilfsantrag ist teilweise begründet. Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, in betriebsinternen
Stellenausschreibungen die Aufnahme des ersten Berufs-/Tätigkeitsjahres für Verkaufs-
/Kassierkräfte zu unterlassen.
12 I. Die Anträge des Betriebsrats sind zulässig.
13 1. Die Anträge bedürfen der Auslegung. Nach dem Hauptantrag des Betriebsrats soll es die
Arbeitgeberin unterlassen, in Stellenausschreibungen für das Verkaufspersonal sowohl das erste
wie auch das zweite Berufs-/Tätigkeitsjahr aufzunehmen, soweit diese Angaben als
Höchstanforderungen ausgestaltet sind. Der Betriebsrat wendet sich nicht gegen die Erwähnung
des ersten oder des zweiten Berufs-/Tätigkeitsjahres in den Stellenausschreibungen, soweit die
Arbeitgeberin kenntlich macht, dass sich auch andere Interessenten auf die ausgeschriebenen
Stellen bewerben können. Mit dem Hilfsantrag hat der Betriebsrat sein Begehren auf die im Betrieb
R veröffentlichten Stellenausschreibungen beschränkt, die sich an die dort beschäftigten
Arbeitnehmer richten. Hingegen ist nicht Gegenstand der Anträge, ob die Arbeitgeberin berechtigt
ist, im Text der Stellenausschreibungen eine bestimmte Vergütungsgruppe oder ein bestimmtes
Tarifentgelt anzugeben. Für ein solches Verständnis spricht weder der Antragswortlaut, in dem nur
die Berufs-/Tätigkeitsjahre angeführt werden, noch die Antragsbegründung, die auf
benachteiligende Auswirkungen dieser Angaben nicht eingeht.
14 2. Mit diesem Inhalt sind die Anträge zulässig. Sie genügen den Bestimmtheitsanforderungen des
§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Bei einer dem Antrag stattgebenden Entscheidung kann die Arbeitgeberin
eindeutig erkennen, was von ihr verlangt wird, und wann sie wegen eines Verstoßes mit der
Verhängung eines Ordnungsgeldes rechnen muss.
15 II. Der Hauptantrag des Betriebsrats ist unbegründet, sein Hilfsantrag teilweise begründet.
16 1. Der Betriebsrat kann nicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 AGG iVm. § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG
beanspruchen, dass die Arbeitgeberin die Angabe des ersten oder des zweiten Berufs-
/Tätigkeitsjahres in sämtlichen Stellenausschreibungen für Verkaufs-/Kassenkräfte unterlässt.
Voraussetzung eines solchen Unterlassungsanspruchs ist ein grober Verstoß des Arbeitgebers
gegen seine sich aus dem 2. Abschnitt des AGG ergebenden Pflichten. Einen Pflichtverstoß der
Arbeitgeberin in Bezug auf Stellenausschreibungen, die sich an externe Bewerber richten, hat der
Betriebsrat nicht vorgetragen.
17 a) Der vom Betriebsrat als Hauptantrag gestellte Unterlassungsantrag ist ein Globalantrag. Er
erfasst jede Form der an externe und interne Bewerber gerichteten Stellenausschreibungen, in
denen das erste und/oder das zweite Berufs-/Tätigkeitsjahr für das Verkaufspersonal als
Mindestanforderung genannt wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts ist ein Globalantrag, der einschränkungslos eine Vielzahl möglicher
Fallgestaltungen erfasst, grundsätzlich als insgesamt unbegründet abzuweisen, wenn unter ihn
zumindest auch Sachverhalte fallen, in denen sich der Antrag als unbegründet erweist (3. Juni
2003 - 1 ABR 19/02 - zu B II 2 a der Gründe mwN, BAGE 106, 188).
18 b) Danach ist der Hauptantrag unbegründet. Er erfasst auch Fallgestaltungen, in denen er mangels
einschlägiger Pflichtverletzungen der Arbeitgeberin unbegründet ist.
19 aa) Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 AGG kann ua. der Betriebsrat bei einem groben Verstoß des
Arbeitgebers gegen Vorschriften aus dem 2. Abschnitt des AGG unter den Voraussetzungen des
§ 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die dort genannten Rechte gerichtlich geltend machen. Danach kann
der Betriebsrat beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu
unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Der
Antrag setzt voraus, dass der Arbeitgeber bereits grob gegen seine sich aus dem 2. Abschnitt des
AGG ergebenden Pflichten verstoßen hat. Die bloße Gefahr eines groben Pflichtenverstoßes
reicht nicht (vgl. BAG 18. April 1985 - 6 ABR 19/84 - zu B II 4 b der Gründe, BAGE 48, 246).
