Urteil des BAG vom 18.07.2013

Ordnungsgemäße Erhebung einer Kündigungsschutzklage - ordentliche betriebsbedingte Druckkündigung

Siehe auch:
Urteil des 6. Senats vom 18.7.2013 - 6 AZR 420/12 -
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 18.7.2013, 6 AZR 421/12
Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 18.07.2013, 6 AZR 420/12.
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 29. März 2012 - 3 Sa 427/10 -
teilweise aufgehoben, soweit es die Berufung des Beklagten gegen die
Feststellung des Arbeitsgerichts, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien
durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 2. März 2010 nicht
aufgelöst wurde, zurückgewiesen hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten im Revisionsverfahren noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen
Kündigung.
2 Die Klägerin betrieb mit ihrem Ehemann seit Beginn der 1990iger Jahre mit mehreren
Gesellschaften das Hotel H in A. Die das Hotel tragenden Gesellschaften gerieten in
wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im Mai 2007 übernahm die H R GmbH (im Folgenden:
Schuldnerin) den Betrieb des Hotels.
3 Unter dem 1. Mai 2007 schlossen die Schuldnerin und die Klägerin einen als
Arbeitsvertrag bezeichneten Vertrag. Demnach wurde die Klägerin als „Mitarbeiterin für
Marketing, Grafik und Dekoration“ ab 1. Mai 2007 eingestellt.
4 Mit Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg - Insolvenzgericht - vom 1. März 2010 (-
340 IN 83/10 (351) -) wurde an diesem Tag das Insolvenzverfahren über das Vermögen
der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Termin zur
Gläubigerversammlung wurde auf den 12. Mai 2010 festgesetzt.
5 Mit Schreiben vom 2. März 2010, welches der Klägerin noch am selben Tag zuging,
kündigte der Beklagte das Vertragsverhältnis mit der Klägerin zum 30. April 2010. Der
Beklagte rechtfertigt die Kündigung damit, dass die Grundpfandgläubigerin H (im
Folgenden: Sparkasse) nur unter der Bedingung der Beendigung der Vertragsverhältnisse
mit der Klägerin und ihrem Ehemann bereit gewesen sei, zur Ermöglichung der
Fortführung des Betriebs eine Verlustübernahmeerklärung abzugeben. Ohne die Abgabe
einer solchen Verlustübernahmeerklärung hätte der Betrieb stillgelegt werden müssen.
6 Mit Schriftsatz vom 23. März 2010, welcher per Telefax am selben Tag beim Arbeitsgericht
einging, erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin „wegen Kündigungsschutzes“
gegen den Beklagten die Klage mit dem Antrag „festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis
der Parteien durch die Kündigung vom 2.3.2010 nicht beendet ist“. Als Begründung der
Klage führte er lediglich an, dass die Klägerin Arbeitnehmerin der Schuldnerin sei und der
Beklagte als deren Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis „per 2.3.2010“ gekündigt
habe.
7 Mit Schreiben vom 20. April 2010, welches der Klägerin am 21. April 2010 übergeben
wurde, kündigte der Beklagte der Klägerin außerordentlich fristlos. Die Klägerin habe die
ihr von der Schuldnerin für Ankäufe zugunsten des Hotelbetriebs zur Verfügung gestellte
EC-Karte missbraucht und mit ihr Privateinkäufe bezahlt. Zudem habe sie trotz
Aufforderung mit Schreiben vom 15. März 2010 den Firmenwagen nicht herausgegeben,
sondern weiter unberechtigt privat genutzt.
8 Mit bei Gericht am 7. Mai 2010 eingegangener Klageerweiterung vom 5. Mai 2010 hat die
Klägerin auch die außerordentliche Kündigung angegriffen.
9 Die Klägerin hält sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung für
unwirksam. Sie habe mit der EC-Karte keine privaten Einkäufe getätigt und das
Firmenfahrzeug nicht für Privatfahrten genutzt. Bis zur Erstattung der von ihr für
betriebliche Fahrten verauslagten Benzinkosten sei sie nicht zur Herausgabe des
Fahrzeugs verpflichtet gewesen. Die Sparkasse habe keinen Grund gehabt, ihre
Entlassung zu verlangen.
10 Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch
die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 2. März 2010 noch
durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 20. April
2010 aufgelöst worden ist.
