Urteil des BAG vom 05.06.2014

Korrigierende Rückstufung bei Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 5.6.2014, 6 AZR 1008/12
Korrigierende Rückstufung bei Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L
Leitsätze
Beruht die Stufenzuordnung auf einer zulässigen Ermessensentscheidung, kann insoweit keine
einseitige "korrigierende" Rückstufung erfolgen.
Tenor
1. Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern
Freiburg - vom 27. September 2012 - 11 Sa 74/12 - wird
zurückgewiesen.
2. Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Rückstufung im Entgeltsystem des
Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).
2 Der 1963 geborene Kläger ist Diplom-Kaufmann (FH) und war nach seinem Studium
mehrere Jahre in leitender Funktion als Kaufmann und Informatiker in der Privatwirtschaft
tätig. Ab 2006 war er selbständig. Im März 2007 legte er nach einem parallel betriebenen
Studium der Wirtschaftsinformatik an der Fernuniversität H die Erste Staatsprüfung für das
Lehramt an der Sekundarstufe II ab. Im September 2007 begann er bei der Kaufmännischen
Schule L den Vorbereitungsdienst und bestand im Juli 2009 die Zweite Staatsprüfung für
die Laufbahn des höheren Schuldienstes an beruflichen Schulen. Im Schuljahr 2008/2009
schrieb die Kaufmännische Schule L die Stelle einer Lehrkraft mit den Fächern
Betriebswirtschaftslehre und Datenverarbeitung aus. Am 3./11. September 2009 schlossen
die Parteien einen schriftlichen Arbeitsvertrag, wonach der Kläger als Lehrer für diese
Fächerkombination eingestellt wurde. Gemäß § 2 dieses Vertrags bestimmte sich das
Arbeitsverhältnis nach dem TV-L in der jeweils geltenden Fassung. Hinsichtlich der
Vergütung sah der Arbeitsvertrag die Eingruppierung des Klägers in die
Entgeltgruppe 13 TV-L ohne Angabe einer bestimmten Entgeltstufe vor.
3 § 16 Abs. 2 TV-L enthält folgende Regelungen zur Stufenzuordnung bei einer
Neueinstellung:
1
Bei der Einstellung werden die Beschäftigten der Stufe 1 zugeordnet, sofern keine
einschlägige
Berufserfahrung
vorliegt.
2
Verfügen Beschäftigte über eine
einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen
befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber, erfolgt die
Stufenzuordnung unter Anrechnung der Zeiten der einschlägigen Berufserfahrung
aus diesem vorherigen Arbeitsverhältnis.
3
Ist die einschlägige Berufserfahrung von
mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber
erworben worden, erfolgt die Einstellung in die Stufe 2, beziehungsweise - bei
Einstellung nach dem 31. Januar 2010 und Vorliegen einer einschlägigen
Berufserfahrung von mindestens drei Jahren - in Stufe 3.
4
Unabhängig davon kann
der Arbeitgeber bei Neueinstellungen zur Deckung des Personalbedarfs Zeiten einer
vorherigen beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise für die Stufenzuordnung
berücksichtigen, wenn diese Tätigkeit für die vorgesehene Tätigkeit förderlich ist.“
4 Der Kläger erhielt ab Beginn des Arbeitsverhältnisses am 11. September 2009 eine
Vergütung nach Stufe 4 der Entgeltgruppe 13 TV-L. Mit Datum vom 27. Oktober 2009 erhielt
der Kläger von einem Sachbearbeiter einen Ausdruck aus dem Personalverwaltungssystem
DIPSY, wonach bei der Position „förderliche Zeiten“ die Zahl „006“ eingepflegt war. Der
Ausdruck war handschriftlich um die Bemerkung „6 Jahre 2001 - 2007 anerkannt, ab 2007
Studium“ ergänzt. Nach einer Überprüfung der Stufenzuordnung teilte das beklagte Land
dem Kläger mit Schreiben vom 29. Juni 2010 mit, er werde vorläufig bis zum Abschluss des
personalvertretungsrechtlichen Mitbestimmungsverfahrens rückwirkend zum 11. September
2009 der Stufe 1 der Entgeltgruppe 13 TV-L zugeordnet, weil seine berufliche Tätigkeit erst
ab der Zweiten Staatsprüfung berücksichtigt werden könne. Unter dem 7. Juli 2010 richtete
der Schulleiter der Kaufmännischen Schule L ein Schreiben an das Regierungspräsidium
F, mit dem er betonte, dass der Kläger aufgrund seiner Berufserfahrung eingestellt worden
sei und wegen dieser Erfahrung in den Speditionsklassen und in den Klassen der
Fachkräfte für Lagerlogistik uneingeschränkt eingesetzt werden könne. Eine
Engpasssituation im Bereich Logistik, Spedition und Lagerhaltung habe sich durch seine
Einstellung enorm verbessert. Mit Schreiben vom 15. September 2010 verlangte der Kläger
weiterhin Vergütung nach Entgeltgruppe 13 Stufe 4 TV-L. Dennoch wurde die Rückstufung
im Oktober 2010 vollzogen. Zum 30. September 2011 schied der Kläger durch
Eigenkündigung aus dem Arbeitsverhältnis mit dem beklagten Land aus.