20 bb) Der auch externe Stellenausschreibungen umfassende Antrag ist unbegründet. Der
Betriebsrat hat einen Pflichtverstoß der Arbeitgeberin gegen ihre Verpflichtung zur
benachteiligungsfreien Stellausschreibung in Bezug auf externe Stellenbewerber nicht dargetan.
Die von ihm angeführten Stellenausschreibungen richten sich ausnahmslos an interne Bewerber.
21 2. Der danach dem Senat zur Entscheidung angefallene Hilfsantrag ist teilweise begründet. Wurde
in der Vorinstanz schon dem Hauptantrag des Antragstellers stattgegeben, gelangt mit der
(Rechts-)Beschwerde eines Beteiligten auch ein Hilfsantrag des Antragstellers automatisch in die
Rechtsmittelinstanz, ohne dass es eines (vorsorglichen) Anschlussrechtsmittels bedürfte; dies gilt
jedenfalls bei einem engen sachlichen und rechtlichen Zusammenhang der Anträge (BAG
10. März 2009 - 1 ABR 93/07 - Rn. 38, AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 127 = EzA BetrVG 2001 § 99 Nr.
12). Ein ausreichender Zusammenhang ist hier gegeben. Der Hilfsantrag ist unbegründet, soweit
der Betriebsrat die Unterlassung von innerbetrieblichen Stellenausschreibungen verlangt, in denen
die Arbeitgeberin für die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle auf die Einreihung der Bewerber
in das zweite Berufs-/Tätigkeitsjahr abstellt. Im Übrigen ist der Hilfsantrag begründet.
22 a) Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf Unterlassung der Angabe des zweiten Berufs-
/Tätigkeitsjahres in innerbetrieblichen Stellenausschreibungen. Es fehlt an einem nach § 17 Abs. 2
Satz 1 AGG erforderlichen Verstoß der Arbeitgeberin gegen ihre sich aus dem AGG ergebenden
Pflichten.
23 Die Arbeitgeberin hat mit dem Schreiben vom 30. März 2007 nicht gegen ihre sich aus § 11 AGG
ergebende Pflicht zur benachteiligungsfreien Stellenausschreibung verstoßen. Es bedarf keiner
Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen bei einer Beschränkung des
Bewerberkreises auf Arbeitnehmer im zweiten Berufs-/Tätigkeitsjahr eine nach § 3 Abs. 2 AGG
unzulässige mittelbare Benachteiligung wegen des Alters vorliegen kann. Die
Stellenausschreibung vom 30. März 2007 kann schon wegen der in ihr enthaltenen
widersprüchlichen Angaben („Tarifgruppe: I/2. Bj./EUR 948,00“) nicht dahingehend verstanden
werden, dass sie sich ausschließlich an Arbeitnehmer richtet, die sich im zweiten Berufs-
/Tätigkeitsjahr des einschlägigen Gehaltstarifvertrags für den hessischen Einzelhandel (GehaltTV
Hessen) befinden.
24 Die in der Stellenausschreibung genannte Verkaufsstelle B liegt in Hessen. Die Eingruppierung der
Arbeitnehmer im hessischen Einzelhandel bestimmt sich grundsätzlich nach
Beschäftigungsgruppen (§ 3 GehaltTV Hessen). § 3 Abschnitt A GehaltTV Hessen enthält für die
Eingruppierung von Angestellten ohne abgeschlossene kaufmännische oder technische
Ausbildung nur eine Staffelung der Vergütung nach Tätigkeitsjahren und keine weitere Unterteilung
nach Tarifgruppen. Auch in § 3 Abschnitt B GehaltTV Hessen ist keine „Tarifgruppe I“
ausgebracht, sondern nur die Gehaltsgruppe Ia) bzw. Ib). Die Vergütungshöhe der dort
eingruppierten Angestellten mit einer abgeschlossenen kaufmännischen oder technischen
Ausbildung richtet sich grundsätzlich nach der Dauer der zurückgelegten Berufsjahre. Der in der
Stellenausschreibung vom 30. März 2007 angegebene Betrag von 948,00 Euro entspricht unter
Berücksichtigung der tariflichen Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden einer Monatsvergütung von
1.777,50 Euro. Diese Vergütung liegt über dem Verdienst für eine in § 3 Abschnitt B Gehaltsgruppe
Ia) im zweiten Berufsjahr GehaltTV Hessen eingruppierte Vollzeitkraft, der 1.451,00 Euro
monatlich beträgt. Der Betrag von 1.777,50 Euro wird erst von einem vollbeschäftigten
Arbeitnehmer der Gehaltsgruppe Ia) nach dem fünften Berufsjahr überschritten, dessen
Monatsverdienst 2.006,00 Euro beträgt.
