Urteil des BAG vom 14.03.2017

BAG (arbeitnehmer, freier mitarbeiter, beweislast, arbeitgeber, kündigung, ordentliche kündigung, beweismittel, mitarbeiter, arbeitsverhältnis, zpo)

Siehe auch:
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 26.6.2008, 2 AZR 264/07
Kleinbetriebsklausel - Darlegungslast
Leitsätze
Der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der in § 23 Abs. 1 KSchG
geregelten betrieblichen Geltungsvoraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes. Das gilt auch für die
am 1. Januar 2004 in Kraft getretene Neufassung des § 23 KSchG.
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
München vom 1. März 2007 - 2 Sa 589/06 - aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die
Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten im Revisionsverfahren über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf
Grund einer von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung und in diesem
Zusammenhang über die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes. Außerdem begehrt die
Klägerin Vergütungsansprüche.
2 Die Klägerin trat im Februar 2004 als Außendienstmitarbeiterin in die Dienste der Beklagten, die
Stammzellen aus Nabelschnurblut herstellt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich
zum 31. Mai 2005.
3 Die Beklagte hat betriebsbedingte Gründe für die Kündigung geltend gemacht, die von der Klägerin
bestritten worden sind. In erster Linie hat die Beklagte jedoch angeführt, sie habe bei Ausspruch
der Kündigung nur sieben Arbeitnehmer beschäftigt, weshalb die Klägerin die Sozialwidrigkeit der
Kündigung nach § 23 KSchG nicht geltend machen könne. Die Parteien haben zu dieser Frage im
Einzelnen wie folgt vorgetragen:
4 Die Klägerin hat behauptet, zur Zeit der Kündigung habe die Beklagte 14 Arbeitnehmer beschäftigt.
Neben den von der Beklagten genannten Personen seien dies der Laborleiter K, der
Herstellungsleiter Dr. Ka, der Dienstvorgesetzte der Klägerin M, die Geschäftsführerin Kn, der
ärztliche Direktor Prof. Dr. A sowie die Kontrollleiter S und F.
5 Die Beklagte hat unter Beweisantritt erwidert. Zur Zeit der Kündigung habe sie idR sieben
Arbeitnehmer gehabt. Davon sei Frau R nur mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von
20 Stunden im Labor tätig gewesen. Herr K sei bei einem anderen Arbeitgeber fest angestellt
gewesen. Für die Beklagte sei er als freier Mitarbeiter für die Sicherstellung des technischen
Equipments im Bereich der Kryokonservierung tätig gewesen. Auch Herr Dr. Ka sei freier
Mitarbeiter. Er überprüfe nach den gesetzlichen Vorgaben des Arzneimittelgesetzes die Einhaltung
der Herstellungsvorschriften. Herr S sei als freier Mitarbeiter Kontrollleiter im Sinne des
Arzneimittelgesetzes und für die Überprüfung der Herstellung der Stammzellen zuständig. Er
erteile die Freigabe zur Aufbewahrung der Stammzellen. Die Beklagte hat erstinstanzlich die freien
Mitarbeiterverträge dieser drei Personen vorgelegt. Herr M sei Mitglied des Beirats der Beklagten.
Er übe organschaftliche Befugnisse des Beirats aus, ein Arbeitsverhältnis bestehe nicht. Frau Kn
sei als Geschäftsführerin nicht Arbeitnehmerin. Auch zwischen Herrn Prof. Dr. A und der
Beklagten bestünden keine arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Er repräsentiere die Beklagte
lediglich als ärztlicher Leiter, übe aber keine betriebliche Funktion aus. Herr F sei kein Mitarbeiter
der Beklagten, sondern erbringe als externer Dritter Leistungen, die er in Rechnung stelle.
6 Hierauf hat die Klägerin ohne Beweisantritt bestritten, dass Frau R lediglich eine Arbeitszeit von 20
Wochenstunden habe. Sie sei vollschichtig tätig. Herr K befinde sich kalendertäglich zur
Erbringung seiner Tätigkeit im Geschäftsbetrieb der Beklagten. Seine Tätigkeit lasse sich nicht
aus der Ferne bewerkstelligen. Er sei abhängig im Hinblick auf die Zeit und den Ort der
Arbeitsleistung sowie die Art und Weise der Gestaltung der Tätigkeit. Er sei in den Betriebsablauf
der Beklagten eingegliedert und dem Weisungsrecht der Beklagten unterworfen. Starkes Indiz für
seine Eingliederung sei die zeitlich stark befristete Notwendigkeit, Nabelschnurblut einzufrieren, die
Eingliederung in die bestehenden Dienstpläne sowie die Pflicht zur ständigen Dienstbereitschaft.
