Urteil des BAG vom 17.09.2013

Auskunftsanspruch des Betriebsrats - erteilte und beabsichtigte Abmahnungen

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 17.9.2013, 1 ABR
26/12
Auskunftsanspruch des Betriebsrats - erteilte und beabsichtigte Abmahnungen
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der
Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 17. Februar
2012 - 10 TaBV 63/11 - aufgehoben.
2. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss
des Arbeitsgerichts Siegen vom 13. April 2011 - 1 BV 30/10 -
abgeändert.
Der Antrag des Betriebsrats wird abgewiesen.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Betriebsrats auf Vorlage erteilter
Abmahnungen.
2 Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie. Antragsteller ist
der im Betrieb N gebildete Betriebsrat. Dieser verlangt von der Arbeitgeberin die Übergabe
von Kopien bereits erteilter Abmahnungen sowie die Vorlage beabsichtigter
Abmahnungen vor Übergabe an den betreffenden Arbeitnehmer.
3 Der Betriebsrat hat geltend gemacht, er benötige die Abmahnungen, um vor dem
Ausspruch von Kündigungen regulierend und arbeitsplatzerhaltend eingreifen und auf die
Arbeitgeberin einwirken zu können. Die Vorlage sei auch erforderlich, um bestehende
Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG ausüben zu können. Den ihm von
Arbeitnehmern in der Vergangenheit übergebenen Abmahnungen sei zu entnehmen, dass
die Arbeitgeberin ua. wegen der Weigerung, Überstunden zu leisten, des Nichtbeachtens
der Anweisung, nur bestimmte Toilettenräume aufzusuchen, sowie wegen Verstößen
gegen Rauchverbote und das angeordnete Verbot von Radiohören im Betrieb
Abmahnungen erteilt habe, ohne zuvor den Betriebsrat bei Erlass dieser Anweisungen
beteiligt zu haben.
4 Der Betriebsrat hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung -
zuletzt beantragt,
1. die Arbeitgeberin zu verpflichten, ihm über die ab dem 1. September 2010 bei
ihr beschäftigten Mitarbeiter sowohl im gewerblichen als auch im
Angestelltenbereich mit Ausnahme der leitenden Angestellten und der
Geschäftsführung erteilten Abmahnungen durch Vorlage des
Abmahnungsschreibens in anonymisierter Form Auskunft zu erteilen;
2. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. der Arbeitgeberin wegen
Nichtvornahme aus der Verpflichtung gemäß Ziff. 1 ein Zwangsgeld in Höhe
von 500,00 Euro anzudrohen.
5 Die Arbeitgeberin hat Antragsabweisung beantragt.
6 Das Arbeitsgericht hat den Anträgen stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Beschwerde
der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der
Rechtsbeschwerde verfolgt diese ihren Abweisungsantrag weiter.
7 B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Vorinstanzen haben den Anträgen zu
Unrecht entsprochen. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf die begehrte Auskunft. Der
Antrag zu 2. fällt dem Senat deshalb nicht zur Entscheidung an.
8 I. Der Antrag zu 1. ist zulässig.
9 1. Das Auskunftsverlangen des Betriebsrats betrifft in der gebotenen Auslegung nur
schriftlich erteilte Abmahnungen der bei der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer mit
Ausnahme der leitenden Angestellten und Mitglieder der Geschäftsführung. In zeitlicher
Hinsicht reicht der Antrag bis zum 1. September 2010 zurück und enthält darüber hinaus
ein zeitlich unbefristetes Dauerbegehren für die Zukunft. Anhaltspunkte für eine gewollte
zeitliche Beschränkung lassen sich weder dem Wortlaut noch der Begründung
entnehmen. Nach dem Vortrag des Betriebsrats ist mit „anonymisierter Form“ gemeint,
dass die den abgemahnten Arbeitnehmer unmittelbar identifizierenden Merkmale (Name
und Adresse) unkenntlich gemacht werden sollen.
10 2. So verstanden ist der Antrag hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es
handelt sich hierbei um einen Globalantrag, der alle denkbaren schriftlichen
Abmahnungen der im Antrag bezeichneten Personengruppe erfasst. Dies steht der
Bestimmtheit des Antrags jedoch nicht entgegen. Ob der Antrag in allen Fällen berechtigt
ist, betrifft seine Begründetheit und nicht seine Zulässigkeit (BAG 20. November 2012 -
1 AZR 611/11 - Rn. 27 mwN).
11 3. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Antrag auch die Verpflichtung zur
Vorlage solcher Abmahnungsschreiben einschließt, die erst künftig nach rechtskräftigem
Abschluss des Verfahrens erteilt werden. Ein auf künftige Leistungen gerichteter Antrag ist
nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 259 ZPO
zulässig, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, der Schuldner werde
sich der rechtzeitigen Leistung entziehen (BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 13/02 - zu B II 2 b der
Gründe mwN, BAGE 106, 111). Dies ist hier der Fall. Die Arbeitgeberin hat sich in der
Vergangenheit und in dem gesamten Rechtsstreit geweigert, die begehrten Auskünfte zu
erteilen. Es ist daher zu besorgen, dass sie sich auch in Zukunft einer rechtzeitigen
Leistung iSd. § 259 ZPO entziehen werde. Die Auskunft und Vorlage von Unterlagen nach
§ 80 Abs. 2 BetrVG kann vom Betriebsrat „jederzeit“ ohne besonderen Anlass verlangt
werden (vgl. BAG 19. Februar 2008 - 1 ABR 84/06 - Rn. 25).
