Urteil des BAG vom 07.02.2007

BAG (arbeit, treu und glauben, kläger, arbeitnehmer, arbeitgeber, zeitlich befristet, unterlassen, kündigungsfrist, arbeitsverhältnis, arbeitsleistung)

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 7.2.2007, 5 AZR 422/06
Annahmeverzug - Böswilliges Unterlassen von Erwerb
Leitsätze
Ein böswilliges Unterlassen von Erwerb im Sinne des § 615 Satz 2 BGB kann auch darin liegen, dass
der Arbeitnehmer eine vertraglich nicht geschuldete Arbeitsleistung ablehnt, die der Arbeitgeber von ihm
in einem unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis verlangt.
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 25. Januar 2006 - 2 Sa 1180/05 - aufgehoben,
soweit das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten gegen das Urteil
des Arbeitsgerichts Kassel vom 2. Juni 2005 - 3 Ca 564/04 - iHv. 2.515,60 Euro
brutto abzüglich 118,74 Euro netto zuzüglich Zinsen zurückgewiesen hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über Arbeitsentgelt unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.
2 Der 1946 geborene Kläger war auf Grund eines mündlichen Arbeitsvertrags seit etwa 30 Jahren als
Kraftfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Sein monatlicher Verdienst betrug zuletzt 2.515,60 Euro
brutto.
3 Am 24. Januar 2004 wurde der einzige LKW des Betriebs, auf dem der Kläger eingesetzt war,
entwendet. Die Beklagte entschied, die anfallenden Transporte künftig durch Spediteure
durchführen zu lassen. Sie erklärte mit Schreiben vom 29. April 2004 eine ordentliche
Änderungskündigung zum 30. November 2004 und bot an, den Kläger ab dem 1. Dezember 2004
als verantwortlichen Mitarbeiter für den Restholzbereich mit der bisherigen Vergütung
weiterzubeschäftigen. Gleichzeitig ordnete sie an, der Kläger solle diese Tätigkeit bereits ab dem
1. Mai 2004 ausüben. Der Kläger weigerte sich, der Weisung nachzukommen und bestand auf
vertragsgemäßer Arbeit während der Kündigungsfrist. Er erschien weiter täglich zur Arbeit und bot
die Arbeitsleistung als LKW-Fahrer tatsächlich an. Das Änderungsangebot nahm er unter Vorbehalt
an und erhob gegen die Änderungskündigung Änderungsschutzklage.
4 Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung mit Schreiben
vom 28. Mai 2004, das dem Kläger am 1. Juni 2004 zuging, außerordentlich ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist. Diese Kündigung ist vom Hessischen Landesarbeitsgericht rechtskräftig für
unwirksam erklärt worden. Am 26. Oktober 2004 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis selbst
ordentlich zum 30. November 2004.
5 Der Kläger hat Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom 1. Mai bis zum
30. November 2004 abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes eingeklagt. Er hat geltend gemacht, er
sei vor Ablauf der Kündigungsfrist nicht verpflichtet gewesen, eine andere Tätigkeit bei der
Beklagten aufzunehmen. In die Revision ist nur der Vergütungsanspruch für Mai 2004 gelangt. Der
Kläger hat insoweit beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 2.515,60 Euro brutto abzüglich 118,74 Euro netto zzgl. Zinsen
iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2004 aus 2.396,86 Euro zu
verurteilen.
6 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe
anderweitigen Verdienst in entsprechender Höhe böswillig unterlassen, weil er die Arbeit im
Restholzbereich abgelehnt habe.
7 Die Vorinstanzen haben die Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung zugesprochen. Mit der vom
Senat auf den Anspruch für Mai 2004 beschränkt zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, die
Klage insoweit abzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das
Landesarbeitsgericht die Verurteilung der Beklagten für den Monat Mai 2004 bestätigt hat. Insoweit
bedarf es noch weiterer Feststellungen durch das Landesarbeitsgericht.
9 I. Der Anspruch des Klägers beruht auf § 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB.
10 1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand im Mai 2004 unverändert. Der Kläger leistete zwar
keine Arbeit. Er hat die Arbeitsleistung gegenüber der Beklagten aber so, wie sie zu bewirken war,
tatsächlich angeboten (§ 294 BGB). Die Beklagte hat die angebotene Leistung nicht angenommen
(§ 293 BGB). Die ihrerseits geforderte Arbeitsleistung war nach den von der Revision nicht
angegriffenen Feststellungen und Wertungen des Landesarbeitsgerichts nicht vertragsgemäß. Ein
Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts ist insoweit nicht ersichtlich. Die Beklagte ist deshalb in
Annahmeverzug geraten. Der Kläger war auch in der Lage, die Leistung zu bewirken (§ 297 BGB).