25 b) Im Übrigen ist der Hilfsantrag begründet. Der Betriebsrat kann nach § 17 Abs. 2 Satz 1 AGG,
§ 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG beanspruchen, dass die Arbeitgeberin in ihren innerbetrieblichen
Stellenausschreibungen zukünftig die Angabe des ersten Berufs-/Tätigkeitsjahres im Sinne einer
als Höchstanforderung verstandenen Voraussetzung unterlässt. Die Arbeitgeberin hat in den
Stellenausschreibungen vom 9. und 14. Februar 2007 sowie vom 25. Juni 2007 Arbeitnehmer, die
sich nicht im ersten Berufs-/Tätigkeitsjahr der niedrigsten Vergütungsgruppe der jeweils
einschlägigen Einzelhandelstarifverträge befinden, von einer Bewerbung auf die ausgeschriebenen
Arbeitsplätze ausgeschlossen. Die Beschränkung der innerbetrieblichen Stellenausschreibung auf
Arbeitnehmer im ersten Berufs-/Tätigkeitsjahr stellt eine mittelbare Benachteiligung wegen des
Alters iSd. § 3 Abs. 2 AGG und damit eine Zuwiderhandlung gegen die sich für die Arbeitgeberin
aus § 11 AGG iVm. § 7 Abs. 1 AGG ergebende Pflicht zur benachteiligungsfreien
Stellenausschreibung dar. Der Verstoß der Arbeitgeberin war auch grob iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1
AGG.
26 aa) Die Vorinstanzen haben die Stellenausschreibungen vom 9. und 14. Februar 2007 sowie vom
25. Juni 2007 zutreffend dahingehend gewürdigt, dass sie sich entsprechend der betrieblichen
Gepflogenheiten nur an betriebsangehörige Arbeitnehmer richten, die sich im ersten Berufs-
/Tätigkeitsjahr der niedrigsten Vergütungsgruppe der jeweils regional einschlägigen
Gehaltstarifverträge befinden. Für diese Sichtweise spricht die Angabe des Tarifgehalts in den
Stellenausschreibungen, das dem eines in die niedrigste Vergütungsgruppe des einschlägigen
Gehaltstarifvertrags im ersten Berufs-/Tätigkeitsjahr eingruppierten Arbeitnehmers entspricht.
Andere Beschäftigte, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sollen durch die
Stellenausschreibungen nicht zu einer Bewerbung aufgefordert werden. Die Arbeitgeberin ist
diesem Verständnis der Stellenausschreibungen nicht entgegengetreten. Ihre zur Beschränkung
des Bewerberkreises angeführte Rechtfertigung, sie könne zur Sicherung der Altersstruktur und
aus wirtschaftlichen Gründen die ausgeschriebenen Stellen nur mit Personen besetzen, die in das
erste Berufs-/Tätigkeitsjahr der niedrigsten Tarifgruppe eingruppiert sind, bestätigt vielmehr diese
Auslegung.
27 bb) Die Angabe des ersten Berufs-/Tätigkeitsjahres in den vom Betriebsrat beanstandeten
Stellenausschreibungen stellt eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters iSd. § 3 Abs. 2, § 1
AGG dar. Bei dem von der Arbeitgeberin verwandten Merkmal des ersten Berufs-/Tätigkeitsjahres
handelt es sich um ein neutrales Kriterium iSv. § 3 Abs. 2 AGG, von dessen Verwendung die bei
der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer wegen ihres Lebensalters unterschiedlich betroffen
werden. Das im Sinne einer Höchstanforderung verwandte Merkmal schließt typischerweise
Arbeitnehmer mit einem höheren Lebensalter von der Bewerbung auf die ausgeschriebenen
Arbeitsplätze aus. Die von der Arbeitgeberin angeführten Gründe für die Beschränkung des
betriebsinternen Bewerberkreises rechtfertigen die mittelbar auf dem Alter beruhende
Ungleichbehandlung nicht.