5 Mit seiner am 4. August 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die
Feststellung der Verpflichtung des beklagten Landes zur Vergütung nach Stufe 4 der
Entgeltgruppe 13 TV-L verlangt. Die Zuordnung zur Entgeltstufe 4 sei ihm ausweislich der
Mitteilung vom 27. Oktober 2009 einzelvertraglich zugesichert worden. Eine korrigierende
Rückstufung komme nicht in Betracht. Zudem sei die Zuordnung zur Stufe 4 nach § 16
Abs. 2 Satz 4 TV-L nicht fehlerhaft. Die Ausführungen des Schulleiters im Schreiben vom
7. Juli 2010 belegten sowohl den zum Zeitpunkt seiner Einstellung bestehenden
Personalbedarf als auch die Förderlichkeit seiner erworbenen Berufserfahrung für die
spätere Lehrtätigkeit. Eine Beschränkung der Anrechenbarkeit auf Tätigkeiten, die nach
dem Zweiten Staatsexamen verrichtet wurden, sei § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L nicht zu
entnehmen.
6 Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ihn vom 11. September 2009
bis zum 30. September 2011 aus der Entgeltgruppe 13 Stufe 4 TV-L zu vergüten.
7 Das beklagte Land hat seinen Klageabweisungsantrag damit begründet, dass der Kläger
weder einen einzelvertraglichen noch einen tariflichen Anspruch auf Zuordnung zur Stufe 4
der Entgeltgruppe 13 TV-L habe. Der Mitteilung des Sachbearbeiters vom 27. Oktober 2009
lasse sich keine Zusage einer bestimmten Stufenzuordnung entnehmen. Der
Sachbearbeiter sei auch nicht befugt gewesen, einzelvertragliche Vereinbarungen mit
Beschäftigten zu treffen. Auch ein tariflicher Anspruch des Klägers sei nicht gegeben. § 16
Abs. 2 Satz 4 TV-L gewähre dem Arbeitgeber hinsichtlich der Anerkennung förderlicher
Beschäftigungszeiten bei der Stufenzuordnung ein freies Ermessen. Im Falle des Klägers
sei von befugter Stelle keine Entscheidung der Vergütung nach Stufe 4 der
Entgeltgruppe 13 TV-L getroffen worden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16
Abs. 2 Satz 4 TV-L hätten auch nicht vorgelegen. Zum einen habe bei der Einstellung des
Klägers kein Personalbedarf bestanden, da es sich bei dem Unterrichtsfach
Betriebswirtschaftslehre nicht um ein sog. „Mangelfach“ gehandelt habe. Darüber hinaus
habe der Kläger bei der Einstellung über keine förderlichen Beschäftigungszeiten verfügt.
Als „förderlich“ iSv. § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L könnten nur solche Zeiten anerkannt werden,
die nach Ablegung des für die Einstellung maßgeblichen Ausbildungsabschlusses - hier
des Zweiten Staatsexamens - zurückgelegt worden sind. Die Rückstufung sei daher zu
Recht erfolgt. Mit ihr werde nur die falsche Eingabe von Anerkennungszeiten in das
Personalverwaltungssystem durch einen Sachbearbeiter korrigiert.
