Urteil des BAG vom 15.10.2013

Streikaufruf im Intranet

Siehe auch:
Pressemitteilung Nr. 62/13 vom 15.10.2013
BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 15.10.2013, 1 ABR
31/12
Streikaufruf im Intranet
Leitsätze
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Nutzung eines für dienstliche Zwecke eingerichteten E-
Mail Accounts durch die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer zu Zwecken des Arbeitskampfs zu
dulden. Eine derartige Duldungspflicht folgt nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG zum Schutz der
individuellen Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer. Die Mobilisierung von Arbeitnehmern zur
Streikteilnahme ist Aufgabe der jeweiligen Koalition und ihrer Mitglieder. Vom Arbeitgeber kann
nicht verlangt werden, hieran durch Bereitstellung eigener Betriebsmittel mitzuwirken.
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3. und 4. wird
der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg
vom 31. Januar 2012 - 7 TaBV 1733/11 - teilweise
aufgehoben.
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3. und 4. wird der
Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Juli 2011 - 1 BV
6960/11 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Dem Beteiligten zu 4. wird aufgegeben, es zu unterlassen, den
ihm von der Arbeitgeberin zugewiesenen personenbezogenen
E-Mail Account für die Verbreitung eines Streikaufrufs von
ver.di zu nutzen.
Die weitergehenden Anträge der Arbeitgeberin werden
abgewiesen.
2. Die weitergehende Beschwerde und Rechtsbeschwerde
des Beteiligten zu 4. werden zurückgewiesen.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über die Nutzung dienstlicher E-Mail Accounts und
Telefonanschlüsse zu Streikaufrufen und während Streiks.
2 Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt in B ein Klinikum mit ca. 870 Arbeitnehmern.
Beteiligter zu 2. ist der dort gewählte Betriebsrat. Dessen Vorsitzender war im Frühjahr
2011 der Beteiligte zu 3., der Beteiligte zu 4. war seinerzeit stellvertretender
Betriebsratsvorsitzender. Beide sind Mitglieder der Gewerkschaft ver.di.
3 Dem Betriebsrat ist von der Arbeitgeberin ein E-Mail Account nach dem Muster
„Betriebsrat@Arbeitgeber.de“ zugewiesen. Die Beteiligten zu 3. und 4. verfügen zudem
über namensbezogene E-Mail-Konten, die nach dem Muster
„Vorname.Nachname@Arbeitgeber.de“ aufgebaut sind. Zusätzlich sind ihnen in den für
die Betriebsratsarbeit zur Verfügung gestellten Büroräumen Telefonanschlüsse nebst
Durchwahl eingerichtet worden. Soweit Beschäftigte der Arbeitgeberin über
namensbezogene E-Mail Accounts verfügen, gestattet die Arbeitgeberin nach einer
Anordnung vom September 2010 ausschließlich eine dienstliche Nutzung.
4 Im Rahmen laufender Tarifverhandlungen rief der ver.di-Landesverband Berlin-
Brandenburg für den 13. April 2011 zu einem Warnstreik im Klinikum der Arbeitgeberin
auf. Der Beteiligte zu 4. verbreitete den Streikaufruf am 11. April 2011 im Klinikum über
seinen namensbezogenen E-Mail Account und rief die Mitarbeiter auf, an dem Streik
teilzunehmen. Er signierte die Mail mit den Worten: „Für die ver.di Betriebsgruppe“. Es
folgten dann die Namen der Beteiligten zu 3. und 4. sowie deren dienstliche
Durchwahlnummern und private Mobilfunknummern.
5 Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, ihr stehe wegen Verletzung der Neutralitätspflicht
des Betriebsrats ein Unterlassungsanspruch gegen die weiteren Beteiligten zu. Sie hat -
soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung - beantragt,
1. den Beteiligten zu 3. und 4. aufzugeben, es zu unterlassen, die dem
Betriebsrat von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten sachlichen Mittel,
insbesondere die Telefonanlage und die E-Mail Accounts für den Aufruf und
die Durchführung eines Streiks von ver.di zu nutzen, insbesondere im
Streikaufruf von ver.di die Durchwahltelefonnummern der Beteiligten zu 3. und
4. anzugeben,
2. hilfsweise festzustellen, dass die Beteiligten zu 3. und 4. es zu unterlassen
haben, die dem Betriebsrat von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten
sachlichen Mittel, insbesondere die Telefonanlage und die E-Mail Accounts
für den Aufruf und die Durchführung eines Streiks von ver.di zu nutzen,
insbesondere im Streikaufruf von ver.di die Durchwahltelefonnummern der
Beteiligten zu 3. und 4. anzugeben.
