Urteil des BAG vom 14.10.2008

BAG (arbeitnehmer, kläger, aufstockung, arbeitsentgelt, rechtsverordnung, land, arbeitgeber, berechnung, arbeitszeit, höhe)

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 14.10.2008, 9 AZR 466/07
Neuregelung für Altersteilzeitarbeitsverhältnisse mit Beginn ab 1. Juli 2004 - Auslegung § 5 Abs 3
AltTZTV - dynamische Verweisung auf gesetzliche Vorschriften - Mindestnettobetrag
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-
Anhalt vom 17. April 2007 - 8 Sa 23/07 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
1 Die tarifgebundenen Parteien streiten über die Höhe der tariflichen Aufstockung der
Altersteilzeitvergütung des Klägers.
2 Der 1950 geborene Kläger war bei dem beklagten Land auf der Grundlage des BAT-O und der ihn
ergänzenden und ersetzenden Tarifverträge als vollbeschäftigter Angestellter tätig. Seine
monatliche Vergütung betrug zuletzt 5.547,30 Euro brutto (3.855,30 Euro netto). Mit
Änderungsvertrag vom 13. Dezember 2003 vereinbarten die Parteien auf der Grundlage des
Altersteilzeitgesetzes vom 23. Juli 1996 (BGBl. I S. 1078) und des Tarifvertrags zur Regelung der
Altersteilzeit (TV ATZ) vom 5. Mai 1998 in der jeweils geltenden Fassung für die Zeit vom 15. April
2005 bis 30. April 2010 ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis.
3 Nach § 4 TV ATZ erhält der Arbeitnehmer während des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses die
Bezüge, die seiner tatsächlich geleisteten Teilzeitarbeit entsprechen. Die weiteren
Entgeltbestimmungen des TV ATZ lauten auszugsweise:
§ 5
Aufstockungsleistungen
(1) Die dem Arbeitnehmer nach § 4 zustehenden Bezüge zuzüglich des darauf entfallenden
sozialversicherungspflichtigen Teils der vom Arbeitgeber zu tragenden Umlage zur
Zusatzversorgungseinrichtung werden um 20 vH dieser Bezüge aufgestockt
(Aufstockungsbetrag). …
(2) Der Aufstockungsbetrag muss so hoch sein, dass der Arbeitnehmer 83 vH des
Nettobetrages des bisherigen Arbeitsentgelts erhält (Mindestnettobetrag). Als bisheriges
Arbeitsentgelt ist anzusetzen das gesamte, dem Grunde nach beitragspflichtige
Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer für eine Arbeitsleistung bei bisheriger wöchentlicher
Arbeitszeit (§ 3 Abs. 1 Unterabs. 2) zu beanspruchen hätte; …
(3) Für die Berechnung des Mindestnettobetrages nach Absatz 2 ist die Rechtsverordnung
nach § 15 Satz 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes zugrunde zu legen. Sofern das bei
bisheriger Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt nach Absatz 2 Unterabs. 1 Satz 2 das
höchste in dieser Rechtsverordnung ausgewiesene Arbeitsentgelt übersteigt, sind für die
Berechnung des Mindestnettobetrages diejenigen gesetzlichen Abzüge anzusetzen, die
bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des
Altersteilzeitgesetzes).“
4 Die in § 5 Abs. 3 TV ATZ genannten Vorschriften des AltTZG wurden durch das Dritte Gesetz für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I 2848, 2910)
geändert. Die neuen Regelungen gelten für Altersteilzeitarbeitsverhältnisse mit Beginn ab 1. Juli
2004 (§ 15g Satz 1 AltTZG nF). Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AltTZG nF ist das
Regelarbeitsentgelt um mindestens 20 vH aufzustocken; ein Mindestnettobetrag muss nicht mehr
vereinbart werden. Dennoch ermächtigt § 15 AltTZG nF das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales (BMAS) weiterhin zur Bestimmung der Mindestnettobeträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. a AltTZG aF.
5 Das zuständige Ministerium erließ durch Rechtsverordnung vom 15. Dezember 2004 (BGBl. I
S. 3470) mit Wirkung zum 1. Januar 2005 die Mindestnettobetragstabelle 2005 (MindNettoV) über
die Mindestnettobeträge von 70 vH für die monatlichen Arbeitsentgelte bis einschließlich
5.200,00 Euro brutto. Diese Tabelle wurde ohne Änderung für das Jahr 2006 fortgeschrieben. Als
Arbeitshilfe für die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes veröffentlichte das Bundesministerium des
Inneren eine Tabelle über die auf 83 vH hochgerechneten Mindestbeträge bis zu einem
Bruttoentgelt von monatlich 15.000,00 Euro (GMBl. 2005, S. 107). Der auf dieser Grundlage von
dem beklagten Land ermittelte und gezahlte Nettoauszahlungsbetrag belief sich auf monatlich
3.017,98 Euro.
