Urteil des BAG vom 14.03.2017

BAG (treu und glauben, kläger, geltendmachung des anspruchs, gleiche zeit, ortszuschlag, zahlung, arbeitgeber, arbeitsverhältnis, zeitpunkt, fälligkeit)

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 13.12.2007, 6 AZR 222/07
Tarifliche Ausschlussfrist - Treu und Glauben
Leitsätze
Die Wirkungen einer tariflichen Ausschlussfrist treten grundsätzlich auch dann ein, wenn ein
Arbeitnehmer erst später infolge einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Kenntnis von dem
Bestehen seines Anspruchs erlangt. Hat der Arbeitgeber einen vertretbaren Rechtsstandpunkt
eingenommen, darf er sich ohne Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auf
die Ausschlussfrist berufen.
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm
vom 8. Februar 2007 - 17 Sa 1357/06 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung des kinderbezogenen Anteils im Ortszuschlag
gem. § 29 Manteltarifvertrag für die Angestellten der Bundesanstalt für Arbeit vom 21. April 1961 (im
Folgenden: MTA) iHv. monatlich 84,68 Euro brutto für die Zeit von Oktober 1999 bis Juni 2001.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob diese Ansprüche gem. § 67 MTA verfallen sind.
2 Der verheiratete Kläger war bei der Beklagten in deren Agentur in D zuletzt auf der Grundlage des
Altersteilzeitarbeitsvertrages vom 23./27. Dezember 2002 bis zum 30. Juni 2007 als
Verwaltungsangestellter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Regelungen des MTA
Anwendung.Diese lauteten für den streitgegenständlichen Zeitraum auszugsweise:
§ 29
Ortszuschlag
A. Grundlage des Ortszuschlages
(1) Die Höhe des Ortszuschlages richtet sich nach der Tarifklasse, der die Vergütungsgruppe
des Angestellten zugeteilt ist (Absatz 2), und nach der Stufe, die den Familienverhältnissen
des Angestellten entspricht (Abschnitt B).
...
B. Stufen des Ortszuschlages
...
(2) Zur Stufe 2 gehören
1. verheiratete Angestellte,
2. verwitwete Angestellte,
3. geschiedene Angestellte und Angestellte, deren Ehe aufgehoben oder für nichtig erklärt
ist, wenn sie aus der Ehe zum Unterhalt verpflichtet sind,
4. andere Angestellte ...
(3) Zur Stufe 3 und den folgenden Stufen gehören die Angestellten der Stufe 2, denen
Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder nach dem
Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zusteht oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65
EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG zustehen würde. Die Stufe richtet sich nach der Anzahl der
berücksichtigungsfähigen Kinder.
...
§ 36
Berechnung und Auszahlung der Bezüge, Vorschüsse
(1) Die Bezüge sind für den Kalendermonat zu berechnen und am 15. eines jeden Monats
(Zahltag) für den laufenden Monat auf ein für den Angestellten eingerichtetes Girokonto im
Inland zu zahlen. ...
...
§ 67
Ausschlussfrist
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist
von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten oder von der BA schriftlich geltend
gemacht werden, soweit tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist.
Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs aus, um die
Ausschlussfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen.”
3 Der am 30. September 1981 geborene Sohn des Klägers befand sich in der Zeit von Oktober 1999 -
Juni 2001 in einer Berufsausbildung und erzielte ein eigenes Einkommen. Die Familienkasse der
Beklagten setzte mit Bescheid vom 27. März 2000 das Kindergeld gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AO mit Ablauf des Monats September 1999 auf Null DM fest. Der Bescheid ist bestandskräftig. Die
Beklagte zahlte für die Zeit ab Oktober 1999 an den Kläger den kinderbezogenen Anteil des
Ortszuschlages nicht mehr.
