Urteil des BAG vom 30.10.2008

BAG: kinderbezogene Besitzstandszulage, § 11 TVÜ-VKA, Schutz von Ehe und Familie, Stichtagsregelung, ortszuschlag, gruppenbildung, wahlrecht, gestaltungsspielraum, anknüpfung, haushalt

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 30.10.2008, 6 AZR 712/07
TVöD - kinderbezogene Besitzstandszulage - § 11 TVÜ-VKA - Schutz von Ehe und Familie -
Stichtagsregelung
Leitsätze
1. Tarifliche Normen sind unwirksam, wenn sie zu einer Gruppenbildung führen, die die durch Art. 6 Abs.
1 GG geschützten Belange von Ehe und Familie gleichheits- oder sachwidrig außer Betracht lässt.
2. § 11 TVÜ-VKA hält einer Kontrolle an diesem Maßstab stand, soweit er den in den TVöD
übergeleiteten Arbeitnehmern, deren Ehegatte ebenfalls im öffentlichen Dienst beschäftigt war und die
nach der Konkurrenzregelung des § 29 Abschn. B Abs. 6 BAT keinen Anspruch auf den
kinderbezogenen Entgeltbestandteil im Ortszuschlag bzw. einen Sozialzuschlag nach § 33 BMT-G II
hatten, keine Möglichkeit eingeräumt hat, durch Änderung des Kindergeldbezugs nach dem 30.
September 2005 eine kinderbezogene Besitzstandszulage zu erhalten.
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-
Württemberg - Kammern Mannheim - vom 8. Mai 2007 - 14 Sa 54/06 - wird
zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt für den Zeitraum ab 1. Oktober 2005 eine kinderbezogene Besitzstandszulage
in rechnerisch unstreitiger Höhe.
2 Der Kläger ist bei der Beklagten in dem von ihr betriebenen Nationaltheater als
Beleuchtungstechniker beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien waren aufgrund
einzelvertraglicher Vereinbarung die Vorschriften des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter
gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) anzuwenden. Mit Wirkung zum 1. Oktober
2005 wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD)
übergeleitet. Der Kläger ist verheiratet und hat mit seiner Ehefrau zwei Kinder. Das zweite Kind ist
am 27. Juli 2005 geboren. Die Ehefrau des Klägers, auf deren Arbeitsverhältnis der Bundes-
Angestelltentarifvertrag (BAT) auch nach dem 30. September 2005 Anwendung fand, erhielt stets
den kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlages gemäß § 29 Abschn. B Abs. 3 und 6 BAT, weil ihr
das Kindergeld gewährt wurde. Dieser Entgeltbestandteil floss auch in den Zuschuss zum
Mutterschaftsgeld während des bis zum 1. Oktober 2005 andauernden Mutterschutzes ein. Ab dem
2. Oktober 2005 befand sich die Ehefrau des Klägers in Elternzeit. Am 22. September 2005
beantragte der Kläger Gewährung des Sozialzuschlags nach § 33 BMT-G II, der unter denselben
Voraussetzungen wie der kinderbezogene Entgeltbestandteil im Ortszuschlag nach § 29 BAT
gewährt wurde. Einen Kindergeldantrag stellte er nicht. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom
27. September 2005 die Zahlung einer Besitzstandszulage nach § 11 des Tarifvertrages zur
Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des
Übergangsrechts vom 13. September 2005 (TVÜ-VKA) ab. Diese Bestimmung hat folgenden Inhalt:
㤠11 Kinderbezogene Entgeltbestandteile
(1)
Für im September 2005 zu berücksichtigende Kinder werden die kinderbezogenen
Entgeltbestandteile des BAT/BAT-O/BAT-Ostdeutsche Sparkassen oder BMT-
G/BMT-G-O in der für September 2005 zustehenden Höhe als Besitzstandszulage
fortgezahlt, solange für diese Kinder Kindergeld nach dem Einkommenssteuergesetz
(EStG) oder nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ununterbrochen gezahlt wird
oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG
gezahlt würde. Die Besitzstandszulage entfällt ab dem Zeitpunkt, zu dem einer
anderen Person, die im öffentlichen Dienst steht oder auf Grund einer Tätigkeit im
öffentlichen Dienst nach beamtenrechtlichen Grundsätzen oder nach einer
Ruhelohnordnung versorgungsberechtigt ist, für ein Kind, für welches die
Besitzstandszulage gewährt wird, das Kindergeld gezahlt wird; die Änderung der
Kindergeldberechtigung hat die/der Beschäftigte dem Arbeitgeber unverzüglich
schriftlich anzuzeigen. Unterbrechungen wegen der Ableistung von Grundwehrdienst,
Zivildienst oder Wehrübungen sowie die Ableistung eines freiwilligen sozialen oder
ökologischen Jahres sind unschädlich; soweit die unschädliche Unterbrechung bereits
im Monat September 2005 vorliegt, wird die Besitzstandszulage ab dem Zeitpunkt des
Wiederauflebens der Kindergeldzahlung gewährt.
