Urteil des BAG vom 18.12.2008

BAG: alleinerziehende mutter, zulage, familie, gruppenbildung, unterbrechung, tarifvertrag, erwerbstätigkeit, elternrecht, wiederaufnahme, geburt

Siehe auch:
Urteil des 6. Senats vom 18.12.2008 - 6 AZR 287/07 -
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 18.12.2008, 6 AZR 209/08
Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 18.12.2008, 6 AZR 287/07.
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 21. September 2007 - 22 Sa 1266/07 - wird mit der
Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte zur Zahlung von 2.532,93 Euro
brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
gem. § 247 BGB
aus 80,88 Euro seit dem 1. Februar 2006,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. März 2006,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. April 2006,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. Mai 2006,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. Juni 2006,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. Juli 2006,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. August 2006,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. September 2006,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. Oktober 2006,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. November 2006,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. Dezember 2006,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. Januar 2007,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. Februar 2007,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. März 2007,
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. April 2007 und
aus weiteren 163,47 Euro seit dem 1. Mai 2007
verurteilt wird.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über kinderbezogene Entgeltbestandteile.
2 Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1994 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand zunächst der
Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifrechtliche Vorschriften - (BAT-O) vom
10. Dezember 1990, seit dem 1. Oktober 2005 der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den
Bereich Verwaltung im Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände vom
13. September 2005 (TVöD-V) Anwendung. Die Klägerin hat zwei Kinder. Aufgrund der Geburt des
jüngsten Kindes ruhte das Arbeitsverhältnis im September 2005, weil sich die Klägerin in Elternzeit
befand. Sie erhielt deshalb im September 2005 keine Bezüge und damit auch nicht den
kinderbezogenen Entgeltbestandteil nach § 29 Abschnitt B BAT-O von 83,78 Euro je Kind, sondern
lediglich Kindergeld. Im Januar 2006 arbeitete die Klägerin während der Elternzeit in Teilzeit mit
einem Anteil von 19/38,4 Wochenstunden. Zum 1. Februar 2006 endete die Elternzeit, die Klägerin
arbeitet seitdem in Vollzeit.
3 Der TVöD sieht keine familienbezogenen Entgeltbestandteile mehr vor. Für die in den TVöD
übergeleiteten Arbeitnehmer enthält § 11 des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der
kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) vom
13. September 2005 folgende Besitzstandsregelung:
„(1) Für im September 2005 zu berücksichtigende Kinder werden die kinderbezogenen
Entgeltbestandteile des BAT/BAT-O/BAT-Ostdeutsche Sparkassen oder BMT-
G/BMT-G-O in der für September 2005 zustehenden Höhe als Besitzstandszulage
fortgezahlt, solange für diese Kinder Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz
(EStG) oder nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ununterbrochen gezahlt wird
oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG
gezahlt würde.
...
Unterbrechungen wegen der Ableistung von Grundwehrdienst, Zivildienst oder
Wehrübungen sowie die Ableistung eines freiwilligen sozialen oder ökologischen
Jahres sind unschädlich; soweit die unschädliche Unterbrechung bereits im Monat
September 2005 vorliegt, wird die Besitzstandszulage ab dem Zeitpunkt des
Wiederauflebens der Kindergeldzahlung gewährt.
...
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für
a) zwischen dem 1. Oktober 2005 und dem 31. Dezember 2005 geborene Kinder
der übergeleiteten Beschäftigten,
b) die Kinder von bis zum 31. Dezember 2005 in ein Arbeitsverhältnis
übernommenen Auszubildenden, Schülerinnen/Schüler in der Gesundheits- und
Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und in der
Entbindungspflege sowie Praktikantinnen und Praktikanten aus tarifvertraglich
geregelten Beschäftigungsverhältnissen, soweit diese Kinder vor dem 1. Januar
2006 geboren sind.“
4 Mit Änderungstarifvertrag Nr. 2 zum TVÜ-VKA vom 31. März 2008 ist § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA mit
Wirkung zum 1. Juli 2008 ua. um folgende Protokollerklärungen ergänzt worden:
„1.
Die Unterbrechung der Entgeltzahlung im September 2005 wegen Elternzeit, Wehr-
oder Zivildienstes, Sonderurlaubs, bei dem der Arbeitgeber vor Antritt ein dienstliches
oder betriebliches Interesse an der Beurlaubung anerkannt hat, Bezuges einer Rente
auf Zeit wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder wegen des Ablaufs der
Krankenbezugsfristen ist für das Entstehen des Anspruchs auf die Besitzstandszulage
unschädlich. Für die Höhe der Besitzstandszulage nach Satz 1 gilt § 5 Abs. 6
entsprechend.