4 Das Bundesverfassungsgericht stellte mit Beschluss vom 11. Januar 2005 (- 2 BvR 167/02 -
BVerfGE 112, 164) fest, dass die Einbeziehung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung aus
Einkünften des Kindes in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag gem. § 32 Abs. 4
Satz 2 EStG zu Lasten der unterhaltsverpflichteten Eltern gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Bei Nichteinbeziehung der Sozialversicherungsbeiträge erreichte
das Einkommen des Sohnes des Klägers in der Zeit von Oktober 1999 - Juni 2001 den
Jahresgrenzbetrag gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom
30. Mai 2005, ihm Kindergeld rückwirkend für die Zeit von Oktober 1999 - Januar 2002 zu
bewilligen. Er bat mit Schreiben vom 22. Juni 2005 in Abänderung seines Antrages um eine
Entscheidung über den Kindergeldanspruch nur für die Zeit von Januar - Juni 2001 und um
Neuberechnung des Ortszuschlages für die gleiche Zeit. Der Kindergeldanspruch wurde dem
Kläger für die Zeit von Januar 2001 - Juni 2001 zuerkannt.
5 Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 2. September 2005 und vom 28. Oktober 2005 die Zahlung
des kinderbezogenen Anteils des Ortszuschlages vollumfänglich ab. Sie berief sich dabei
insbesondere auf einen Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 31. März 2006. Demnach
war eine rückwirkende Zahlung von kinderbezogenen Leistungen im Ortszuschlag bei
Antragstellung bis zum 30. Juni 2006 rückwirkend bis einschließlich Juli 2005 vorzunehmen. Für
Anspruchszeiträume vor dem 1. Juli 2005 war der Orts- bzw. Sozialzuschlag nur nachzuzahlen,
soweit nachgewiesen werden konnte, dass der Anspruch dem Grunde nach bereits innerhalb der
jeweiligen tariflichen Ausschlussfrist geltend gemacht und hierüber noch nicht abschließend
entschieden wurde.
6 Der Kläger ist der Auffassung, die tarifliche Ausschlussfrist stehe seinem Anspruch nicht entgegen.
Ausschlussfristen knüpften an das Entstehen bzw. die Fälligkeit eines Anspruchs an und würden
erst dann zu laufen beginnen, wenn der Gläubiger seinen Anspruch praktisch geltend machen
könne. Dies sei vorliegend frühestens nach Veröffentlichung der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts im Januar 2005 der Fall gewesen, so dass er mit seinen Anträgen im
Mai 2005 die tarifliche sechsmonatige Ausschlussfrist gewahrt habe. Jedenfalls verstoße die
Berufung auf die Ausschlussfrist gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Da die Regelung
des § 32 Abs. 4 EStG klar gefasst gewesen und die Verfassungsmäßigkeit der Norm in der
finanzgerichtlichen Rechtsprechung bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch
nicht in Frage gestellt worden sei, habe für ihn kein Anlass bestanden, bereits zum damaligen
Zeitpunkt seine Forderung geltend zu machen.
7 Der Kläger hat mit der am 15. Dezember 2005 erhobenen Klage beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.778,28 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz aus je 84,68 Euro seit dem 1. November 1999, 1. Dezember 1999, 2. Januar
2000, 1. Februar 2000, 1. März 2000, 1. April 2000, 2. Mai 2000, 1. Juni 2000, 1. Juli 2000,
1. August 2000, 1. September 2000, 1. Oktober 2000, 1. November 2000, 1. Dezember 2000,
2. Januar 2001, 1. Februar 2001, 1. März 2001, 1. April 2001, 2. Mai 2001, 1. Juni 2001 sowie
1. Juli 2001 zu zahlen.
8 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und beruft sich auf die tarifliche Ausschlussfrist. Die
Ansprüche des Klägers auf Zahlung des kinderbezogenen Anteils im Ortszuschlag seien im
Zeitraum von Oktober 1999 - Juni 2001 monatlich entstanden und fällig geworden. Die Anwendung
der tariflichen Ausschlussfrist verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben. Der Kläger sei nicht
gehindert gewesen, die streitgegenständlichen Ansprüche gegenüber der Beklagten jeweils nach
Fälligkeit rechtzeitig schriftlich geltend zu machen. Zudem erhebt die Beklagte die Einrede der
Verjährung.