6 Der Kläger meint, ihm stünde ein um 181,67 Euro monatlich höherer Betrag zu. Die Tabellenwerte
seien unmaßgeblich. Die Rechtsverordnung gälte nur für Altfälle, dh. solche
Altersteilzeitarbeitsverhältnisse, die vor dem 1. Juli 2004 begonnen hätten. § 5 Abs. 3 TV ATZ sei
nicht anzuwenden. Die durch § 5 Abs. 2 TV ATZ garantierte Aufstockung auf mindestens 83 vH
seines bisherigen Nettoentgelts sei deshalb individuell aus seinem vor dem Wechsel in die
Altersteilzeit tatsächlich bezogenen Nettoentgelt zu ermitteln.
7 Der Kläger hat zuletzt beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn für den Zeitraum 15. April 2005 bis 30. November
2006 Arbeitsentgelt in Höhe von 3.542,57 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz aus 2.634,22 Euro seit dem 30. Juni 2006 sowie aus weiteren
908,35 Euro seit dem 27. Oktober 2006 zu zahlen.
8 Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
9 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des
Klägers zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat gegen das beklagte Land für die Zeit vom 15. April
2005 bis 30. November 2006 keinen Anspruch auf weitere Altersteilzeitvergütung. Das beklagte
Land hat den Mindestnettobetrag von 83 vH des bisherigen Nettoarbeitsentgelts zu Recht
pauschalisierend ermittelt. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass der
Mindestnettobetrag nicht auf der Grundlage des vom Kläger tatsächlich zuletzt bezogenen
Nettoentgelts zu bemessen war.
11 I. Ein Anspruch ergibt sich nicht aus dem Änderungsvertrag.
12 Der Änderungsvertrag vom 13. Dezember 2003 regelt die dem Kläger während des
Altersteilzeitarbeitsverhältnisses zustehende Vergütung nicht eigenständig. § 3 des
Änderungsvertrags verweist hierfür auf die Bestimmungen des TV ATZ in der jeweiligen Fassung,
die auch aufgrund der beiderseitigen Tarifbindung der Parteien (§ 4 Abs. 1 TVG) anzuwenden sind.
13 II. Aus § 5 Abs. 2 TV ATZ lässt sich der erhobene Anspruch nicht herleiten. Das beklagte Land ist
nicht verpflichtet, der monatlich geschuldeten Aufstockung die individuellen Hebe- und
Beitragssätze des Klägers zugrunde zu legen. Der Anspruch des Klägers beschränkt sich auf eine
pauschalierte Bemessung nach Maßgabe der vom BMAS in die Mindestnettobetragstabelle
eingearbeiteten generellen Merkmalen. Diesen Anspruch hat das beklagte Land nach dem
Vorbringen des Klägers erfüllt.
14 1. Die Tarifvertragsparteien haben die Änderung des AltTZG nicht zum Anlass genommen, die
Bemessung des garantierten Mindestnettobetrags zu ändern. § 5 Abs. 3 Satz 1 TV ATZ verweist
unverändert auf eine Rechtsverordnung nach § 15 Satz 1 Nr. 1 AltTZG, obwohl es im Gesetz
keine „Nr. 1“ mehr gibt. § 5 Abs. 3 Satz 2 TV ATZ verweist weiterhin für die Berechnung des
Mindestnettobetrags auf § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AltTZG, obwohl die gesetzliche
Mindestaufstockung für Altersteilzeitarbeitsverhältnisse, die wie das des Klägers nach dem 30.
Juni 2004 begonnen haben, inzwischen ausschließlich an das Bruttoentgelt anknüpft. In der
Neufassung des AltTZG vom 23. Dezember 2003 findet sich der von den Tarifvertragsparteien
verwendete Begriff „Mindestnettobetrag“ überhaupt nicht mehr.