(3)
Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für
a) zwischen dem 1. Oktober 2005 und dem 31. Dezember 2005 geborene Kinder der
übergeleiteten Beschäftigten,
b) die Kinder von bis zum 31. Dezember 2005 in ein Arbeitsverhältnis
übernommenen Auszubildenden, Schülerinnen/Schüler in der Gesundheits- und
Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und in der
Entbindungspflege sowie Praktikantinnen und Praktikanten aus tarifvertraglich
geregelten Beschäftigungsverhältnissen, soweit diese Kinder vor dem 1. Januar
2006 geboren sind.“
3 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Stichtagsregelung des § 11 TVÜ-VKA sei
widersprüchlich und nicht sachgerecht. Er habe auf die erst im Oktober 2005 in Kraft getretene
tarifliche Neuregelung nicht reagieren können. Die Tarifvertragsparteien hätten den Betroffenen die
Möglichkeit eröffnen müssen, innerhalb einer angemessenen Frist die Bezugsberechtigung des
Kindergeldes zu ändern. Die tarifliche Regelung verletze Art. 3 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 GG.
Mit seiner Klage begehrt er Zahlung einer kinderbezogenen Zulage von 181,14 Euro monatlich für
die Zeit von Oktober 2005 bis einschließlich Juni 2006 und Feststellung der Verpflichtung der
Beklagten zur Zahlung dieses Entgeltbestandteils.
4 Der Kläger hat zuletzt beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.630,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf im Einzelnen genannte, gestaffelte
Beträge zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die kinderbezogenen
Entgeltbestandteile gemäß § 11 Abs. 1 TVÜ-Kommunen für die Kinder J und M ab
1. Oktober 2005 zu zahlen.
5 Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags die Besitzstandsregelung des § 11
TVÜ-VKA als verfassungskonform verteidigt.
6 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung
zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger
sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
7 Die Revision ist unbegründet. Die Feststellungsklage ist dahin auszulegen, dass der Kläger damit
nur die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der kinderbezogenen Zulage für die Zeit ab Juli
2006 festgestellt wissen will, und in dieser Auslegung zulässig. Die Vorinstanzen haben die Klage
jedoch zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die
Besitzstandszulage nach § 11 TVÜ-VKA.
8 I.1. Die Besitzstandsregelung des § 11 TVÜ-VKA knüpft nach ihrem eindeutigen Wortlaut daran,
dass Kinder im September 2005 zu berücksichtigen waren, für sie also dem in den TVöD
übergeleiteten Arbeitnehmer der kinderbezogene Entgeltbestandteil im Ortszuschlag bzw. der
Sozialzuschlag gezahlt wurde. Waren wie im vorliegenden Fall beide Ehegatten im öffentlichen
Dienst tätig, erhielt nach der Konkurrenzregelung des § 29 Abschn. B Abs. 6 Satz 1 BAT, hier iVm.