8 Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch gemäß § 611 Abs. 1 BGB
auf Vergütung nach Stufe 4 der Entgeltgruppe 13 TV-L in der Zeit vom 11. September
2009 bis zum 30. September 2011. Das beklagte Land war nicht berechtigt, die
vorgenommene Stufenzuordnung einseitig im Wege der korrigierenden Rückstufung zu
ändern.
10 I. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der
TV-L in seiner jeweils gültigen Fassung Anwendung.
11 II. Das beklagte Land hat den Kläger bei der Einstellung der Stufe 4 der Entgeltgruppe 13
TV-L zugeordnet und diese Stufe der Vergütungsberechnung zugrunde gelegt. Das für
eine korrigierende Rückstufung erforderliche Nichtvorliegen einer
Tatbestandsvoraussetzung des § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L hat das beklagte Land nicht
hinreichend dargelegt.
12 1. Bezüglich Eingruppierungen ist anerkannt, dass der Arbeitgeber des öffentlichen
Dienstes grundsätzlich berechtigt ist, eine fehlerhafte, der Tätigkeit des Arbeitnehmers
nicht entsprechende tarifliche Eingruppierung zu korrigieren (BAG 4. Juli 2012 - 4 AZR
673/10 - Rn. 19, BAGE 142, 271). Beruft sich der Arbeitnehmer auf die ihm zuvor als
maßgebend mitgeteilte und der Vergütung zugrunde gelegte Vergütungsgruppe, muss der
Arbeitgeber allerdings die objektive Fehlerhaftigkeit der bisher gewährten Vergütung
darlegen und ggf. beweisen (BAG 20. März 2013 - 4 AZR 521/11 - Rn. 18; 15. Juni 2011 -
4 AZR 737/09 - Rn. 29). Dieser Darlegungslast wird genügt, wenn sich aus dessen
Vorbringen - einschließlich des unstreitigen Sachverhaltes - ergibt, dass es jedenfalls an
einer der tariflichen Voraussetzungen für die mitgeteilte Eingruppierung mangelt (vgl. BAG
4. Juli 2012 - 4 AZR 673/10 - aaO; 7. Mai 2008 - 4 AZR 206/07 - Rn. 27 f. mwN). Die
objektive Fehlerhaftigkeit beinhaltet, dass sich der Arbeitgeber insoweit bei der
Rechtsanwendung „geirrt“ hat, als er unzutreffende Tatsachen zugrunde gelegt und/oder
eine objektiv unzutreffende rechtliche Bewertung vorgenommen hat (vgl. BAG 16. Februar
2000 - 4 AZR 62/99 - zu II 2 b aa (3) der Gründe, BAGE 93, 340). Diese Grundsätze der
korrigierenden Rückgruppierung basieren auf der Erkenntnis, dass es sich bei der
Eingruppierung nicht um einen konstitutiven rechtsgestaltenden Akt, sondern um einen Akt
der Rechtsanwendung verbunden mit der Kundgabe einer Rechtsansicht handelt (vgl.
BAG 11. September 2013 - 7 ABR 29/12 - Rn. 18; 24. Mai 2012 - 6 AZR 703/10 - Rn. 19,
BAGE 142, 20; 22. April 2009 - 4 ABR 14/08 - Rn. 50, BAGE 130, 286). Die
Eingruppierung ist nicht in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt (BAG 19. Oktober 2011
- 4 ABR 119/09 - Rn. 19).
13 2. Die Grundsätze der korrigierenden Rückgruppierung lassen sich auf die
Stufenzuordnung im Sinne einer Rückstufung übertragen, wenn sich die Stufenzuordnung
auf eine bloße Rechtsanwendung im Rahmen tariflicher Vorgaben beschränkt. Erlauben
die tariflichen Regelungen dem Arbeitgeber bei der Stufenzuordnung hingegen ein
rechtsgestaltendes Handeln, kommt eine einseitige korrigierende Rückstufung nicht in
Betracht. Die Stufenzuordnung wird dann durch eine bewusste Entscheidung des
Arbeitgebers und nicht mehr allein durch die Umsetzung tariflicher Vorgaben bestimmt.