12 II. Der Antrag zu 1. ist unbegründet. Der vom Betriebsrat erhobene Anspruch besteht nicht.
13 1. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat zur Durchführung
seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und nach Satz 2 Halbs. 1
dieser Bestimmung auf Verlangen die zur Durchführung der Aufgaben erforderlichen
Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Hieraus folgt ein entsprechender Anspruch des
Betriebsrats, wenn die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist.
Anspruchsvoraussetzung ist damit zum einen, dass überhaupt eine Aufgabe des
Betriebsrats gegeben ist und zum andern, dass im Einzelfall die begehrte Information zur
Wahrnehmung dieser Aufgabe erforderlich ist (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 7,
BAGE 140, 350). Dies hat der Betriebsrat darzulegen. Anhand seiner Angaben kann der
Arbeitgeber und im Streitfall das Arbeitsgericht prüfen, ob die Voraussetzungen der
Vorlagepflicht vorliegen (BAG 16. August 2011 - 1 ABR 22/10 - Rn. 34, BAGE 139, 25).
14 2. Nach diesen Grundsätzen besteht der vom Betriebsrat geltend gemachte
Auskunftsanspruch nicht. Es ist keine betriebsverfassungsrechtliche Aufgabe des
Betriebsrats ersichtlich, die die Vorlage aller Abmahnungsschreiben erforderlich machen
könnte.
15 a) Aus der individualrechtlichen Bedeutung der Abmahnung ergibt sich eine solche
Aufgabe des Betriebsrats nicht. Dieser ist außerhalb des Mitwirkungsverfahrens bei
Kündigung nach § 102 BetrVG bei der Erteilung von Abmahnungen nicht zu beteiligen.
Mitwirkungsrechte des Betriebsrats entstehen erst dann, wenn der Arbeitgeber das
Unterrichtungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG einleitet. Der Ausspruch von
Abmahnungen unterliegt dagegen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats (BAG
17. Oktober 1989 - 1 ABR 100/88 - zu B II 3 a der Gründe, BAGE 63, 169). Da sich der
Globalantrag des Betriebsrats jedoch auch auf die Fälle der Erteilung von Abmahnungen
vor Einleitung des Mitwirkungsverfahrens nach § 102 Abs. 1 BetrVG bezieht, ist schon die
individualrechtliche Wirkung der Abmahnung nicht geeignet, den Antrag des Betriebsrats
zu begründen.
16 b) Soweit der Betriebsrat geltend macht, die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher
Aufgaben erfordere die Vorlage aller Abmahnungsschreiben, führt auch dies nicht zur
Begründetheit des Antrags. Der Betriebsrat hat nicht aufgezeigt, für welche Aufgaben er
die Abmahnungsschreiben benötigt. Der allgemeine Hinweis auf Mitbestimmungsrechte
aus § 87 BetrVG ist unzureichend. Dem steht bereits entgegen, dass Abmahnungen
keineswegs notwendig Sachverhalte betreffen, in denen diese Mitbestimmungsrechte des
Betriebsrats betroffen sind. So sind etwa bei Arbeitsvertragsverletzungen wie Tätlichkeiten
oder Beleidigungen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 BetrVG
offensichtlich nicht berührt.
17 c) Der Betriebsrat hat auch nicht dargelegt, dass die Vorlage der Abmahnungen zur
Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist. Er hat vielmehr eine Vielzahl von Abmahnungen
vorgelegt, aber nicht aufgezeigt, aus welchen Gründen er ungeachtet dessen die Vorlage
weiterer Abmahnungen zur Wahrnehmung und Ausübung der auf diese Sachverhalte
bezogenen Mitbestimmungsrechte benötigt. Sollte der Betriebsrat der Auffassung sein,
dass die den Abmahnungen zugrunde liegenden Anweisungen der Arbeitgeberin nach
§ 87 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig waren und diese ihn gleichwohl nicht beteiligt
hat, kann er die seiner Auffassung nach gebotenen Maßnahmen ohnehin ergreifen. Es ist
weder vorgetragen noch offenkundig, dass hierzu ein weitergehender Informationsbedarf
des Betriebsrats besteht. Als Globalantrag erweist sich der Antrag des Betriebsrats auch
deshalb als unbegründet.
Schmidt
Koch
Linck
Fasbender
Berg