6 Die Beteiligten zu 3. und 4. haben Antragsabweisung beantragt und die Auffassung
vertreten, die Arbeitgeberin sei nach Art. 9 Abs. 3 GG verpflichtet, die Nutzung der
Telefonanlage und des E-Mail Accounts für einen Streikaufruf zu dulden. Dieser sei vom
Beteiligten zu 4. nicht als Mitglied des Betriebsrats, sondern als Gewerkschaftsmitglied
verbreitet worden.
7 Das Arbeitsgericht hat den gegen die Beteiligten zu 3. und 4. gerichteten
Unterlassungsanträgen der Arbeitgeberin entsprochen. Die gegen den zu 2. beteiligten
Betriebsrat gerichteten Anträge hat es rechtskräftig abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht
hat die Beschwerden der Beteiligten zu 3. und 4. zurückgewiesen. Mit ihren
Rechtsbeschwerden verfolgen diese ihre Abweisungsanträge weiter.
8 B. Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 3. und 4. sind zum Teil begründet. Den
Anträgen der Arbeitgeberin war nur insoweit zu entsprechen, wie diese vom Beteiligten zu
4. verlangt, es zu unterlassen, den ihm von der Arbeitgeberin zugewiesenen
personenbezogenen E-Mail Account für die Verbreitung eines Streikaufrufs von ver.di zu
nutzen. Ihre weitergehenden Anträge sind unbegründet.
9 I. Ob das Verfahren in den Vorinstanzen als Beschlussverfahren nach § 80 Abs. 1 ArbGG
in der richtigen Verfahrensart geführt wurde, kann dahinstehen. Nach § 93 Abs. 2 iVm.
§ 65 ArbGG prüft das Rechtsbeschwerdegericht nicht, ob die Verfahrensart zulässig ist.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Arbeitsgericht trotz ausdrücklicher Rüge nicht
vorab durch Beschluss, sondern im Rahmen der Entscheidung zur Hauptsache über die
Zulässigkeit der Verfahrensart (mit-)entschieden hat (vgl. BAG 22. Mai 2012 - 1 ABR
11/11 - Rn. 9, BAGE 141, 360). Eine entsprechende Rüge hat keiner der Beteiligten
erhoben.
10 II. Der Betriebsrat ist auch nach der rechtskräftigen Abweisung des gegen ihn gerichteten
Antrags gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG Beteiligter des Beschlussverfahrens. Durch die gegen
zwei seiner Mitglieder noch anhängigen Anträge wird er in seiner Rechtsstellung
unmittelbar berührt, da hierbei um die Frage gestritten wird, ob und in welchem Umfang
Betriebsmittel, die dem Betriebsrat nach § 40 Abs. 2 BetrVG zur Verfügung gestellt sind,
durch einzelne seiner Mitglieder außerhalb der Betriebsratsarbeit zu deren
koalitionsmäßigen Betätigung genutzt werden dürfen.
11 III. Die Anträge der Arbeitgeberin sind in der gebotenen Auslegung zulässig.
12 1. Mit ihrem Hauptantrag verfolgt die Arbeitgeberin eine Mehrzahl von Antragszielen. Sie
verlangt von den Beteiligten zu 3. und 4. jeweils, es zu unterlassen, die von ihr zur
Verfügung gestellten sachlichen Mittel, insbesondere die Telefonanlage und die E-Mail
Accounts für den Aufruf zu einem Streik und dessen Durchführung zu nutzen sowie die
Durchwahl ihrer Telefonanschlüsse im Streikaufruf anzugeben.
13 a) Der Verfahrensbevollmächtigte der Arbeitgeberin hat in der Anhörung vor dem Senat
klargestellt, dass sich das Unterlassungsbegehren nur auf die Nutzung der sachlichen
Mittel „Telefonanlage“ und „E-Mail Accounts“ und nicht auch auf weitere dem Betriebsrat
nach § 40 Abs. 2 BetrVG zur Verfügung gestellten Sachmittel bezieht. Der mit dem Wort
„insbesondere“ eingeleitete Teil des Antrags dient lediglich der Konkretisierung des
eigentlichen Antragsbegehrens. Der Antrag erfasst damit die den Beteiligten zu 3. und 4.
zugewiesenen dienstlichen Durchwahlnummern und namensbezogenen betrieblichen E-
Mail Accounts, nicht jedoch den Telefonanschluss des Betriebsrats sowie dessen E-Mail
Account.
