Urteil des BAG vom 16.02.2012

Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 16.02.2012, 6 AZR 573/10.

Siehe auch:
Urteil des 6. Senats vom 16.2.2012 - 6 AZR 591/10 -
,
Urteil des 6. Senats
vom 16.2.2012 - 6 AZR 593/10 -
,
Urteil des 6. Senats vom 16.2.2012 - 6 AZR 574/10 -
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 16.2.2012, 6 AZR 573/10
Kirchliche Arbeitsrechtsregelung über Einmalzahlungen - Dienstvertragsordnung -
Bezugnahmeklausel
Leitsätze
1. Das Mitarbeitergesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen (juris:
EvKiKonfödMAG ND) lässt keine auf dem dritten Weg beschlossene Vergütungsregelung
außerhalb der Dienstvertragsordnung (juris: EvKiKonfödDVtrO ND) zu. Trifft die Arbeits- und
Dienstrechtliche Kommission gestützt auf das Mitarbeitergesetz eine entsprechende
Arbeitsrechtsregelung, ändert diese materiellrechtlich die Dienstvertragsordnung auch dann,
wenn sie nicht als eine solche Änderung bezeichnet und scheinbar als eigenständige Regelung
konzipiert ist.
2. Bezugnahmeklauseln auf die Bestimmungen des kirchlichen Arbeitsrechts sind grundsätzlich
dahin auszulegen, dass sie dem kirchlichen Arbeitsrecht im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis
umfassend Geltung verschaffen.
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Niedersachsen vom 22. April 2010 - 4 Sa 1522/09 - aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Göttingen vom 18. November 2009 - 3 Ca 67/09 - abgeändert.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 472,73 Euro brutto nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
1. Januar 2009 zu zahlen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über eine Einmalzahlung für das Jahr 2008.
2 Die Klägerin ist seit dem 15. Mai 1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin,
der Evangelisch-lutherischen St. Jacobi-Schlosskirchengemeinde in O, teilzeitbeschäftigt.
Der mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossene Dienstvertrag enthält in § 2
Abs. 1 folgende Bezugnahme:
„Für das Dienstverhältnis gelten das Gemeinsame Mitarbeitergesetz vom 14. März
1978 … und die Dienstvertragsordnung vom 16. Mai 1983 … in der jeweils
geltenden Fassung.“
3 Zum 1. Januar 2006 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Wege des
Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Diese hat ihren Beitritt zum Diakonischen Werk
der Landeskirche Hannovers erklärt.
4 Die Dienstvertragsordnung vom 16. Mai 1983 (DienstVO, Kirchl. ABl. Hannover S. 65) in
der aktuellen Fassung bestimmt in
㤠1
Geltungsbereich
(1) Diese Dienstvertragsordnung ist auf alle privatrechtlichen Dienstverhältnisse der
Mitarbeiterinnen anzuwenden, die von Anstellungsträgern nach § 3 des
Mitarbeitergesetzes angestellt werden. Anstellungsträger im Sinne dieser
Dienstvertragsordnung sind die Konföderation evangelischer Kirchen in
Niedersachsen, die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig, die
Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers, die Evangelisch-lutherische
Kirche in Oldenburg und die ihrer Aufsicht unterstehenden Körperschaften,
Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts.
...“
5 Das Kirchengesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen über die
Rechtsstellung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vom 11. März 2000 (Mitarbeitergesetz
- MG, Kirchl. ABl. Hannover S. 92), durch das das im Dienstvertrag in Bezug genommene
Gemeinsame Mitarbeitergesetz aufgehoben worden ist (§ 33 Abs. 2 MG), gilt gemäß § 2
Abs. 2 MG für die Kirchenbeamten, kirchlichen Angestellten, Arbeiter und zu ihrer
Ausbildung Beschäftigten (Mitarbeiter) der Konföderation sowie der Evangelisch-
lutherischen Landeskirche Hannovers, der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in
Braunschweig und der Evangelisch-lutherischen Kirche in Oldenburg (beteiligte Kirchen)
und derjenigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die der
Aufsicht der Konföderation oder der Aufsicht einer der beteiligten Kirchen unterstehen.
Das Mitarbeitergesetz bestimmt ua.:
㤠9
Dienstvertragsordnung
(1) Dienstverträge werden nach den Bestimmungen einer Dienstvertragsordnung
abgeschlossen, die nach den Vorschriften dieses Kirchengesetzes in Kraft tritt.
