Urteil des BAG vom 21.12.2006

BAG: Antragsbefugnis im Beschlussverfahren, Inhalt eines Feststellungsantrags, kabinenpersonal, maschine, beteiligter, prozessführungsbefugnis, prozessstandschaft, vollzug, berechtigung, erstellung

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 20.5.2008, 1 ABR 19/07
Antragsbefugnis im Beschlussverfahren - Inhalt eines Feststellungsantrags
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Gesamtvertretung gegen den Beschluss des
Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 21. Dezember 2006 - 5 TaBV 103/06 -
wird zurückgewiesen.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über die Regelung von Ruhepausen bei sog. Flugumläufen.
2 Die Arbeitgeberin ist die Deutsche Lufthansa AG. Die Antragstellerin ist die nach § 30 des
Tarifvertrags Personalvertretung für das Bordpersonal der Deutschen Lufthansa AG vom
15. November 1972 (TV PV) gebildete Gesamtvertretung für das Bordpersonal. Die Arbeitgeberin
legte der Gesamtvertretung im November 2005 die Planungen für die Flugumläufe “Kurzstrecke
Kabine” für die Monate Dezember 2005 und Januar 2006 vor. Als Flugumlauf wird die meist über
mehrere Tage währende Flugbewegung einer Maschine und ihrer Mannschaft zu verschiedenen
Flugzielen bis zur Rückkehr an den Ausgangsort und den Beginn einer längeren Ruhezeit für die
Mannschaft bezeichnet. Im Bereich “Kurzstrecke” werden von der Arbeitgeberin Ziele in Europa
einschließlich der Türkei und Nordafrika angeflogen. Die eingesetzten Flugzeugtypen haben von
130 bis zu 270 Passagierplätze. Als Kabinenmannschaft werden in der Regel zwei
Stewards/Stewardessen und ein Purser/eine Purserette eingesetzt. Das Kabinenpersonal hat
während der Flugzeiten und der Standzeiten der Maschine am Boden innerhalb einer
Tagesschicht mit mehreren Starts und Landungen vielfältige Aufgaben zu erledigen. Nach
Auffassung der Gesamtvertretung wurden diese Aufgaben im Rahmen eines seit dem Jahr 2004
umgesetzten “Boardservice-Stufenkonzepts” erheblich verdichtet, nicht zuletzt durch den Wegfall
eines weiteren Flugbegleiters als sog. Springers. Zwischen den Beteiligten kam es seitdem
zunehmend zu Meinungsverschiedenheiten über die Einzelheiten der Flugumlaufplanung,
insbesondere über die Dauer der Standzeiten am Boden.
3 Den für Dezember 2005 und Januar 2006 vorgesehenen, jeweils mehr als 2.500 Umlaufplanungen
“Kurzstrecke Kabine” versagte die Gesamtvertretung ihre Zustimmung. Zur Begründung machte
sie geltend, die Umlaufplanungen sähen während der Schichtzeiten des Kabinenpersonals keine
schon im Voraus festliegenden Ruhepausen nach Maßgabe von § 4 ArbZG vor. Die Arbeitgeberin
rief zur Festlegung der Umlaufplanungen die nach § 97 TV PV vorgesehene Einigungsstelle an.
Die mit den Planungen für Januar 2006 befasste Einigungsstelle hat die Zustimmung der
Personalvertretung ersetzt. Die Beteiligten kamen anschließend überein, dass die
Gesamtvertretung das Fehlen einer Pausenregelung so lange nicht mehr zum Anlass für eine
Zustimmungsverweigerung nähme, bis darüber in einem Verfahren eine gerichtliche Entscheidung
getroffen wäre. Im September 2006 haben die Beteiligten überdies vereinbart, dass ab dem
1. Januar 2007 in einem Probelauf Erfahrungen mit langfristig geplanten Ruhepausen gemacht
würden.
4 Mit dem vorliegenden Beschlussverfahren will die Gesamtvertretung erreichen, dass die
Arbeitgeberin in die Umlaufpläne von vornherein Ruhepausen nach § 4 ArbZG einplant. Sie hat die
Auffassung vertreten, die Regelung in § 20 ArbZG, der zufolge für Besatzungsmitglieder von
Luftfahrzeugen “anstelle der Vorschriften dieses Gesetzes über Arbeits- und Ruhezeiten” die
Vorschriften über Flug-, Flugdienst- und Ruhezeiten der Zweiten Durchführungsverordnung zur
Betriebsordnung für Luftfahrtgerät gälten, schließe die Anwendung des § 4 ArbZG nicht aus.