15 Gleichwohl sind diese Verweisungen nicht ohne weiteres „gegenstandslos“. Entgegen der
Revision sind sie nicht „entfallen“. Verweisungen in einem Tarifvertrag auf gesetzliche Vorschriften
beruhen auf unterschiedlichen Gründen und verfolgen unterschiedliche Zwecke. So kann eine
Verweisung ausschließlich der Entlastung des Tariftextes dienen oder als bloßer Hinweis auf eine
ohnehin bestehende Regelung zu verstehen sein. Sie kann auch die in Bezug genommene
Regelung eigenständig zum Inhalt des Tarifvertrags machen. Dabei bleibt es den
Tarifvertragsparteien überlassen, ob die in Bezug genommene gesetzliche Regelung statisch oder
dynamisiert übernommen wird (vgl. BAG 30. August 2000 - 5 AZR 524/99 - zu I 1 der Gründe, AP
TVG § 1 Tarifverträge: Milch- und Käseindustrie Nr. 3). Welche Rechtsfolgen die Änderung einer in
Bezug genommenen gesetzlichen Vorschrift hat, richtet sich deshalb nach dem durch Auslegung
zu ermittelnden Inhalt der Tarifvorschrift.
16 2. Hier haben die Tarifvertragsparteien die gesetzlichen Vorschriften eigenständig und dynamisiert
zum Inhalt von § 5 Abs. 3 TV ATZ gemacht. Das folgt aus dem Zusammenspiel der tariflichen
Regelungen mit den gesetzlichen Vorgaben und dem mit der Verweisung erkennbar verfolgten
Zweck.
17 a) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AltTZG in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung war
das vom Arbeitgeber während des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses zu zahlende
Bruttoarbeitsentgelt um mindestens 20 vH des Arbeitsentgelts aufzustocken, mindestens auf 70
vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten
bisherigen Arbeitsentgelts iSd. § 6 Abs. 1 AltTZG (Mindestnettobetrag). Bisheriges Arbeitsentgelt
iSd. § 6 Abs. 1 AltTZG aF war das Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer in Altersteilzeit für eine
Arbeitsleistung bei bisheriger wöchentlicher Arbeitszeit zu beanspruchen hätte, soweit es die
Beitragsbemessungsgrenze des SGB III nicht überstieg. § 15 Satz 1 Nr. 1 AltTZG aF ermächtigte
das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die Mindestnettobeträge nach § 3 Abs. 1
Nr. 1 Buchst. a AltTZG aF durch Rechtsverordnung (Mindestnettolohntabelle) festzulegen. Nach
§ 15 Satz 2 AltTZG aF galten § 132 Abs. 3 und § 136 SGB III entsprechend.
18 b) An diese Regelung knüpfen die tariflichen Entgeltbestimmungen an.
19 aa) Nach § 5 Abs. 1 TV ATZ ist das dem Arbeitnehmer nach § 4 TV ATZ für seine tatsächlich
geleistete Teilzeitarbeit zu zahlende Bruttoentgelt um 20 vH aufzustocken. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1
TV ATZ ist zusätzlich eine auf das Nettoeinkommen bezogene Vergleichsberechnung
durchzuführen. Der Arbeitnehmer hat danach Anspruch auf einen Mindestnettobetrag. Er beträgt
mindestens 83 vH des Nettobetrags des bei regelmäßiger Arbeitszeit zustehenden
Vollzeitarbeitsentgelts.
20 bb) Die Berechnung des garantierten Mindestnettobetrags richtet sich nach § 5 Abs. 3 TV ATZ.
Die Vorschrift differenziert:
21 Satz 1 verweist auf die Rechtsverordnung nach § 15 Satz 1 Nr. 1 AltTZG. Bestandteil der von dem
zuständigen Ministerium jährlich zu erlassenen Verordnung war die Mindestnettobetragstabelle.
Sie wies auf fünf Euro aufgerundete (§ 132 Abs. 3 SGB III aF) Bruttoentgelte aus und ordnete
ihnen - gestaffelt nach den Lohnsteuerklassen - Mindestnettobeträge zu. Die Differenz zwischen
dem Bruttoentgelt und dem ausgewiesenen Mindestnettobetrag war nach § 136 SGB III aF zu
ermitteln. Mit Blick auf die Verweisung in § 15 Satz 2 AltTZG auf das Recht der
Arbeitslosenversicherung waren die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Abzüge (§ 136
Abs. 1 SGB III aF) anzusetzen. Diese wiederum richteten sich nach den in § 136 Abs. 2 Satz 2
Nr. 1 bis 8 SGB III aF im Einzelnen aufgeschlüsselten Hebe- und Beitragssätzen.
