Urteil des BAG vom 18.03.2009

BAG: Verdienstsicherung, versetzung, tarifvertrag, anwendungsbereich, beweislastverteilung, textilindustrie, begriff, arbeitsbedingungen, wechsel, arbeitsgericht

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 18.3.2009, 5 AZR 303/08
Verdienstsicherung
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Sachsen-Anhalt vom 4. März 2008 - 11 Sa 316/07 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über eine tarifliche Verdienstsicherung.
2 Der Kläger ist seit September 1967 für die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgänger beschäftigt. Auf
das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Metall- und
Elektroindustrie Sachsen-Anhalt Anwendung.
3 Der Kläger war zunächst als Inspekteur an der Glühanlage im vollkontinuierlichen Vier-Schicht-
System eingesetzt. Im November 2003 wurde er Zeuge des tödlichen Arbeitsunfalls eines
Kollegen und litt nachfolgend an Depressionen. Vom 27. Juni 2005 bis zum 30. Juni 2006 war er
arbeitsunfähig krank. In den beiden letzten Monaten dieser Periode nahm er an einer
Wiedereingliederungsmaßnahme teil, die auf seinen Wunsch in der Abteilung Adjustage am
Rollformer durchgeführt wurde. Seit dem 1. Juli 2006 wird der Kläger auf diesem Arbeitsplatz im
Zwei-Schicht-System als „Springer“ eingesetzt. Er erzielt hierbei im Vergleich zu seiner früheren
Tätigkeit eine geringere Vergütung.
4 § 12 des Gemeinsamen Manteltarifvertrags für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie
Sachsen-Anhalt vom 29. Oktober 2001 (im Folgenden: GMTV) lautet:
„§ 12* Verdienstsicherung für ältere Beschäftigte
1. Beschäftigte, die
das 55. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens
10 Jahre angehören, oder
und die aus gesundheitlichen Gründen auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr
eingesetzt werden können und deshalb auf einem geringer bezahlten Arbeitsplatz
beschäftigt werden, erhalten für die Dauer der Minderung ihrer Einsatzfähigkeit eine
Verdienstsicherung.
Die Minderleistungsfähigkeit, die Notwendigkeit des Arbeitsplatzwechsels und die weitere
Einsatzfähigkeit sind durch den zuständigen Betriebsarzt im Sinne des
Arbeitssicherheitsgesetzes festzustellen. …
_____________
* Als Versetzung im Sinne dieser Vorschrift gilt auch eine Entgeltminderung aus
gesundheitlichen Gründen bei Verbleiben am selben Arbeitsplatz. Im Falle einer
Änderungskündigung wird die Verdienstsicherung gezahlt.“
5 In der von der Beklagten eingeholten betriebsärztlichen Stellungnahme vom 31. Juli 2006 heißt es
ua.:
„...
Er hat vorerst nicht seinen ehemaligen Arbeitsplatz als Inspekteur an der GLA
eingenommen, sondern wurde am Rollformer eingesetzt.
Aus arbeitsmedizinischer Sicht und unter Berücksichtigung der Erkrankung von Herrn S
bestehen gegenüber der Tätigkeit eines Inspekteurs an der GLA prinzipiell keine
gesundheitlichen Bedenken.
Beim Einsatz von Herrn S ist hier lediglich zu beachten, dass er nicht im Rahmen der
Nachtschichtarbeit einzuplanen ist.
...“
6 Nach einem Gespräch des Klägers mit der Betriebsärztin in Anwesenheit eines
Betriebsratsmitglieds bescheinigte die Ärztin am 15. September 2006 Folgendes:
„...
bezugnehmend auf unser Schreiben vom 31.07.2006 muss ich Ihnen leider mitteilen, dass
sich die gesundheitlichen Gegebenheiten bei Herrn S geändert haben.
Folglich muss bezüglich seiner beruflichen Einsatzfähigkeit aus arbeitsmedizinischer Sicht
eine Korrektur erfolgen.
Aus seinen körperlichen Voraussetzungen heraus ist er zwar auch weiterhin in der Lage,
die Inspektionstätigkeit an der GLA durchzuführen (ohne Nachtschicht), seine psychischen
Gegebenheiten lassen jedoch eine Tätigkeit in der Nähe oder an der GLA nicht zu.
Deshalb muss ich im Interesse des Erhaltes der Arbeitsfähigkeit des Mitarbeiters dringend
raten, ihn auch zukünftig am Rollformer einzusetzen. Dort ist es ihm am ehesten möglich,
gesundheitliche Stabilität über lange Zeit zu erhalten.