5 Die Gesamtvertretung hat beantragt,
1. festzustellen, dass die Arbeitgeberin bei der Planung und Feststellung ihrer monatlichen
“Umläufe Kurzstrecke Kabine” verpflichtet ist, bei einer Arbeitszeit des
Kabinenpersonals von mehr als sechs bis zu neun Stunden eine im Voraus
feststehende Ruhepause von mindestens 30 Minuten und bei einer Arbeitszeit von mehr
als neun Stunden eine im Voraus feststehende Ruhepause von mindestens 45 Minuten
vorzusehen;
2. festzustellen, dass sie berechtigt ist, die Zustimmung zu den von der Arbeitgeberin
geplanten “Umläufen Kurzstrecke Kabine” zu verweigern, soweit diese bei einer
Arbeitszeit des Kabinenpersonals von mehr als sechs bis zu neun Stunden keine im
Voraus feststehende Ruhepause von mindestens 30 Minuten und bei einer Arbeitszeit
von mehr als neun Stunden keine im Voraus feststehende Ruhepause von mindestens
45 Minuten vorsehen.
6 Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, § 4 ArbZG
gälte nicht für das fliegende Personal. Im Übrigen beschränke § 4 Abschn. 8 des Tarifvertrags für
das Kabinenpersonal vom 1. Juli 1995 in der Fassung vom 8. Mai 2005 das Mitbestimmungsrecht
der Personalvertretungen auf die Überprüfung der in § 4 Abschn. 1 bis 7 des Tarifvertrags
vorgesehenen Zeitvorgaben; von Ruhepausen sei dort nicht die Rede.
7 Die Vorinstanzen haben die Anträge der Gesamtvertretung abgewiesen. Mit der
Rechtsbeschwerde verfolgt diese ihre Anträge weiter.
8 B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend
entschieden. Die Anträge der Gesamtvertretung sind unzulässig.
9 I. Für den Antrag zu 1 fehlt der Gesamtvertretung die Antragsbefugnis.
10 1. Der Antrag bedarf der Auslegung.
11 Er ist darauf gerichtet festzustellen, dass die Arbeitgeberin bei der Planung von Flugumläufen bei
einer bestimmten Dauer der Arbeitszeit des Kabinenpersonals verpflichtet ist, Ruhepausen im
Voraus vorzusehen. “Im Voraus” bedeutet dabei für die Gesamtvertretung ersichtlich den
Zeitpunkt, zu welchem die Flugumläufe als solche erarbeitet und entsprechende Dienstpläne
erstellt werden, nicht einen späteren Termin vor Beginn der Pause.
12 Der Antrag führt nicht ausdrücklich an, welchen Personen gegenüber die Verpflichtung bestehen
soll. Anspruch auf Ruhepausen haben jedoch nur die einzelnen Arbeitnehmer. Der Antrag ist
deshalb dahin zu verstehen, es möge festgestellt werden, dass die Arbeitgeberin, gegenüber den
Mitarbeitern des Kabinenpersonals verpflichtet ist, im Voraus feststehende Ruhepausen
vorzusehen. Dies zeigt auch die Antragsbegründung. Die Gesamtvertretung leitet ihr
Feststellungsinteresse aus ihrer Verpflichtung her darüber zu wachen, dass die zugunsten des
Bordpersonals geltenden Gesetze durchgeführt werden. Die Richtigkeit dieses
Antragsverständnisses zeigt zudem ein Vergleich mit dem Antrag zu 2. Dieser verhält sich über
Mitbestimmungsrechte der Gesamtvertretung selbst. Bei einem solchen Inhalt schon des Antrags
zu 1 bliebe unklar, worin beide Anträge sich unterschieden.
13 2. Für den Antrag fehlt der Gesamtvertretung die erforderliche Antragsbefugnis iSv. § 81 Abs. 1
ArbGG.
14 a) Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter nur insoweit antragsbefugt, wie er
eigene Rechte geltend macht. Antragsbefugnis und Beteiligtenstatus fallen nicht notwendig
zusammen. § 83 Abs. 3 ArbGG besagt nichts darüber, ob ein Beteiligter im Beschlussverfahren
einen Antrag stellen kann. Die Antragsbefugnis ist nach den Regeln über die Einleitung eines
gerichtlichen Verfahrens nach Maßgabe des § 81 Abs. 1 ArbGG zu bestimmen. Regelmäßig kann
nur derjenige ein gerichtliches Verfahren einleiten, welcher vorträgt, Träger des streitbefangenen
Rechts zu sein. Ausnahmen gelten im Fall zulässiger Prozessstandschaft. Das Erfordernis der
Prozessführungsbefugnis im Urteilsverfahren und der Antragsbefugnis im Beschlussverfahren
dient dazu, Popularklagen auszuschließen. Im Beschlussverfahren ist die Antragsbefugnis nur
gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner eigenen
betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen wird. Das ist regelmäßig nur dann der
Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als gänzlich aussichtslos
erscheint (BAG 19. September 2006 - 1 ABR 53/05 - Rn. 22, BAGE 119, 279) .
15 b) Mit dem Antrag zu 1 nimmt die Gesamtvertretung nicht eigene betriebsverfassungsrechtliche
Rechte wahr, sondern individuelle Rechte der Arbeitnehmer. Aus der Pflicht zur Überwachung der
Einhaltung gesetzlicher Vorschriften gem. § 70 Abs. 1 Nr. 1 TV PV folgen keine eigenen
Durchführungsansprüche. Dies gilt unabhängig davon, ob die Überwachungsaufgabe eine solche
der Gesamtvertretung oder der betroffenen Gruppenvertretungen ist. Mit der Aufgabe, die
Einhaltung von Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmer zu überwachen, geht nicht die
Befugnis zur Wahrnehmung der betroffenen Individualinteressen einher. Für die gleichlautende
Vorschrift des § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG entspricht dies der ständigen Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts (vgl. 28. Mai 2002 - 1 ABR 40/01 - AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 96
= EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 65, zu B III der Gründe mwN). Für die
Personalvertretungen nach dem TV PV gilt nichts anderes. Dies folgt schon aus § 99 TV PV.
