Urteil des BAG vom 22.07.2014

Altersteilzeit - Entgelterhöhung in der Freistellungsphase

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 22.7.2014, 9 AZR 946/12
Altersteilzeit - Entgelterhöhung in der Freistellungsphase
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. September
2012 - 4 Sa 1380/12 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Höhe der in der Freistellungsphase des
Altersteilzeitarbeitsverhältnisses von der Beklagten zu zahlenden Teilzeitvergütung.
2 Am 27. November 2006 vereinbarten die Parteien als Ergänzung zum Arbeitsvertrag vom
1. April 1974 Altersteilzeit im Blockmodell mit einer Arbeitsphase vom 1. Februar 2007 bis
zum 28. Februar 2010 und einer Freistellungsphase vom 1. März 2010 bis zum 31. März
2013. Nach § 1 dieser Vereinbarung richtete sich das Altersteilzeitarbeitsverhältnis nach
dem Altersteilzeitgesetz und dem Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit vom
5. Mai 1998 (TV ATZ) in seiner jeweils geltenden Fassung. Außerdem fand auf das
Altersteilzeitarbeitsverhältnis der Entgelttarifvertrag für die Charité - Universitätsmedizin
Berlin vom 1. Januar 2007 idF vom 1. Juli 2011 (ETV-Charité) Anwendung, der ua. eine
Entgelterhöhung ab dem 1. Juli 2011 regelt. In § 9 Abs. 1 ETV-Charité heißt es:
„Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis am 1. Juni 2011 bestanden hat, haben
Anspruch auf eine mit der Entgeltzahlung für Juni 2011 fällige Einmalzahlung in
Höhe von 300,00 Euro. Die Einmalzahlung deckt den Zeitraum vom 1. Januar 2011
bis 30. Juni 2011 ab.“
3 Die Klägerin hat von der Beklagten die Hälfte dieser Einmalzahlung iHv. 150,00 Euro und
die zum 1. Juli 2011 in Kraft getretene Entgelterhöhung ohne Erfolg beansprucht. Sie hat
die Auffassung vertreten, gemäß § 4 Abs. 1 TV ATZ habe sie Anspruch auf die Bezüge, die
sich für entsprechende Teilzeitkräfte bei Anwendung der tariflichen Vorschriften ergäben.
Dies habe zur Folge, dass ihr die in § 9 Abs. 1 ETV-Charité geregelte Einmalzahlung iHv.
300,00 Euro zur Hälfte zustehe und ihr aufgrund der reduzierten Arbeitszeit entsprechend
vermindertes Entgelt nach Maßgabe des ETV-Charité ab dem 1. Juli 2011 zu erhöhen sei.
Dieser Tarifvertrag nehme Teilzeitbeschäftigte und damit auch Altersteilzeitarbeitnehmer
nicht aus.
4 Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 150,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie ab dem 1. Juli 2011 bis
zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Hälfte der im
Entgelttarifvertrag für die Charité vereinbarten Vergütungserhöhungen zu
zahlen.
5 Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag gemeint, es entstehe im Blockmodell
kein Zeitguthaben, sondern ein Geldguthaben. Dies bewirke, dass Arbeitnehmer in der
Freistellungsphase nicht an tariflichen Verbesserungen teilnähmen. Aus der Entscheidung
des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Mai 2012 (- 9 AZR 423/10 -) folge schon deshalb nichts
anderes, weil für das Altersteilzeitarbeitsverhältnis der Parteien nicht der LohnTV des
Landes Berlin, sondern der ETV-Charité maßgebend gewesen sei. Im Grundsatz habe das
Bundesarbeitsgericht die bisherige Spiegelbildtheorie bestätigt, indem es angenommen
habe, das während der Freistellungsphase ausgezahlte Entgelt sei Gegenleistung für die
bereits während der Arbeitsphase geleistete Arbeit.
6 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die
Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage
stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die
Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision der
Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit
Recht das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage
stattgegeben.