22 Übersteigt das bisherige Arbeitsentgelt das höchste in der Rechtsverordnung ausgewiesene
Arbeitsentgelt, greift Satz 2 ein. Für die Berechnung des Mindestnettobetrags sind dann diejenigen
gesetzlichen Abzüge anzusetzen, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen. Zugleich wird auf die
gesetzliche Bestimmung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AltTZG verwiesen. Daraus ergibt sich
eine in sich stimmige und vollständige Regelung: Dem Mindestnettobetrag sollen die Merkmale
zugrunde gelegt werden, die in die durch Verordnung aufgestellte Mindestnettobetragstabelle
einzuarbeiten sind. Auf das vom Arbeitnehmer vor dem Wechsel in die Altersteilzeit erhaltene
tatsächliche Nettoarbeitsentgelt soll es nach dem erklärten Willen der Tarifvertragsparteien
demnach in keinem der in § 5 Abs. 3 TV ATZ geregelten Sachverhalte ankommen.
23 c) Trotz der Umstellung des AltTZG von einer nettoentgeltbezogenen Mindestaufstockung auf eine
am Bruttoentgelt orientierten Aufstockung haben die Tarifvertragsparteien an der tariflichen
Bemessung nach pauschalierenden Merkmalen festgehalten.
24 aa) Die Tarifvertragsparteien haben mit der Erhöhung des (früheren) gesetzlichen Mindestsatzes
von 70 vH auf 83 vH des sog. Hätte-Entgelts (§ 5 Abs. 2 TV ATZ) eine eigenständige Regelung
getroffen, die von der Gesetzesänderung unberührt geblieben ist.
25 bb) Entgegen der Revision ist auch die tarifliche Bemessungsmethode des Mindestsatzes (§ 5
Abs. 3 TV ATZ) unverändert geblieben. Die Tarifvertragsparteien haben mit dem Rückgriff auf die
Mindestnettobetragstabelle an der bewährten und einfachen Methode festhalten wollen (vgl. Senat
29. Juli 2003 - 9 AZR 450/02 - zu I 2 b der Gründe, BAGE 107, 129; 18. März 2003 - 9 AZR 61/02 -
ZTR 2003, 451). Dass dieses Vereinfachungsziel in § 5 Abs. 3 TV ATZ nicht gesondert erwähnt
wird, ist entgegen der Auffassung des Klägers unerheblich. Der mit einer tariflichen Regelung
verfolgte Zweck muss nicht ausdrücklich formuliert werden.
26 cc) Ohne Erfolg macht der Kläger auch geltend, der effektive Mindestnettolohn könne unschwer
aufgrund der dem Arbeitgeber vorliegenden persönlichen Daten des Arbeitnehmers errechnet
werden. Die Tarifvertragsparteien haben die typisierende Betrachtung gewählt. Sie haben damit
bewusst die Möglichkeit einer individuellen Berechnung ausgeschlossen (vgl. Senat 29. Juli 2003 -
9 AZR 450/02 - zu I 3 a cc der Gründe, BAGE 107, 129).
27 dd) Die Eigenständigkeit der tariflichen Bemessungsregelung folgt aus dem richtigen Verständnis,
wie sich Tarifvertrag und AltTZG zu einander verhalten.
28 (1) Das AltTZG dient der Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten. Arbeitnehmer sollen
motiviert werden, durch den Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen vorzeitig aus dem
aktiven Erwerbsleben auszuscheiden und auf diesem Weg Arbeitsplätze für Arbeitslose frei zu
machen. Altersteilzeit wird deshalb durch die Bundesagentur und die Sozialversicherungsträger
gefördert. Die öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Höhe der vom Arbeitgeber an den
Arbeitnehmer zu zahlenden Aufstockung legen die Mindestbedingungen fest, unter denen
Altersteilzeit staatlich begünstigt wird. Das AltTZG hat mithin für die arbeitsrechtlichen
Beziehungen keine unmittelbare Geltung; es bedarf stets der Umsetzung durch Begründung und
Ausgestaltung des einzelnen Altersteilzeitarbeitsverhältnisses.
29 (2) Bei der Umsetzung des AltTZG sind die Arbeits-/Tarifvertragsparteien grundsätzlich nicht an
die gesetzlichen Vorgaben gebunden. Ihnen steht frei, die vom Arbeitgeber zu zahlende
Aufstockung abweichend vom AltTZG zu regeln. Das schließt ihre Befugnis ein, die von ihnen
festgelegte Aufstockung nach anderen Merkmalen zu bemessen als sie gesetzlich vorgegeben
sind. Auf den gesetzlich definierten Geltungsbereich der MindNettoV des zuständigen
Ministeriums für das Jahr 2005 (Altersteilzeitarbeitsverhältnisse mit Beginn vor dem 1. Juli 2004)
kommt es deshalb entgegen der Revision für die Tarifauslegung nicht an. Die Tarifvertragsparteien
können auch nicht einschlägige Bestimmungen der MindNettoV zum Gegenstand ihrer
Vereinbarung machen.