28 (1) Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach
neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten
Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn,
die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich
gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.
29 (a) Für die Annahme einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Alters iSd. § 3 Abs. 2 AGG ist
kein statistischer Nachweis erforderlich, dass eine bestimmte Altersgruppe durch die in Frage
stehenden Kriterien tatsächlich wegen ihres Alters benachteiligt wird. Es ist ausreichend, wenn
das Kriterium hierzu typischerweise geeignet ist. Dies folgt aus dem Gesetzeswortlaut und
entspricht dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot des effet-utile,wonach die Regelungen einer
Richtlinie innerhalb ihres Geltungsbereichs tatsächliche Wirksamkeit entfalten sollen.
30 (b) Eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals kann aber
durch ein legitimes Ziel und die Wahl von verhältnismäßigen Mitteln zu seiner Durchsetzung
gerechtfertigt werden (§ 3 Abs. 2 2. Halbs. AGG). In einem solchen Fall fehlt es bereits an den
tatbestandlichen Voraussetzungen einer mittelbaren Benachteiligung.
31 Dieses Normverständnis des § 3 Abs. 2 AGG folgt der gemeinschaftsrechtlichen
Regelungssystematik. Art. 2 Abs. 2 RL 2000/78/EG unterscheidet zwischen Diskriminierungen,
die unmittelbar auf den in Art. 1 RL 2000/78/EG angeführten Merkmalen beruhen, und den
mittelbaren Diskriminierungen. Während eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende
Ungleichbehandlung nur nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt werden
kann, können diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen
bewirken können, nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon der Qualifikation als
Diskriminierung entgehen, sofern sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die
Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (EuGH 5. März 2009 - C-
388/07 - [Age Concern England] Rn. 59, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9). Bewirken
die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren wegen des Vorliegens eines sachlichen
Rechtfertigungsgrundes nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG deshalb keine mittelbare
Diskriminierung, bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG (EuGH 5. März
2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 66, aaO). Das von dem neutralen Kriterium verfolgte
Ziel, das über das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung entscheidet, muss danach nicht ein
rechtmäßiges Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG insbesondere aus den Bereichen
Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung verfolgen, sondern schließt andere von
der Rechtsordnung anerkannte Gründe für die Verwendung des neutralen Kriteriums ein. Die
differenzierende Maßnahme muss allerdings zur Erreichung des legitimen Ziels geeignet und
erforderlich sein und einen im Verhältnis zur Bedeutung des Ziels noch angemessenen Eingriff in
die Rechte der Benachteiligten darstellen (ErfK/Schlachter 9. Aufl. § 3 AGG Rn. 9).
32 (2) Danach bewirkt das als neutrales Kriterium formulierte Merkmal des ersten Berufs-
/Tätigkeitsjahres in den internen Stellenausschreibungen vom 9. und 14. Februar 2007 sowie vom
25. Juni 2007 eine mittelbare Benachteiligung der im Betrieb R beschäftigten Arbeitnehmer wegen
des Alters.
33 (a) Die Beschränkung des Bewerberkreises führt zu einer mittelbaren Ungleichbehandlung
aufgrund des Lebensalters. Das Merkmal „Erstes Berufs-/Tätigkeitsjahr“ schließt die bei der
Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer von dem Bewerbungsverfahren aus, die nach den
einschlägigen Gehaltstarifverträgen des Einzelhandels in ein höheres Berufs-/Tätigkeitsjahr
eingestuft sind. Mit zunehmender Berufstätigkeit steigt auch das Lebensalter. Arbeitnehmer mit
einer höheren Anzahl von Berufs-/Tätigkeitsjahren weisen gegenüber Berufsanfängern daher
typischerweise ein höheres Lebensalter auf. Die Arbeitgeberin hat die Indizwirkung der
hypothetischen Betrachtungsweise auch nicht in Frage gestellt.