Danach ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsgesetz 1972 beim
Vollzug des Tarifvertrags zu beachten.
16 II. Der Antrag zu 2 genügt nicht den Anforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO.
17 1. Der Antrag bedarf der Auslegung. Die Gesamtvertretung begehrt die Feststellung, dass sie
“berechtigt ist”, ihre Zustimmung zu Flugumlaufplänen zu verweigern, soweit diese nicht im
Voraus feststehende Ruhepausen vorsehen. Es geht ihr dabei ersichtlich nicht um die
Feststellung, dass sie bei der Aufstellung von Umlaufplänen für das Kabinenpersonal
mitzubestimmen hat. Das Bestehen eines solchen Mitbestimmungsrechts stellt die Arbeitgeberin
nicht in Frage. Der Gesamtvertretung geht es auch nicht um die Feststellung des Umfangs ihres
Mitbestimmungsrechts. Die Arbeitgeberin bestreitet nicht deren Befugnis, die Zustimmung zu
Umlaufplänen mit der Begründung zu verweigern, diese wiesen keine Pausenzeiten aus, und stellt
nicht in Abrede, dass eine so begründete Weigerung einen für das weitere
Mitbestimmungsverfahren beachtlichen Einwand darstellt. Er macht auch aus Sicht der
Arbeitgeberin ein Einigungsstellenverfahren nach § 97 TV PV nötig; das zeigen die Durchführung
solcher Verfahren zu Ende des Jahres 2005 und der Abschluss des “Stillhalteabkommens” der
Beteiligten vom September 2006. Der Streit der Beteiligten betrifft statt dessen die objektive
Berechtigung der erhobenen Einwände. Die Arbeitgeberin hält eine Berücksichtigung von
Pausenzeiten - wie die von ihr angerufene Einigungsstelle - rechtlich für nicht geboten. Im Hinblick
darauf geht es der Gesamtvertretung um die Feststellung, dass ihre mit dem Fehlen im Voraus
feststehender Pausenzeiten begründete Zustimmungsverweigerung arbeitszeitrechtlich stets
begründet und ein sie inhaltlich nicht berücksichtigender Umlaufplan notwendig rechtswidrig ist.
18 2. Ein Antrag dieses Inhalts kann nicht Gegenstand eines Feststellungsbegehrens sein. Er ist
entgegen § 256 Abs. 1 ZPO nicht auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses
gerichtet.
19 a) Ein Rechtsverhältnis ist jede durch die Herrschaft seiner Rechtsnorm über einen konkreten
Sachverhalt entstandene rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu
einer Sache. Ein Antrag nach § 256 Abs. 1 ZPO muss sich dabei nicht notwendig auf das
Rechtsverhältnis als Ganzes erstrecken. Er kann sich auf daraus folgende einzelne Beziehungen,
Ansprüche oder Verpflichtungen und auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken. Bloße
Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses können jedoch ebenso wie abstrakte
Rechtsfragen nicht Gegenstand eines Feststellungsantrags sein (BAG 3. Mai 2006 - 1 ABR
63/04 - Rn. 19 mwN, AP ArbGG 1979 § 81 Nr. 61) . Das liefe auf die Erstellung eines
Rechtsgutachtens hinaus. Dies ist den Gerichten verwehrt (BAG 27. Januar 2004 - 1 ABR 5/03 -
BAGE 109, 227, zu B III der Gründe mwN) .
20 b) Danach ist der Antrag nicht auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses
gerichtet. Sein Gegenstand sind nicht Inhalt oder Umfang eines Mitbestimmungsrechts, sondern
die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit einer im Rahmen dieses Mitbestimmungsrechts zu
treffenden Regelung. Die Frage, ob Umlaufpläne wegen eines Gesetzesverstoßes rechtswidrig
sind, wenn sie nicht Ruhepausen in der Weise vorsehen, wie § 4 ArbZG dies verlangt, berührt als
solche nicht die Rechtsbeziehung zwischen den Beteiligten. Sie ist eine allgemeine Rechtsfrage,
die die Beteiligten oder die an ihrer Stelle handelnde Einigungsstelle bei der Aufstellung von
Flugumläufen zu beachten haben. Sie kann nicht isoliert zur Entscheidung durch die Gerichte
gestellt werden. Die Gerichte würden andernfalls gutachterlich tätig. Die Frage kann einer
gerichtlichen Überprüfung nur im Rahmen einer Rechtmäßigkeitskontrolle tatsächlich getroffener
Umlaufplanungen oder vereinbarter Grundsätze zur Planerstellung zugeführt werden, solange
daran ein schützenswertes rechtliches Interesse besteht.
Schmidt
Linsenmaier
Kreft
Gentz
Platow