14 b) Soweit die Arbeitgeberin von den Beteiligten zu 3. und 4. verlangt, es zu unterlassen,
die bezeichneten sachlichen Mittel „für den Aufruf eines Streiks von ver.di zu nutzen“, ist
damit sowohl die unmittelbare Aufforderung zur Streikteilnahme in einer E-Mail als auch
die Verbreitung eines von ver.di verfassten Streikaufrufs gemeint. Von dem Antrag wird
dagegen nicht die Versendung von Streikaufrufen von einem privaten E-Mail Account
unter Nutzung eigener Hardware erfasst. Der Antrag zielt auf eine Unterlassung von
Störungen, die aus dem Betrieb der Arbeitgeberin heraus durch deren Arbeitnehmer
verursacht werden, indem sich diese der im Antrag bezeichneten Kommunikationsmittel
der Arbeitgeberin zur Versendung von Streikaufrufen von ver.di bedienen. Es geht damit
anders als in dem Sachverhalt, der dem Senatsurteil vom 20. Januar 2009 (- 1 AZR
515/08 - BAGE 129, 145) zugrunde lag, nicht darum, die unerbetene Versendung von E-
Mails durch eine Gewerkschaft von außen an Arbeitnehmer des Betriebs zu untersagen.
15 c) Soweit die Arbeitgeberin die Unterlassung der Nutzung der E-Mail Accounts und der
Telefonanlage für die „Durchführung eines Streiks“ beantragt, hat sie dies schriftsätzlich
und in der Anhörung vor dem Senat dahin erläutert, dass der Betriebsrat diese Mittel nicht
zu Streikzwecken nutzen dürfe. Wann das der Fall ist, hat sie jedoch nicht näher dargetan.
Um dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen, ist der Antrag
deshalb weit auszulegen und so zu verstehen, dass den Beteiligten zu 3. und 4.
aufgegeben werden soll, die Nutzung der Telefonanlage und der E-Mail Accounts in allen
Angelegenheiten zu unterlassen, die mit einem Streik in Zusammenhang stehen.
16 d) Das im Antrag formulierte Begehren, es zu unterlassen, die Durchwahlnummern „im
Streikaufruf“ anzugeben, bezieht sich ersichtlich auf die Angabe dieser Rufnummern in E-
Mails, durch die Streikaufrufe an die Mitarbeiter der Arbeitgeberin versandt oder
weitergeleitet werden. Auf Nachfrage hat die Arbeitgeberin in der Anhörung vor dem Senat
klargestellt, dass es sich insoweit um einen Hilfsantrag zu dem Antrag handelt, mit dem
die Nutzung der E-Mail Accounts für die Versendung von Streikaufrufen untersagt werden
soll. Der Antrag macht nur dann Sinn, wenn die von der Arbeitgeberin vorrangig begehrte
Untersagung der Nutzung der E-Mail Accounts für die Aufforderung zur Teilnahme an
einem Streik sowie die Versendung von Streikaufrufen von ver.di unbegründet ist. In
diesem Fall sollen die Beteiligten zu 3. und 4. es jedenfalls unterlassen, in den E-Mails
ihre dienstlichen Durchwahlnummern anzugeben.
17 e) Der hilfsweise angebrachte Feststellungsantrag ist nach dem Vorbringen der
Arbeitgeberin nur für den Fall gestellt, dass der Unterlassungsantrag wegen fehlender
Anspruchsgrundlage abgewiesen wird. Die Arbeitgeberin wollte insoweit der
Rechtsprechung des Siebten Senats (BAG 17. März 2010 - 7 ABR 95/08 - BAGE 133,
342) Rechnung tragen. Der Antragsinhalt selbst entspricht dem des Unterlassungsantrags.