...“
7 Der Kläger hat behauptet, der Arbeitsplatzwechsel von der Glühanlage zum Rollformer beruhe auf
der auf den Arbeitsunfall zurückzuführenden psychischen Erkrankung. Er habe Anspruch auf
Verdienstsicherung für die Zeit von Juli bis November 2006, zumindest in Höhe der weggefallenen
Nachtschichtzulagen.
8 Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.058,62 Euro brutto nebst Verzugszinsen iHv.
fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
9 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Grund für den Arbeitsplatzwechsel sei der Wunsch
des Klägers gewesen, für ihn leichter zu bewältigende Tätigkeiten auszuüben. Der Wegfall der
Nachtschicht stelle keinen Arbeitsplatzwechsel im tariflichen Sinn dar.
10 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des
Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der
Kläger den Zahlungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
11 I. Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verdienstsicherung gem. § 12
GMTV.
12 1. Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme angenommen, der Kläger habe die
Notwendigkeit des Arbeitsplatzwechsels von der Glühanlage an den Rollformer aus
gesundheitlichen Gründen nicht nachweisen können. An diese tatsächliche Feststellung der
mangelnden Ursächlichkeit ist der Senat gebunden. Bei der Beweislastverteilung sind dem
Landesarbeitsgericht keine Rechtsfehler unterlaufen. Die gesundheitsbedingte
Minderleistungsfähigkeit und die darauf beruhende Notwendigkeit des Arbeitsplatzwechsels sind
nach der Ausgestaltung des § 12 GMTV vom Arbeitnehmer als Anspruchsteller darzulegende und
zu beweisende Anspruchsvoraussetzungen. Öffentlich-rechtliche Pflichten des Arbeitgebers nach
§ 3 Abs. 1 ArbSchG und § 1 ArbSichhG ändern hieran nichts.
13 2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verdienstsicherung im Hinblick auf die entfallenen
Nachtschichtzuschläge.
14 a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Kläger nicht aus gesundheitlichen
Gründen auf den geringer bezahlten Arbeitsplatz des Springers im Zwei-Schicht-System am
Rollformer versetzt worden, so dass die Voraussetzungen des § 12 Ziff. 1 Satz 1 GMTV nicht
vorliegen. Der Kläger hat deshalb keinen Anspruch auf Verdienstsicherung in Höhe der entfallenen
Nachtschichtzuschläge nach der Regelung in der Fußnote zu § 12 GMTV. Hiernach gilt als
Versetzung auch eine Entgeltminderung aus gesundheitlichen Gründen bei Verbleiben am selben
Arbeitsplatz. Der Tarifvertrag erweitert mit der Fußnote den Anwendungsbereich des § 12 Ziff. 1
Satz 1 GMTV. Trotz Verbleibens am bisherigen Arbeitsplatz wird auch eine Entgeltminderung aus
gesundheitlichen Gründen als eine die Verdienstsicherung auslösende Arbeitsplatzänderung
bewertet. Ob dies, wie die Beklagte meint, nur dann der Fall ist, wenn die Entgeltminderung eine
gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreitet, weil sie gem. Satz 2 der Fußnote im
Zusammenhang mit einer notwendigen Änderungskündigung steht, unabhängig davon, ob diese
tatsächlich ausgesprochen wird (vgl. hierzu BAG 6. Februar 1985 - 4 AZR 155/83 - AP TVG § 1
Tarifverträge: Textilindustrie Nr. 3) , kann im Streitfall offenbleiben.
15 b) Der Kläger wird jedenfalls nicht mehr „am selben Arbeitsplatz“, dh. als Inspekteur an der
Glühanlage eingesetzt, sondern an einem anderen Arbeitsplatz am Rollformer. Erfolgt der
Wechsel des Arbeitsplatzes selbst nicht aus gesundheitlichen Gründen, begründet der Wegfall der
Nachtschichtzuschläge keinen Anspruch auf Verdienstsicherung. Es ist auch unerheblich, ob der
Kläger infolge des Wegfalls der Nachtschicht bei Verbleiben an seinem Arbeitsplatz an der
Glühanlage einen Anspruch auf Verdienstsicherung gehabt hätte.
16 c) Eine analoge Anwendung der tariflichen Regelungen auf anderweitige, ggf. gesundheitsbedingte
Veränderungen von Arbeitsbedingungen, die ebenfalls zu einer Entgeltminderung führen, kommt
nicht in Betracht. Es fehlt schon an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Tarifvertrag bestimmt
mit der Fußnote zu § 12 GMTV den Begriff des Arbeitsplatzwechsels bzw. der Versetzung als den
die Verdienstsicherung auslösenden Umstand selbst in einer über das übliche Begriffsverständnis
hinausgehenden Weise. Damit haben die Tarifparteien die Reichweite der Regelung abschließend
normiert.
17 II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller-Glöge
Mikosch
Laux
Mandrossa
Wolf