Ähnliche Erwägungen würden für Herrn Dr. Ka gelten. Auch dieser sei weisungsabhängig und
bekomme von der Beklagten vorgeschrieben, zu welcher Zeit er vor Ort sein müsse und zu
welchem Zeitpunkt er Urlaub nehmen könne. Herr S sei in gleicher Weise weisungsgebunden. Die
Beklagte sei sein einziger Auftraggeber und er sei bedingt durch die ihm übertragene Tätigkeit
ständig in den Geschäftsräumen der Beklagten präsent. Herr Prof. Dr. A sei im Firmenbriefbogen
als ärztlicher Leiter aufgeführt. Es werde bestritten, dass er keine betriebliche Funktion habe. Auch
die Behauptungen der Beklagten bzgl. Herrn F seien unrichtig und würden bestritten. Diese
Behauptungen seien so unsubstantiiert, dass sie nicht einlassungsfähig seien. Insbesondere
werde nicht mitgeteilt, welche Leistungen er überhaupt für die Beklagte erbringe.
7 Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte als Arbeitgeberin trage die Darlegungs- und
Beweislast dafür, dass der nach § 23 Abs. 1 KSchG vorgesehene Schwellenwert nicht erreicht
sei. Dazu reiche der Vortrag der Beklagten nicht aus. Die behaupteten betriebsbedingten
Kündigungsgründe lägen nicht vor.
8 Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
I. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche
Kündigung vom 26. April 2005, zugegangen am 27. April 2005, nicht beendet worden
ist, sondern über den 31. Mai 2005 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
II.
Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
1. 5.200,00 Euro brutto nebst Zinsen von 5 %-Punkten über den Basiszins seit dem
1. Juli 2005,
2. 5.200,00 Euro brutto nebst Zinsen von 5 %-Punkten über den Basiszins seit dem
1. August 2005,
3. 5.200,00 Euro brutto nebst Zinsen von 5 %-Punkten über den Basiszins seit dem
1. September 2005,
4. 5.200,00 Euro brutto nebst Zinsen von 5 %-Punkten über den Basiszins seit dem
1. Oktober 2005,
5. 5.200,00 Euro brutto nebst Zinsen von 5 %-Punkten über den Basiszins seit dem
1. November 2005,
6. 5.200,00 Euro brutto nebst Zinsen von 5 %-Punkten über den Basiszins seit dem
1. Dezember 2005,
abzüglich 3.744,00 Euro netto (Krankengeld vom 1. Juni 2005 bis 27. Juni 2005),
140,79 Euro netto (Arbeitslosengeld vom 28. Juni 2005 bis 30. Juni 2005), 658,00 Euro
netto (weitere Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit) sowie 18.000,00 Euro brutto
(Arbeitseinkommen vom 1. Juli 2005 bis 30. November 2005) zu bezahlen.
9 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und ausgeführt, die Klägerin als Arbeitnehmerin
müsse die nach § 23 Abs. 1 KSchG maßgeblichen Voraussetzungen der Anwendbarkeit des § 1
KSchG darlegen und beweisen. Das sei ihr nicht gelungen. Die Kündigung sei abgesehen davon
aus betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt, weil die Beklagte ihren Außendienst wegen
Erfolglosigkeit abgeschafft habe.
10 Das Arbeitsgericht hat die Klage im hier interessierenden Umfang abgewiesen. Das
Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom
Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
11 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
12 A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Kündigung sei nicht sozialwidrig, weil die
darlegungsbelastete Klägerin nicht hinreichend zur Anwendbarkeit des
Kündigungsschutzgesetzes und zur Beschäftigung von in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmern
vorgetragen habe. Läge die Darlegungs- und Beweislast bei der Beklagten, so hätte über das
Vorbringen der Beklagten zu den Herren M, Prof. Dr. A, S und F Beweis erhoben werden müssen.