...
5. Endet eine Unterbrechung aus den in Nr. 1 Satz 1 genannten Gründen vor dem 1. Juli
2008, wird die Besitzstandszulage vom 1. Juli 2008 an gezahlt, wenn bis zum
30. September 2008 ein entsprechender schriftlicher Antrag (Ausschlussfrist) gestellt
worden ist. Wird die Arbeit nach dem 30. Juni 2008 wieder aufgenommen oder erfolgt
die Unterbrechung aus den in Nr. 1 Satz 1 genannten Gründen nach dem 30. Juni
2008, wird die Besitzstandszulage nach Wiederaufnahme der Arbeit auf schriftlichen
Antrag gezahlt.
...
Ist eine den Nrn. 1 bis 3 entsprechende Leistung bis zum 31. März 2008 schriftlich
geltend gemacht worden, erfolgt die Zahlung vom 1. Juni 2008 an.“
5 Seit Wiederaufnahme der Tätigkeit der Klägerin zahlt ihr die Beklagte keine Besitzstandszulage
nach § 11 TVÜ-VKA. Nachdem sie die Zahlung dieser Zulage rechtzeitig vergeblich geltend
gemacht hatte, begehrt die Klägerin die Besitzstandszulage für Januar 2006 bis einschließlich April
2007.
6 Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse aufgrund eines
gesetzlichen Anspruchs wie der Elternzeit vorübergehend geruht hätten, dürften nicht schlechter
gestellt werden als durchgehend beschäftigte Arbeitnehmer, sonst komme es zu einer mittelbaren
Geschlechtsdiskriminierung.
7 Die Klägerin hat - unter Berücksichtigung einer im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem
Landesarbeitsgericht vom 21. September 2007 erklärten teilweisen Klagerücknahme hinsichtlich
der Zulage für Januar 2006 - zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 2.532,93 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %
über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB aus 80,88 Euro seit dem 1. Februar 2006 und aus
jeweils 163,47 Euro auf im Einzelnen genannte, gestaffelte Beträge zu zahlen.
8 Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags angeführt, die tarifliche
Stichtagsregelung verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Ein ruhendes Arbeitsverhältnis sei
mit einem aktiven Arbeitsverhältnis nicht vergleichbar. Ob ein Elternteil Elternzeit beanspruche,
könne der Arbeitgeber nicht beeinflussen. Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts scheide
damit aus.
9 Das Arbeitsgericht hat der Klage in der erstinstanzlich verfolgten Höhe von 2.615,52 Euro nebst
Zinsen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat nach Teilklagerücknahme hinsichtlich der
Zulage für Januar 2006 die Berufung in vollem Umfang zurückgewiesen. Mit der vom
Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag
weiter.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die eingeklagte
Besitzstandszulage von 2.532,93 Euro brutto. Soweit § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA kindergeldberechtigte
Arbeitnehmer, die im September 2005 Elternzeit in Anspruch genommen haben, bis zu seiner
Änderung durch den Änderungstarifvertrag Nr. 2 zum TVÜ-VKA vom 31. März 2008 aus der
Besitzstandsregelung ausnahm, verstieß diese Bestimmung gegen Art. 3 Abs. 1 GG iVm. Art. 6
GG und war daher unwirksam.
11 I. Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrte Besitzstandszulage des § 11 TVÜ-VKA für die
streitbefangene Zeit in rechnerisch unstreitiger Höhe.
12 1. Allerdings gewährte § 11 TVÜ-VKA Arbeitnehmern, die im Monat September 2005 in Elternzeit
waren, bis zu seiner Änderung durch den Änderungstarifvertrag Nr. 2 zum TVÜ-VKA vom
31. März 2008 keinen Anspruch auf die Besitzstandszulage für kinderbezogene
Entgeltbestandteile (Roß in Bepler/Böhle/Martin/Stöhr TVöD Stand Juni 2008 § 11 TVÜ-VKA
Rn. 2d; Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Stand August 2007 § 11 TVÜ-VKA
Rn. 8.1; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Stand Juli 2007 § 11 TVÜ-Bund/TVÜ-VKA
Rn. 135; Sponer/Steinherr TVöD Stand Oktober 2007 § 11 TVÜ-VKA Rn. 1.4;
Hock/Kramer/Schwerdle ZTR 2006, 622, 628; aA Guth Der Personalrat 2008, 313, 314; Heimann
NZA 2008, 23, 24) .