9 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des
Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als
unbegründet abgewiesen. Die geltend gemachten Ansprüche waren zum Zeitpunkt der
Klageerhebung bereits gem. § 67 MTA verfallen.
11 I. Die Ansprüche des Klägers auf die kinderbezogenen Leistungen im Ortszuschlag für die Monate
Oktober 1999 - Juni 2001 sind zum 15. des jeweiligen Monats fällig geworden.
12 1. Gem. § 36 Abs. 1 MTA in der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Fassung sind die Bezüge
für den Kalendermonat zu berechnen und am 15. eines jeden Monats für den laufenden Monat auf
ein vom Angestellten eingerichtetes Konto im Inland zu zahlen. Die Bezüge iSd. § 36 MTA setzen
sich aus der Grundvergütung und dem Ortszuschlag zusammen (§ 26 MTA). Die
Vergütungsansprüche des Klägers für die Monate Oktober 1999 - Juni 2001 einschließlich des
Anspruchs auf Zahlung des Ortszuschlages waren dementsprechend jeweils am 15. des
betreffenden Monats fällig.
13 2. Einen anderen Fälligkeitstermin gibt auch § 29 Abschn. B Abs. 3 MTA nicht vor. Für die
Anwendung dieser Vorschrift kommt es weder darauf an, ob ein formeller Verwaltungsakt über die
Gewährung von Kindergeld vorliegt, noch, ob Kindergeld tatsächlich gezahlt wird (vgl. zu § 29
Abschn. B BAT-O Senat 18. November 2004 - 6 AZR 512/03 - EzBAT BAT § 29 Nr. 39) .
14 a) Das folgt bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung, auf den es für die Tarifauslegung zunächst
ankommt (st. Rspr., vgl. Senat 18. November 2004 - 6 AZR 512/03 - EzBAT BAT § 29 Nr. 39;
27. Juni 2002 - 6 AZR 209/01 - AP BAT § 29 Nr. 18) . Danach haben die Tarifvertragsparteien den
Anspruch des Angestellten auf den kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlages nicht daran
geknüpft, ob er Kindergeld erhält oder der Anspruch durch Bescheid festgestellt ist, sondern daran,
ob ihm ein Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG oder dem BKGG zusteht. Mit dieser
Wortwahl haben sie deutlich gemacht, dass es für den kinderbezogenen Anteil des
Ortszuschlages allein auf die Anspruchsberechtigung nach dem EStG oder dem BKGG ankommt,
unabhängig davon, ob ein Antrag auf Gewährung von Kindergeld überhaupt gestellt oder über
einen solchen Antrag eine Entscheidung ergangen ist.
15 b) Dieses Auslegungsergebnis wird gestützt durch den tariflichen Zusammenhang. Nach § 29
Abschn. B Abs. 3 Halbs. 2 MTA besteht ein Anspruch auf die kinderbezogenen Leistungen auch in
den Fällen, in denen der Anspruch auf Zahlung von Kindergeld an den in den §§ 64, 65 EStG oder
§§ 3, 4 BKGG geregelten Sachverhalten scheitert, jedoch ansonsten bestehen würde. Damit bleibt
nach dem Willen der Tarifvertragsparteien der Anspruch auf den kinderbezogenen Anteil des
Ortszuschlages auch dann erhalten, wenn nach den in diesen Vorschriften geregelten
Sachverhalten kein Kindergeld bewilligt werden kann (vgl. zu § 29 Abschn. B Abs. 4 BAT-O Senat
18. November 2004 - 6 AZR 512/03 - EzBAT BAT § 29 Nr. 39) .
16 3. Diesem Auslegungsergebnis steht das - zu § 29 BAT ergangene - Urteil des Senats vom
31. Mai 2001 (- 6 AZR 321/00 - AP BAT § 29 Nr. 16) nicht entgegen. Danach ist eine Entscheidung
der Kindergeldkasse über die materiellen Voraussetzungen des Kindergeldes ohne weiteres auch
für den Vergütungsanspruch maßgebend. Das beruht auf der förmlichen Art der Entscheidung, die
einen öffentlichen Arbeitgeber daran hindern soll, sich auf das Fehlen der Anspruchsberechtigung
zu berufen, obwohl hierüber ein positiver Verwaltungsakt einer öffentlich-rechtlichen Stelle
ergangen ist. Das wirkt sich auf die Fälligkeit des darauf bezogenen Vergütungsanspruchs jedoch
nicht aus. Diese richtet sich allein nach den tariflich festgelegten Grundsätzen (vgl. auch hierzu
bereits Senat 18. November 2004 - 6 AZR 512/03 - EzBAT BAT § 29 Nr. 39) , vorliegend also
nach § 36 Abs. 1 MTA.