Entgegen einer in der Literatur verbreiteten Meinung sei jedoch auch für § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3
KSchG in der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung an der zum früheren Recht vertretenen
Auffassung des Bundesarbeitsgerichts festzuhalten. Danach liege die - abgestufte - Darlegungs-
und Beweislast bei der Klägerin als Arbeitnehmerin. Dem sei sie nicht gerecht geworden. Sie habe
zwar die Personen angegeben, die sie als Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt ansehe. Wenn
man deren Arbeitnehmereigenschaft annehme, gelte das Kündigungsschutzgesetz. Die
sachnähere Beklagte habe allerdings auf den Sachvortrag der Klägerin ausführlich und
substantiiert erwidert und Tatsachen und Umstände vorgetragen, aus denen sich ergeben solle,
dass die genannten Personen keine Arbeitnehmer seien. Demgegenüber habe die Klägerin
jedenfalls die Arbeitnehmereigenschaft der Geschäftsführerin der Beklagten, des Herrn M, des
ärztlichen Direktors Prof. Dr. A, des Herrn S sowie des Herrn F nicht hinreichend dargelegt. Der
Klägerin werde mit der Auferlegung der Darlegungslast nichts Unzumutbares auferlegt. Sie habe
sich bei den Personen, deren Arbeitnehmerstatus streitig sei, erkundigen oder andere Mitarbeiter
fragen können.
13 B. Dem stimmt der Senat in einem Teil der Begründung, nicht aber im Ergebnis zu.
14 I. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat, steht noch nicht fest.
15 1. Auf die Frage, ob die Kündigung sozialwidrig iSd. § 1 KSchG und damit rechtsunwirksam ist,
kommt es nur an, wenn § 1 KSchG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar ist. Nach
§ 23 Abs. 1 Satz 1 ist ua. § 1 KSchG dann nicht anwendbar, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt
beim Arbeitgeber idR zehn oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt waren. Das
Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die Beklagte mehr
als zehn Arbeitnehmer beschäftigt habe. Dieser Mangel der Darlegung gehe nach § 23 Abs. 1
Satz 3 KSchG zu Lasten der Klägerin.
16 a) Zutreffend weist das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass die Frage, wie im Rahmen des § 23
Abs. 1 KSchG die Darlegungs- und Beweislast auf die Prozessparteien des
Kündigungsschutzprozesses zu verteilen ist, in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich
beurteilt wird.
17 aa) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats, die er, wie auch das Landesarbeitsgericht
gesehen hat, zuletzt ausdrücklich auf § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG in der bis zum 31. Dezember
2003 maßgeblichen Fassung beschränkt hat, trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und
Beweislast für das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen für eine Geltung des
Kündigungsschutzgesetzes (4. Juli 1957 - 2 AZR 86/55 - BAGE 4, 203, 207; 9. September 1982 -
2 AZR 253/80 - BAGE 40, 145, 156; 18. Januar 1990 - 2 AZR 355/89 - AP KSchG 1969 § 23 Nr. 9
= EzA KSchG § 23 Nr. 9; 15. März 2001 - 2 AZR 151/00 - EzA KSchG § 23 Nr. 23; zuletzt:
24. Februar 2005 - 2 AZR 373/03 - AP KSchG 1969 § 23 Nr. 34 = EzA KSchG § 23 Nr. 28; von
Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 23 Rn. 28; APS/Moll 3. Aufl. § 23 KSchG Rn. 48 mwN)
. Danach gehört ein solcher Vortrag grundsätzlich zur Begründung der Klage.
18 bb) Dabei hat der Senat schon mehrfach deutlich gemacht, dass an die Erfüllung der
Darlegungslast durch den Arbeitnehmer keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt dem objektiven Gehalt der
Grundrechte, hier des Art. 12 GG, im Verfahrensrecht eine hohe Bedeutung zu (27. Januar 1998 -
1 BvR 15/87 - BVerfGE 97, 169) . Der Stellenwert der Grundrechte muss sich insbesondere in
der Darlegungs- und Beweislastverteilung widerspiegeln (s. auch BAG 23. März 1984 - 7 AZR
515/82 - BAGE 45, 259; 18. Januar 1990 - 2 AZR 355/89 - AP KSchG 1969 § 23 Nr. 9 = EzA
KSchG § 23 Nr. 9; 15. März 2001 - 2 AZR 151/00 - EzA KSchG § 23 Nr. 23) . Dies gilt um so
mehr, als der Arbeitgeber auf Grund seiner Sachnähe ohne Weiteres substantiierte Angaben zum
Umfang und zur Struktur der Mitarbeiterschaft und ihrer arbeitsvertraglichen Vereinbarungen
machen kann. Dementsprechend genügt der Arbeitnehmer regelmäßig seiner Darlegungslast,
wenn er die für eine entsprechende Arbeitnehmerzahl sprechenden Tatsachen und ihm bekannten
äußeren Umstände schlüssig darlegt. Der Arbeitgeber muss dann nach § 138 Abs. 2 ZPO im
Einzelnen erklären, welche rechtserheblichen Umstände gegen solche substantiierten
Darlegungen des Arbeitnehmers sprechen (Senat 18. Januar 1990 und 15. Januar 2001 - 2 AZR
355/89 - und - 2 AZR 151/00 - aaO) .