18 2. Die so verstandenen Anträge sind hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
19 a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sind Anträge, mit denen die Unterlassung von
Handlungen verlangt wird, so genau zu bezeichnen, dass der Inanspruchgenommene im
Falle einer dem Antrag entsprechenden gerichtlichen Entscheidung eindeutig erkennen
kann, was unter welchen Voraussetzungen von ihm verlangt wird. Für den
Inanspruchgenommenen muss aufgrund des Unterlassungstitels erkennbar sein, welche
Handlungen er künftig zu unterlassen hat, um sich rechtmäßig zu verhalten. Die Prüfung,
welche Verhaltensweisen zu unterlassen sind, darf nicht durch eine ungenaue
Antragsformulierung und einen dementsprechenden gerichtlichen Titel aus dem
Erkenntnis- in das Zwangsvollstreckungsverfahren verlagert werden. Allerdings dürfen die
Anforderungen insoweit auch nicht überspannt werden, da andernfalls effektiver
Rechtsschutz vereitelt würde. Zukunftsgerichtete Verbote lassen sich häufig nur
generalisierend formulieren. Die Notwendigkeit gewisser Subsumtionsprozesse im
Rahmen einer etwa erforderlich werdenden Zwangsvollstreckung steht daher der
Verwendung ausfüllungsbedürftiger Begriffe in einem Unterlassungstitel und dem darauf
gerichteten Antrag nicht generell entgegen (vgl. BAG 20. November 2012 - 1 AZR 611/11 -
Rn. 25 mwN).
20 b) Nach diesen Grundsätzen genügen die Anträge in der erfolgten Auslegung dem
Bestimmtheitsgebot.
21 aa) Die dort aufgeführten E-Mail Accounts und Telefonanschlüsse sind hinreichend
konkret bezeichnet. Es geht um die Telefonanschlüsse, die den Beteiligten zu 3. und 4. mit
den Durchwahlnummern 1… und 1… bereitgestellt wurden, sowie deren
namensbezogene E-Mail Accounts.
22 bb) In der gebotenen Auslegung ist auch hinreichend deutlich, was unter der Nutzung zum
Aufruf zu einem Streik zu verstehen ist. Es geht um die Aufforderung zur Streikteilnahme in
einer E-Mail sowie die Verbreitung von Streikaufrufen von ver.di unter Nutzung des
namensbezogenen E-Mail Accounts an die bei der Arbeitgeberin beschäftigten
Arbeitnehmer. Entsprechendes gilt für die Nutzung der dienstlichen Telefonanschlüsse mit
der persönlichen Durchwahlnummer. Auch diese sollen nicht dazu genutzt werden,
Streikaufrufe von ver.di gegenüber den Mitarbeitern der Arbeitgeberin bekanntzugeben.
Mit dem Begriff „Aufruf“ ist eine nach Zeitpunkt, Ort und Teilnehmerkreis näher
bezeichnete Aufforderung zu einer konkreten Arbeitskampfmaßnahme gemeint (BAG
20. November 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 28). Was Streiks sind, ist im Einzelfall ohne
Weiteres feststellbar. Hierüber besteht zwischen den Parteien auch kein Streit.
23 cc) Die Nutzung der E-Mail Accounts und Telefonanschlüsse bei der „Durchführung eines
Streiks“ ist hinreichend bestimmt, wenn sich dieser Teil des Antrags auf das gesamte
Streikgeschehen bezieht. Insoweit handelt es sich um einen Globalantrag. Dass hiervon
auch nicht näher bezeichnete Verhaltensweisen erfasst sein können, macht den Antrag
nicht unbestimmt (vgl. BAG 20. Januar 2009 - 1 AZR 515/08 - Rn. 13, BAGE 129, 145).
24 dd) In der gebotenen Auslegung hat die Arbeitgeberin schließlich hinreichend deutlich von
den Beteiligten zu 3. und 4. hilfsweise verlangt, deren Durchwahlnummern in E-Mails, mit
denen Streikaufrufe von ver.di an die Mitarbeiter verbreitet oder weitergeleitet werden,
nicht anzugeben.
25 IV. Die so verstandenen Anträge sind nur teilweise begründet. Die von der Arbeitgeberin
geforderte Unterlassung folgt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht
bereits aus § 74 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG. Nach dieser Bestimmung sind
Maßnahmen des Arbeitskampfs zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unzulässig. Die
Verletzung dieser Neutralitätspflicht durch Mitglieder des Betriebsrats begründet keinen
betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsanspruch der Arbeitgeberin. Der
angefochtene Beschluss erweist sich in Bezug auf den Beteiligten zu 4. jedoch aus
anderen Gründen als teilweise richtig (§ 561 ZPO). Dieser hat es gemäß § 1004 Abs. 1
Satz 2 BGB zu unterlassen, den ihm von der Arbeitgeberin zugewiesenen
personenbezogenen E-Mail Account für die Verbreitung von Streikaufrufen von ver.di zu
nutzen. Weitergehende Ansprüche der Arbeitgeberin ergeben sich allerdings aus dieser
Bestimmung nicht.