11 Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
12 Er hat die Auffassung vertreten, die Klägerin könne sich gegen die Kündigungen schon
deshalb nicht zur Wehr setzen, weil sie entgegen der Bezeichnung im Vertrag vom 1. Mai
2007 tatsächlich keine Arbeitnehmerin gewesen sei. Sie habe ohne Einbindung in die
Organisation des Hotelbetriebs frei über ihre Arbeitszeit bestimmt und sei auch sonst nicht
dem Direktionsrecht unterlegen.
13 Bei Unterstellung der Arbeitnehmereigenschaft habe die außerordentliche Kündigung das
Arbeitsverhältnis fristlos beendet. Hinsichtlich der ordentlichen Kündigung habe die
Klägerin keine ordnungsgemäße Kündigungsschutzklage erhoben. Die Klageschrift vom
23. März 2010 enthalte keine hinreichende Begründung der angeblichen Unwirksamkeit
der ordentlichen Kündigung. Dessen ungeachtet sei die ordentliche Kündigung sozial
gerechtfertigt. Die zur Begründung der außerordentlichen Kündigung angeführten
Umstände würden auch die ordentliche Kündigung rechtfertigen. Zur Ermöglichung der
Fortführung des Betriebs sei es zudem unabdingbar gewesen, einem Verlangen der
Sparkasse nach Entlassung der Klägerin zu entsprechen. Die Sparkasse habe die
Hotelimmobilie und die Wellnessanlage finanziert. Nach dem Auftreten wirtschaftlicher
Schwierigkeiten hätten die Klägerin und ihr Ehemann die weitere Zusammenarbeit mit der
Sparkasse verweigert, um einen Schuldenerlass über eine andere Bank zu finanzieren.
Dies sei nicht gelungen. Nach der Kündigung der Geschäftsbeziehung wegen
Rückständen und Überziehungen hätten die Klägerin und ihr Ehemann alles
unternommen, um die Verwertung der Sicherheiten zu verhindern. Aufgrund dieser
Ereignisse sei die Sparkasse bei Verbleib der Eheleute im Betrieb nicht bereit gewesen,
eine Verlustübernahmeerklärung von bis zu 100.000,00 Euro abzugeben. Diese sei aber
unbedingt erforderlich gewesen, um die Fortführung des Betriebs zu ermöglichen. Die
Prognose für die Zeit von März 2010 bis zum 31. Dezember 2010 habe einen
wahrscheinlichen Verlust von 99.100,00 Euro ergeben. Ohne die entsprechende
Verlustübernahmeerklärung durch die Sparkasse hätte der Betrieb eingestellt werden
müssen. Er (der Beklagte) habe versucht, die Sparkasse von ihrer Forderung nach
Entlassung der Klägerin abzubringen. Die Forderung sei aber nicht verhandelbar
gewesen.
14 Diese Drucksituation bestehe unverändert. Der Beklagte hat deshalb im
Berufungsverfahren für den Fall des Obsiegens der Klägerin mit der
Kündigungsschutzklage hilfsweise beantragt, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Nach
Ansicht der Klägerin liegt kein Auflösungsgrund vor.
15 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung
des Beklagten zurückgewiesen und den Auflösungsantrag abgewiesen. Mit der vom
Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision wendet sich der Beklagte gegen die
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, soweit sie die ordentliche Kündigung betrifft. Die
außerordentliche Kündigung und der Auflösungsantrag sind somit nicht Gegenstand des
Revisionsverfahrens.
Entscheidungsgründe
16 A. Die Parteien haben in der Verhandlung vor dem Senat auf die Abfassung der
Entscheidungsgründe verzichtet (§ 313a Abs. 3, Abs. 1 Satz 2 ZPO). Wird die Sache an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, sind die Entscheidungsgründe des Revisionsurteils
aber unverzichtbar (GMP/Müller-Glöge ArbGG 8. Aufl. § 75 Rn. 6). Das Landesarbeitsgericht
muss wissen, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufgehoben wurde
(GK-ArbGG/Mikosch Stand Juli 2010 § 75 Rn. 14; Schwab/Weth/Ulrich ArbGG 3. Aufl. § 75
Rn. 29).
17 B. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit unzutreffender Begründung
das Vorliegen der Voraussetzungen einer ordentlichen Druckkündigung verneint. Die
Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Da der festgestellte
Sachverhalt keine abschließende Entscheidung erlaubt, ist die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563
Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es bedarf daher keiner Entscheidung über die von der Revision
erhobenen Verfahrensrügen.