14 3. In Bezug auf die Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 TV-L ist demnach wie folgt zu
unterscheiden:
15 a) Bei den in § 16 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 TV-L geregelten Fällen der Stufenzuordnung
handelt es sich um reine Rechtsanwendung. Der Arbeitgeber hat bei Beachtung der
Protokollerklärung zu § 16 Abs. 2 TV-L zu prüfen, ob eine einschlägige Berufserfahrung
von bestimmter Länge aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis gegeben ist. Die
Stufenzuordnung richtet sich ausschließlich nach dem Subsumtionsergebnis. Erweist sich
die Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 TV-L als fehlerhaft, weil der
Subsumtion unzutreffende Tatsachen und/oder eine objektiv unzutreffende rechtliche
Bewertung zugrunde lagen, kann der Arbeitgeber diese durch einseitige Rückstufung
korrigieren.
16 b) Bei der Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L treffen hingegen
Rechtsanwendung und Rechtsgestaltung zusammen. Dementsprechend ist zu
differenzieren.
17 aa) Erweist sich die Stufenzuordnung als fehlerhaft, weil der Arbeitgeber das Vorliegen
einer der Tatbestandsvoraussetzungen fehlerhaft bejaht hat, kann er die Stufenzuordnung
durch Rückstufung korrigieren.
18 (1) Die Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L ist auf der Tatbestandsebene reine
Rechtsanwendung. Bei den Merkmalen der bezweckten Deckung eines Personalbedarfs
und der Förderlichkeit einer vorherigen beruflichen Tätigkeit handelt es sich um
Tatbestandsvoraussetzungen (vgl. BAG 23. September 2010 - 6 AZR 174/09 - Rn. 15; zu
§ 21a Abs. 2 BMT-G vgl. BAG 26. Juni 2008 - 6 AZR 498/07 - Rn. 29; zu Nr. 3 Abs. 2
Satz 4 der Anlage D.12 zum TVöD-V vgl. BAG 12. September 2013 - 6 AZR 512/12 -
Rn. 52; zu § 16 Abs. 2 Satz 6 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L vgl. BAG 21. November 2013 -
6 AZR 23/12 - Rn. 47; Sponer/Steinherr TV-L Stand Oktober 2009 § 16 Rn. 26;
Breier/Dassau/Kiefer/Thivessen TV-L Stand August 2012 Teil B 1 § 16 Rn. 19; BeckOK
TV-L/Felix Stand 1. März 2014 TV-L § 16 Rn. 23b; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese
TV-L Stand Mai 2012 Teil II § 16 Rn. 56; Spelge in Groeger Arbeitsrecht im öffentlichen
Dienst 2. Aufl. Teil 8 Rn. 26). Erst wenn diese einschränkenden Voraussetzungen objektiv
erfüllt sind, wird dem Arbeitgeber auf der Rechtsfolgenseite Ermessen eröffnet.
19 (2) Die Auffassung der Revision, wonach dem Arbeitgeber bereits auf der
Tatbestandsebene des § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L „freies“ Ermessen eingeräumt werde, steht
im Widerspruch zu Sinn und Zweck der Tarifnorm. Mit der Regelung soll erreicht werden,
dass der Arbeitgeber etwaigen Personalgewinnungsschwierigkeiten flexibel begegnen
kann (vgl. BAG 21. November 2013 - 6 AZR 23/12 - Rn. 47; 12. September 2013 - 6 AZR
512/12 - Rn. 52). Die Vorschrift schafft einen Rahmen, in dem der Arbeitgeber einen
tariflich eröffneten Handlungsspielraum bzgl. der Attraktivität der Vergütung nutzen kann.
Damit soll einerseits marktgerechte Flexibilität eröffnet werden, andererseits soll aber in
Abgrenzung zur Gewährung übertariflicher Leistungen eine Objektivierung und
Vereinheitlichung der Arbeitgeberpraxis erreicht werden. Anderenfalls wäre die Regelung
sinnlos, da der Arbeitgeber - abgesehen von haushaltsrechtlichen Beschränkungen - nicht
gehindert ist, übertarifliche Leistungen zu gewähren und einzelvertraglich zu vereinbaren.