(2) In der Dienstvertragsordnung sind die Bestimmungen über die Verhältnisse des
Dienstes, über Vergütungen und Löhne unter Beachtung der kirchlichen
Erfordernisse an den Bestimmungen auszurichten, die jeweils für den öffentlichen
Dienst im Land Niedersachsen gelten. Die Besonderheiten des kirchlichen
Dienstes sind insbesondere bei der Festsetzung von Tätigkeitsmerkmalen zu
berücksichtigen. Die Vorschriften der §§ 22 und 26 bis 29 bleiben unberührt.
...
§ 15a
Arbeitsrechtsregelungen
(1) Arbeitsrechtsregelungen sind die Beschlüsse der Arbeits- und Dienstrechtlichen
Kommission in den Fällen der §§ 22 und 26 sowie die im Wege des § 27
übernommenen Regelungen, ...
(2) Arbeitsrechtsregelungen nach Absatz 1 sind verbindlich und wirken normativ.
(3) Es dürfen nur Dienstverträge abgeschlossen werden, die den
Arbeitsrechtsregelungen nach Absatz 1 entsprechen.
...
§ 26
Zustandekommen der Dienstvertragsordnung
(1) Die Dienstvertragsordnung enthält die erforderlichen allgemeinen
Bestimmungen über den Abschluss von Dienstverträgen zwischen den
Anstellungsträgern und ihren nicht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis
beschäftigten Mitarbeitern.
(2) Die Dienstvertragsordnung wird unbeschadet der Vorschriften des § 29 von der
Arbeits- und Dienstrechtlichen Kommission beschlossen und geändert.
...“
6 Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass auf ihr Dienstverhältnis aufgrund der
Bezugnahmeklausel im Dienstvertrag weiterhin die Dienstvertragsordnung Anwendung
findet, obwohl die Beklagte kein Anstellungsträger im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2
DienstVO ist. Streitbefangen ist allein, ob eine von der Arbeits- und Dienstrechtlichen
Kommission (ADK) im Juni 2008 beschlossene Arbeitsrechtsregelung Auswirkungen auf
das Arbeitsverhältnis der Parteien hat.
7 Die ADK hat am 10. Juni 2008 (Kirchl. ABl. Hannover S. 70) beschlossen:
„A.
Aufgrund des § 15a des … (Mitarbeitergesetz - MG) vom 11. März 2000 … hat die
Arbeits- und Dienstrechtliche Kommission die folgenden Regelungen beschlossen:
1. Arbeitsrechtsregelung zur Änderung der Dienstvertragsordnung und zur
Gewährung von Einmal- und Ausgleichszahlungen sowie der Gewährung
einer Jahressonderzahlung 2008 - Anlage I -
2. Arbeitsrechtsregelung zur Überleitung der Mitarbeiterinnen der
Konföderation ev. Kirchen in Niedersachsen und der beteiligten Kirchen
aufgrund der 61. Änderung der Dienstvertragsordnung vom 10. Juni 2008
und zur Regelung des Übergangsrechts (ARR-Ü-Konf) - Anlage II -
3. 61. Änderung der Dienstvertragsordnung - Anlage III -
4. Arbeitsrechtsregelung für Auszubildende und Praktikantinnen - Anlage IV -
B.
...
Anlage I
zum Beschluss der ADK
vom 10.06.2008
Arbeitsrechtsregelung
zur Änderung der Dienstvertragsordnung
und zur Gewährung von Einmal- und
Ausgleichszahlungen sowie der Gewährung
einer Jahressonderzahlung 2008
Vom 10. Juni 2008
Artikel 1
60. Änderung der Dienstvertragsordnung
Aufgrund des § 26 Abs. 2 des … (Mitarbeitergesetz - MG) ... hat die Arbeits- und
Dienstrechtliche Kommission die Dienstvertragsordnung vom 16. Mai 1983 in der
Fassung der Bekanntmachung vom 13. September 2000 ... wie folgt geändert:
1. Es wird folgender § 2b eingefügt:
⤠2b
Zuwendungstarifverträge
Die Tarifverträge über eine Zuwendung sind nicht anzuwenden.’
...