13 a) Die Besitzstandsregelung des § 11 TVÜ-VKA knüpfte nach ihrem eindeutigen Wortlaut daran
an, dass Kinder im September 2005 zu berücksichtigen waren, für sie also dem in den TVöD
übergeleiteten Arbeitnehmer der kinderbezogene Entgeltbestandteil gezahlt wurde (Senat
30. Oktober 2008 - 6 AZR 712/07 - Rn. 8) . Befand sich ein in den TVöD übergeleiteter
Arbeitnehmer im September 2005 in Elternzeit, erhielt er kein Entgelt und damit auch keinen
kinderbezogenen Entgeltbestandteil. Ihm konnte dieser Entgeltbestandteil damit nicht in der für
September 2005 zustehenden Höhe fortgezahlt werden, wie es § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA
vorsah. Ihm stand daher die Zulage nach § 11 TVÜ-VKA nicht zu (LAG Köln 30. November 2006 -
5 Sa 973/06 - zu 1 der Gründe, EzTöD 320 TVÜ-VKA § 11 Abs. 1 Nr. 2; Roß in
Bepler/Böhle/Martin/Stöhr TVöD Stand Juni 2008 § 11 TVÜ-VKA Rn. 2d) .
14 b) Der Zweck der Tarifnorm bestätigt diese Auslegung. Bereits die Bezeichnung der tariflichen
Leistung als Besitzstandszulage lässt darauf schließen, dass mit ihr nur die im September 2005
als dem maßgeblichen Bezugsmonat tatsächlich gezahlten kinderbezogenen Entgeltbestandteile
gesichert werden sollten (vgl. Senat 11. Dezember 2003 - 6 AZR 64/03 - BAGE 109, 110, 115) .
Nur in diesem Fall lag ein zu sichernder Besitzstand vor.
15 Diese Zielrichtung der Zulage nach § 11 TVÜ-VKA ergibt sich auch daraus, dass der einmal
entstandene Anspruch auf Gewährung der Besitzstandszulage nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2
TVÜ-VKA entfällt, wenn der Anspruch auf das Kindergeld endet oder die Kindergeldberechtigung
auf eine andere im öffentlichen Dienst beschäftigte Person übergeht. Lebt der Kindergeldanspruch
später wieder auf, etwa weil das Kind, das zunächst eine Ausbildung begonnen und dabei
Einkünfte erzielt hat, die die Einkommensgrenzen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG übersteigen,
später ein Studium aufnimmt, oder wechselt die Kindergeldberechtigung erneut, entsteht der
Anspruch auf die Besitzstandszulage nur in den in § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA ausdrücklich
geregelten Fällen neu (Roß in Bepler/Böhle/Martin/Stöhr TVöD Stand Juni 2008 § 11 TVÜ-VKA
Rn. 2c) . In diesen Fällen haben die Tarifvertragsparteien in § 11 Abs. 1 Satz 3 2. Halbs. TVÜ-VKA
zudem bereits eine Unterbrechung der Zahlung des kinderbezogenen Entgeltbestandteils im
September 2005 als unschädlich angesehen. Gerade dies zeigt, dass alle anderen Fälle, in denen
im September 2005 kein kinderbezogener Entgeltbestandteil gezahlt wurde, schädlich sein, also in
allen nicht in § 11 Abs. 1 Satz 3 2. Halbs. TVÜ-VKA geregelten Fällen kein Anspruch auf die
Besitzstandszulage entstehen sollte.
16 Nach § 11 Abs. 3 TVÜ-VKA gilt die Besitzstandsregelung des § 11 Abs. 1 und 2 TVÜ-VKA
entsprechend für die dort aufgeführten, bis zum 31. Dezember 2005 geborenen Kinder. § 11
Abs. 3 TVÜ-VKA weitet als Sonderregelung den Anspruch auf die tarifliche Zulage ausdrücklich
auf Fälle aus, in denen nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA ein Anspruch auf
Besitzstandszulage gerade nicht besteht. Auch dies belegt, dass die Tarifvertragsparteien
grundsätzlich nur den tatsächlich im Monat September 2005 gezahlten kinderbezogenen
Entgeltbestandteil sichern wollten. Soweit sie von diesem Grundsatz im Einzelfall abgewichen
sind, haben sie dies ausdrücklich geregelt. Für die Arbeitnehmer, die im Monat September 2005
Elternzeit in Anspruch genommen haben, fehlte es bis zur Änderung des § 11 TVÜ-VKA durch
den Änderungstarifvertrag Nr. 2 zum TVÜ-VKA vom 31. März 2008 an einer solchen
Sonderregelung.