Könnte der Arbeitgeber frei bestimmen, ob zB eine frühere Tätigkeit „förderlich“ iSv. § 16
Abs. 2 Satz 4 TV-L ist, wäre kein tariflicher Maßstab mehr zu wahren.
20 Gegen ein freies Ermessen des Arbeitgebers auf Tatbestandsebene spricht zudem, dass
der öffentliche Arbeitgeber bei der Anerkennung von förderlichen Zeiten dem
Haushaltsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verpflichtet ist. Demnach sind
objektiv nachvollziehbare Gründe für eine Anwendung des § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L
notwendig (vgl. Steuernagel ZMV 2013, 25). Müssten schon die
Tatbestandsvoraussetzungen nicht objektiv erfüllt sein, wäre ein praktischer
Anwendungsbereich für die Tarifnorm kaum eröffnet. Der Arbeitgeber müsste eine
Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L dann wie eine übertarifliche
Vergütungsabrede rechtfertigen.
21 bb) Auf der Rechtsfolgenseite handelt es sich bei der Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2
Satz 4 TV-L demgegenüber um Rechtsgestaltung, die der Arbeitgeber nicht durch eine
Rückstufung einseitig verändern kann. Dem Arbeitgeber wird hier Ermessen eingeräumt.
Es kann dahinstehen, ob es sich dabei um freies oder billiges Ermessen handelt (vgl. BAG
23. September 2010 - 6 AZR 174/09 - Rn. 17). Jedenfalls wird die Stufenzuordnung durch
einen Gestaltungsakt des Arbeitgebers und nicht durch bloßen Tarifvollzug bestimmt. Im
Umfang der Ermessensausübung ist daher eine einseitige korrigierende Rückstufung nicht
zulässig.
22 4. Will der Arbeitgeber die durch sein Ermessen bestimmte Stufenzuordnung verändern,
so muss er im Regelfall mit dem betroffenen Arbeitnehmer eine entsprechende
Vereinbarung treffen oder die beabsichtigte Änderung im Wege der Änderungskündigung
durchsetzen, denn der Arbeitnehmer hat meist einen vertraglichen Anspruch auf die
Vergütung nach der vorgenommenen Stufenzuordnung.
23 a) Hierbei handelt es sich um keine einzelvertragliche Vereinbarung einer übertariflichen
Vergütung. Die Ausübung des Ermessens nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L ist Teil der
Tarifanwendung.
24 b) Das Ermessen wird regelmäßig durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung
ausgeübt. Hierzu bedarf es keiner Form, die Ausübung ist also auch durch schlüssiges
Verhalten möglich (vgl. zu § 315 Abs. 2 BGB MüKoBGB/Würdinger 6. Aufl. § 315 Rn. 34
mwN). Tatsächlichem Verhalten des Arbeitgebers kann eine konkludente
Willenserklärung entnommen werden, die vom Arbeitnehmer gemäß § 151 BGB
angenommen werden kann (vgl. BAG 10. Dezember 2013 - 3 AZR 832/11 - Rn. 60;
15. Mai 2012 - 3 AZR 610/11 - Rn. 56, BAGE 141, 222). Ob in einem tatsächlichen
Handeln eine konkludente Willenserklärung zu erblicken ist, muss danach beurteilt
werden, inwieweit der Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter
Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte und der Begleitumstände
auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durfte (vgl. BAG 10. Dezember 2013
- 3 AZR 832/11 - Rn. 61; 28. Mai 2008 - 10 AZR 274/07 - Rn. 15).
25 c) Im Falle einer Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L stellt die bloße
Lohnzahlung in Höhe einer bestimmten Entgeltstufe regelmäßig ein konkludentes
Angebot des Arbeitgebers auf entsprechende Vergütung dar, die der Arbeitnehmer, der
seine Arbeitsleistung erbringt und diese Vergütung entgegennimmt, konkludent annimmt.