18 I. Zwischen der Klägerin und der Schuldnerin wurde auf der Grundlage des ausdrücklich als
Arbeitsvertrag bezeichneten Vertrags vom 1. Mai 2007 ein Arbeitsverhältnis begründet. Dies
hat das Landesarbeitsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme und deren
Würdigung rechtsfehlerfrei entschieden. Es berücksichtigte hierbei die ständige
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines
privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines Anderen zur Leistung weisungsgebundener,
fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (vgl. BAG 29. August
2012 - 10 AZR 499/11 - Rn. 14 und 15 mwN). Die Revision erhebt hiergegen keine Rügen.
19 II. Die Kündigung vom 2. März 2010 gilt nicht gemäß § 7 Halbs. 1 KSchG als von Anfang an
rechtswirksam. Entgegen der Auffassung der Revision hat die Klägerin mit der Klageschrift
vom 23. März 2010 fristwahrend eine Kündigungsschutzklage gemäß § 4 Satz 1 KSchG
erhoben.
20 1. Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder
aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach
Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben,
dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist (§ 4 Satz 1 KSchG). Der
dem Gesetzeswortlaut entsprechende Klageantrag ist dann auch bestimmt iSd. § 253 Abs. 2
Nr. 2 ZPO. Als Prozesshandlung ist eine Klageschrift ebenso wie eine private
Willenserklärung auslegungsfähig. Entscheidend ist der geäußerte Parteiwille, wie er aus
der Klageschrift und den sonstigen Umständen erkennbar wird. Dabei ist gerade im
arbeitsgerichtlichen Verfahren ein großzügiger Maßstab anzulegen. Dies entspricht auch
dem Zweck der weit auszulegenden Vorschrift des § 6 KSchG (vgl. BAG 23. Juni 2009 -
2 AZR 474/07 - Rn. 28, BAGE 131, 155). Zweck des § 6 KSchG ist es, im Zusammenspiel
mit § 4 KSchG frühzeitig Rechtsklarheit und -sicherheit zu schaffen. § 6 KSchG will den -
häufig rechtsunkundigen - Arbeitnehmer vor einem unnötigen Verlust seines
Kündigungsschutzes aus formalen Gründen schützen. Der Arbeitnehmer ist nach §§ 4, 6
KSchG nur verpflichtet, durch eine rechtzeitige Anrufung des Arbeitsgerichts seinen Willen,
sich gegen die Wirksamkeit einer Kündigung zu wehren, genügend klar zum Ausdruck zu
bringen (BAG 23. April 2008 - 2 AZR 699/06 - Rn. 24). Es genügt, dass aus der Klage
ersichtlich ist, gegen wen sie sich richtet, wo der Kläger tätig war und vor allem, dass er seine
Kündigung nicht als berechtigt anerkennen will (BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 -
Rn. 20 mwN).
21 Die Darlegung aller klagebegründenden Tatsachen, wie die Erfüllung der
kündigungsschutzrechtlichen Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 KSchG und § 23 Abs. 1
KSchG, gehört nicht zur Zulässigkeit der Kündigungsschutzklage, sondern zur Schlüssigkeit
des Sachvortrags; ihr Fehlen führt demnach nicht zur Unzulässigkeit der
Kündigungsschutzklage, sondern zu deren Unbegründetheit (KR/Friedrich 10. Aufl. § 4
KSchG Rn. 159; Linck in vHH/L KSchG 15. Aufl. § 4 Rn. 37).
22 2. Die Klageschrift vom 23. März 2010 genügt den Anforderungen an die Erhebung einer
Kündigungsschutzklage. Der Antrag entspricht der Vorgabe des § 4 Satz 1 KSchG. Die
ausdrücklich „wegen Kündigungsschutzes“ erhobene Klage macht deutlich, dass die
Klägerin sich als Arbeitnehmerin der Schuldnerin sieht und die von dem Beklagten als
Insolvenzverwalter erklärte Kündigung vom 2. März 2010 nicht akzeptieren will. Dies ist
entgegen der Auffassung der Revision ausreichend. Die Revision verkennt, dass es im
vorliegenden Fall, anders als in dem mit Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Dezember
2007 - 2 AZR 818/06 - entschiedenen Fall, nicht um die Auslegung der Klageschrift geht. Die
von der Revision thematisierte Problematik unterschiedlicher Auslegungsmaßstäbe von
Klageschriften, die von sachkundigen Prozessbevollmächtigten erstellt wurden, in
Abgrenzung zu Klageschriften, die von rechtsunkundigen Parteien verfasst wurden, stellt
sich nicht. Die Klageschrift ist eindeutig formuliert. Soweit die Revision eine unzureichende
Klagebegründung rügt, wirft sie ein Problem der Begründetheit der Klage auf.