Einer Anwendung des § 615 Satz 3 BGB bedarf es nicht. Die Arbeit war nicht von vorneherein
unmöglich; vielmehr hat die Beklagte die erforderlichen Arbeitsmittel nicht mehr bereitgestellt,
obwohl sie das hätte tun können.
11 2. Danach kann der Kläger die in unstreitiger Höhe von 2.515,60 Euro brutto vereinbarte
Arbeitsvergütung für Mai 2004 verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Als
anderweitiger Erwerb iSv. § 615 Satz 2 BGB ist das Arbeitslosengeld iHv. 118,74 Euro
anzurechnen.
12 II. Hinsichtlich der Frage, ob der Kläger einen Erwerb durch anderweitige Verwendung seiner
Arbeitskraft böswillig unterlassen hat (§ 615 Satz 2 BGB), ist der Rechtsstreit nicht zur
Entscheidung reif.
13 1. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu ausgeführt, der Kläger habe es im Mai 2004 nicht böswillig
unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen. Werde der Arbeitnehmer aufgefordert, seine
bisherige Arbeit zu einem geringeren Entgelt zu leisten, sei dies nicht generell unzumutbar. Etwas
anderes müsse jedoch gelten, wenn der Arbeitgeber unter Überschreitung des Direktionsrechts
eine andere Arbeit zuweise; denn dem Arbeitnehmer seien nur solche Änderungen zumutbar, die
sich im Rahmen des Arbeitsvertrags bzw. des Direktionsrechts bewegten. Die Zuweisung der
Aufgaben im Restholzbereich sei nicht durch das Direktionsrecht gedeckt gewesen. Die Beklagte
selbst habe nach dem Verlust des LKW die unternehmerische Entscheidung getroffen, die Fahrten
Dritten zu übertragen. Es wäre ihr ohne weiteres möglich gewesen, noch bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist einen LKW anzuschaffen oder zeitlich befristet anzumieten. Sie habe sich nicht in
einer Notsituation befunden, in der ein Arbeitnehmer auch ohne sein Einverständnis eine
vertraglich nicht geschuldete Arbeit leisten müsse. Wollte man in einer solchen Situation dem
Arbeitnehmer vorwerfen, er habe es böswillig unterlassen, Zwischenverdienst zu erzielen, würde
der gesetzliche Kündigungsschutz wirtschaftlich leerlaufen.
14 2. Dem kann sich der Senat auch unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums des
Landesarbeitsgerichts nicht anschließen.
15 a) Nach § 615 Satz 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen anrechnen lassen,
was er zu erwerben böswillig unterlässt. Die Vorschrift ist inhaltsgleich mit § 11 Satz 1 Nr. 2
KSchG (Senat 11. Oktober 2006 - 5 AZR 754/05 -, zu II 2 b aa der Gründe; 16. Juni 2004 - 5 AZR
508/03 - BAGE 111, 123, 126) . Beide Bestimmungen stellen darauf ab, ob dem Arbeitnehmer
nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie
Arbeitsplatzwahl (Art. 12 GG) die Aufnahme einer anderweitigen Arbeit zumutbar ist. Eine
Anrechnung kommt auch in Betracht, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit bei dem Arbeitgeber
besteht, der sich mit der Annahme der Dienste des Arbeitnehmers im Verzug befindet.
Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls. Die Unzumutbarkeit der Arbeit kann sich unter
verschiedenen Gesichtspunkten ergeben. Sie kann ihren Grund in der Person des Arbeitgebers,
der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Auch vertragsrechtliche
Umstände sind zu berücksichtigen. Demgegenüber kann nicht auf die Zumutbarkeitskriterien des
§ 121 SGB III abgestellt werden. Böswillig handelt der Arbeitnehmer, dem ein Vorwurf daraus
gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven
Umstände vorsätzlich untätig bleibt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert (Senat 11.
Oktober 2006 - 5 AZR 754/05 - aaO; 11. Januar 2006 - 5 AZR 98/05 - AP BGB § 615 Nr. 113 =
EzA BGB 2002 § 615 Nr. 11, zu III 1 der Gründe; 16. Juni 2004 - 5 AZR 508/03 - aaO, S. 126 ff.,
alle mwN) .