8 I. Der Anspruch der Klägerin auf eine Einmalzahlung iHv. 150,00 Euro brutto folgt aus § 1
des Altersteilzeitarbeitsvertrags der Parteien vom 27. November 2006 iVm. § 4 Abs. 1
TV ATZ und § 9 Abs. 1 ETV-Charité. Gemäß § 4 Abs. 1 TV ATZ erhält der Arbeitnehmer
als Bezüge die sich für entsprechende Teilzeitkräfte bei Anwendung der tariflichen
Vorschriften (zB § 34 BAT/BAT-O) ergebenden Beträge mit der Maßgabe, dass die
Bezügebestandteile, die üblicherweise in die Berechnung des Aufschlags zur
Urlaubsvergütung/Zuschlags zum Urlaubslohn einfließen, sowie Wechselschicht- und
Schichtzulagen entsprechend dem Umfang der tatsächlich geleisteten Tätigkeit
berücksichtigt werden. Darüber, dass sich die Vergütung der Klägerin nach dem ETV-
Charité richtet, das Arbeitsverhältnis am 1. Juni 2011 bestanden hat und der Klägerin für
die Dauer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses Entgelt entsprechend der während der
Altersteilzeit auf die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit reduzierten Arbeitszeit
zusteht, besteht kein Streit. § 9 Abs. 1 Satz 1 ETV-Charité begründet auch für
Teilzeitbeschäftigte und damit auch für Arbeitnehmer in Altersteilzeit einen Anspruch auf
die Einmalzahlung, die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 ETV-Charité den Zeitraum vom 1. Januar
2011 bis zum 30. Juni 2011 abdeckt.
9 II. Auch der Feststellungsantrag der Klägerin ist begründet. Nach § 4 Abs. 1 TV ATZ iVm.
§ 2 Abs. 1 ETV-Charité, wonach Beschäftigte ein monatliches Entgelt nach den Tabellen
gemäß den Anlagen A und B erhalten, ist die Beklagte verpflichtet, ab dem 1. Juli 2011
das der Klägerin während der Altersteilzeit zustehende Entgelt zu erhöhen. Die
Tarifvertragsparteien des ETV-Charité haben weder Arbeitnehmer in Altersteilzeit
geschweige denn alle Teilzeitbeschäftigten von der Entgelterhöhung ab dem 1. Juli 2011
ausgeschlossen. Ein genereller Ausschluss Teilzeitbeschäftigter wäre aufgrund des
Diskriminierungsverbots in § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG gemäß § 134 BGB auch nicht
wirksam.
10 III. Der Hinweis der Beklagten auf die sog. Spiegelbildtheorie geht fehl.
11 1. Wenn nach der Rechtsprechung des Senats ein Altersteilzeitarbeitnehmer im
Blockmodell während der Freistellungsphase Anspruch auf die durch seine Vorarbeit in
der Arbeitsphase erworbenen Entgeltansprüche hat (BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 423/10 -
Rn. 26; 11. April 2006 - 9 AZR 369/05 - Rn. 50, BAGE 118, 1; 4. Oktober 2005 - 9 AZR
449/04 - Rn. 16, BAGE 116, 86; 24. Juni 2003 - 9 AZR 353/02 - zu A II 1 b bb (2) der
Gründe, BAGE 106, 353), hindert dies eine Erhöhung des Entgelts in der
Freistellungsphase nicht. Dies hat der Senat zuletzt in seiner Entscheidung vom 22. Mai
2012 (- 9 AZR 423/10 - Rn. 25 ff.) nochmals eingehend begründet.
12 a) Er hat ausgeführt, im Blockmodell der Altersteilzeit trete der Arbeitnehmer während der
Arbeitsphase mit seiner vollen Arbeitsleistung im Hinblick auf die anschließende
Freistellungsphase in Vorleistung und erarbeite hierdurch Entgelte, die nicht im Monat der
Arbeitsphase ausgezahlt, sondern für die spätere Freistellungsphase zeitversetzt
angespart würden. Die Vorleistungen führten zu einem Zeitguthaben. Komme es in der
Freistellungsphase zu Lohnerhöhungen, einem Einfrieren oder einer Kürzung von
Zuwendungszahlungen sei (mindestens) das auszuzahlen, was der
Altersteilzeitarbeitnehmer erarbeitet habe (sh. hierzu BAG 4. Oktober 2005 - 9 AZR
449/04 - Rn. 30, BAGE 116, 86). § 4 Abs. 1 TV ATZ regele die Bemessung der
Teilzeitvergütung. Danach erhalte der Altersteilzeitarbeitnehmer während der gesamten
Zeit des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses die Bezüge in Höhe der sich für entsprechende
Teilzeitkräfte bei Anwendung der tariflichen Vorschriften ergebenden Beträge. Nicht
vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer erhielten von der Vergütung, die für entsprechende
vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer festgelegt sei, den Teil, der dem Maß der mit ihnen
vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit entspreche (vgl. hierzu BAG 4. Oktober 2005 -
9 AZR 449/04 - Rn. 14, aaO). § 4 Abs. 1 TV ATZ enthalte mit Ausnahme einer Ergänzung
für bestimmte Bezügebestandteile keine eigenständige Regelung der Vergütung im
Altersteilzeitarbeitsverhältnis. § 4 Abs. 1 TV ATZ verweise lediglich auf „die sich für
entsprechende Teilzeitkräfte bei Anwendung der tariflichen Vorschriften … ergebenden
Beträge“ (BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 379/10 - Rn. 20). Daraus folge, dass auch ein
Altersteilzeitarbeitnehmer im Blockmodell grundsätzlich die Bezüge erhalte, die eine
entsprechende Teilzeitkraft bei Anwendung der tariflichen Vorschriften erhalten würde
(BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 184/09 - Rn. 30, BAGE 134, 202).