23 Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG wurde unstreitig gewahrt. Die Kündigung ging der
Klägerin noch am 2. März 2010 zu. Die am 23. März 2010 als Telefax bei Gericht
eingegangene Klage hielt die Frist ein. Der 23. März 2010 war der Tag des Fristablaufs
(§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB).
24 III. Das Landesarbeitsgericht sieht die streitgegenständliche Kündigung als sozial
ungerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 2 KSchG und die Klage damit als begründet an. Das
Vorliegen verhaltensbedingter Gründe hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei verneint.
Die Revision rügt jedoch zu Recht die Verkennung des Kündigungsgrundes, soweit die
Kündigung als Druckkündigung gerechtfertigt wurde.
25 1. Die Voraussetzungen der Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes gemäß
§ 1 Abs. 1 KSchG und § 23 Abs. 1 KSchG liegen unstreitig vor. Die ordentliche Kündigung
vom 2. März 2010 bedarf daher der sozialen Rechtfertigung (§ 1 Abs. 2 KSchG).
26 2. Die streitgegenständliche Kündigung ist nicht durch Gründe, die im Verhalten der Klägerin
liegen, sozial gerechtfertigt.
27 a) Das Landesarbeitsgericht hat im Verhalten der Klägerin keine hinreichenden
Kündigungsgründe erkannt. In Frage stehen die zur Rechtfertigung der außerordentlichen
Kündigung angeführten Gründe (Missbrauch der EC-Karte für Privateinkäufe; Verweigerung
der Herausgabe des Firmenwagens). Bezüglich der Einkäufe zulasten des Kontos der
Schuldnerin ist das Landesarbeitsgericht nach Vernehmung des vormaligen
Geschäftsführers der Schuldnerin zu der Auffassung gelangt, dass dieser die Einkäufe
angewiesen und überprüft hat und damit kein Pflichtverstoß der klagenden Partei
festzustellen ist. Hinsichtlich des Firmenwagens hat sich das Landesarbeitsgericht der
Auffassung des Arbeitsgerichts angeschlossen, wonach es vor Erklärung der Kündigung
einer entsprechenden Abmahnung bedurft hätte.
28 b) Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts lassen keinen revisiblen Rechtsfehler
erkennen. Der tatrichterliche Beurteilungsspielraum wurde nicht überschritten. Die Revision
erhebt insoweit auch keine Rügen. Zudem könnte die verweigerte Herausgabe des
Fahrzeugs die Kündigung vom 2. März 2010 nicht rechtfertigen, da die Herausgabe erst mit
Schreiben vom 15. März 2010 verlangt wurde. Kündigungsgründe, die erst nach dem Zugang
der Kündigung entstanden sind, können eine bereits ausgesprochene Kündigung nicht
sozial rechtfertigen (KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 246).
29 3. Zu Recht rügt die Revision allerdings Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts bei der
Beurteilung der ordentlichen Kündigung als betriebsbedingte Druckkündigung.
30 a) Hinsichtlich der Druckkündigung hat das Landesarbeitsgericht Beweis erhoben durch
Vernehmung eines Mitarbeiters des Beklagten zur wirtschaftlichen Situation der Schuldnerin
ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung und zur Forderung der Sparkasse nach Entlassung
der Klägerin und ihres Ehemanns. Das Landesarbeitsgericht hat dann aber ohne Würdigung
der durchgeführten Beweisaufnahme entschieden, dass die Voraussetzungen einer
betriebsbedingten Druckkündigung nicht vorliegen. Der Kündigung liege nicht der
erforderliche ernsthafte und endgültige Kündigungswille zugrunde. Die Kündigung beruhe
auf einem „prognostischen Element“, denn es hätte der Gläubigerversammlung am 12. Mai
2010 oblegen, über die Fortführung des Betriebs zu entscheiden. Zum Zeitpunkt des
Zugangs der Kündigung sei noch nicht entschieden gewesen, ob der Betrieb der
Schuldnerin fortgeführt werde und es auf die Gewährung eines Darlehens durch die
Sparkasse überhaupt ankommen werde. Ein Grund für den Ausspruch einer Druckkündigung
habe deshalb bei Kündigungserklärung nicht bestanden.