19 cc) Demgegenüber haben sich insbesondere seit der Heraufsetzung des Schwellenwertes in § 23
Abs. 1 Satz 2 KSchG die Stimmen derer gemehrt, die dem Arbeitgeber die Darlegungs- und
Beweislast auferlegen wollen (HWK/Pods/Quecke 2. Aufl. § 23 KSchG Rn. 17; KR-Weigand
8. Aufl. § 23 KSchG Rn. 54a ff.; ErfK/Kiel 8. Aufl. § 23 KSchG Rn. 20; Löwisch/Spinner
Kommentar zum KSchG 9. Aufl. § 23 Rn. 25; Mittag ArbuR 2005, 190; Spinner BB 2006, 154;
Gravenhorst FA 2007, 201; Müller DB 2005, 2022).
20 dd) Dennoch hält der Senat an der bisherigen Auffassung fest (ebenso: APS/Moll 3. Aufl. § 23
KSchG Rn. 48; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 23 Rn. 48 ff.; HaKo-Pfeiffer KSchR
3. Aufl. § 23 KSchG Rn. 37; Thüsing/Laux/Lembke-Thüsing KSchG § 23 Rn. 25; Bödecker in:
Reformiertes Arbeitsrecht Kapitel 2 Rn. 36; Zundel NJW 2006, 3467; Krügermeyer-Kalthoff
MDR 2006, 130; zögernd: AnwK-ArbR/Eylert § 23 KSchG Rn. 44) . Für sie sprechen die besseren
Argumente:
21 (1) Wenn auch die Voraussetzungen der Nichtanwendbarkeit des materiellen
Kündigungsschutzrechts in ein sprachliches Gewand gekleidet sind, das ein Verständnis der
Norm als Einwendungstatbestand nahezulegen scheint, so lässt sich doch nicht übersehen, dass
der Sache nach mit § 23 KSchG eine Anspruchsvoraussetzung beschrieben ist. “Sozial
ungerechtfertigt”kann eine Kündigung nur bei Überschreitung des Schwellenwerts sein. Nur dann
kann der Arbeitnehmer die fehlende soziale Rechtfertigung mit der in § 4 Satz 1 KSchG geregelten
Klage geltend machen.
22 (2) Ferner hat der Gesetzgeber den Wortlaut des § 23 KSchG trotz verschiedentlicher
Neuregelungen im hier maßgeblichen Punkt unverändert gelassen, obwohl ihm die seit
Jahrzehnten bestehende bisherige Rechtsprechung bekannt war. Dies spricht dafür, dass er sie
gebilligt hat und auch die Neufassung im bisherigen Sinne verstanden wissen wollte.
23 (3) Nichts anderes folgt aus dem Gesichtspunkt der Sachnähe. Zwar ist der Arbeitgeber nahezu
immer derjenige, der von allen denkbaren Personen am besten weiß, wer zu welcher Zeit bei ihm
in welcher Weise beschäftigt war. Abgesehen von Sonderfällen kennt der Arbeitgeber zumindest
deutlich besser als jeder Arbeitnehmer die entsprechenden Tatsachen und kann sie ohne
Schwierigkeiten in den Prozess einführen. Diesem Umstand trägt aber schon die bisherige
Rechtsprechung Rechnung, weil sie dem Arbeitgeber die - sekundäre - Vortragslast für alle in
seine Sphäre fallenden Tatsachen auferlegt.