26 1. Nach dem Wortlaut des § 74 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG sind Maßnahmen des
Arbeitskampfs zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat „unzulässig“. Ein
Unterlassungsgebot ist in dieser Bestimmung nicht ausdrücklich vorgesehen. Hiergegen
sprechen auch der systematische Gesamtzusammenhang des
Betriebsverfassungsgesetzes und die Konzeption des § 23 BetrVG. Danach steht dem
Betriebsrat bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen betriebsverfassungsrechtliche
Pflichten ein Unterlassungsanspruch zu, hingegen ist ein solcher zugunsten des
Arbeitgebers im Verhältnis zum Betriebsrat und seinen einzelnen Mitgliedern nicht
geregelt. Vielmehr begründen grobe Pflichtverletzungen des Betriebsrats oder einzelner
seiner Mitglieder nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG betriebsverfassungsrechtlich allein das
Recht des Arbeitgebers, die Auflösung des Betriebsrats oder den Ausschluss eines
Mitglieds des Betriebsrats beantragen zu können (BAG 17. März 2010 - 7 ABR 95/08 -
Rn. 26 ff., BAGE 133, 342; DKKW/Berg 13. Aufl. § 74 Rn. 89; Lobinger RdA 2011, 76, 80
Fn. 26; Schöne SAE 2011, 184, 186; ebenso bereits Konzen
Betriebsverfassungsrechtliche Leistungspflichten des Arbeitgebers, 1984 S. 68; aA
Bauer/Willemsen NZA 2010, 1089; Burger/Rein NJW 2010, 3613; ErfK/Kania 13. Aufl.
§ 74 BetrVG Rn. 37; Reichold RdA 2011, 58). Ein solches Verständnis entspricht auch
dem Gesetzeszweck des § 74 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG. Diese Norm konkretisiert
und ergänzt das Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit aus § 2 Abs. 1 BetrVG (vgl. BT-
Drucks. 6/1786 S. 46). Sie dient den Interessen der Betriebsallgemeinheit an der
Sicherung eines geordneten Betriebsablaufs und dem Betriebsfrieden. Hierdurch werden
den Betriebsparteien keine wechselseitigen individuellen Rechtspositionen vermittelt, die
Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs sein könnten (Koppenfels-Spies FS Blaurock
S. 213, 221 f.).
27 2. Die Arbeitgeberin kann ihr Unterlassungsbegehren auf § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB
stützen. Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer einer Sache, wenn sein Eigentum in
anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung beeinträchtigt wird, vom Störer
die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu
besorgen, kann er nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB auf Unterlassung klagen. Der
Anwendbarkeit von § 1004 BGB steht die betriebsverfassungsrechtliche Konzeption des
§ 23 BetrVG, die bei groben Amtspflichtverletzungen des Betriebsrats oder einzelner
seiner Mitglieder lediglich die Möglichkeit der gerichtlichen Auflösung des Betriebsrats
oder den Ausschluss einzelner seiner Mitglieder kennt, nicht entgegen (BAG 20. April
1999 - 1 ABR 72/98 - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 91, 210). Ein Verhältnis der Spezialität
zwischen beiden Regelungen ist schon deshalb ausgeschlossen, weil sie
unterschiedlichen Zwecken dienen. Während § 23 Abs. 1 BetrVG die
betriebsverfassungsrechtliche Ordnung im Verhältnis des Arbeitgebers zum Betriebsrat
und seiner Mitglieder gewährleistet, dient § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB dem privatrechtlichen
Schutz des Eigentums gegenüber jedermann. Beide Normen unterscheiden sich darüber
hinaus in ihren Voraussetzungen: Ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2
BGB setzt ein Verschulden des Störers nicht voraus; demgegenüber erfordert § 23 Abs. 1
BetrVG eine grobe Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten, dh. regelmäßig
ein vorwerfbares Verhalten.