17 c) Schließlich spricht auch die Tarifgeschichte für vorstehendes Auslegungsergebnis. Die
Tarifvertragsparteien haben erst durch die mit dem Änderungstarifvertrag Nr. 2 zum TVÜ-VKA
vom 31. März 2008 eingefügten Protokollerklärungen Nr. 1 und 5 zu § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA den
Arbeitnehmern, die im September 2005 Elternzeit genommen hatten, frühestens ab dem 1. Juni
2008 einen Anspruch auf die tarifliche Besitzstandszulage eingeräumt. Diese Tarifänderung zeigt,
dass nach dem übereinstimmenden Normverständnis der Tarifvertragsparteien § 11 Abs. 1 TVÜ-
VKA in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung ein Anspruch auf die Besitzstandszulage für
Arbeitnehmer, die im September 2005 Elternzeit genommen hatten, nicht zu entnehmen war.
Deshalb haben sie eine eigenständige, hier in Form einer Protokollerklärung gefasste, Regelung
für erforderlich gehalten, um den betroffenen Arbeitnehmern für die Zukunft Anspruch auf die
Besitzstandszulage zu gewähren. Dieses Normverständnis der Tarifvertragsparteien ergibt sich
auch daraus, dass sie die Begrenzung des Anspruchs auf Zeiten nach dem 1. Juni 2008 für
möglich erachtet haben.
18 2. Die Besitzstandsregelung des § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA in der für die Klägerin bis zum 31. Mai
2008 wirkenden Fassung verstieß gegen Art. 3 Abs. 1 GG iVm. Art. 6 GG, soweit sie
kindergeldberechtigten Arbeitnehmern, die wie die Klägerin im Monat September 2005 wegen
Elternzeit kein Arbeitsentgelt erhielten, die Besitzstandszulage verwehrte. Sie war daher insoweit
unwirksam.
19 a) Die Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar
grundrechtsgebunden (Senat 27. Mai 2004 - 6 AZR 129/03 - BAGE 111, 8, 15) . Deshalb kann
eine tarifliche Regelung nicht unmittelbar am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG und des Art. 6 Abs. 1
GG gemessen werden, zumal der Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 1 GG sich nur an die staatliche
Ordnung, nicht aber an die Tarifvertragsparteien als Vereinigungen privaten Rechts richtet. Die
Tarifvertragsparteien haben deshalb nicht die Pflicht, durch tarifliche Regelungen zum besonderen
Schutz von Ehe und Familie beizutragen (ErfK/Dieterich 9. Aufl. Art. 6 GG Rn. 16) . Das
Grundgesetz will aber keine wertneutrale Ordnung sein, sondern enthält in seinem
Grundrechtsabschnitt verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts.
Art. 6 Abs. 1 GG ist eine wertentscheidende Grundsatznorm, die nicht nur eine Institutsgarantie
beinhaltet, sondern zugleich eine verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des
Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts enthält (BVerfG st. Rspr. seit der
Entscheidung vom 17. Januar 1957 - 1 BvL 4/54 - BVerfGE 6, 55, 71 f.) . Diese Wertentscheidung
der Verfassung verpflichtet auch die staatlichen Gerichte, die kraft Verfassungsgebots bei der
Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts die sich aus dem Schutzauftrag der
Verfassung ergebenden Modifikationen des Privatrechts zu beachten haben (Art. 1 Abs. 3 GG ,
vgl. BVerfG 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - BVerfGE 7, 198, 206; 7. Februar 1990 - 1 BvR
26/84 - BVerfGE 81, 242, 254 ff.) .