§ 33 BMT-G II, nur der Ehegatte den kinderbezogenen Entgeltbestandteil, dem das Kindergeld
gewährt wurde oder ohne Berücksichtigung des § 65 EStG oder § 4 BKGG vorrangig zu gewähren
gewesen wäre. Nach § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld
gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in
seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG) . Ist das Kind in den gemeinsamen
Haushalt von einem Elternteil und dessen Ehegatten aufgenommen worden, bestimmen diese
untereinander den Berechtigten (§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG) . Den kinderbezogenen
Entgeltbestandteil im Ortszuschlag erhielt also im Konkurrenzfall des § 29 Abschn. B Abs. 6 BAT
bei einem gemeinsamen Hausstand des Ehepaares nur der Ehegatte, den die Eheleute als
Anspruchsberechtigten für das Kindergeld bestimmt hatten. Anspruch auf die Besitzstandszulage
nach § 11 TVÜ-VKA hat in der vorliegenden Konstellation daher nur der Ehegatte, zu dessen
Gunsten die Eheleute spätestens für September 2005 ihr Wahlrecht nach § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG
ausgeübt hatten und der deshalb im September 2005 den kinderbezogenen Entgeltbestandteil im
Ortszuschlag bzw. den Sozialzuschlag bezog (vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD
Stand August 2007 § 11 TVÜ-VKA Rn. 9; Dassau/Wiesend-Rothbrust TVöD 5. Aufl. § 11 TVÜ-
VKA Rn. 6) .
9 Dies wird durch § 11 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA bestätigt. Danach entfällt der Anspruch auf die
Besitzstandszulage, wenn die Kindergeldberechtigung wechselt. Daraus folgt im Umkehrschluss,
dass Anspruch auf die Besitzstandszulage nur der in den TVöD übergeleitete Arbeitnehmer hat,
der am Stichtag selbst kindergeldberechtigt im tariflichen Sinne war, also Kindergeld bezogen hat.
10 2. Entgegen der Auffassung der Revision zeigen die Protokollerklärungen, die durch den
Änderungsvertrag Nr. 2 vom 31. März 2008 zum TVÜ-VKA § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA hinzugefügt
worden sind, nicht, dass diese „enge Auslegung“ des § 11 TVÜ-VKA sachwidrig ist. Die hier allein
in Betracht kommende Protokollerklärung Nr. 3 gewährt iVm. der Protokollerklärung Nr. 5
Beschäftigten mit mehr als zwei Kindern, die im September 2005 für das dritte und jedes weitere
Kind keinen kinderbezogenen Entgeltbestandteil erhalten haben, weil sie nicht zum
Kindergeldberechtigten bestimmt waren, für die Zeit ab 1. Juli 2008 bzw. (bei entsprechendem
Antrag vor dem 1. April 2008) ab 1. Juni 2008 für das dritte und jedes weitere Kind einen Anspruch
auf die Besitzstandszulage, solange sie für diese Kindergeld erhalten. Diese Protokollerklärung ist
jedoch eine bloße Härtefallregelung, die die mit der Überleitung in den TVöD für den in dieser
Regelung angesprochenen Personenkreis der im öffentlichen Dienst beschäftigten Ehepaare
verbundenen Härten abfedern soll, und lässt keine Rückschlüsse darauf zu, dass die
Tarifvertragsparteien der Besitzstandsregelung des § 11 TVÜ-VKA einen anderen Inhalt
beimessen wollten, als der Wortlaut ergibt.
11 3. Soweit die Revision auf die Protokollerklärung zu § 11 TVÜ-Länder verweist, die in Satz 4 den
Beschäftigten, die im Oktober 2006 nicht kindergeldberechtigt waren, Anspruch auf die
Besitzstandszulage einräumt, sofern bis zum 31. Dezember 2006 ein Berechtigtenwechsel erfolgt,
handelt es sich um ein anderes Tarifwerk, das von anderen Tarifvertragsparteien geschlossen
worden ist. Diese Bestimmung kann daher weder zur Auslegung des § 11 TVÜ-VKA
herangezogen werden noch waren die Tarifvertragsparteien verpflichtet, im Geltungsbereich des
TVöD Regelungen zu treffen, die denen im Bereich des TV-L vergleichbar wären.
12 4. Der Kläger und seine Ehefrau haben ihr Wahlrecht nach § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG zugunsten der
Ehefrau des Klägers ausgeübt, die unstreitig noch im September 2005 Kindergeld und den daran
geknüpften kinderbezogenen Entgeltbestandteil im Ortszuschlag bezogen hat. Der Kläger kann
daher aus der tariflichen Besitzstandsregelung keinen Anspruch herleiten.