28 3. Die Voraussetzungen des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB liegen in Bezug auf den
Beteiligten zu 4. vor. Dies gilt unabhängig davon, ob ihm die Arbeitgeberin die
Kommunikationstechnik mit E-Mail Account als Sachmittel nach § 40 Abs. 2 BetrVG oder
als Arbeitsmittel unabhängig von seiner Tätigkeit als Betriebsratsmitglied zur Verfügung
gestellt hat.
29 a) Handelte es sich um ein Sachmittel iSv. § 40 Abs. 2 BetrVG, konnte der Beteiligte zu 4.
den E-Mail Account der Arbeitgeberin nur für Betriebsratsarbeit nutzen. Hierzu zählt nicht
die Versendung von Streikaufrufen einer Gewerkschaft. Da hiermit die Mitarbeiter zu
Arbeitsniederlegungen mobilisiert werden sollen, handelt es sich um Maßnahmen des
Arbeitskampfs. Solche sind jedoch nach § 74 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG gegenüber
dem Arbeitgeber unzulässig. Eine derartige Nutzung der bereitgestellten
Kommunikationstechnik außerhalb der Betriebsratsarbeit durch den Beteiligten zu 4.
beeinträchtigt vielmehr das Eigentumsrecht der Arbeitgeberin, auch nachdem diese im
September 2010 ausdrücklich angeordnet hatte, dass das Internet und E-Mail System
ausschließlich für dienstliche Zwecke genutzt werden dürfe. Hierzu war sie berechtigt, weil
sie von ihrem Recht aus § 903 BGB Gebrauch gemacht hat, Art und Umfang der Nutzung
ihres Eigentums im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung näher zu bestimmen (vgl.
BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 26). Da der Beteiligte zu 4. mit der Versendung
oder Verbreitung von Streikaufrufen an Mitarbeiter keine im Arbeitgeberinteresse
liegenden dienstlichen Zwecke, sondern persönliche koalitionspolitische Ziele verfolgt,
nutzt er in diesen Fällen den bereitgestellten E-Mail Account bestimmungswidrig und
beeinträchtigt dadurch das Eigentumsrecht der Arbeitgeberin aus § 1004 Abs. 1 Satz 2
BGB.
30 b) Der Unterlassungsanspruch richtet sich gegen den Störer. Handlungsstörer ist
jedenfalls derjenige, der die Beeinträchtigung durch eigenes Handeln unmittelbar bewirkt
hat (BAG 20. Januar 2009 - 1 AZR 515/08 - Rn. 30, BAGE 129, 145). Danach ist der
Beteiligte zu 4. passivlegitimiert, da er mit Mail vom 11. April 2011 den Streikaufruf von
ver.di an die bei der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer versandt hat.
31 c) In Bezug auf den Beteiligten zu 4. besteht die nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB
erforderliche Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen (sog. Wiederholungsgefahr).
32 aa) Weitere Beeinträchtigungen sind grundsätzlich dann zu besorgen, wenn die objektive
Gefahr der erneuten Begehung einer konkreten Verletzungshandlung besteht. Die
Wiederholungsgefahr beschränkt sich dabei nicht auf die identische Verletzungsform,
sondern umfasst alle im Kern gleichgelagerten Verletzungsformen (vgl. BAG
20. November 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 79). Dabei wird die Besorgnis künftiger
Rechtsverletzungen durch bereits erfolgte Verletzungshandlungen grundsätzlich indiziert
(vgl. BAG 20. November 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 79). Eine Wiederholungsgefahr ist nur
dann ausgeschlossen, wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen keine erneute
Verletzungshandlung zu erwarten ist (vgl. BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 77/10 - Rn. 15).
33 bb) Hiernach besteht aufgrund der bereits erfolgten Beeinträchtigung des Eigentums der
Arbeitgeberin durch den Beteiligten zu 4. die Gefahr, dass dieser auch zukünftig den ihm
von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten E-Mail Account zur Versendung und
Verbreitung von Streikaufrufen verwenden wird. Die Besorgnis weiterer
Beeinträchtigungen wird dadurch bestätigt, dass sich der Beteiligte zu 4. gerichtlich wie
außergerichtlich einer entsprechenden Berechtigung weiter berühmt.
34 d) Der Anspruch der Arbeitgeberin ist nicht nach § 1004 Abs. 2 BGB ausgeschlossen.