20 Für die Auslegung und Anwendung tariflicher Normen, die die Belange von Ehe und Familie
berühren, folgt daraus, dass die Tarifvertragsparteien bei ihrer tariflichen Normsetzung den
allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG sowie die Diskriminierungsverbote des Art. 3
Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 GG beachten müssen, wobei ihnen als selbständigen Grundrechtsträgern
aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weitergehender
Gestaltungsspielraum als dem Gesetzgeber zusteht. Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative
in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen zu. Sie sind nicht dazu
verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen,
vielmehr genügt es, wenn sich für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund ergibt
(Senat 27. Mai 2004 - 6 AZR 129/03 - BAGE 111, 8, 15 ff., 18 f.). Bei einer personenbezogenen
Ungleichbehandlung, bei der vom Tarifvertrag erfasste Personen die Voraussetzungen, an die die
Tarifnorm knüpft, nicht beeinflussen können, ist der Gleichheitssatz erst verletzt, wenn die
Tarifvertragsparteien es versäumen, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu
ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am
Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (Senat
25. Oktober 2007 - 6 AZR 95/07 - Rn. 24, AP BAT § 34 Nr. 12 = EzTöD 320 TVÜ-VKA § 5 Abs. 2
Ortszuschlag Nr. 8) .Der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien ist jedoch wiederum
durch die Wertentscheidungen des Art. 6 GG, denen die Arbeitsgerichte zur Geltung zu verhelfen
haben, eingeengt (vgl. BVerfG 7. Juli 1992 - 1 BvL 51/86 ua. - BVerfGE 87, 1, 39 für den
Gesetzgeber; BAG 25. Februar 1987 - 8 AZR 430/84 - BAGE 54, 210, 215) . Die
Schutzpflichtfunktion der Grundrechte verpflichtet deshalb die Rechtsprechung dazu, solchen
Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu einer Gruppenbildung führen, die die
durch Art. 6 GG geschützten Belange von Ehe und Familie gleichheits- oder sachwidrig außer
Betracht lässt (Senat 30. Oktober 2008 - 6 AZR 712/07 - Rn. 14 f.; vgl. ErfK/Dieterich 9. Aufl. GG
Rn. 57 f., Art. 6 Einl. GG Rn. 15; vgl. zum Verbot gleichheitswidriger Differenzierungen auch Senat
27. Mai 2004 - 6 AZR 129/03 - BAGE 111, 8, 16).
21 b) Die Tarifvertragsparteien haben die Besitzstandszulage an den tatsächlichen, individuellen
Besitzstand des Arbeitnehmers im letzten Monat vor dessen Überleitung in den TVöD geknüpft.
Stichtagsregelungen sind Typisierungen in der Zeit, die nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts Ausdruck einer gebotenen pauschalisierenden Betrachtung sind. Sie sind
aus Gründen der Praktikabilität ungeachtet der damit verbundenen Härten zur Abgrenzung des
begünstigten Personenkreises gerechtfertigt, wenn sich die Wahl des Stichtags am gegebenen
Sachverhalt orientiert und demnach vertretbar ist. Die Stichtagsregelung in § 11 Abs. 1 Satz 1
TVÜ-VKA bestimmt mit dem September 2005 den letzten Monat, in dem kinderbezogene
Entgeltbestandteile im durch den TVöD abgelösten Entgeltgefüge des öffentlichen Dienstes
vorgesehen waren, zum Anknüpfungspunkt für die Besitzstandszulage. Dies ist grundsätzlich
nicht zu beanstanden (Senat 30. Oktober 2008 - 6 AZR 712/07 - Rn. 17) .
22 Tarifvertragsparteien steht es frei, ob und in welchem Umfang sie neben den rein
arbeitsleistungsbezogenen Vergütungen durch einen zusätzlichen Vergütungsbestandteil einen
sozialen, familienbezogenen Ausgleich gewähren wollen (Senat 30. Oktober 2008 - 6 AZR
682/07 -; 30. Oktober 2008 - 6 AZR 712/07 - Rn. 18; aA Wiedemann/Wiedemann TVG 7. Aufl. Einl.
Rn. 270) . Nachdem sich die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes zu einem
Systemwechsel entschlossen und die ehe- und familienbezogene Ausgleichsfunktion eines Teils
des Entgelts für die Zukunft aufgegeben hatten, waren sie an ihre frühere Grundentscheidung,
familienbezogene Entgeltbestandteile zu gewähren, auch nicht durch die Grundsätze der
Folgerichtigkeit gebunden (vgl. BVerfG 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07 ua. - Rn. 80, NJW 2009, 48
für den Steuergesetzgeber) . Es war ihnen aber verwehrt, von der gleichwohl getroffenen
tariflichen Besitzstandsregelung bestimmte Arbeitnehmergruppen ohne einen auch unter
Beachtung der Wertentscheidungen des Art. 6 GG sachlich vertretbaren Grund ganz oder
teilweise auszuschließen (vgl. BVerfG 28. Januar 2003 - 1 BvR 487/01 - BVerfGE 107, 133, 141
st. Rspr.; Senat 30. Oktober 2008 - 6 AZR 712/07 - Rn. 18) .