17 II. Die klägerischen Ansprüche waren zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits verfallen.
18 1. Die von § 67 MTA in Bezug genommenen “Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” sind
grundsätzlich alle denkbaren Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen
(vgl. zu § 70 BAT-O Senat 18. November 2004 - 6 AZR 512/03 - EzBAT BAT § 29 Nr. 39) .
Insoweit kommt es nur darauf an, ob der betreffende Lebensvorgang eine enge Verknüpfung mit
dem Arbeitsverhältnis aufweist. Dies ist vorliegend gegeben. Der gesamte Vergütungsanspruch
des Klägers war jeweils am 15. des betreffenden Monats fällig. Auf die Fälligkeit des Anspruchs
kommt es für dessen ordnungsgemäße Geltendmachung an. Sinn und Zweck der
Tarifbestimmung des § 67 MTA bestätigen dies. Die Ausschlussfrist soll die Parteien des
Arbeitsverhältnisses zur alsbaldigen Geltendmachung und Klärung ihrer Ansprüche veranlassen
(zu § 70 BAT-O Senat 18. November 2004 - 6 AZR 512/03 - aaO;
Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Juni 2006 § 70 Erl. 1) . Ausschlussfristen dienen
der Rechtssicherheit (Senat 18. November 2004 - 6 AZR 512/03 - aaO; BAG 19. Januar 1999 -
9 AZR 405/97 - AP BAT-O § 70 Nr. 1) . Sie bezwecken, dass sich der Anspruchsgegner auf die
aus Sicht des Anspruchstellers noch offenen Forderungen rechtzeitig einstellt. Der öffentliche
Arbeitgeber soll zudem in der Lage sein, notwendige Haushaltsmittel so zu veranschlagen, dass
Nachforderungen in engen Grenzen gehalten werden können. Ausschlussfristen dienen somit
auch dem Schutz des Arbeitgebers.
19 2. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sein Anspruch sei erst mit Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 (- 2 BvR 167/02 - BVerfGE 112, 164) im
Sinne der Ausschlussfrist entstanden bzw. fällig geworden, weil er erst infolge dieses Beschlusses
von dem Bestehen seines Anspruchs Kenntnis erlangt habe. Zum Beispiel wird ein Anspruch des
Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlter Vergütungsbeträge in der Regel bereits im Zeitpunkt
der Überzahlung fällig, wenn die Vergütung fehlerhaft berechnet worden ist, obwohl die
maßgebenden Umstände bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen. Die zu viel gezahlte
Summe kann sofort zurückverlangt werden. Auf die Kenntnis des Arbeitgebers von seinem
Rückzahlungsanspruch kommt es nicht an (Senat 19. Februar 2004 - 6 AZR 664/02 - AP BAT-O
§ 70 Nr. 3 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 174) . Allenfalls können besondere Umstände
dazu führen, dass Entstehens- und Fälligkeitszeitpunkt des Anspruchs nicht übereinstimmen.
Solche liegen vor, wenn es dem Gläubiger praktisch unmöglich ist, den Anspruch mit seinem
Entstehen geltend zu machen. Das ist insbesondere der Fall, wenn die rechtsbegründenden
Tatsachen in der Sphäre des Schuldners liegen und der Gläubiger es nicht durch schuldhaftes
Zögern versäumt hat, sich Kenntnis von den Voraussetzungen zu verschaffen, die er für die
Geltendmachung benötigt (Senat 16. November 1989 - 6 AZR 114/88 - BAGE 63, 246) .