Artikel 2
Arbeitsrechtsregelung
über Einmal- und Ausgleichszahlungen und
die Gewährung einer Jahressonderzahlung
2008 (ARR-Einmalzahlungen)
§ 1
Einmalzahlung im Jahr 2008
(1) Mitarbeiterinnen, deren Dienstverhältnis unter den Geltungsbereich der
Dienstvertragsordnung fällt, erhalten mit den Bezügen für den Monat Juli
2008 folgende Einmalzahlung:
Mitarbeiterinnen in den Vergütungs-/Lohngruppen
...
LohnGr.
1 bis 8a
910 Euro
...
(3) Voraussetzung für den Anspruch auf die Einmalzahlung ist, dass
a) das Dienstverhältnis der Mitarbeiterin mindestens seit dem 1. Juni 2008
besteht und
b) ein Entgeltanspruch ... der Mitarbeiterin für mindestens einen Tag im
Zahlungsmonat besteht. ...
(4) Teilzeitbeschäftigte Mitarbeiterinnen erhalten den Teilbetrag der
Einmalzahlung, der dem Verhältnis der mit ihnen im Zahlungsmonat
vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit zu der regelmäßigen
wöchentlichen Arbeitszeit einer entsprechenden vollbeschäftigten
Mitarbeiterin entspricht. ...“
8 Ebenfalls am 10. Juni 2008 hat die ADK als Anlage III zum Beschluss von diesem Tag die
61. Änderung der Dienstvertragsordnung beschlossen (Kirchl. ABl. Hannover S. 90).
Dadurch ist die Dienstvertragsordnung mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 neu gefasst
worden. Seitdem findet gemäß § 2 DienstVO auf die Dienstverhältnisse der TV-L in der für
das Land Niedersachsen jeweils geltenden Fassung entsprechende Anwendung, soweit
in der Dienstvertragsordnung nichts anderes bestimmt ist.
9 Die Beklagte zahlte mit dem Juli-Gehalt 2008 der Klägerin zunächst eine Einmalzahlung
von 472,73 Euro, zog jedoch diesen nach ihrer Auffassung zu Unrecht gezahlten Betrag
zwischen August 2008 und Dezember 2008 wieder vom Entgelt der Klägerin ab. Mit ihrer
am 29. Januar 2009 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung
des einbehaltenen Betrags.
10 Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, von der Bezugnahme im Dienstvertrag sei auch
§ 1 ARR-Einmalzahlungen erfasst. Sie falle wie die Mitarbeiter der verfassten Kirche, für
die die Dienstvertragsordnung ebenfalls nur kraft einzelvertraglicher Vereinbarung
Anwendung finde, unter den Geltungsbereich der Dienstvertragsordnung. Mit § 2 des
Dienstvertrags sei eine umfassende Einbeziehung aller Beschlüsse der ADK vereinbart
worden.
11 Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 472,73 Euro brutto nebst Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2009 zu
zahlen.
12 Die Beklagte hat ihr Begehren, die Klage abzuweisen, darauf gestützt, dass es an einer
Anspruchsgrundlage für die begehrte Einmalzahlung fehle. Im Dienstvertrag der Parteien
sei nur die Dienstvertragsordnung selbst in Bezug genommen, nicht aber Regelungen, die
wie die ARR-Einmalzahlungen außerhalb der Dienstvertragsordnung getroffen seien. Die
Klägerin könne sich auch nicht auf § 15a Abs. 2 MG stützen. Zum einen sei im
Dienstvertrag lediglich das Gemeinsame Mitarbeitergesetz vom 14. März 1978 statisch in
Bezug genommen, das eine Regelung wie § 15a Abs. 2 MG in der derzeit geltenden
Fassung nicht enthalten habe. Darüber hinaus sei die ARR-Einmalzahlungen keine
Regelung nach den §§ 24, 26, 27 oder 29 MG.
13 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen
Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
14 Die Revision ist begründet. Die Klägerin hatte entgegen der Auffassung der Vorinstanzen
gemäß § 1 ARR-Einmalzahlungen Anspruch auf eine Zahlung von 472,73 Euro brutto.
Diesen Betrag hat die Beklagte zu Unrecht im Hinblick auf eine vermeintliche
Überzahlung vom Entgelt der Klägerin einbehalten. Die Beklagte schuldet damit der
Klägerin noch restliches Entgelt für das Jahr 2008 in der eingeklagten Höhe, § 611 BGB.
15 I. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, dass kein normativ
begründeter Anspruch der Klägerin auf die Einmalzahlung für das Jahr 2008 besteht.