23 c) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Senat die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-
VKA in Fällen gebilligt, in denen beide Ehegatten am Stichtag im öffentlichen Dienst beschäftigt
waren, soweit die Besitzstandszulage nur der Ehegatte erhielt, der im Monat September 2005
Kindergeld bezog. Dies galt auch dann, wenn sich die Wahl des Bezugsberechtigten im
Nachhinein als ungünstig herausstellte - etwa weil der ausgewählte Elternteil kurz nach dem
30. September 2005 in Elternzeit ging - und diese Folge im Zeitpunkt der Ausübung des
Wahlrechts noch nicht absehbar war. Die Tarifvertragsparteien durften in diesen Fällen eine
Gruppenbildung nach typisierender Betrachtung vornehmen und dabei davon ausgehen, dass die
für September 2005 getroffene Wahl der Kindergeldberechtigung im Normalfall den Interessen der
Betroffenen auch in der unmittelbaren Folgezeit noch gerecht werde. Fallkonstellationen, in denen
die Interessenlage einzelner Beschäftigter von der von den Tarifvertragsparteien als typisch
angenommenen abwich, mussten sie nicht regeln (Senat 30. Oktober 2008 - 6 AZR 712/07 -
Rn. 20; vgl. auch BVerfG 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07 ua. - Rn. 60, NJW 2009, 48) .
24 d) Die von den Tarifvertragsparteien in § 11 TVÜ-VKA vorgenommene Gruppenbildung, die die
Zulage allein davon abhängig machte, ob der in den TVöD übergeleitete kindergeldberechtigte
Arbeitnehmer am Stichtag Entgelt bezog, ließ dagegen selbst bei Anlegung eines typisierenden
Maßstabes die durch Art. 6 GG geschützten Belange von Ehe und Familie gleichheits- und
sachwidrig außer Betracht, soweit dadurch auch Arbeitnehmern, die im September 2005 Elternzeit
in Anspruch genommen hatten, der Anspruch auf die tarifliche Besitzstandszulage versagt wurde.
25 aa) Zwar dürfen Tarifvertragsparteien bei der Gruppenbildung generalisieren und typisieren.
Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte
normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind,
können generalisierend vernachlässigt werden. Der Normgeber darf sich grundsätzlich am
Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen
Rechnung zu tragen. Die von ihm vorgenommenen Verallgemeinerungen müssen allerdings auf
eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende
Beobachtung aufbauen. Zudem müssen die Differenzierungsmerkmale im Normzweck angelegt
sein und dürfen diesem nicht widersprechen. Die bei einer solchen Typisierung entstehenden,
unvermeidlichen Ungerechtigkeiten und Härten in einzelnen, besonders gelagerten Fällen, in
denen die Interessenlage von der von den Tarifvertragsparteien als typisch angenommenen
abweicht, sind hinzunehmen, wenn sie nicht besonders schwer wiegen und nur unter
Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl. BVerfG 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07 ua. - Rn. 60,
NJW 2009, 48; BVerfG 23. Juni 2004 - 1 BvL 3/98 ua. - BVerfGE 111, 115; vgl. Senat 30. Oktober
2008 - 6 AZR 712/07 -) .
26 bb) Die bei der tariflichen Besitzstandsregelung des § 11 TVÜ-VKA erfolgte Gruppenbildung
benachteiligte gerade solche Arbeitnehmer gravierend, die aufgrund einer von Art. 6 GG
verbürgten Entscheidung im maßgeblichen Monat September 2005 kein Entgelt erhielten. Zudem
versagte sie diesen Arbeitnehmern den Schutz des Besitzstandes für solche Entgeltbestandteile,
die grundrechtlichen Bezug hatten. Der benachteiligte Personenkreis war also sowohl bezogen auf
den Anlass des fehlenden Entgeltbezugs am Stichtag als auch nach dem Zweck der durch die
Besitzstandsregelung in § 11 TVÜ-VKA gesicherten Entgeltbestandteile besonders schutzwürdig
und schutzbedürftig. Plausible Gründe für diese Benachteiligung lagen nicht vor. Deshalb war es
für diesen Personenkreis kein der Wertung im Lichte des Art. 6 GG standhaltendes typisierendes
Differenzierungsmerkmal für die Gewährung der Besitzstandszulage nach § 11 TVÜ-VKA, ob ein
Arbeitnehmer am Stichtag Entgelt und damit auch einen kinderbezogenen Entgeltbestandteil
bezog oder nicht.