13 II. § 11 TVÜ-VKA ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Insbesondere ist durch diese Bestimmung
der durch Art. 6 Abs. 1 GG eingeengte Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien nicht
überschritten.
14 1. Die Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar
grundrechtsgebunden (Senat 27. Mai 2004 - 6 AZR 129/03 - BAGE 111, 8, 15) . Deshalb kann die
tarifliche Regelung nicht unmittelbar am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG und des Art. 6 Abs. 1 GG
gemessen werden, zumal der Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 1 GG sich nur an die staatliche
Ordnung, nicht aber an die Tarifvertragsparteien als Vereinigungen privaten Rechts richtet. Die
Tarifvertragsparteien haben deshalb nicht die Pflicht, durch tarifliche Regelungen zum besonderen
Schutz von Ehe und Familie beizutragen (ErfK/Dieterich 8. Aufl. Art. 6 GG Rn. 16) . Das
Grundgesetz will aber keine wertneutrale Ordnung sein, sondern enthält in seinem
Grundrechtsabschnitt verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts.
Art. 6 Abs. 1 GG ist eine wertentscheidende Grundsatznorm, die nicht nur eine Institutsgarantie
beinhaltet, sondern zugleich eine verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des
Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts enthält (BVerfG st. Rspr. seit der
Entscheidung vom 17. Januar 1957 - 1 BvL 4/54 - BVerfGE 6, 55, 71 f.) . Diese Wertentscheidung
der Verfassung verpflichtet auch die staatlichen Gerichte, die kraft Verfassungsgebots bei der
Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts die sich aus dem Schutzauftrag der
Verfassung ergebenden Modifikationen des Privatrechts zu beachten haben (Art. 1 Abs. 3 GG,
vgl. BVerfG 15. Januar 1958 -1 BvR 400/51 - BVerfGE 7, 198, 206; 7. Februar 1990 - 1 BvR
26/84 - BVerfGE 81, 242, 254 ff.).
15 Für die Auslegung und Anwendung tariflicher Normen, die die Belange von Ehe und Familie
berühren, folgt daraus, dass die Tarifvertragsparteien aufgrund der Schutzpflichtfunktion der
Grundrechte bei ihrer tariflichen Normsetzung den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1
GG sowie die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 GG beachten müssen,
als selbständige Grundrechtsträger dabei aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten
Tarifautonomie aber einen weitergehenden Gestaltungsspielraum als der Gesetzgeber haben.
Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und
betroffenen Interessen zu. Sie sind nicht dazu verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste,
vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen, vielmehr genügt es, wenn sich für die getroffene
Regelung ein sachlich vertretbarer Grund ergibt (Senat 27. Mai 2004 - 6 AZR 129/03 - BAGE 111,
8, 15 ff., 18 f.). Dieser Spielraum ist jedoch wiederum durch die Wertentscheidungen des Art. 6
GG, denen die Arbeitsgerichte zur Geltung zu verhelfen haben, eingeengt (vgl. BVerfG 7. Juli 1992
- 1 BvL 51/86 ua. - BVerfGE 87, 1, 39 für den Gesetzgeber; BAG 25. Februar 1987 - 8 AZR
430/84 - BAGE 54, 210, 215) . Die Schutzpflichtfunktion der Grundrechte verpflichtet deshalb die
Rechtsprechung dazu, solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu einer
Gruppenbildung führen, die die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Belange von Ehe und Familie
gleichheits- oder sachwidrig außer Betracht lässt (vgl. ErfK/Dieterich 8. Aufl. Einl. GG Rn. 57 f.,
Art. 6 GG Rn. 15; vgl. zum Verbot gleichheitswidriger Differenzierungen auch Senat 27. Mai 2004 -
6 AZR 129/03 - BAGE 111, 8, 16).
16 2. An diesem Maßstab gemessen, begegnet die tarifliche Übergangsregelung des § 11 TVÜ-VKA
auch insoweit keinen Bedenken, als die Tarifvertragsparteien den in den TVöD übergeleiteten
Arbeitnehmern, deren Ehegatte ebenfalls im öffentlichen Dienst beschäftigt war und die am
Überleitungsstichtag, weil ihr Ehegatte als Anspruchsberechtigter für das Kindergeld bestimmt
worden war, nach der Konkurrenzregelung des § 29 Abschn. B Abs. 6 BAT keinen Anspruch auf
den kinderbezogenen Entgeltbestandteil im Ortszuschlag bzw. einen Sozialzuschlag nach § 33
BMT-G II hatten, keine Möglichkeit eingeräumt haben, die Zuordnung des Kindergeldbezugs nach
dem 30. September 2005 zu ändern.