16 1. In § 2 Abs. 1 des Dienstvertrags ist das Mitarbeitergesetz dynamisch und nicht, wie die
Beklagte annimmt, nur statisch in Bezug genommen. Der Satzteil „in der jeweils geltenden
Fassung“ bezieht sich nicht nur auf die unmittelbar davor in Bezug genommene
Dienstvertragsordnung, sondern erfasst das gesamte in § 2 Abs. 1 des Dienstvertrags
angeführte kirchliche Recht.
17 2. Aus § 15a Abs. 2 MG folgt keine normative Geltung des § 1 ARR-Einmalzahlungen.
Eine normative Wirkung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen auf die Arbeitsverhältnisse
kirchlicher Beschäftigter kann kirchengesetzlich nicht angeordnet werden. Der Vierte
Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seiner Entscheidung vom 8. Juni 2005 (- 4 AZR
412/04 - zu II 2 a der Gründe, AP MitarbeitervertretungsG-EK § 42 Rheinland-Westfalen
Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 6) ausgeführt,
Arbeitsrechtsregelungen wie die streitbefangene entfalteten Rechtswirkungen für die
Arbeitsverhältnisse kirchlicher Beschäftigter nur aufgrund arbeitsvertraglicher
Vereinbarung in Form einer Verweisungsklausel im Arbeitsvertrag. Das säkulare Recht
ordne für kirchliche Arbeitsrechtsregelungen keine unmittelbare und zwingende Geltung
an. Zwar sichere Art. 137 Abs. 3 WRV den Religionsgemeinschaften die Freiheit bei der
Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten. Eine Befugnis zu in den staatlichen
Raum hineinwirkender Normsetzung unabhängig von einem individualvertraglich zum
Ausdruck gekommenen Umsetzungswillen ergebe sich aus dem kirchlichen
Selbstverwaltungsrecht jedoch nicht. Vielmehr hätten die Kirchen als Rechtsfolge der
Entscheidung zu einer privatrechtlichen Ausgestaltung ihrer Rechtsverhältnisse nur die
Möglichkeiten des privaten Rechts, um die ihnen weitgehend in der Ausgestaltung
freigestellten kirchenarbeitsrechtlichen Bestimmungen im einzelnen Arbeitsverhältnis zur
Geltung zu bringen. Die Anordnung einer normativen Geltung kirchlicher
Arbeitsrechtsregelungen gegenüber Arbeitnehmern, die nur aufgrund eines
privatrechtlichen Vertrags mit der Kirche oder einer ihrer Einrichtungen verbunden sind,
sei auch mittels Kirchenrechts nicht möglich. Eine Freistellung von der Bindung an die
Gestaltungsmittel des Arbeitsrechts könne auch nicht aus dem verfassungsrechtlichen
Sonderstatus der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts begründet werden.
Dem hat sich der Senat angeschlossen (BAG 24. Februar 2011 - 6 AZR 634/09 - Rn. 21,
AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 57 = EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer
Nr. 18; aA Richardi Arbeitsrecht in der Kirche 5. Aufl. § 15 Rn. 67 ff.).
18 II. § 1 ARR-Einmalzahlungen wird jedoch von der Bezugnahme in § 2 Abs. 1 des
Dienstvertrags der Parteien erfasst.
19 1. Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass die Bezugnahmeklausel dahin zu
verstehen ist, dass die Beklagte nach dem Betriebsübergang und ihrem Beitritt zum
Diakonischen Werk der Landeskirche Hannover weiterhin die Dienstvertragsordnung
anzuwenden hat.
20 2. Bereits der Ausgangspunkt der Beklagten und der Vorinstanzen, die ADK habe bewusst
und legitimiert durch das kirchliche Arbeitsrecht mit der ARR-Einmalzahlungen eine
Arbeitsrechtsregelung „außerhalb der Dienstvertragsordnung“ geschaffen, trifft nicht zu.
Auch die ARR-Einmalzahlungen war Teil der Dienstvertragsordnung.