Diese ist nicht verpflichtet, die Nutzung ihrer Informations- und
Telekommunikationstechnik zu Zwecken des Arbeitskampfs zu dulden. Eine solche
Duldungspflicht der Arbeitgeberin folgt insbesondere nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG zum
Schutz der individuellen Koalitionsfreiheit des Beteiligten zu 4.
35 aa) Nach § 1004 Abs. 2 BGB sind Ansprüche nach § 1004 Abs. 1 BGB ausgeschlossen,
wenn der Eigentümer zur Duldung der Beeinträchtigung verpflichtet ist. Eine Pflicht zur
Duldung kann auf gesetzlicher und/oder rechtsgeschäftlicher Grundlage bestehen (dazu
MüKoBGB/Baldus 6. Aufl. § 1004 Rn. 199 ff.).
36 bb) Eine Duldungspflicht der Arbeitgeberin ergibt sich nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG. Dessen
Schutzbereich beschränkt sich nicht auf Tätigkeiten, die für die Erhaltung und Sicherung
des Bestandes der Koalition unerlässlich sind, sondern umfasst alle koalitionsspezifischen
Verhaltensweisen durch die Koalition und ihre Mitglieder (BVerfG 14. November 1995 -
1 BvR 601/92 - zu B I 1 und 2 der Gründe, BVerfGE 93, 352). Mit der Versendung und
Verbreitung von Streikaufrufen nimmt der Beteiligte zu 4. als Mitglied von ver.di seine
individuelle Koalitionsfreiheit wahr. Da er hierbei jedoch das Eigentum der Arbeitgeberin
in Anspruch nimmt, kollidiert sein Handeln mit deren Rechtspositionen aus Art. 14 Abs. 1
GG. Zwischen diesen konfligierenden grundrechtlichen Gewährleistungen ist im Wege
einer Güterabwägung nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz ein schonender
Ausgleich mit dem Ziel ihrer Optimierung herbeizuführen (BVerfG 7. März 1990 - 1 BvR
266/86 ua. - zu B II 2 a der Gründe, BVerfGE 81, 278; BAG 20. November 2012 - 1 AZR
179/11 - Rn. 114). Dabei sind die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu
erfassen und so zu begrenzen, dass sie möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BAG
20. Januar 2009 - 1 AZR 515/08 - Rn. 38 - 40, BAGE 129, 145).
37 cc) Hiernach ist zu berücksichtigen, dass der Beteiligte zu 4. seine individuelle
Koalitionsfreiheit im Zusammenhang mit der Mobilisierung der Belegschaft zur Teilnahme
an einem Streik in vielfältiger Weise wahrnehmen kann. Ein gewerkschaftszugehöriger
Arbeitnehmer kann in persönlichen Gesprächen in Pausen und außerhalb des Betriebs
mündlich oder schriftlich auf Arbeitskollegen einwirken. Die Nutzung der
Kommunikationsmittel des Arbeitgebers einschließlich der von ihm erstellten und
gepflegten elektronischen Adresslisten für gewerkschaftliche Anliegen stellt für ihn in
diesem Zusammenhang zwar eine höchst effektive, aber keineswegs die einzige
Möglichkeit koalitionsspezifischer Betätigung dar. Zur Wahrnehmung dieses
Freiheitsrechts ist er nicht auf die Nutzung der arbeitgeberseitig zur Verfügung gestellten
betrieblichen Kommunikationsinfrastruktur angewiesen. Auch wenn auf diese Weise
Streikaufrufe einer Gewerkschaft schneller und zielgerichteter verbreitet und so deren
Kampfkraft gestärkt werden kann, bedarf es keines Rückgriffs auf Betriebsmittel der
Arbeitgeberin. Die Mobilisierung von Arbeitnehmern zur Streikteilnahme ist Aufgabe der
jeweiligen Koalition und ihrer Mitglieder (vgl. BAG 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 62,
BAGE 122, 134). Diese haben dazu ihre personellen und sächlichen Mittel einzusetzen.
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, hieran durch Bereitstellung eigener Betriebsmittel
mitzuwirken.
38 dd) Etwas anderes folgt auch nicht aus den richterrechtlichen Grundsätzen zur
gewerkschaftlichen Mitgliederwerbung durch E-Mails (vgl. dazu BAG 20. Januar 2009 -
1 AZR 515/08 - BAGE 129, 145). Der Eingriff durch Werbemaßnahmen in geschützte
Rechtsgüter der Arbeitgeber erfolgt in jenen Fällen von außen durch die Gewerkschaft.