27 (1) Der in § 40 BBesG geregelte Familienzuschlag und der Ortszuschlag im früheren Tarifsystem
des öffentlichen Dienstes entsprachen sich nach Leistungszweck, Leistungsvoraussetzung und -
modalitäten (BVerwG 18. September 2007 - 2 B 27.07 - Rn. 5) . Die kinderbezogenen Bestandteile
dieser Zuschläge sollten einen Beitrag zu der aus der Erziehung und Betreuung von Kindern
folgenden erheblichen finanziellen Belastung leisten (BAG 24. Januar 1984 - 3 AZR 564/82 - zu
III 2 der Gründe; BVerwG 29. September 2005 - 2 C 44.04 - BVerwGE 124, 227, 229) . Der
Entgeltbestandteil, für den die Tarifvertragsparteien Besitzstandsschutz gewährt haben, hatte also
grundrechtlichen Bezug.
28 (2) § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung nahm gerade die Eltern
vom Anspruch auf die Besitzstandszulage aus, die im September 2005 ihr durch Art. 6 Abs. 2 GG
gewährleistetes Elternrecht wahrnahmen und sich dafür des vom Gesetzgeber in Erfüllung seiner
Schutzpflicht aus Art. 6 Abs. 1 GG eröffneten Instituts der Elternzeit bedienten.
29 Gem. Art. 6 Abs. 2 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und
die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Dieses Elternrecht hat nicht nur Grundrechtscharakter,
sondern zugleich eine die gesamte staatliche Ordnung und damit auch die Gerichte bindende
Richtlinienfunktion (vgl. BVerfG 20. Oktober 1954 - 1 BvR 527/52 - BVerfGE 4, 52, 57) . Zum
Elternrecht gehört auch die Befugnis zu entscheiden, ob und in welchem Entwicklungsstadium das
Kind überwiegend von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder
von einem Dritten betreut werden soll. Aus Art. 6 Abs. 1 GG ergibt sich die Verpflichtung des
Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form zu ermöglichen und zu
fördern. Der Staat hat dementsprechend dafür Sorge zu tragen, dass es Eltern gleichermaßen
möglich ist, teilweise und zeitweise auf eine eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der persönlichen
Betreuung ihrer Kinder zu verzichten wie auch Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander
zu verbinden (BVerfG 10. November 1998 - 2 BvR 1057/91 ua. - BVerfGE 99, 216, 231, 234) . In
Erfüllung dieser Schutz- und Fürsorgepflicht hat der Gesetzgeber das gesetzliche Institut der
Elternzeit geschaffen. Sie soll die Ausübung des Erziehungsrechts ohne Verlust des
Arbeitsplatzes erleichtern (BAG 12. November 2002 - 1 AZR 58/02 - BAGE 103, 321, 327) . Sie
dient der Förderung der Betreuung und Erziehung des Kindes in den ersten Lebensjahren durch
die Eltern und der besseren Vereinbarung von Familie und Beruf (Buchner/Becker
Mutterschutzgesetz Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz 8. Aufl. Vor §§ 15 - 21 BEEG Rn. 10;
ErfK/Dörner 9. Aufl. § 15 BEEG Rn. 2) .
30 Diese grundrechtliche Verankerung sowohl der Elternzeit als auch der Entscheidung, sie in
Anspruch zu nehmen, durften die Tarifvertragsparteien nicht außer Betracht lassen. Jedenfalls den
Personenkreis der Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt ihrer Überleitung in den TVöD Elternzeit in
Anspruch nahmen, durften die Tarifvertragsparteien darum auch bei typisierender Betrachtung
nicht allein deshalb aus der tariflichen Besitzstandsregelung ausnehmen, weil diese Arbeitnehmer
im September 2005 kein Entgelt bezogen und damit auch keinen kinderbezogenen
Entgeltbestandteil von ihrem Arbeitgeber gezahlt erhielten.