20 Die in Bezug auf die Rückzahlungsansprüche von Arbeitgebern wegen überzahlten Gehalts
aufgestellten Grundsätze zur Fälligkeit des Anspruchs im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist
können auf die Gehaltsansprüche des Klägers sinngemäß angewandt werden. Die Tatsachen, die
zur Begründung seines Anspruchs auf Kindergeld und damit auch auf den kinderbezogenen Anteil
im Ortszuschlag führten, waren dem Kläger in dem streitgegenständlichen Zeitraum von Oktober
1999 - Juni 2001 vollumfänglich bekannt. Er hat lediglich die daraus rechtlich zu ziehenden
Konsequenzen - ebenso wie seinerzeit die Beklagte - verkannt, weil er die Notwendigkeit einer
verfassungskonformen Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht erkannt hat. Diese
rechtliche Fehleinschätzung vermag Entstehens- und Fälligkeitszeitpunkt der Forderung nicht zu
beeinflussen. Es handelt sich hierbei nicht um Umstände, die in der Sphäre der Beklagten liegen.
Es war dem Kläger auch nicht praktisch unmöglich, den Anspruch auf Zahlung der
kinderbezogenen Leistungen mit seinem Entstehen geltend zu machen. § 67 MTA fordert vom
Anspruchsinhaber lediglich eine schriftliche Geltendmachung der Forderung gegenüber seinem
Vertragspartner. Eine solche ist nicht erfolgt.
21 3. Die Ausschlussfristenregelung von § 67 MTA verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht.
22 Aus der grundgesetzlich gewährleisteten Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) ergeben sich
weitgehende Rechte der Tarifvertragsparteien zur Gestaltung der arbeitsvertraglichen
Rechtsverhältnisse ihrer Mitglieder. § 4 Abs. 4 Satz 3 TVG sieht ausdrücklich vor, dass in
Tarifverträgen Ausschlussfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte vereinbart werden
können. Ausschlussfristen dienen seit langem der im Arbeitsleben anerkanntermaßen besonders
gebotenen raschen Klärung von Ansprüchen und der Bereinigung offener Streitpunkte (BAG
25. Mai 2005 - 5 AZR 572/04 - BAGE 115, 19 zu arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen) . Die
Ausschlussfrist des § 67 MTA ist von beiden Arbeitsvertragsparteien bei der Geltendmachung
ihrer Ansprüche einzuhalten, so dass Bedenken im Hinblick auf die Schaffung eines
Ungleichgewichts nicht bestehen können.
23 Bedenken bestehen auch nicht gegen die Länge der Ausschlussfrist von sechs Monaten. Das
Gesetz selbst sieht für die Geltendmachung bestimmter Zahlungsansprüche kürzere Fristen vor.
So ist in § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG für die schriftliche Geltendmachung von Ansprüchen nach
diesem Gesetz eine Frist von zwei Monaten vorgesehen.
24 4. Die tarifvertragliche Ausschlussfrist des § 67 MTA unterliegt auch nicht der Inhaltskontrolle nach
§§ 305 ff. BGB.
25 a) Nach dem Wortlaut des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB finden die §§ 305 - 310 BGB keine
Anwendung auf Tarifverträge. Eine Inhaltskontrolle hat in diesem Fall nicht zu erfolgen, weil sie
gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nur bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften stattfindet (Senat
28. Juni 2007 - 6 AZR 750/06 - EzA BGB 2002 § 310 Nr. 5; 23. September 2004 - 6 AZR 442/03 -
BAGE 112, 64) . Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob der betreffende Tarifvertrag kraft
einzelvertraglicher Vereinbarung oder kraft betrieblicher Übung auf das Arbeitsverhältnis der
Parteien Anwendung findet. Ob dies auch bei einer nur teilweisen Inbezugnahme tariflicher
Regelungen oder bei Vereinbarung der Anwendbarkeit eines nicht einschlägigen Tarifvertrags gilt,
bedarf vorliegend keiner Erörterung, weil der MTA nach übereinstimmendem Parteivortrag
uneingeschränkt auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet.
