Urteil des BAG vom 17.10.2012

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist - Verschulden des Prozessbevollmächtigten

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 17.10.2012, 3 AZR
633/12
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist -
Verschulden des Prozessbevollmächtigten
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Köln vom 8. März 2012 - 13 Sa 1232/11 - wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 7.200,00 Euro
festgesetzt.
Gründe
1 I. Die Parteien streiten darüber, ob bei der Berechnung der betrieblichen
Erwerbsminderungsrente der Klägerin nur die tatsächlich zurückgelegte
Beschäftigungszeit zu berücksichtigen ist oder nach § 12 Abs. 2 des Tarifvertrags über die
IKK-Betriebsrente (im Folgenden: TV-IKK-BR) die bis zur Vollendung des
60. Lebensjahres fehlenden garantierten Rentenbausteine hinzuzufügen sind.
2 Die 1961 geborene Klägerin war vom 1. März 1983 bis 11. September 2003 als
Verwaltungsangestellte bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Die
Beklagte hatte der Klägerin eine Versorgungszusage auf der Grundlage des Tarifvertrags
über die IKK-Betriebsrente erteilt. Nach § 4 Abs. 3 TV-IKK-BR erhalten „Beschäftigte“, die
vor Erreichen der Altersgrenze aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden und nachweisen,
dass sie eine Rente wegen vorläufiger oder teilweiser Erwerbsminderung im Sinne der
gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, für die Dauer eines Bezugs dieser Rente vom
Arbeitgeber eine Betriebsrente. Endet das Beschäftigungsverhältnis vor Eintritt des
Versorgungsfalls, richten sich die Ansprüche gemäß § 5 Abs. 1 TV-IKK-BR nach dem
BetrAVG. § 12 Abs. 2 TV-IKK-BR lautet auszugsweise:
„Dem Beschäftigten werden bei Eintritt der vollen Erwerbsminderung (§ 4 Abs. 3) -
vorbehaltlich der Wartezeitvoraussetzungen - bei der Berechnung der Rente
wegen voller Erwerbsminderung zu den tatsächlich erworbenen Rentenbausteinen
(garantierte Rentenbausteine und zugewiesene Bonusrenten) die bis zur
Vollendung des 60. Lebensjahres fehlenden garantierten Rentenbausteine …
hinzugefügt. ...“
3 Die Klägerin bezieht seit dem 1. Dezember 2004 eine gesetzliche
Erwerbsminderungsrente und von der Beklagten eine Betriebsrente. Bei deren
Berechnung berücksichtigte die Beklagte die tatsächliche Beschäftigungszeit der Klägerin
vom 1. März 1983 bis zum 11. September 2003.
4 Mit Schreiben vom 11. August 2008 verlangte die Klägerin die Berechnung der Rente
unter Berücksichtigung der bis zum 60. Lebensjahr fehlenden Rentenbausteine. Nachdem
die IKK-Betriebliche Zusatzversorgungskasse e.G. der Klägerin mit Schreiben vom
27. August 2008 mitgeteilt hatte, dass bei vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmern der
Anspruch auf die während der aktiven Zeit erworbenen Rentenbausteine begrenzt sei, hat
die Klägerin mit ihrer am 29. Dezember 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage
ihr Begehren weiterverfolgt.
5 Die Klägerin hat beantragt
1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Bemessung der Höhe
ihrer Erwerbsminderungsrente aus der betrieblichen Zusatzversorgung auch
diejenigen Rentenbausteine zu berücksichtigen, die sich bis zur Vollendung
des 60. Lebensjahres ergeben würden,
2. die Beklagte zu verurteilen, die Höhe der Erwerbsminderungsrente auf dieser
Basis rückwirkend seit dem 1. Juni 2004 neu zu berechnen und auszuzahlen.
6 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
7 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat das
erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Klägerin teilweise abgeändert und der Klage
hinsichtlich des Feststellungsantrags vollständig und hinsichtlich der Neuberechnung ab
dem 1. Januar 2007 stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen.