31 b) Mit dieser Begründung kann die Druckkündigung nicht als sozial ungerechtfertigt gemäß
§ 1 Abs. 2 KSchG angesehen werden.
32 aa) Das Landesarbeitsgericht hat den Kündigungsgrund verkannt. Der Beklagte hat die
Kündigung nicht mit der Stilllegung des Betriebs begründet. Er rechtfertigt die Kündigung
vielmehr damit, dass er davon ausging, dass ohne Verlustübernahmeerklärung der
Sparkasse keine Alternative zur Stilllegung mehr bestand, und er zur Erreichung der
Verlustübernahmeerklärung deshalb dem auf die Entlassung der Klägerin gerichteten Druck
der Sparkasse nachgeben musste. Er führt eine Drucksituation im Vorfeld einer
Entscheidung über die Stilllegung oder Fortführung an.
33 bb) Die vom Beklagten behauptete Drucksituation und die darauf basierende
Kündigungsentscheidung berühren nicht die Befugnisse der Gläubigerversammlung gemäß
§ 157 InsO.
34 (1) Nach dieser Vorschrift beschließt die Gläubigerversammlung im Berichtstermin, ob das
Unternehmen des Schuldners stillgelegt oder vorläufig fortgeführt werden soll. Die Gläubiger
haben demnach autonom über die Stilllegung, vorläufige Fortführung und einen
Insolvenzplan zu befinden (vgl. MünchKommInsO/Görg 2. Aufl. § 157 Rn. 5 ff.). Der
Insolvenzverwalter hat gemäß § 156 InsO den Berichtstermin vorzubereiten, da er im
Berichtstermin über die wirtschaftliche Lage des Schuldners und ihre Ursachen zu berichten
hat (§ 156 Abs. 1 Satz 1 InsO). Gemäß § 156 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Insolvenzverwalter
zudem darzulegen, ob Aussichten bestehen, das Unternehmen des Schuldners im Ganzen
oder in Teilen zu erhalten, welche Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen und
welche Auswirkungen jeweils für die Befriedigung der Gläubiger eintreten würden. Der
Verwalter hat im Berichtstermin die fortführende oder übertragende Sanierung als Alternative
zur Liquidation zu erörtern und gegebenenfalls einen Sanierungsplan vorzulegen
(Uhlenbruck/Uhlenbruck 13. Aufl. InsO § 156 Rn. 9).
35 (2) Die Frage der Gewährung einer Verlustübernahmeerklärung durch die Sparkasse war
nach Darstellung des Beklagten wesentlich für die Beurteilung der Sanierungsaussichten.
Dabei handelte es sich um das entscheidende Merkmal für die Vorbereitung des
Berichtstermins. Ohne das Eintreten der Sparkasse hätte der Beklagte der
Gläubigerversammlung nach seiner Darstellung die Stilllegung des Betriebs vorschlagen
müssen. Bei Gewährung der Verlustübernahmeerklärung hingegen kam eine Fortführung in
Betracht. Damit entstand im Vorfeld der Gläubigerversammlung der Druck, den der Beklagte
zur Rechtfertigung der Kündigung anführt. Ohne Entlassung der Klägerin wäre die
Absicherung durch die Sparkasse nicht erreichbar gewesen. Erst durch die
Verlustübernahmeerklärung wurde der Gläubigerversammlung eine Wahl zwischen
Stilllegung und vorläufiger Fortführung ermöglicht.
36 cc) Am Kündigungswillen des Beklagten besteht entgegen der Auffassung des
Landesarbeitsgerichts kein Zweifel. Er hat ihn durch die Erklärung der Kündigung
verwirklicht (vgl. BAG 21. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 46).
37 IV. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar
(§ 561 ZPO). Dies wäre nur dann der Fall, wenn eine sogenannte „echte Druckkündigung“
als betriebsbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG entgegen der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts generell als unzulässig anzusehen wäre. Dies
vertreten einige Stimmen des juristischen Schrifttums. Der Senat hält aber an der bisherigen
Rechtsprechung fest.