Diese nimmt hierbei ihre kollektive Koalitionsfreiheit wahr und bedient sich eigener
Sachmittel. Die durch die Übersendung von Werbemails bedingte Beeinträchtigung der
Arbeitgeberbelange ist zudem eine andere als die, die durch die vom Beteiligten zu 4.
geforderte Möglichkeit der Nutzung von Betriebsmitteln der Arbeitgeberin zur Versendung
von Streikaufrufen der Gewerkschaft in einem gegen die Arbeitgeberin geführten Streik
entstünde. Hierdurch wird von der Arbeitgeberin nicht verlangt, an der eigenen
streikbedingten Schädigung durch die Bereitstellung von Betriebsmitteln mitzuwirken.
39 4. Der Antrag der Arbeitgeberin ist unbegründet, soweit sie eine Unterlassungsanordnung
für den Telefonanschluss des Beteiligten zu 4. verlangt. Hierfür fehlt die erforderliche
Wiederholungsgefahr (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Nutzung des E-Mail Accounts und
der Telefonanlage zur Weiterleitung oder Bekanntgabe von Streikaufrufen sind keine
kerngleichen Verletzungshandlungen. Dagegen spricht schon, dass die Nutzung des E-
Mail Accounts deutlich effektiver, einfacher und schneller ist als die Bekanntgabe eines
Streikaufrufs per Telefonanruf. Allein aus der Nutzung des E-Mail Accounts kann deshalb
nicht geschlossen werden, der Beteiligte zu 4. werde auch die Telefonanlage zu diesen
Zwecken nutzen.
40 5. Das Verlangen der Arbeitgeberin, dem Beteiligten zu 4. aufzugeben, seinen
Telefonanschluss und E-Mail Account nicht für die Durchführung eines Streiks zu nutzen,
ist unbegründet. Da der Antrag so zu verstehen ist, dass hiermit vom Beteiligten zu 4.
verlangt wird, die Nutzung der Telefonanlage und des E-Mail Accounts in allen
Angelegenheiten zu unterlassen, die mit einem Streik in Zusammenhang stehen, handelt
es sich um einen Globalantrag. Dieser erfasst allerdings auch Fallgestaltungen, in denen
die Nutzung dieser technischen Mittel erlaubt ist. Die Arbeitgeberin berücksichtigt nicht
genügend, dass der Betriebsrat auch während eines Arbeitskampfs mit allen Rechten und
Pflichten im Amt bleibt (BAG 13. Dezember 2011 - 1 ABR 2/10 - Rn. 25, BAGE 140, 113).
Der Beteiligte zu 4. kann deshalb seinen Telefonanschluss und E-Mail Account auch dann
nutzen, wenn sich Arbeitnehmer während des Arbeitskampfs an ihn in seiner Funktion als
Betriebsrat in Angelegenheiten wenden, in denen er weiterhin als Betriebsrat handeln
kann oder er in solchen Angelegenheiten tätig wird.
41 6. Der Hilfsantrag ist unbegründet. Der Feststellungsantrag ist im Umfang der Abweisung
des Hauptantrags aus den gleichen Erwägungen wie dieser unbegründet.
42 7. Die gegen den Beteiligten zu 3. gerichteten Anträge sind unbegründet. Dieser ist nicht
Handlungsstörer. Er hat lediglich sein nachträgliches Einverständnis mit der Verbreitung
des Streikaufrufs durch den Beteiligten zu 4. erklärt, jedoch nicht selbst daran mitgewirkt.
Gegen ihn käme daher nur ein vorbeugender Unterlassungsantrag in Betracht. Dieser
stellt jedoch einen anderen Streitgegenstand dar (BAG 20. November 2012 - 1 AZR
611/11 - Rn. 80 f.). Wird ein Unterlassungsbegehren zunächst nur mit einer
Wiederholungsgefahr begründet, kann dies in der Rechtsbeschwerde nicht auf eine
Erstbegehungsgefahr gestützt werden, weil dort kein neuer Streitgegenstand eingeführt
werden kann (BAG 20. November 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 82). Nachdem die
Arbeitgeberin in den Vorinstanzen zur Erstbegehungsgefahr keinen Vortrag gehalten hat,
scheidet eine Prüfung des gegen den Beteiligten zu 3. gerichteten Unterlassungsantrags
unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt aus.
Schmidt
Koch
Linck
Hayen
Rath