16 b) Danach ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts die nicht vertragsgemäße
Arbeit nicht ohne weiteres mit unzumutbarer Arbeit gleichzusetzen. § 615 Satz 2 BGB schließt den
Fall mit ein, dass der Arbeitgeber nur vertragswidrige Arbeit anbietet, denn das Angebot
vertragsgerechter Arbeit zwecks Erfüllung des bestehenden Arbeitsvertrags würde den
Annahmeverzug beenden (vgl. nur Senat 24. September 2003 - 5 AZR 500/02 - BAGE 108, 27,
29) . Deshalb sind auch hier alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dem Grundsatz
nach darf die Unzumutbarkeit im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis, also etwa während des
Laufs der Kündigungsfrist, nicht anders beurteilt werden als nach Ablauf der Kündigungsfrist.
Ebenso macht das Gesetz keinen grundsätzlichen Unterschied danach, ob die Arbeitsmöglichkeit
bei dem bisherigen oder bei einem anderen Arbeitgeber besteht. Die Auffassung des
Landesarbeitsgerichts wird dem flexiblen Maßstab des § 242 BGB nicht gerecht. Auch die objektiv
vertragswidrige Arbeit kann nach den konkreten Umständen zumutbar, unter Umständen sogar
mit einer Verbesserung für den Arbeitnehmer verbunden sein. Diese Prüfung darf nicht durch
vermeintlich absolut geltende Schranken vertragsrechtlicher Art abgeschnitten werden. Dem
vergleichbar schränkt der Grundsatz von Treu und Glauben auch das Zurückbehaltungsrecht des
Arbeitnehmers ein (vgl. nur Schaub/Koch Arbeitsrechtshandbuch 11. Aufl. § 87 Rn. 19 mwN) .
17 c) Soweit der Senat mit Urteil vom 3. Dezember 1980 (- 5 AZR 477/78 - AP BGB § 615
Böswilligkeit Nr. 4, zu II 3 der Gründe) ausgeführt hat, ein Arbeitnehmer unterlasse nicht böswillig
die anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft, wenn er es ablehne, eine vom Arbeitgeber unter
Überschreitung der Grenzen des Direktionsrechts zugewiesene Tätigkeit zu verrichten, wird
hieran nicht festgehalten. Das Argument, der Arbeitnehmer könne nicht auf der einen Seite zur
Ablehnung berechtigt sein, gleichzeitig aber gehalten sein, die Tätigkeit zu verrichten, um dem
Vorwurf zu entgehen, er habe böswillig die anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft
unterlassen, trägt nicht. Arbeitspflicht und Obliegenheit zur Rücksichtnahme betreffen
unterschiedliche Kategorien. § 615 Satz 2 BGB regelt nicht Rechte und Pflichten aus dem
Arbeitsvertrag, sondern die nach anderen Maßstäben zu beurteilende Obliegenheit, aus
Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber einen zumutbaren Zwischenverdienst zu erzielen.
18 d) Der Arbeitnehmer darf im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich
vertragsgemäße Arbeit zu vertragsgemäßen Bedingungen erwarten. Entgegen der Auffassung der
Beklagten kann für die Frage der Zumutbarkeit der Arbeit nichts daraus hergeleitet werden, dass
der Arbeitnehmer das Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten
Arbeitsbedingungen unter Vorbehalt angenommen hat. Bietet der Arbeitgeber objektiv
vertragswidrige Arbeit an, sind im Hinblick auf § 615 Satz 2 BGB die Art dieser Arbeit und die
sonstigen Arbeitsbedingungen im Vergleich zu der bisherigen Arbeit zu prüfen. Das Maß der
gebotenen Rücksichtnahme beim Arbeitnehmer hängt regelmäßig davon ab, aus welchen
Gründen der Arbeitgeber keine vertragsgemäße Arbeit anbietet. Das hat der Arbeitgeber
darzulegen. Bestehen für die Änderung dringende Gründe, denen nicht von vorneherein eine
Billigung versagt werden kann, handelt der Arbeitnehmer nicht rücksichtsvoll, wenn er die Arbeit
allein deswegen ablehnt, weil sie nicht vertragsgemäß ist, und er deshalb ohne Erwerb bleibt. Die
beiderseitigen Gründe für die Zuweisung bzw. Ablehnung der neuen Arbeit sind zu benennen und
sodann gegeneinander abzuwägen. Bei einem Irrtum des Arbeitgebers über die Vertragsmäßigkeit
ist auch die Vertretbarkeit seines Standpunkts zu berücksichtigen.
19 3. Das Landesarbeitsgericht hat keine Prüfung nach den Umständen des Einzelfalls
vorgenommen. Es wird insbesondere noch die Art der Arbeit im Restholzbereich bewerten, die
Gründe des Klägers für seine Weigerung feststellen und eine umfassende Abwägung der
beiderseitigen Interessen vornehmen müssen.
Müller-Glöge
Mikosch
Laux
Heel
Rolf Steinmann