21 a) Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen sind, obwohl sie nicht als Tarifverträge anzusehen
sind, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nach den Grundsätzen,
die für die Tarifauslegung gelten, auszulegen. Danach ist vom Wortlaut der kirchlichen
Arbeitsrechtsregelungen auszugehen und dabei deren maßgeblicher Sinn zu erforschen,
ohne am Wortlaut zu haften. Der wirkliche Wille der kirchlichen Normgeber und damit der
von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Bestimmungen ist mit zu berücksichtigen,
soweit sie in den kirchlichen Vorschriften Niederschlag gefunden haben. Schließlich ist
auch auf den systematischen Zusammenhang abzustellen (BAG 17. Juli 2008 - 6 AZR
635/07 - Rn. 9, AP AVR Caritasverband Anlage 1 Nr. 4 = EzTöD 320 TVÜ-VKA § 5 Abs. 2
Ortszuschlag Nr. 13).
22 b) Für die Auffassung der Beklagten und der Vorinstanzen spricht, dass die ADK am
10. Juni 2008 insgesamt vier Regelungen beschlossen hat, darunter ua. die
Arbeitsrechtsregelung zur Änderung der Dienstvertragsordnung und zur Gewährung von
Einmal- und Ausgleichszahlungen sowie der Gewährung einer Jahressonderzahlung
2008 (Anlage I zum Beschluss der ADK vom 10. Juni 2008), wobei die 60. Änderung der
Dienstvertragsordnung als Artikel 1 der Anlage I und die ARR-Einmalzahlungen als Artikel
2 der Anlage I gefasst sind, sowie die 61. Änderung der Dienstvertragsordnung (Anlage III
zum Beschluss der ADK vom 10. Juni 2008). Die streitbefangene ARR-Einmalzahlungen
ist damit ausdrücklich nicht als Änderung der Dienstvertragsordnung bezeichnet. Die
Nummerierung der Änderungen der Dienstvertragsordnung sowie die gewählte
Regelungstechnik, die 60. Änderung der Dienstvertragsordnung als Artikel 1 und die ARR-
Einmalzahlungen als Artikel 2 der Anlage I zum Beschluss der ADK vom 10. Juni 2008 zu
fassen, spricht vielmehr dagegen, dass die ARR-Einmalzahlungen die
Dienstvertragsordnung ändern und Teil derselben werden sollte.
23 c) Allerdings berücksichtigen weder die Beklagte noch die Vorinstanzen bei ihrer
Argumentation, dass die ADK den Beschluss vom 10. Juni 2008 ausweislich des ersten
Satzes unter A dieses Beschlusses ausdrücklich auf der Grundlage des § 15a MG gefasst
und als Arbeitsrechtsregelung bezeichnet hat. Das Mitarbeitergesetz der Konföderation
evangelischer Kirchen in Niedersachsen lässt keine auf dem dritten Weg beschlossene
Vergütungsregelung außerhalb der Dienstvertragsordnung zu. Trifft die ADK gestützt auf §
15a MG eine entsprechende Arbeitsrechtsregelung, ändert diese materiellrechtlich die
Dienstvertragsordnung auch dann, wenn sie nicht als eine solche Änderung bezeichnet
und scheinbar als eigenständige Regelung konzipiert ist.
24 aa) Arbeitsrechtsregelungen im Sinne des § 15a MG sind lediglich die Beschlüsse der
ADK in den Fällen der §§ 24 und 26 MG sowie die im Wege des § 27 MG übernommenen
Regelungen des Landes Niedersachsen. Von den dort genannten Fällen kommt
vorliegend nur der des § 26 MG in Betracht. Diese Norm regelt jedoch nur Inhalt und
Zustandekommen sowie die Änderung der Dienstvertragsordnung selbst. Eine Befugnis,
Entgeltregelungen als Arbeitsrechtsregelung „außerhalb“ der Dienstvertragsordnung zu
treffen, lässt sich § 15a MG nicht entnehmen. Eine Arbeitsrechtsregelung über
Vergütungen außerhalb der Dienstvertragsordnung auf dieser Rechtsgrundlage ist
ausgeschlossen.
25 bb) Für diese Beschränkung der Regelungsbefugnis der ADK spricht auch § 9 MG. Nach
dessen Abs. 1 werden Dienstverträge nach den Bestimmungen einer
Dienstvertragsordnung abgeschlossen, die nach den Vorschriften des Mitarbeitergesetzes
in Kraft tritt. Nach § 9 Abs. 2 MG sind in der Dienstvertragsordnung die Bestimmungen
über die Verhältnisse des Dienstes und über Vergütungen und Löhne unter Beachtung der
kirchlichen Erfordernisse an den Bestimmungen auszurichten, die jeweils für den
öffentlichen Dienst im Land Niedersachsen gelten, wobei die Besonderheiten des
kirchlichen Dienstes zu berücksichtigen sind. Auch insoweit sind entgegen der Ansicht der
Beklagten Vergütungsregelungen außerhalb der Dienstvertragsordnung nicht vorgesehen.