26 b) Die in § 67 MTA enthaltene Ausschlussfrist unterliegt nicht der Transparenzkontrolle nach § 307
Abs. 3 Satz 2 BGB iVm. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
27 § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB gebietet jedenfalls dann keine Transparenzkontrolle, wenn der
Arbeitgeber tarifgebunden ist und kraft betrieblicher Übung bzw. mittels arbeitsvertraglicher
Verweisung der Tarifvertrag Anwendung findet, der für den Arbeitgeber im Übrigen kraft
Tarifbindung gilt. In diesem Fall würde der Tarifvertrag in Arbeitsverhältnissen tarifgebundener
Arbeitnehmer des Betriebs gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB keiner Kontrolle nach den §§ 305 -
310 BGB und damit auch keiner Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unterliegen;
bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern wäre dagegen zu prüfen, ob die Tarifbestimmung klar und
verständlich ist. Dies hätte zur Folge, dass einzelne Vorschriften desselben Tarifvertrags bei
demselben tarifgebundenen Arbeitgeber, je nachdem, ob der Arbeitnehmer Mitglied der
tarifschließenden Gewerkschaft ist oder nicht, zur Anwendung kommen oder wegen fehlender
Transparenz unwirksam sind (§ 307 Abs. 1 Satz 2 iVm. Satz 1 BGB). Das ist mit dem Zweck des
§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht vereinbar. Den Gerichten ist die Prüfung entzogen, ob eine
Tarifregelung insgesamt zweckmäßig, billig und im Einzelfall die “gerechteste” Lösung ist. Es
verbleibt lediglich die Überprüfung, ob die Regelung mit zwingendem Gesetzes- und Richterrecht
sowie Wertentscheidungen des Grundgesetzes, insbesondere dem Gleichheitssatz des Art. 3
Abs. 1 GG vereinbar ist (vgl. BAG 21. November 2006 - 9 AZR 138/06 - AP TzBfG § 8 Nr. 18
= EzA TzBfG § 8 Nr. 16) . Deshalb sind jedenfalls die bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber
einschlägigen Tarifverträge jeglicher Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB entzogen, gleichviel, ob
der Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung, kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme oder kraft
betrieblicher Übung gilt. Andernfalls bestünde die Gefahr einer mittelbaren Tarifzensur (vgl. zu
allem Senat 28. Juni 2007 - 6 AZR 750/06 - EzA BGB 2002 § 310 Nr. 5) .
28 5. Der Kläger kann aus dem Gebot von Treu und Glauben, § 242 BGB, kein anderes, für ihn
günstigeres Ergebnis herleiten. Weder ist der Lauf der Ausschlussfrist gehemmt, noch bedeutet
die Berufung der Beklagten auf die Ausschlussfrist eine unzulässige Rechtsausübung.
29 a) Der Lauf der Ausschlussfrist kann nach § 242 BGB gehemmt sein, wenn der
Anspruchsberechtigte seine Ansprüche nicht erheben kann. Dies liegt vor, wenn der
Anspruchsschuldner keine Abrechnung erteilt oder diese verzögert. Der Lauf der Verfallfrist für die
Zahlungsansprüche ist dann solange gehemmt, wie die fehlende Abrechnung noch verlangt
werden kann (Senat 16. November 1989 - 6 AZR 168/89 - AP BAT § 11 Nr. 3) . Dies gilt jedoch
regelmäßig nur in den Fällen, in denen der Gläubiger eine Abrechnung benötigt, um seine
Ansprüche berechnen zu können. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Der Kläger war und ist in
der Lage, den Anspruch auf Zahlung der kinderbezogenen Leistungen im Ortszuschlag anhand
der tariflichen Bestimmungen betragsmäßig genau zu ermitteln und geltend zu machen.
30 b) Die Beklagte hat den Kläger ferner nicht durch ihr Verhalten zu der begründeten Annahme
veranlasst, dass sie seine Ansprüche auch erfüllen werde, wenn er die fristgerechte
Geltendmachung unterlässt. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend festgestellt.