13 b) Für Alterszeitarbeitsverhältnisse, für die - wie für das Altersteilzeitarbeitsverhältnis der
Parteien - die Regelungen des TV ATZ maßgebend sind, hat der Senat im Urteil vom
22. Mai 2012 (- 9 AZR 423/10 - Rn. 28) angenommen, die Protokollerklärung zu § 5 Abs. 2
TV ATZ belege, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien des TV ATZ
Altersteilzeitarbeitnehmer auch in der Freistellungsphase des Blockmodells von
Bezügeerhöhungen nicht ausgeschlossen werden sollten. Nach dieser Protokollerklärung
seien für die Berechnung des Aufstockungsbetrags im Blockmodell allgemeine
Bezügeerhöhungen zu berücksichtigen, soweit die zugrunde liegenden
Bezügebestandteile ebenfalls an allgemeinen Bezügeerhöhungen teilnähmen (vgl. zum
sog. Hätte-Entgelt: BAG 4. Oktober 2005 - 9 AZR 449/04 - Rn. 21 ff., BAGE 116, 86). Damit
werde deutlich, dass die Tarifvertragsparteien des TV ATZ die Berücksichtigung von
Bezügeerhöhungen auch für die gesamte Dauer des Blockmodells nicht ausschließen
wollten. Sie hätten in der Protokollerklärung nicht zwischen der Arbeits- und der
Freistellungsphase des Blockmodells differenziert. Ob die Bezüge in der
Freistellungsphase an allgemeinen Tariflohnerhöhungen teilnähmen, sollte sich vielmehr
nach den für die Erhöhung der Bezüge maßgeblichen Regelungen richten.
14 2. Die Beklagte hat keine Argumente vorgebracht, die die tragenden Ausführungen des
Senats im Urteil vom 22. Mai 2012 (- 9 AZR 423/10 -) infrage stellen könnten.
15 a) Es trifft zwar zu, dass in jenem Fall die Entgelterhöhung nicht im ETV-Charité, sondern
im Lohn- und Vergütungstarifvertrag Nr. 1 zum Anwendungs-TV Land Berlin vom
12. November 2008 (LohnTV) geregelt war. Maßgebend ist jedoch, dass der ETV-Charité
ebenso wie der LohnTV Altersteilzeitarbeitnehmer von der Entgelterhöhung nicht
ausnimmt.
16 b) Das Argument der Beklagten, die Tarifvertragsparteien des ETV-Charité hätten anders
als die Tarifvertragsparteien des LohnTV nicht in einer Protokollerklärung geregelt, dass
der Sockelbetrag an Teilzeitbeschäftigte anteilig entsprechend der regelmäßigen
durchschnittlichen Arbeitszeit gezahlt wird, trägt nicht. Dies gilt auch für den Einwand der
Beklagten, die Regelungen im LohnTV hätten der Rückkehr des Landes Berlin in den
Flächentarifvertrag der Tarifgemeinschaft deutscher Länder gedient, während der ETV-
Charité schlicht die aktuellen Ansprüche der Beschäftigten regele, ohne eine Angleichung
an andere Tarifsysteme oder einen Ausgleich für in der Vergangenheit nicht gewährte
Ansprüche anzustreben. Wenn ein Tarifvertrag festlegt, dass, wie und ab wann die
Bezüge der Beschäftigten erhöht werden, und Teilzeitbeschäftigte von der
Bezügeerhöhung nicht ausnimmt, ist es für den Anspruch der Teilzeitbeschäftigten ohne
Bedeutung, ob der Tarifvertrag außer der Bezügeerhöhung noch andere Regelungen
enthält.
17 IV. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Brühler
Krasshöfer
Klose
Heilmann
Matth. Dipper