Anders als von ihr in der mündlichen Verhandlung angenommen, enthält § 9 Abs. 2 MG
nicht nur inhaltliche Regelungsvorgaben im Sinne einer Richtlinie, die dann in § 26 Abs. 1
MG dahin konkretisiert würden, dass die essentialia des Entgelts in der
Dienstvertragsordnung zu regeln seien. Abgesehen davon, dass unklar wäre, welche
Entgeltbestandteile solche „essentialia“ sind, enthält § 9 Abs. 2 MG die ausdrückliche
Anordnung („sind“), in der Dienstvertragsordnung „die“ Bestimmungen über die
Vergütungen und Löhne zu treffen. Darüber hinaus schreibt diese Norm hinsichtlich des
Inhalts der danach ausschließlich in der Dienstvertragsordnung zu treffenden
Entgeltregelungen eine Orientierung an den Bestimmungen des öffentlichen Dienstes in
Niedersachsen vor.
26 d) Gegen die Zulässigkeit einer Arbeitsrechtsregelung über Vergütungen außerhalb der
Dienstvertragsordnung spricht unter systematischen Gesichtspunkten auch die ebenfalls
am 10. Juni 2008 beschlossene 61. Änderung der Dienstvertragsordnung, die zu einer
völligen Neufassung dieses Regelungswerks geführt hat. In dieser Neufassung der
Dienstvertragsordnung ist als Anlage 3 eine Ordnung zur Sicherung von Arbeitsplätzen im
Bereich von Diakonie- und Sozialstationen vereinbart, durch die zur Abwehr
betriebsbedingter Kündigungen infolge einer festgestellten wirtschaftlichen Notlage über
die Vereinbarung von Dienstvereinbarungen die Personalkosten gesenkt werden können.
Im Gegenzug ist für die Dauer der Laufzeit solcher Dienstvereinbarungen die Erklärung
betriebsbedingter Beendigungs- oder Änderungskündigungen unzulässig. Von der
Anlage 3 ist indes nur ein kleiner Ausschnitt der ausgliederungsträchtigen Schnittmenge
zum Tätigkeitsfeld der Diakonie erfasst. Die Beklagte gehört nicht zu diesem
Arbeitgeberkreis. Die ADK hat also seit 2009 gänzlich andere Reaktionsmöglichkeiten auf
wirtschaftliche Notlagen, und dies auch nur für einen kleinen Ausschnitt der privatrechtlich
organisierten Pflegeeinrichtungen in der Diakonie, geschaffen, als sie die ARR-
Einmalzahlungen in der Auslegung durch die Beklagte und die Vorinstanzen vorsieht. In
deren Auslegung wäre es den Arbeitgebern, die inzwischen zum Tätigkeitsfeld der
Diakonie gehören, im Ergebnis freigestellt gewesen, ob sie die Zahlungen, die die ADK in
der ARR-Einmalzahlungen festgelegt hatte, ihren Arbeitnehmern tatsächlich zukommen
lassen wollten. Derartige Freiräume gewährt die aktuelle Dienstvertragsordnung auch in
ihrer Anlage 3 jedoch nicht.
27 3. Auch unabhängig von vorstehenden Erwägungen hatte die Beklagte § 1 ARR-
Einmalzahlungen aufgrund der Bezugnahme in § 2 Abs. 1 des Dienstvertrags der Parteien
anzuwenden.
28 a) Bei der in § 2 des Formulardienstvertrags getroffenen Bezugnahmeklausel handelt es
sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne der §§ 305 ff. BGB. Die
Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in einem Formulararbeitsvertrag
durch das Landesarbeitsgericht unterliegt der vollen revisionsrechtlichen Nachprüfung
durch das Bundesarbeitsgericht. Der Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach
einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu ermitteln. Sie sind nach ihrem objektiven
Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und
redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten
Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des
durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt
für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der
Vertragswortlaut. Diese Grundsätze finden auch auf die Auslegung von
Bezugnahmeklauseln auf kirchliche Regelungswerke Anwendung (BAG 22. Juli 2010 -
6 AZR 847/07 - Rn. 12, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 55 = EzA BGB 2002 § 611
Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 15).