38 1. Eine Druckkündigung liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn Dritte unter Androhung
von Nachteilen für den Arbeitgeber von diesem die Entlassung eines bestimmten
Arbeitnehmers verlangen. Dabei sind zwei Fallgestaltungen zu unterscheiden:
39 a) Das Verlangen des Dritten kann gegenüber dem Arbeitgeber durch ein Verhalten des
Arbeitnehmers oder einen personenbedingten Grund objektiv gerechtfertigt sein. In diesem
Fall liegt es im Ermessen des Arbeitgebers, ob er eine personen- oder eine
verhaltensbedingte Kündigung erklärt (BAG 19. Juni 1986 - 2 AZR 563/85 - zu B II a der
Gründe). Eine solche Kündigung wird auch als „unechte Druckkündigung“ bezeichnet. Die
Kündigung wird nicht primär wegen des durch den Dritten erzeugten Drucks erklärt, sondern
wegen des personen- oder verhaltensbedingten Kündigungsgrundes.
40 b) Fehlt es hingegen an einer solchen objektiven Rechtfertigung der Drohung, so kommt
nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Kündigung aus betriebsbedingten
Gründen in Betracht. An die Zulässigkeit einer sogenannten „echten Druckkündigung“ sind
allerdings strenge Anforderungen zu stellen. Der Arbeitgeber hat sich in diesem Fall
zunächst schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer zu stellen. Nur wenn auf diese Weise
die Drohung nicht abgewendet werden kann und bei Verwirklichung der Drohung schwere
wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber drohen, kann die Kündigung sozial gerechtfertigt
sein. Dabei ist jedoch Voraussetzung, dass die Kündigung das einzig praktisch in Betracht
kommende Mittel ist, um die Schäden abzuwenden (BAG 19. Juni 1986 - 2 AZR 563/85 -
zu B II 2 b aa der Gründe). Zu berücksichtigen ist hierbei auch, inwieweit der Arbeitgeber die
Drucksituation selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat (BAG 4. Oktober 1990 - 2 AZR
201/90 - zu II 3 der Gründe). Typische Fälle einer echten Druckkündigung sind Drohungen
der Belegschaft mit Streik oder Massenkündigungen oder die Androhung des Abbruchs von
Geschäftsbeziehungen für den Fall der Weiterbeschäftigung eines bestimmten
Arbeitnehmers (zur Abgrenzung zwischen betriebsbedingter Druckkündigung und
personenbedingter Kündigung vgl. BAG 26. Juni 1997 - 2 AZR 502/96 - zu B I 3 der Gründe;
31. Januar 1996 - 2 AZR 158/95 - zu II 5 a und b der Gründe, BAGE 82, 124).
41 2. Diese Rechtsprechung ist in der Literatur neben Zustimmung auch auf Kritik gestoßen.
42 a) Ein Teil des Schrifttums sieht eine Druckkündigung als betriebsbedingte Kündigung
entsprechend der Rechtsprechung als sozial gerechtfertigt an, wenn dem Arbeitgeber
anderenfalls schwere wirtschaftliche Schäden drohen (KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG
Rn. 586a; DFL/Kaiser 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 19; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 1
Rn. 334; ErfK/Müller-Glöge 13. Aufl. § 626 BGB Rn. 185; MüKoBGB/Henssler 6. Aufl. § 626
Rn. 255; zu etwaigen Schadensersatzansprüchen des betroffenen Arbeitnehmers vgl.
KR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 209 mwN).
43 b) Zum Teil wird eingewendet, dass es sich um keinen Fall der betriebsbedingten Kündigung
handle, da keine arbeitsplatzbezogenen Beschäftigungsmöglichkeiten entfielen (so APS/Kiel
4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 521 mwN; Berkowsky Die betriebsbedingte Kündigung 6. Aufl.
Rn. 106). Die Druckkündigung könne nur der personenbedingten Kündigung zugerechnet
werden. Die Person des Arbeitnehmers sei der eigentliche Anlass für den von Dritten
ausgeübten Druck (Krause in vHH/L KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 346; ErfK/Oetker 13. Aufl. § 1
KSchG Rn. 184).