Damit erhält er einen vertraglichen Anspruch auf die Bezahlung nach dieser Entgeltstufe.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber tariflich verpflichtet ist, eine
Stufenzuordnung vorzunehmen. Erhält der Arbeitnehmer wiederholt eine bestimmte
Vergütung ausgezahlt, darf er regelmäßig nach objektivem Empfängerhorizont davon
ausgehen, der Arbeitgeber habe ihn verbindlich der entsprechenden Entgeltstufe
zugeordnet. Interne Verwaltungsabläufe des Arbeitgebers sind dabei ohne Bedeutung,
wenn sie sich der Kenntnis des Arbeitnehmers entziehen. Entgegen der Auffassung der
Revision macht es keinen Unterschied, ob eine Stufenzuordnung auf einer fehlerhaften
verwaltungstechnischen Sachbearbeitung oder einer bewussten Entscheidung durch
befugte Funktionsträger beruht. Aus Sicht des Arbeitnehmers ist die faktisch erfolgte und
durch die Zahlung belegte Stufenzuordnung maßgeblich. Entscheidend ist, dass der
Arbeitnehmer bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt annehmen durfte, es handle
sich um eine Willenserklärung des Arbeitgebers (vgl. Brox/Walker BGB AT 37. Aufl.
Rn. 85, 137). Auf die Kenntnis des Arbeitgebers kommt es, anders als bei der von der
Revision genannten Regelung des § 15 Abs. 5 TzBfG, nicht an. Anderes kann nur gelten,
wenn der Arbeitnehmer von Kompetenzüberschreitungen oder Verwaltungsfehlern wusste
und der vorgenommenen Stufenzuordnung deshalb keinen Bindungswillen beimessen
durfte.
26 5. Im vorliegenden Fall hat sich das beklagte Land nicht auf eine Anfechtung der
Stufenzuordnung oder auf deren Änderung durch eine Änderungskündigung berufen,
sondern auf die Wirksamkeit einer korrigierenden Rückstufung. Die hierfür erforderliche
objektive Fehlerhaftigkeit der Stufenzuordnung ist jedoch nicht hinreichend dargelegt.
27 a) Für die Wirksamkeit der korrigierenden Rückstufung ist - wie ausgeführt - allein
maßgeblich, dass eine der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen der nach § 16 Abs. 2
Satz 4 TV-L vorgenommenen Stufenzuordnung nicht gegeben ist. Die Rückstufung kann
daher für sich genommen nicht mit einer Kompetenzüberschreitung oder einem
Arbeitsfehler eines Sachbearbeiters begründet werden.
28 b) Eine Einstellung zur Deckung des Personalbedarfs iSv. § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L setzt
voraus, dass der Personalbedarf sonst quantitativ oder qualitativ nicht hinreichend gedeckt
werden kann (BAG 21. November 2013 - 6 AZR 23/12 - Rn. 47 mwN). Dies kann im
Schuldienst bei einem sog. „Mangelfach“ der Fall sein. Der Sachvortrag des beklagten
Landes dazu ist aber unzureichend, weil der Kläger nicht nur für das Fach
Betriebswirtschaftslehre, sondern auch für das Fach Datenverarbeitung eingestellt wurde.
Zu einem fehlenden Personalgewinnungsbedarf für Lehrer dieses Fachs verhält sich der
Sachvortrag des beklagten Landes nicht.
29 c) Die ursprüngliche Stufenzuordnung ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil der Kläger bei
der Einstellung nicht über förderliche Vorbeschäftigungszeiten verfügte. Im Gegensatz zur
Auffassung des beklagten Landes sind im Rahmen von § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L nicht nur
Zeiten zu berücksichtigen, die nach Ablegung des für die Einstellung maßgeblichen
Ausbildungsabschlusses - hier des Zweiten Staatsexamens - zurückgelegt worden sind.
Diese Sichtweise entspricht nicht den tariflichen Regelungen.