31 cc) Die tarifliche Regelung führte nicht nur in atypischen Einzelfällen zu vernachlässigungsfähigen
Nachteilen einzelner Betroffener. Es war der bisherigen Entgeltregelung des öffentlichen Dienstes
systemimmanent, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Arbeitnehmer, die grundsätzlich
Anspruch auf die Gewährung kinderbezogener Entgeltbestandteile hatten, gerade wegen der
diesen Anspruch auslösenden Geburt eines Kindes ihren Anspruch auf Elternzeit wahrnahm.
Auch ist die Rückkehr der Arbeitnehmer, die Elternzeit in Anspruch nehmen, an ihren Arbeitsplatz
nach Ende der Elternzeit nicht atypisch, sondern gerade Teil der vom Gesetzgeber mit der
Eröffnung der Elternzeit verfolgten Intention. Die Elternzeit soll die Verbindung von Familientätigkeit
und Erwerbstätigkeit ermöglichen. Darin liegt der Unterschied zu der vom Senat gebilligten
Entscheidung der Tarifvertragsparteien, die Besitzstandszulage an die Wahl der
Kindergeldberechtigung zum Stichtag zu knüpfen, wenn beide Ehegatten im öffentlichen Dienst
beschäftigt waren. Dies führte nur in atypischen Konstellationen zu Nachteilen für einzelne
Arbeitnehmer (Senat 30. Oktober 2008 - 6 AZR 712/07 - Rn. 19) .
32 Die erfolgte Gruppenbildung trifft auch gerade Arbeitnehmer, die sich unmittelbar vor der
Überleitung in den TVöD in Elternzeit befanden, finanziell besonders hart, weil sie bereits während
der Elternzeit kein Arbeitsentgelt erhielten. Durch die Versagung der Besitzstandszulage wird die
finanzielle Schlechterstellung dieser Gruppe für die Zeit nach Wiederaufnahme der Tätigkeit
teilweise perpetuiert. So entginge einer Arbeitnehmerin, die alleinerziehende Mutter zweier Kinder
ist und nach der Geburt des zweiten Kindes im Mai 2005 von Mitte August 2005 bis 16. Februar
2006 Elternzeit in Anspruch genommen hatte, dauerhaft die kinderbezogene Besitzstandzulage
von ca. 180,00 Euro brutto monatlich (vgl. Senat 18. Dezember 2008 - 6 AZR 9/08 -) .
33 Die Benachteiligung der Arbeitnehmer, die sich im September 2005 in Elternzeit befanden, ließ
sich von den Tarifvertragsparteien auch unschwer vermeiden, wie bereits die Tarifänderung im
Jahr 2008 zeigt.
34 3. Wegen der Teilnichtigkeit von § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA hat die Klägerin Anspruch auf die tarifliche
Besitzstandszulage.
35 Verstöße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG lösen bei Tarifverträgen und Gesetzen
die gleichen Rechtsfolgen aus. Soweit dem Normgeber ein Regelungsspielraum verbleibt, haben
die Gerichte für Arbeitssachen dies zu respektieren. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs
des Tarifvertrages ist nicht ohne Weiteres möglich. Die unzulässigerweise ausgeklammerten
Personen haben jedoch dann Anspruch auf die Vergünstigung, wenn der Normgeber nur auf
diesem Weg dem Gleichheitssatz Rechnung tragen kann oder wenn anzunehmen ist, dass der
Normgeber bei Beachtung des Gleichheitssatzes alle zu berücksichtigenden Personen in die
Vergünstigung einbezogen hätte (vgl. BVerfG 28. Januar 1992 - 1 BvR 1025/82 ua. - BVerfGE 85,
191, 211 f.; BAG 7. März 1995 - 3 AZR 282/94 - BAGE 79, 236, 247 f.) .
36 Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Für die Vergangenheit kann dem
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nur dadurch entsprochen werden, dass auch den
benachteiligten Arbeitnehmern die vorenthaltene Leistung verschafft wird. Schon aus Gründen des
Vertrauensschutzes kann die gebotene Gleichheit nicht dadurch hergestellt werden, dass auch
begünstigten Arbeitnehmern die Besitzstandszulage für die Vergangenheit entzogen wird (vgl.
BAG 7. März 1995 - 3 AZR 282/94 - BAGE 79, 236, 248) . Im Übrigen entspräche dies nicht dem
Willen der Tarifvertragsparteien, wie die ab 1. Juli 2008 geltende Protokollerklärung Nr. 1 zu § 11
Abs. 1 TVÜ-VKA belegt.
37 II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fischermeier
Linck
Spelge
Spiekermann
Matiaske