24 (4) Richtig ist, dass durch die Heraufsetzung des Schwellenwerts die Darlegung für den
Arbeitnehmer schwieriger geworden ist. Von den nunmehr aus dem Geltungsbereich
herausgenommenen Unternehmen kann nicht generell gesagt werden, es handele sich um kleine
und für jeden Arbeitnehmer leicht einsichtige, weil letztlich abzählbare, Verhältnisse. Unter
Einbeziehung von Teilzeitbeschäftigten kann es sich bei den Kleinbetrieben nach dem jetzigen
Recht um solche handeln, die bis zu 20 Arbeitnehmer beschäftigen. Es kann geschehen, dass ein
Arbeitnehmer unter solchen Umständen sogar von der Existenz anderer Arbeitnehmer nichts weiß
und nichts wissen kann. Indes gereicht dieser Umstand dem Arbeitnehmer schon bei Anwendung
der bisherigen Rechtsprechung nicht zum Nachteil, da vom Arbeitnehmer nur der Vortrag der ihm
bekannten Tatsachen verlangt wird und der Arbeitgeber sich daraufhin vollständig und
wahrheitsgemäß erklären muss. Außerdem waren die am 30. September 1996 und die am
31. Dezember 1998 außer Kraft getretenen Regelungen für den Arbeitnehmer noch deutlich
ungünstiger und unübersichtlicher, was die mögliche Anzahl von Mitarbeitern in Kleinbetrieben
betrifft. So zählten geringfügig (bis 10 Std./Woche) Beschäftigte bis 30. September 1996 überhaupt
nicht mit (vgl. dazu BVerfG 27. Januar 1998 - 1 BvL 22/93 - BVerfGE 97, 186) . Vom 1. Oktober
1996 bis 31. Dezember 1998 war je nach Stundenzahl der Mitarbeiter in Anteilen von 0,25, 0,5,
0,75 und 1 Stelle zu rechnen. Gleichwohl hat der Senat auch in dieser Zeit an seiner
Rechtsprechung festgehalten.
25 (5) Zu berücksichtigen ist weiter folgende Überlegung: Wollte man die Beweislast für die
Nichterreichung des Schwellenwerts dem Arbeitgeber auferlegen, so hieße das, von ihm den
Beweis einer negativen Tatsache zu verlangen. Die Auferlegung der Beweislast für eine negative
Tatsache (probatio diabolica) ist zwar nicht schlechthin unzulässig (MünchKommZPO/Prütting
3. Aufl. § 286 Rn. 122) . Sie begegnet meist bei anspruchsbegründenden Tatsachen und zwar in
Fällen, in denen für die korrespondierende positive Tatsache gewisse oder sogar erhebliche
Anhaltspunkte sprechen (vgl. BGH 28. Februar 2007 - XII ZR 95/04 - BGHZ 171, 232 - Beweislast
für die Behauptung, eine Ehe sei nicht geschieden als Voraussetzung einer Restitutionsklage;
BGH 18. Mai 2005 - VIII ZR 368/03 - MDR 2005, 1218 - fehlender Eigenbedarf des Vermieters als
Voraussetzung für Schadensersatzansprüche des Mieters; OLG Düsseldorf 16. August 2005 -
20 U 123/05 - GRUR 2006, 673 - Beweislast für das “Nichterschienensein” einer Vivaldi-Oper bis
zum Jahre 2005 als Voraussetzung eines Anspruchs nach § 71 UrhG). Sie wäre aber für den
Arbeitgeber im Rahmen des § 23 KSchG eine - ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des Art. 12
GG - erhebliche Belastung: Der Arbeitnehmer könnte mit der bloßen Behauptung, es gebe noch
diesen oder jenen weiteren Arbeitnehmer, dessen Nichtvorhandensein nachzuweisen naturgemäß
schwierig - wenn nicht unmöglich - sein kann, einen ihm in Wahrheit nicht zustehenden
Kündigungsschutz erreichen. In der Wirkung gleicht die Beweislast für eine negative Tatsache
(Schwellenwert nicht erreicht) der widerleglichen Vermutung der entsprechenden positiven
Tatsache (Schwellenwert erreicht) . Angesichts des Umstandes, dass etwa 80 vH der Betriebe in
Deutschland den Schwellenwert nicht erreichen (vgl. AnwK-ArbR/Eylert § 23 KSchG Rn. 41 mwN)
, stünde die Verschiebung der Beweislast auf den Arbeitgeber in Widerspruch zu den tatsächlichen
Verhältnissen, auf die sie sich bezöge.
26 (6) All dem kann am Besten mit den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast
Rechnung getragen werden. Dabei ist darauf zu achten, dass vom Arbeitnehmer nicht
Darlegungen verlangt werden, die er mangels eigener Kenntnismöglichkeiten nicht erbringen kann.