29 b) Bei der Auslegung der Bezugnahmeklausel in § 2 Abs. 1 des Dienstvertrags der
Parteien ist von der allgemeinen Funktion von Verweisungsklauseln im kirchlichen
Arbeitsverhältnis auszugehen. Mangels normativer Geltung kirchlichen Arbeitsrechts in
privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen kann dem kirchlichen Arbeitsrecht nur über
Bezugnahmeklauseln gegenüber dem Staat Wirkung verschafft werden. Demgemäß
verpflichten die jeweiligen Kirchengesetze die ihrem Geltungsbereich unterfallenden
Arbeitgeber, Dienstverträge nach den Bestimmungen des kirchlichen Arbeitsrechts
abzuschließen. Im Bereich der verfassten Kirche in Niedersachsen ist dies in § 9 Abs. 1
MG bzw. in § 15a Abs. 3 MG geschehen. Dieser kirchenrechtlichen Verpflichtung kann
nach den geltenden Regeln des staatlichen Arbeitsrechts der kirchliche Arbeitgeber nur
über eine vertragliche Bezugnahme genügen. Dementsprechend sehen die kirchlichen
Vertragsmuster eine Inbezugnahme des kirchlichen Arbeitsrechts im Dienstvertrag vor
(siehe nur § 2 Abs. 1 der Anlage 4 zu § 5 Nr. 1 DienstVO idF der 72. Änderung vom 8. Juni
2011, Kirchl. ABl. Hannover S. 139). Vor diesem Hintergrund sind Bezugnahmeklauseln
auf die Bestimmungen des kirchlichen Arbeitsrechts grundsätzlich dahin auszulegen, dass
sie dem kirchlichen Arbeitsrecht im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis umfassend Geltung
verschaffen (vgl. BAG 10. Dezember 2008 - 4 AZR 801/07 - Rn. 19, BAGE 129, 1). Der
kirchliche Arbeitnehmer kann solche Klauseln damit im Ausgangspunkt nur dahin
verstehen, dass sie zur Anwendung der für den Arbeitgeber kirchenrechtlich
verpflichtenden Bestimmungen führen.
30 aa) Danach konnte die Klägerin bei Begründung des Dienstverhältnisses davon
ausgehen, dass auf ihr Dienstverhältnis die Arbeitsrechtsregelungen der verfassten
Kirche, die für Anstellungsträger im Sinne der Dienstvertragsordnung gelten, zu denen die
Rechtsvorgängerin der Beklagten gehörte, zur Anwendung gelangen würden.
31 bb) An diesem Verständnis der Bezugnahmeklausel in § 2 Abs. 1 des Dienstvertrags hat
sich durch die Ausgliederung auf die Beklagte und deren Beitritt zum Diakonischen Werk
nichts geändert. Eine Differenzierung zwischen Arbeitsrechtsregelungen, die Inhalt der
ausdrücklich in Bezug genommenen Dienstvertragsordnung werden, und solchen, die
außerhalb der Dienstvertragsordnung nur die Arbeitgeber verpflichten sollen, die
Anstellungsträger im Sinne der Dienstvertragsordnung sind, ist vom Wortlaut der
vertraglichen Bezugnahmeklausel bei objektiv-generalisierender Betrachtung nicht
gedeckt. Vielmehr ist die nach dem Betriebsübergang fortbestehende Bezugnahme auf die
Dienstvertragsordnung dahin zu verstehen, dass auf die Klägerin nach wie vor alle
kirchlichen Regelungen anzuwenden sind, die von Arbeitgebern angewendet werden
müssen, die Anstellungsträger im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 DienstVO sind, die Klägerin
also so zu behandeln ist, als ob die Beklagte nach wie vor ein Anstellungsträger der
verfassten Kirche wäre. Daher hatte die Beklagte § 1 ARR-Einmalzahlungen
anzuwenden.
32 III. Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 ARR-
Einmalzahlungen erfüllt sind und der teilzeitbeschäftigten Klägerin unter Berücksichtigung
des § 1 Abs. 4 ARR-Einmalzahlungen der eingeklagte Teilbetrag zusteht.
33 IV. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB. Die Klägerin hat Zinsen erst ab dem
Zeitpunkt verlangt, ab dem der gesamte Klagebetrag von ihrem Entgelt einbehalten
worden war.
34 V. Die Beklagte hat gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Fischermeier
Brühler
Spelge
Schäferkord
Bender