30 (3) Eine Bindung an die gesetzlichen Vorgaben ergibt sich lediglich mittelbar, soweit sie die
Förderung von Altersteilzeit durch die Bundesagentur für Arbeit und den gesetzlichen
Rentenversicherungsträger regeln. Der Senat hat in diesem Zusammenhang den
Auslegungsgrundsatz aufgestellt, die Parteien eines Altersteilzeitarbeitsvertrags verfolgten im
Zweifel eine Vertragsgestaltung, die den Mindestanforderungen des AltTZG gerecht wird (11. April
2006 - 9 AZR 369/05 - Rn. 29, BAGE 118, 1). Dieser Grundsatz gilt auch für eine tarifliche
Altersteilzeitregelung. Damit ist tariflich normierte Aufstockung vereinbar. Nach § 5 Abs. 1 TV ATZ
ist das dem Arbeitnehmer für seine Altersteilzeittätigkeit zustehende Entgelt um 20 vH
aufzustocken; das entspricht § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AltTZG nF. Das dort genannte
„Regelarbeitsentgelt“ entspricht den in § 5 Abs. 1 TV ATZ angesprochenen „Bezügen“.
31 ee) Der Kläger macht geltend, die Anwendung der Mindestnettobetragstabelle benachteilige die
Arbeitnehmer, weil deren Werte regelmäßig unter dem tatsächlich erzielten bisherigen
Nettoarbeitsentgelt lägen. Die nach der Änderung des AltTZG gezeigte Untätigkeit der
Tarifvertragsparteien dürfe nicht zu einer Auslegung führen, die diese Benachteiligung aufrecht
erhalte.
32 Es kann unterstellt werden, dass die Tarifvertragsparteien die möglichen Nachteile der generellen
Bemessungsmethode gesehen haben. Sie haben die tarifliche Aufstockung gleichwohl seit dem
erstmaligen Abschluss des TV ATZ am 5. Mai 1998 entsprechend geregelt. Ihrem Schweigen
lässt sich in keinem Fall entnehmen, dass die Tarifvertragsparteien die Arbeitnehmer in
Altersteilzeit unterschiedlich je nach dem Beginn ihres Altersteilzeitarbeitsverhältnisses vor oder
nach dem Stichtag 1. Juli 2004 behandeln wollten. Das aber wäre Folge der vom Kläger
vertretenen Auffassung.
33 ff) Ein Rückgriff auf die individuelle Bemessung der Aufstockung rechtfertigt sich auch nicht aus
der Erwägung, der TV ATZ sei wegen der Gesetzesänderung lückenhaft geworden und § 5 Abs. 3
TV ATZ deshalb nicht anzuwenden. Der für die Auslegung vorrangig zu berücksichtigende
Wortlaut der Tarifnorm lässt zwar wegen der Änderung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 15 AltTZG nicht
auf den ersten Blick erkennen, nach welchen generellen Merkmalen die Mindestaufstockung zu
bemessen ist. Das ergibt sich aber hinreichend deutlich aus den Verweisungen. Anzuwenden ist
die Mindestnettobetragstabelle als Anhang der nach § 15 Satz 1 AltTZG dem BMAS nunmehr
fakultativen Regelung durch Rechtsverordnung. Sie ist nach § 15 Satz 2 AltTZG unter
entsprechender Anwendung der Vorschriften zum Leistungsentgelt des SGB III zu erstellen. Für
die Arbeitnehmer, deren Arbeitsentgelt wie das des Klägers den höchsten Tabellenwert übersteigt,
sind die Vorschriften des SGB III unmittelbar anzuwenden. Allerdings wird der von den
Tarifvertragsparteien übernommene sozialversicherungsrechtliche Begriff „gewöhnlich anfallende
Abzüge“ im SGB III nicht mehr verwendet. Zu berücksichtigen sind deshalb nunmehr die sich aus
§ 133 Abs. 1 SGB III ergebenden Abzüge.
34 3. Die vom Kläger angedeuteten Zweifel an der Wirksamkeit von § 5 Abs. 3 TV ATZ sind
unbegründet. Tarifverträge unterliegen nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB keiner Inhaltskontrolle iSv.
§§ 305 ff. BGB.
35 III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Düwell
Krasshöfer
Reinecke
Lang
Heilmann