Vielmehr genügt er seiner Darlegungslast - bei fehlender eigener Kenntnismöglichkeit - bereits
durch die bloße Behauptung, der Arbeitgeber beschäftige mehr als zehn Arbeitnehmer. Es ist dann
Sache des Arbeitgebers, sich vollständig über die Anzahl der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer
unter Benennung der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel zu erklären. Zu den
Beweismitteln können Vertragsunterlagen, Auszüge aus der Lohnbuchhaltung, Zeugen usw.
gehören. Hierzu muss daraufhin der Arbeitnehmer Stellung nehmen und Beweis antreten. Hat der
Arbeitnehmer keine eigenen Kenntnisse über die vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen, kann
er sich auf die sich aus dem Vorbringen des Arbeitgebers ergebenden Beweismittel stützen und
die ihm bekannten Anhaltspunkte dafür vortragen, dass entgegen den Angaben des Arbeitgebers
der Schwellenwert doch erreicht ist. Lediglich im Falle der Unergiebigkeit der daraufhin vom
Gericht erhobenen Beweise (non liquet) trifft den Arbeitnehmer die objektive Beweislast
(MünchKomm/Prütting 3. Aufl. § 286 ZPO Rn. 100).
27 2. Im Streitfall ist das Landesarbeitsgericht zwar von den vorstehenden Grundsätzen
ausgegangen, hat ihnen aber bei der Anwendung auf die gegebene Prozesslage nicht in vollem
Umfang Rechnung getragen.
28 a) Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast greifen ein, wenn ein darlegungspflichtiger
Kläger außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht, aber der
Beklagte alle wesentlichen Tatsachen kennt. Bei dieser Sachlage muss der Beklagte den Vortrag
des Klägers substantiiert bestreiten, wenn er ihm entgegentreten will. Einfaches Bestreiten genügt
nicht, sofern nähere Angaben zumutbar sind (vgl. zuletzt BGH 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 -
NJW 2008, 982 “Partnervermittlung - Lockvogel Bea”; 24. November 1998 - VI ZR 388/97 -
NJW 1999, 714 “Aufrechnungsverbot wegen Veruntreuung”; 1. Dezember 1982 - VIII ZR 279/81 -
BGHZ 86, 23 “Pfändbarkeit von Tagessalden”) . Trägt der sekundär Darlegungspflichtige
ausreichend vor, benennt aber keine Beweismittel, so kann dies vom Tatsachengericht zwar nicht
als Verletzung der sekundären Darlegungslast nach § 138 ZPO, wohl aber nach § 286 ZPO uU als
Beweisvereitelung berücksichtigt werden (BGH 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 - aaO) . Benennt
der sekundär Darlegungspflichtige dagegen Beweismittel, etwa auch Zeugen, so kann der primär
Darlegungspflichtige, hier die Klägerin, sich der vom Gegner benannten Beweismittel bedienen.
Auf diese Möglichkeit ist der primär Darlegungspflichtige nach § 139 ZPO hinzuweisen, wenn er
sie erkennbar übersehen hat (vgl. OLG Stuttgart 15. Februar 2007 - 901 Kap 1/06 - ZIP 2007, 481)
.
29 b) Danach ist die Klägerin, wie auch das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, ihrer primären
Darlegungslast nachgekommen. Nachdem daraufhin die Beklagte ihrerseits ausführlich und
substanziell erwidert und auch Beweismittel benannt hat, genügte die Klägerin ihrer
Darlegungslast, indem sie alle ihr bekannten Umstände benannte, die den Behauptungen der
Beklagten widersprachen. Ferner konnte sich die Klägerin für ihre bestreitenden Behauptungen auf
die von der Beklagten mitgeteilten Beweismittel berufen. Darauf hätte das Landesarbeitsgericht die
Klägerin hinweisen müssen. Dagegen besteht keine Verpflichtung einer Prozesspartei, ihrerseits
und außerhalb des Gerichts an Zeugen heranzutreten und sie zu ihren Rechtsverhältnissen mit
der Gegenpartei zu befragen, um alsdann gegebenenfalls vorzutragen und Beweis antreten zu
können.
30 c) Entsprechend diesen Grundsätzen wird das Landesarbeitsgericht nunmehr den Rechtsstreit
weiterzuführen haben.
31 II. Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass mit der bisher gegebenen Begründung auch die
Zahlungsanträge nicht abgewiesen werden durften. Auch insoweit muss das Berufungsurteil
aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.
Rost
Berger
Schmitz-Scholemann
Grimberg
Heise