31 Der Schuldner muss unter Umständen den Anspruch trotz Verstreichens der Ausschlussfrist als
bestehend hinnehmen, wenn er selbst durch sein Verhalten die Ursache dafür gesetzt hat, dass
der Gläubiger den Anspruch nicht innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht hat. Das gilt
insbesondere dann, wenn ein Arbeitnehmer auf Grund von Zusicherungen des Arbeitgebers darauf
vertrauen durfte, dieser werde den Anspruch auch ohne fristgerechte Geltendmachung erfüllen
(BAG 27. März 1963 - 4 AZR 72/62 - BAGE 14, 140) . Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die
Beklagte hat weder im Allgemeinen ihren Arbeitnehmern noch im Besonderen dem Kläger eine
Zusage erteilt, sie werde aus dem Ausgang eines Musterverfahrens für andere gleichgelagerte
Fälle bzw. im Fall des Klägers die entsprechenden Konsequenzen ziehen.
32 c) Eine gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßende und damit gem. § 242 BGB
unzulässige Rechtsausübung stellt die Berufung auf eine Ausschlussfrist dar, wenn die zum
Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit durch ein Verhalten der Gegenpartei veranlasst
worden ist (Senat 18. November 2004 - 6 AZR 651/03 - BAGE 112, 351; 5. Juni 2003 - 6 AZR
249/02 - EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 167; 5. August 1999 - 6 AZR 752/97 - ZTR 2000, 36;
BAG 10. Oktober 2002 - 8 AZR 8/02 - BAGE 103, 71; 8. August 2000 - 9 AZR 418/99 - AP TVG
§ 4 Ausschlussfristen Nr. 151 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 133; 22. Januar 1997 -
10 AZR 459/96 - AP BAT § 70 Nr. 27 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 125) . Das ist
gegeben, wenn diese den Arbeitnehmer von einer fristgerechten Klageerhebung abgehalten hat.
Daran fehlt es vorliegend.
33 Die Beklagte konnte sich zum damaligen Zeitpunkt auf den Rechtsstandpunkt stellen, dass bei der
Berechnung des Einkommens des Kindes für die Bemessungsgröße des Jahresgrenzbetrages
gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG die Sozialversicherungsbeiträge als Bestandteil des von dem Kind
bezogenen Einkommens mit einzubeziehen seien. Sie konnte sich dabei auf den Wortlaut der
Norm stützen, die auf den Begriff der “Einkünfte” abstellt. Was unter Einkünften zu verstehen ist,
wird in § 2 Abs. 2 EStG definiert. Bei der Ermittlung der Einkünfte sind die Sonderausgaben im
Gegensatz zu den Werbungskosten nicht abzugsfähig. Anlass, an der Rechtmäßigkeit der Norm
zu zweifeln, bestand zum damaligen Zeitpunkt für die Beklagte nicht. Die Beklagte hat sich nur auf
einen von der damaligen überwiegenden Rechtsprechung (Hessisches FG 26. Mai 1999 - 3 K
5941/98 - EFG 2000, 132; FG Berlin 15. Oktober 1999 - 3 K 3488/98 - EFG 2000, 877; inzidenter
auch FG Niedersachsen 4. Februar 1999 - V 111/98 Ki - EFG 1999, 713; aA FG Niedersachsen
20. Juli 1999 - VII 471/98 Ki - FR 1999, 1074) gedeckten Rechtsstandpunkt gestellt. Diesen
Standpunkt hat später auch der BFH geteilt (21. Juli 2000 - VI R 153/99 - BFHE 192, 316) und
seine Auffassung mehrfach bestätigt (zB 11. Dezember 2001 - VI R 16/00 - FPR 2002, 112). Erst
infolge des Beschlusses des BVerfG vom 11. Januar 2005 (- 2 BvR 167/02 - BVerfGE 112, 164)
zeigte sich die Unrichtigkeit dieser Ansicht. Damit hat die Beklagte den Kläger nicht in einer Weise
von der Einhaltung der Ausschlussfrist abgehalten, die sie nunmehr nach Treu und Glauben daran
hinderte, das Eingreifen der Ausschlussfrist geltend zu machen.
Fischermeier
Dr. Armbrüster
Linck
B. Stang
Sieberts