30 aa) § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L dient dazu, Berufserfahrung zu berücksichtigen, die dem
Arbeitnehmer und damit auch seinem Arbeitgeber in der Tätigkeit, für die er neu eingestellt
wurde, zugutekommt (vgl. BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 94/12 - Rn. 58; 21. November
2013 - 6 AZR 23/12 - Rn. 62). Inhaltlich kommen als förderliche Zeiten in erster Linie
gleichartige und gleichwertige Tätigkeiten, die der Arbeitnehmer bei einem anderen
öffentlichen oder privaten Arbeitgeber ausgeübt hat, in Betracht. Sie können insbesondere
vorliegen, wenn die frühere berufliche Tätigkeit mit der auszuübenden Tätigkeit in
sachlichem Zusammenhang steht und die dabei erworbenen Kenntnisse, Fertigkeiten und
Erfahrungen für die Erfüllung der auszuübenden Tätigkeit offenkundig von Nutzen sind
(vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Stand Mai 2012 Teil II § 16 Rn. 58;
Breier/Dassau/Kiefer/Thivessen TV-L Stand August 2012 Teil B 1 § 16 Rn. 24; Zettl
ZMV 2010, 173; zur Anlehnung dieser Definition an das Verständnis des Begriffs der
„förderlichen Tätigkeit“ in § 10 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG vgl. Spelge in Groeger Arbeitsrecht
im öffentlichen Dienst 2. Aufl. Teil 8 Rn. 29; Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV Stand Februar
2010 E § 16 Rn. 27). Auch eine selbständige Tätigkeit kann demnach eine förderliche
berufliche Tätigkeit iSd. § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L sein (Steuernagel ZMV 2013, 25, 26; Zettl
aaO; Bredemeier/Neffke/Zimmermann TVöD/TV-L 4. Aufl. § 16 Rn. 20). Die vorherige
förderliche Tätigkeit muss nicht unmittelbar vor der Einstellung verrichtet worden sein (vgl.
Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese aaO Rn. 59; Breier/Dassau/Kiefer/Thivessen aaO
Rn. 23).
31 bb) Der Begriff der „förderlichen Tätigkeit“ iSv. § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L ist damit weiter als
der Begriff der „einschlägigen Berufserfahrung“ iSv. § 16 Abs. 2 Sätze 2 und 3 TV-L (vgl.
Howald öAT 2012, 51; Spengler in Burger TVöD/TV-L 2. Aufl. § 16 Rn. 11). Einschlägige
Berufserfahrung ist nach der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L eine berufliche
Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogenen entsprechenden
Tätigkeit. Um einschlägige Berufserfahrung handelt es sich demnach, wenn die frühere
Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird oder zumindest gleichartig war.
Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Beschäftigte die Berufserfahrung in einer
Tätigkeit erlangt hat, die in ihrer eingruppierungsrechtlichen Wertigkeit der Tätigkeit
entspricht, die er nach seiner Einstellung auszuüben hat (vgl. BAG 27. März 2014 - 6 AZR
571/12 - Rn. 17; 21. November 2013 - 6 AZR 23/12 - Rn. 45). Dabei kommt es nicht auf die
formale Bewertung der Tätigkeit durch den Arbeitgeber, sondern auf die entgeltrechtlich
zutreffende Bewertung an (vgl. BAG 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 20).
Demgegenüber verlangt eine förderliche Tätigkeit nur eine Nützlichkeit für die
auszuübende Tätigkeit, ohne dass es auf die eingruppierungsmäßige Gleichwertigkeit der
beruflichen Tätigkeiten ankommt. Auch eine geringer oder anders qualifizierte berufliche
Tätigkeit kann in diesem Sinne nützlich sein.
32 cc) § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L setzt entgegen der Ansicht der Revision damit nicht voraus,
dass die förderlichen Tätigkeiten nach dem für die Einstellung maßgeblichen
Ausbildungsabschluss absolviert wurden. Die berufliche Tätigkeit des Klägers in der
Privatwirtschaft bis zum Jahre 2007 ist im Rahmen von § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L
berücksichtigungsfähig. Dass es sich dabei um für die spätere Lehrtätigkeit nützliche
Tätigkeiten handelt, wird vom beklagten Land nicht in Abrede gestellt und ist durch das
Schreiben des Schulleiters vom 7. Juli 2010 hinreichend belegt. Es kann hier deshalb
unentschieden bleiben, ob und ggf. welche Ausbildungs- und Studienzeiten als förderliche
Tätigkeiten anerkannt werden können.
33 III. Das beklagte Land hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Fischermeier
Spelge
Krumbiegel
Augat
W. Kreis