17 a) Die Tarifvertragsparteien haben die Besitzstandszulage an den tatsächlichen, individuellen
Besitzstand des Arbeitnehmers im letzten Monat vor dessen Überleitung in den TVöD geknüpft.
Das ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Stichtagsregelungen sind Typisierungen in der Zeit,
die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Ausdruck einer gebotenen
pauschalisierenden Betrachtung sind. Sie sind aus Gründen der Praktikabilität ungeachtet der
damit verbundenen Härten zur Abgrenzung des begünstigten Personenkreises gerechtfertigt,
wenn sich die Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiert und demnach vertretbar
ist (Senat 11. Dezember 2003 - 6 AZR 64/03 - BAGE 109, 110, 120) . Die Stichtagsregelung in
§ 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA orientiert sich am gegebenen Sachverhalt. Sie bestimmt mit dem
September 2005 den letzten Monat, in dem kinderbezogene Entgeltbestandteile im durch den
TVöD abgelösten Entgeltgefüge des öffentlichen Dienstes vorgesehen waren, zum
Anknüpfungspunkt für die Besitzstandszulage. Dies ist sachgerecht (vgl.
Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Stand August 2007 § 11 TVÜ-VKA Rn. 8) . Auch
der von der Revision zitierte Aufsatz von Heimann (NZA 2008, 23, 25) geht lediglich davon aus,
dass die Tarifvertragsparteien verpflichtet gewesen seien, hinsichtlich erworbener
Entgeltbestandteile Besitzstandsschutz zu gewähren.
18 b) Die Anknüpfung der nach § 11 TVÜ-VKA gewährten Besitzstandszulage an den Bezug des
kinderbezogenen Entgeltbestandteils im Ortszuschlag im September 2005 führt auch in Fällen wie
dem vorliegenden nicht zu einer Gruppenbildung, die die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten
Belange von Ehe und Familie gleichheits- oder sachwidrig außer Betracht lässt. Die
Tarifvertragsparteien waren unter der Geltung des BAT verfassungsrechtlich nicht verpflichtet,
durch zusätzliche Vergütungsbestandteile einen sozialen, familienbezogenen Ausgleich zu
gewähren (BAG 16. August 2005 - 9 AZR 580/04 - EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 17) . Nachdem
sie sich in ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschlossen hatten, mit
dem Inkrafttreten des TVöD die ursprünglich verfolgte ehe- und familienbezogene
Ausgleichsfunktion eines Teils des Entgelts aufzugeben, waren sie lediglich gehindert, bestimmte
Arbeitnehmergruppen ohne auch unter Beachtung der Wertentscheidungen des Art. 6 GG sachlich
vertretbaren Grund von der Besitzstandsregelung hinsichtlich des kinderbezogenen
Entgeltbestandteils im Ortszuschlag ganz oder teilweise auszuschließen (st. Rspr., vgl. BVerfG