34 (b) Die mittelbare Ungleichbehandlung ist offenkundig nicht gerechtfertigt. Die Arbeitgeberin hat die
Beschränkung des Bewerberkreises damit begründet, dass berufserfahrene Arbeitnehmer nicht
für die Besetzung der Stellen in den Filialen F oder O in Betracht kommen. Sie wolle durch die
Beschäftigung von Berufsanfängern eine ausgewogene Altersstruktur im Betrieb sichern und ihre
Personalkosten begrenzen. Ungeachtet dessen, ob es sich bei den von der Arbeitgeberin
angeführten Gründen um ein legitimes Ziel iSd. § 3 Abs. 2 AGG handelt, war die Besetzung der
ausgeschriebenen Arbeitsplätze mit Arbeitnehmern im ersten Berufs-/Tätigkeitsjahr schon nicht
geeignet, die von der Arbeitgeberin verfolgten Ziele zu erreichen. Die Versetzung eines
Arbeitnehmers im ersten Berufs-/Tätigkeitsjahr auf einen der ausgeschriebenen Arbeitsplätze hat
keine Auswirkungen auf die bestehende Altersstruktur im Betrieb R. Die altersmäßige
Zusammensetzung der dortigen Belegschaft wird durch einen Wechsel eines Arbeitnehmers, der
über ein höheres Berufs-/Tätigkeitsjahr verfügt, auf den zu besetzenden Arbeitsplatz in den Filialen
F oder O nicht verändert. Die Besetzung der ausgeschriebenen Arbeitsplätze durch einen
innerbetrieblichen Bewerber führt auch nicht zu der von der Arbeitgeberin angestrebten
Reduzierung der zukünftig anfallenden Personalkosten. Die Stellenbesetzung mit einem bereits im
Betrieb beschäftigten Berufsanfänger ist kostenneutral.
35 cc) Der Verstoß der Arbeitgeberin war auch grob iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 AGG.
36 (1) Ein grober Verstoß des Arbeitgebers gegen seine sich aus dem AGG ergebenden Pflichten
liegt vor, wenn es sich um eine objektiv erhebliche und offensichtlich schwerwiegende
Pflichtverletzung handelt, wobei es auf ein Verschulden nicht ankommt (zu § 23 Abs. 3 BetrVG:
BAG 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - zu B IV 2 b bb der Gründe, BAGE 110, 252). Die für das
Merkmal des „groben“ Verstoßes iSv. § 23 Abs. 3 BetrVG bestehenden Grundsätze gelten
insoweit auch im Rahmen des § 17 Abs. 2 Satz 1 AGG (BT-Drucks. 16/2022 S. 12). Ein grober
Verstoß ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Arbeitgeber mehrfach und erkennbar gegen seine
sich aus dem AGG ergebenden Pflichten verstoßen hat. Allerdings scheidet ein grober Verstoß
des Arbeitgebers dann aus, wenn er seine Rechtsposition in einer schwierigen und ungeklärten
Rechtsfrage verteidigt (BAG 16. Juli 1991 - 1 ABR 69/90 - zu B II 2 a der Gründe, AP BetrVG 1972
§ 87 Arbeitszeit Nr. 44 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 48; 8. August 1989 - 1 ABR 63/88 -
zu B III der Gründe, BAGE 62, 314).
37 (2) Der Pflichtverstoß der Arbeitgeberin ist objektiv erheblich. Die Beschränkung der
Stellenausschreibungen auf Arbeitnehmer im ersten Berufs-/Tätigkeitsjahr führt dazu, dass
bestimmte Arbeitsplätze für den überwiegenden Teil des im Bezirk R beschäftigten
Verkaufspersonals verschlossen bleiben. Es handelt sich auch nicht nur um eine einmalige
Pflichtverletzung. Die Arbeitgeberin hat ihre Ausschreibungspraxis trotz der hiergegen vom
Betriebsrat erhobenen Einwendungen fortgesetzt. Eine grobe Pflichtverletzung scheidet nicht etwa
deshalb aus, weil die Arbeitgeberin eine bestimmte Rechtsansicht in einer schwierigen und
ungeklärten Rechtsfrage verteidigen würde. Dies ist nicht der Fall. Die Verknüpfung der Dauer der
Berufs-/Tätigkeitszeit mit dem Lebensalter und die damit verbundenen Auswirkungen auf den
Bewerberkreis der innerbetrieblichen Stellenausschreibungen war offensichtlich untauglich, die von
ihr verfolgten Ziele, eine ausgewogene Altersstruktur zu sichern oder eine Begrenzung von
Personalkosten zu erreichen.
Schmidt
Linsenmaier
Koch
Rath
Spoo