44 c) Andere Autoren lehnen die echte Druckkündigung gänzlich ab. Es liege kein
Kündigungsgrund vor. Habe sich der Arbeitnehmer nichts zuschulden kommen lassen, dürfe
das Mittel der betriebsbedingten Kündigung nicht dazu führen, dass der Arbeitnehmer wegen
einer ungerechtfertigen Drohung seinen Arbeitsplatz verliere. Das Recht brauche dem
Unrecht nicht zu weichen (Stahlhacke/Preis 10. Aufl. Rn. 970;
Kittner/Däubler/Zwanziger/Deinert KSchR 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 469; ablehnend auch
HK/Weller/Dorndorf KSchG 4. Aufl. § 1 Rn. 997; zur Problematik diskriminierender
Entlassungsverlangen vgl. Deinert RdA 2007, 275 ff.).
45 3. Die in der Literatur geäußerten Bedenken gegen die Einstufung einer echten
Druckkündigung als betriebsbedingte Kündigung iSd. § 1 Abs. 2 KSchG tragen nicht.
46 Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung können sich aus innerbetrieblichen
oder außerbetrieblichen Gründen ergeben (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 24. Mai 2012
- 2 AZR 124/11 - Rn. 21). In beiden Konstellationen liegt der Kündigungsgrund in der Sphäre
des Arbeitgebers, der entweder agiert, dh. eine Organisationsentscheidung trifft, oder auf
eine bestimmte Situation reagiert. Letzteres ist insbesondere der Fall, wenn der Arbeitgeber
einen Auftrag verliert und den Personalbestand an die noch verbleibende Arbeitsmenge
anpassen muss (vgl. BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 17). Bei einem Auftragsverlust
entsteht für den Arbeitgeber eine Drucksituation, auf die er unternehmerisch reagieren muss,
um den Fortbestand des Betriebs zu sichern.
47 Bei der echten Druckkündigung ist die Lage insoweit vergleichbar. Entstünden bei
Verwirklichung der Drohung schwere wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber, muss
dieser aus wirtschaftlichen Gründen handeln. Der Kündigungsgrund ist damit seiner Sphäre
zuzuordnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Druck von Vertragspartnern des
Arbeitgebers ausgeübt wird (HWK/Quecke 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 257). Die Person des zur
Kündigung anstehenden Arbeitnehmers ist nur mittelbarer Anlass für den eigentlichen
Kündigungsgrund, dass von dritter Seite Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt wird. Wird der
Druck als betriebliches Erfordernis verstanden, kommt es nicht darauf an, ob die Forderung
nach der Entlassung berechtigt oder unberechtigt ist (HaKo/Gallner KSchR 4. Aufl. § 1
Rn. 528). Der Arbeitgeber sieht sich mit der Druckausübung konfrontiert, auch wenn sie
inhaltlich unberechtigt sein sollte (vgl. BAG 4. Oktober 1990 - 2 AZR 201/90 - zu III 1 b bb der
Gründe). Er muss abwägen, ob er dem Druck nachgibt oder nicht. Das Argument, dass der
Beschäftigungsbedarf für den betroffenen Arbeitnehmer nicht entfällt, verliert dann an
Gewicht, wenn bei Verwirklichung der Drohung der Beschäftigungsbedarf für Teile der oder
sogar für die gesamte Belegschaft in Frage steht. Dies wird deutlich im Fall des angedrohten
Auftragsentzugs: Reagiert der Arbeitgeber nicht und entzieht der Dritte den Auftrag, können
wegen Wegfalls des Beschäftigungsbedürfnisses betriebsbedingte Kündigungen erforderlich
werden. Die Erklärung einer Druckkündigung kann dies unter Umständen verhindern. Auch
dies spricht für die Einstufung als betriebsbedingte Kündigung, die sozial gerechtfertigt sein
kann.
48 Der vorliegende Fall zeigt zudem, dass die Zielsetzung der sanierenden Insolvenz
konterkariert würde, wenn wegen des generellen Ausschlusses der betriebsbedingten
Druckkündigung die Fortführung eines Unternehmens verhindert würde.
49 V. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist gemäß § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO
aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Die festgestellten Tatsachen reichen zur
Beurteilung der ordentlichen Druckkündigung nicht aus. Das Landesarbeitsgericht wird unter
Wahrung des Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 GG) die von ihm
durchgeführte Beweisaufnahme gemäß § 286 Abs. 1 ZPO zu würdigen oder die
Beweisaufnahme zu wiederholen haben.
Fischermeier
Richterin am
Bundesarbeitsgericht
Spelge ist an der
Beifügung
ihrer Unterschrift
verhindert.
Fischermeier
Krumbiegel
Kreis
Kammann