28. Januar 2003 - 1 BvR 487/01 - BVerfGE 107, 133, 141) .
19 aa) Die tarifliche Besitzstandsregelung schließt nicht pauschal Ehepaare, bei denen beide
Ehepartner im September 2005 im öffentlichen Dienst beschäftigt waren, von der
Besitzstandsregelung aus. Ebenso wenig führt sie dazu, dass der Familie von solchen Ehepaaren
bei der Entscheidung eines Ehegatten, ab dem 1. Oktober 2005 oder später Elternzeit zu nehmen,
generell der kinderbezogene Entgeltbestandteil entzogen wurde. § 11 TVÜ-VKA knüpft in den
Fällen, in denen im September 2005 beide Ehegatten ein Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit
im öffentlichen Dienst bezogen, nicht an die ab dem 1. Oktober 2005 oder später beginnende
Elternzeit an, sondern allein an die für September 2005 getroffene Wahl, welcher der Ehegatten
zum Anspruchsberechtigten für das Kindergeld bestimmt worden war. Dies zeigt die Umkehrung
des Falls des Klägers: Wäre der Kläger bei einem Arbeitgeber beschäftigt gewesen, bei dem auch
nach dem 1. Oktober 2005 noch der BAT galt, und wäre die Ehefrau des Klägers bei der Beklagten
tätig gewesen, von den Eheleuten als Kindergeldberechtigte bestimmt gewesen und am
2. Oktober 2005 in Elternzeit gegangen, so hätte sie Anspruch auf die Besitzstandszulage nach
§ 11 TVÜ-VKA gehabt. Hätte andererseits in der hier vorliegenden Beschäftigungskonstellation der
Kläger ab dem 2. Oktober 2005 Elternzeit in Anspruch genommen und seine Ehefrau
dementsprechend weitergearbeitet, so wäre der kinderbezogene Entgeltbestandteil wie bis zum
September 2005 auch über den 1. Oktober 2005 hinaus weiterhin an diese geflossen. Deshalb
verfängt das Argument der Revision, die tarifliche Regelung schränke die freie Entscheidung der
Eheleute über die Verteilung der Pflicht zur Betreuung der gemeinsamen Kinder ein, nicht.
20 bb) Die Tarifvertragsparteien haben mit der Bestimmung der von den Ehegatten getroffenen Wahl
der Anspruchsberechtigung für den Bezug des Kindergeldes als Anknüpfungspunkt für den Schutz
des tariflichen Besitzstandes in zulässiger Weise auf die im September 2005 typischerweise bei
Ehegatten, in denen beide Partner im öffentlichen Dienst beschäftigt waren, vorliegende
Interessenlage abgestellt. Sie durften davon ausgehen, dass die Beschäftigten, bei denen wegen
der Konkurrenzregelung des § 29 Abschn. B Abs. 6 BAT die Möglichkeit bestand, frei zu
entscheiden, welchem der beiden Ehegatten der kinderbezogene Entgeltbestandteil im
Ortszuschlag zufließen sollte, von ihrem Wahlrecht in einer der konkreten finanziellen
Interessenlage in ihrer individuellen Familiensituation entsprechenden Weise Gebrauch gemacht
hatten. Dabei konnte es durchaus der Interessenlage der Familie entsprechen, das Einkommen
eines Ehegatten, etwa im Hinblick auf Unterhaltspflichten und -ansprüche, Lohnpfändungen oder
Einkommensgrenzen für die Inanspruchnahme sozialer Leistungen, bewusst niedrig zu halten,
und deshalb den kinderbezogenen Entgeltbestandteil dem anderen Ehegatten zufließen zu lassen.
An diese einmal getroffene Wahl durften die Tarifvertragsparteien bei der Festlegung der
Voraussetzungen für die Besitzstandszulage anknüpfen. Die ausschließliche Anknüpfung an die
Kindergeldberechtigung im Monat September auch in den Fällen, in denen wie beim Kläger eine
Änderung der Kindergeldberechtigung unmittelbar nach dem 30. September 2005 den finanziellen
Interessen der Familie nach altem Recht eher entsprochen hätte, zB bei Beginn der Elternzeit des
nicht in den TVöD übergeleiteten Ehegatten, bei Ausscheiden des anderen Ehegatten aus dem
öffentlichen Dienst oder dessen Tod, mag den Betroffenen ungerecht erscheinen. Die
Tarifvertragsparteien durften aber eine Gruppenbildung nach typisierender Betrachtung vornehmen
und dabei davon ausgehen, dass die für September 2005 getroffene Wahl der
Kindergeldberechtigung im Normalfall den Interessen der Betroffenen auch in der unmittelbaren
Folgezeit noch gerecht werde. Fallkonstellationen wie die vorliegende, in denen die Interessenlage
einzelner Beschäftigter von der von den Tarifvertragsparteien als typisch angenommenen
abweicht, mussten sie nicht regeln. Sie waren nicht verpflichtet, bei der Überleitung der
Beschäftigten in den TVöD sämtliche denkbaren künftigen Nachteile finanziell auszugleichen (vgl.