Gegen das der Beklagten am 18. Juni 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am
16. Juli 2012 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Revision eingelegt.
8 Mit einem dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 12. September 2012
zugestellten Schreiben hat der Senat darauf hingewiesen, dass eine Begründung der
Revision nicht eingegangen ist. Daraufhin hat die Beklagte mit einem am 26. September
2012 eingegangenen Schriftsatz wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Revision begründet, mit der sie
ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
9 Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Prozessbevollmächtigte der
Beklagten ausgeführt, die Rechtsanwaltsfachangestellte Z habe am 18. Juni 2012 sowohl
auf der schriftlichen Ausfertigung des Berufungsurteils als auch im handschriftlich
geführten Fristenkalender der Kanzlei und in dem EDV-gestützten Fristenkalender der
Kanzlei jeweils „Revision HF: 18.07.2012 VF: 11.07.2012“ eingetragen, obwohl in der
Kanzlei die allgemeine Anweisung bestehe, bei Zustellung eines schriftlich abgefassten
Urteils sowohl auf diesem selbst als auch in dem handschriftlichen und dem EDV-
gestützten Fristenkalender sowohl die Frist für den Antrag auf Tatbestandsberichtigung,
als auch die Rechtsmittelfrist sowie die Rechtsmittelbegründungsfrist zu notieren. Bei
jeder dieser drei Fristen seien jeweils die eigentliche Frist (Hauptfrist) und die Vorfrist zu
erfassen. Diese Praxis sei aufgrund wiederholter anwaltlicher Anweisungen stets
eingehalten worden. Der am 18. Juni 2012 mit der Erfassung der Eingangspost
beschäftigten Rechtsanwaltsfachangestellten Z sei es - wie dem Prozessbevollmächtigten
der Beklagten selbst - unerklärlich, warum sie entgegen der ihr seit ihrem ersten
Ausbildungsjahr geläufigen Praxis nur die Revisionsfrist nebst Vorfrist notiert habe.
10 II. Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der gesetzlichen
Frist begründet worden ist und die Voraussetzungen für die Gewährung von
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen.
11 1. Die Revision ist nicht rechtzeitig begründet worden. Die zweimonatige Frist zur
Einreichung der Revisionsbegründungsschrift hat mit der Zustellung des vollständig
abgefassten Berufungsurteils am 18. Juni 2012 zu laufen begonnen (§ 74 Abs. 1 Satz 1
und Satz 2 ArbGG). Die Revisionsbegründung ist beim Bundesarbeitsgericht erst am
26. September 2012 und damit nach dem Ablauf der Frist eingegangen.
12 2. Der Beklagten war wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist keine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der hierauf gerichtete zulässige
Antrag ist nicht begründet.
13 a) Der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten ist zulässig. Er ist rechtzeitig innerhalb der
Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 ZPO nach Behebung des Hindernisses
formgerecht (§ 236 Abs. 1 ZPO) sowie unter Angabe der die Wiedereinsetzung
begründenden Tatsachen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) beim Bundesarbeitsgericht
eingegangen. Die Beklagte hat auch innerhalb der Antragsfrist die versäumte
Prozesshandlung, dh. die Begründung der Revision nachgeholt (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO)
und die den Antrag begründenden Tatsachen glaubhaft gemacht (§ 236 Abs. 2 Satz 1
ZPO).
14 b) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unbegründet. Nach § 233
ZPO ist einer Partei auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,
wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Revision
einzuhalten. Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beruht jedoch auf einem der
Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres
Prozessbevollmächtigten. Damit scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
nach § 233 ZPO aus.
15 aa) Nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Bundesarbeitsgerichts als auch des
Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt bei jeder Vorlage der Handakten im
Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung eigenverantwortlich zu
prüfen, wann die Frist für die Prozesshandlung abläuft. Werden einem Rechtsanwalt die
Handakten zur Anfertigung einer Rechtsmittelschrift vorgelegt, hat er neben der Prüfung
der Rechtsmittelfrist auch die ordnungsgemäße Notierung der zu diesem Zeitpunkt bereits
feststehenden Rechtsmittelbegründungsfrist zu prüfen (vgl. etwa BAG 17. Januar 2012 -
3 AZR 572/09 - Rn. 14; 31. Januar 2008 - 8 AZR 27/07 - Rn. 21, BAGE 125, 333; BGH
3. Mai 2011 - VI ZB 4/11 - Rn. 6; 19. April 2005 - X ZB 31/03 -; 21. April 2004 - XII ZB
243/03 - zu II 1 der Gründe, FamRZ 2004, 1183).
16 bb) Dieser Prüfungspflicht ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht
nachgekommen. Da die Revisionsbegründungsfrist von zwei Monaten nach § 74 Abs. 1
Satz 2 ArbGG mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils beginnt,
stand ihr Ablauf zum Zeitpunkt der Vorlage der Handakten zur Fertigung der
Revisionsschrift bereits fest. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hätte daher
bereits im Zusammenhang mit der Anfertigung des Revisionsschriftsatzes vom 16. Juli
2012 überprüfen müssen, ob die Revisionsbegründungsfrist richtig eingetragen war.
Weshalb er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, hat der Prozessbevollmächtigte
der Beklagten nicht dargelegt.
17 III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Streitwertfestsetzung folgt aus
§ 63 Abs. 2 GKG.
Gräfl Schlewing Spinner