Senat 25. Oktober 2007 - 6 AZR 95/07 - Rn. 26, ZTR 2008, 380) oder Vorsorge für jede in Zukunft
denkbare Beschäftigungskonstellation und Erwerbssituation der Ehegatten und deren Verteilung
der Betreuungspflichten für die gemeinsamen Kinder zu treffen. Dies wäre bei der Kompliziertheit
der durch den TVöD abgelösten Tarifverträge des öffentlichen Dienstes und der Vielfalt der
Interessen der betroffenen Beschäftigten in einer handhabbaren Weise nicht möglich gewesen. Die
Tarifvertragsparteien durften sich auf die Wahrung des Ist-Zustandes beschränken. Sie mussten
deshalb den Betroffenen auch nicht die Möglichkeit eröffnen, innerhalb einer angemessenen Frist
nach dem 30. September 2005 die Wahl der Anspruchsberechtigung für das Kindergeld zu ändern.
21 c) Die Gruppe der in den TVöD übergeleiteten Beschäftigten, die für die zwischen dem 1. Oktober
2005 und dem 31. Dezember 2005 geborenen Kinder eine Besitzstandszulage erhalten können
(§ 11 Abs. 3 Buchst. a und b TVÜ-VKA) , ist mit der Gruppe der Arbeitnehmer, die für vor dem
30. September 2005 geborene Kinder nicht kindergeldberechtigt war und deshalb keine
Besitzstandszulage erhält, nicht vergleichbar. Diese Regelung erweitert den Bestandsschutz in
zeitlicher Hinsicht nur für die Kinder, für die am Überleitungsstichtag noch überhaupt keine
Kindergeldberechtigung bestand, für die ein etwaiges nach der Konkurrenzregelung des § 29
Abschn. B Abs. 6 BAT bestehendes Wahlrecht also noch gar nicht ausgeübt worden sein konnte.
In diesen Fällen gab es also keinen Anknüpfungspunkt für eine typischerweise fortbestehende
finanzielle Interessenlage. Bei typisierender Betrachtung liegen zwischen diesen beiden Gruppen
deshalb sachbezogene Unterschiede vor, die eine unterschiedliche Behandlung bei dem Anspruch
auf eine Besitzstandszulage rechtfertigen.
22 III. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Besitzstandszulage nach der tariflichen
Härtefallregelung in der Protokollnotiz Nr. 3 iVm. Nr. 5 zu § 11 TVÜ-VKA idF des
Änderungstarifvertrages Nr. 2 vom 31. März 2008 zum TVÜ-VKA für die Zeit ab 1. Juni 2008. Er
erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen dieser Härtefallregelung bereits deshalb nicht, weil er nicht
drei oder mehr Kinder hat. Auch insoweit ist keine Gruppenbildung erfolgt, die die durch Art. 6
Abs. 1 GG geschützten Belange von Ehe und Familie gleichheits- oder sachwidrig außer Betracht
lässt. Mit dieser Regelung wollen die Tarifvertragsparteien ersichtlich den Umstand
berücksichtigen, dass mit steigender Kinderzahl auch der Aufwand der Familie steigt (vgl. Felix in
Kirchhof EStG 8. Aufl. § 66 Rn. 1) und diesen erhöhten Aufwand gerade kinderreicher Familien
ausgleichen. Auch der Gesetzgeber differenziert hinsichtlich der Höhe des Kindergeldes in § 66
EStG nach der Anzahl der Kinder. Bis zum Veranlagungszeitraum 2001 stieg die Höhe des
Kindergeldes ab dem dritten und noch einmal ab dem vierten Kind. Ab dem Veranlagungszeitraum
2002 ist das Kindergeld für das erste bis dritte Kind einheitlich auf 154,00 Euro festgesetzt, für das
vierte und jedes weitere Kind wird ein um 25,00 Euro höherer Betrag gewährt. Die tarifliche
Differenzierung in der Härtefallregelung der Protokollnotiz Nr. 3 zu § 11 TVÜ-VKA benachteiligt
Familien mit nur ein oder zwei Kindern deshalb nicht sachwidrig.
23 IV. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Fischermeier
Linck
Spelge
Augat
B. Stang